Der Frustball

Als konkurrenzbasiertes Nullsummenspiel ist der Fußball Teil des patriarchalen Herrschaftssystems — dieses bringt systematisch Verlierer hervor, statt Kooperation zu fördern.

„So sehen Sieger aus, Schalalala“, lautet einer der unzähligen Fußball-Grölgesänge. Die Bilder von in Zeitlupe in die Luft springenden Spielern haben sich in das kulturelle Gedächtnis eingebrannt, ebenso die Bilder jener Verlierer, die mit geknickter Haltung und fassungslosem Gesicht vom Rasen stapfen. Einem Sieg ist es naturnotwendig zu eigen, dass zugleich jemand anderes auf der Strecke bleiben muss. Ohne Verlierer, kein Gewinner. Und bei Turnieren läuft der Wettbewerb auf einen einzigen Sieger hinaus, während die restlichen Teilnehmer als Verlierer vom Platz gehen. So die ebenso simple wie grausame Logik. Der Fußball ist im Kern ein Nullsummenspiel. In aller Regel gewinnt die eine Mannschaft (+1), während die andere verliert (-1), was in der Summe eine Null ergibt. Ebenso verhält es sich bei einem Unentschieden. Diese am