Der gefährliche Traum des Westens

Ein Kameruner zeigt, dass es entscheidend für die Zukunft Afrikas und der Welt ist, jungen Menschen eine sinnvolle Arbeit zu geben. Exklusivabdruck aus „Defend The Sacred“.

Kamerun nimmt unter den Staaten Afrikas eine Sonderstellung ein, da es nicht von einer einzigen Kolonialmacht geprägt, sondern nach dem Ersten Weltkrieg in zwei Teile aufgeteilt und unter die Schirmherrschaft von Frankreich beziehungsweise Großbritannien gestellt wurde. Die beiden Gebiete entwickelten sich in unterschiedliche Richtungen. Als 1960 eine Welle von Unabhängigkeitsbewegungen durch Afrika ging, bemühte sich die anglophone Minderheit Kameruns um einen eigenen Staat, den sie später „Ambazonien“ nannten. Es war ein einzigartiger Vorstoß von Afrikanern, sich von der Bevormundung durch Kolonialmächte und der Ausbeutung durch multinationale Konzerne zu befreien, der jedoch keinerlei Unterstützung fand. Nach einem Aufstand von Lehrern, Studenten und Anwälten im Jahr 2016 eskalierte der schwelende Konflikt zwischen den beiden Landesteilen und entwickelte sich zu einem Genozid an der englischsprachigen Bevölkerung durch die frankophone Staatsmacht. Im Hintergrund des Konflikts geht es — wie an vielen Orten — um die Ausbeutung von Ressourcen, vor allem um größere Erdölvorkommen in der Region. Das brutale Vorgehen der Armee gegen die anglophone Zivilbevölkerung wird von den internationalen Medien, der UN und den Industrienationen verschwiegen oder als Bürgerkrieg gegen sogenannte Separatisten dargestellt. Der folgende Text wurde vor dem Ausbruch der Gewalttätigkeiten verfasst und ist nach wie vor aktuell. Im Oktober 2018 überfiel die Armee das Dorf von Joshua Konkankoh Ngwa. Alle Bewohner, er selbst und das Team von Better World Cameroon mussten Hals über Kopf fliehen und alles zurücklassen. Zur Zeit der Drucklegung des Buches „Defend The Sacred“, aus dem dieser Beitrag stammt, hielt sich das Team in einem anderen Teil des Landes versteckt.

von Joshua Konkankoh Ngwa

Wir leben in einer Welt. Und doch ist es wichtig zu wissen, aus welcher Region wir kommen. Wir müssen unsere Herkunft kennen, um den Weg in die Zukunft zu finden. Die Kulturen Afrikas sind in der Tradition verwurzelt. Die Menschen brauchen eine Verbindung zu dem Land, auf dem sie geboren und aufgewachsen sind. Und sie brauchen eine Verbindung zu ihren Ahnen.

Wir haben traditionelle Rituale zur Initiation junger Menschen, die sie lehren, wer sie als Afrikaner sind. Durch diese Rituale erfahren sie, was es bedeutet, mit ihren Händen wieder in der Erde zu arbeiten. Die jungen Menschen sind die Saat, aus der die Zukunft kommt. Sie müssen ihre Wurzeln wieder kennenlernen.

Ich selbst bin durch eine solche traditionelle Initiation gegangen und habe von der Weisheit der Älteren gelernt. Ich habe gelernt, der Erde zuzuhören. Ich habe gelernt, den Ahnen zuzuhören. Das war entscheidend für mein Leben. Ich weiß, dass das auch heute wichtig ist für unsere Jugend. Immer, wenn ein junger Mensch die Verbindung zu seinen Wurzeln wiederfindet, beginnt seine natürliche Entwicklung. Dieser Mensch wächst und blüht auf. Denn es geht auf der Erde um Vertrauen und darum, zu lernen, wie Vertrauen aufgebaut werden kann.

Viele junge Afrikaner sind heute entwurzelt. Sie haben die innere Verbindung zu ihrem Erbe verloren. Die Imperialisten und Kolonialherren haben unsere Kultur vergewaltigt. Sie haben die Menschenwürde nicht respektiert. Wer vergewaltigt wird, ist traumatisiert. Das Ausbildungssystem und das Geldsystem haben das Trauma verstärkt und die jungen Menschen in Afrika verwirrt.

Unsere Jugend lebt in der Illusion, dass Europa oder Amerika ihr einziger Ausweg sei. Ihre Hoffnung auf ein besseres Leben kann nur dort in Erfüllung gehen, glauben sie. In Wirklichkeit rennen sie einer Illusion hinterher. Ich möchte die jungen Menschen wieder in die Wirklichkeit zurückbringen. Ich habe begonnen, in der Stadt und in den Dörfern mit jungen Menschen zu arbeiten. Sie kennen noch die traditionelle Kultur, die Lieder, die Tänze, und sie müssen in diesen Rhythmus zurückkehren, um einen Teil ihrer selbst wiederzufinden.

Es ist eine große Herausforderung. Die Jugend in den Städten hat sich an die Unterwelt, an Drogen und Prostitution, ausgeliefert. Eine weitere große Herausforderung sind die Unsicherheit und der Hunger. Die jungen Menschen sind hungrig, aber sie glauben nicht, dass sie durch den Anbau von Nahrung etwas daran ändern könnten. Sie glauben es nicht, also bauen sie auch nichts an. Dazu kommt, dass die Mehrheit der Jugend eigentlich nichts tut. Ihnen eine sinnvolle Arbeit zu geben, ist entscheidend für die Zukunft — nicht nur für Afrika.

Durch die Arbeitskraft der Jugend könnte die ökologische Zerstörung der multinationalen Konzerne ausbalanciert werden. Wir brauchen eine gesunde Umwelt. Und wir wissen, wie viel menschliche Kraft eingebunden werden könnte in Aufforstungsprogramme, in ökologische Projekte, in nachhaltige Landwirtschaft. Wir könnten mit unserer Jugend den Kampf für den Schutz unserer reichen Natur gewinnen.

Die heutige Globalisierung verbindet die Menschen nicht; sie trennt sie voneinander. Ich denke zum Beispiel an Technologien, die für den Einsatz in ländlichen Gebieten entwickelt werden. Man findet sie nicht in afrikanischen Gemeinden, sondern nur im Westen. Wie sollen diese afrikanischen Dörfer dann den Anschluss ans 21. Jahrhundert finden? Wir sprechen von Ausbildungseinheiten, von kulturellem Austausch, von Völkerverständigung, Versöhnung oder Vergebung. Nichts von alldem erreicht die Jugend Afrikas.

Die multinationalen Konzerne und die Regierungen der Industrienationen haben unseren Kontinent besetzt und plündern seinen Reichtum gnadenlos aus. Die westlichen Medien stellen Afrika als den Kontinent der Armut und des Leidens dar. Die Kriege, die Hungersnöte, die Dürren: So stellt man sich Afrika in den Industrieländern vor. Dies ist aber nur die Schattenseite von Afrika.

So gut wie niemand aus den reichen Ländern möchte seine Komfortzone verlassen, um Afrika wirklich kennenzulernen. Sie haben Angst. Die meisten Menschen in den Industrienationen interessieren sich nicht wirklich für eine bessere Welt; sie arbeiten in die eigene Tasche, für ihren eigenen Lebensstandard.

Ich glaube an die „Transition Towns Bewegung“. Die Ökodörfer, die ich besucht habe, sind leuchtende Beispiele von Vernetzung. Ich glaube an das 21. Jahrhundert. Es gab wahrscheinlich noch keine Zeit, in der so viele Lösungen entwickelt werden konnten. Hoffnung und Zuversicht sind wie ein Berg. Je höher du kommst, umso mehr siehst du, und umso mehr kannst du deinen Leuten zurückbringen.

Unsere Jugend ist die Zukunft. Konzepte, welche die Jugend und die Umwelt nicht integrieren, können nicht von Dauer sein. Die afrikanischen Kulturen sind nicht vollkommen erloschen. Sie können wiederbelebt werden. Afrika ist ein Wesen mit einem großen Herzen, es atmet und atmet mit seinen riesigen Lungen. Die Seele Afrikas kann niemals sterben, auch wenn sie noch so lange in Ketten lag. Diese Ketten wurden von Menschen gemacht, also können sie auch von Menschen wieder geöffnet werden. Das ist der Geist Afrikas: das offene Herz, die offene Tür.

Wenn du dich Afrika öffnest, kommst du verändert zurück. Das indigene afrikanische Wissen ist eine tiefe Quelle. Wenn wir sie mit der modernen Wissenschaft verbinden, haben wir ein ganzheitliches Konzept für ein Leben auf der Erde, das auf Solidarität und Respekt beruht. Wir wollen dieses Wissen mit anderen teilen. Teilen heißt Wachstum. Wenn wir es aufrichtig und authentisch teilen, dann kann sich eine große Kraft entwickeln. Das habe ich gesehen, daran glaube ich, das ist der Weg in die Zukunft.

Wir müssen die Jugend aus den Industrieländern mit der Jugend Afrikas zusammenbringen. Das baut Barrieren ab. Die jungen Afrikaner wollen sich vernetzen und beteiligt sein am Aufbau einer neuen Erde. Sie wollen mitarbeiten an dieser neuen Weltordnung der Solidarität, die gerade überall entsteht.

Ich betrachte mein Leben als eine Hingabe an die Menschen. Wir alle kommen aus dem Raum der universellen Kraft. Dorthin kehren wir zurück. Das Leben auf der Erde ist der Prozess, der dich deiner Bestimmung näherbringt. Erfolg heißt, auf dem richtigen Weg zu sein, das „richtige Lied zu singen“, wie unsere Vorfahren es nannten. Ich möchte mithelfen, dass unsere Jugend den richtigen Weg wieder findet.


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Joshua Konkankoh Ngwa kennt sowohl die spirituelle Quelle seines Kontinents als auch die internationale Politik. Sein Herz schlägt für die Jugend Afrikas. Er ist Direktor der NGO „Better World“, Mitglied des GEN (Global Ecovillage Network) und der Kopf hinter dem Projekt „Ndanifor Community Garden“, in dem indigenes Wissen mit moderner Wissenschaft verbunden werden soll. Er arbeitet mit Better-World-Projektpartnern in Kanada, Deutschland und Großbritannien zusammen, um gemeinsam mit Experten für Nachhaltigkeit und Vertretern der Regierung einen neuen praxisorientierten Lehrplan, zertifiziert von der Gaia Education, zu entwickeln, der ökologischen Gartenbau, Permakultur sowie integrales Design bis hin zu Bachelor- und Master-Abschlüssen beinhaltet. Weitere Informationen auf betterworld-cameroon.com.


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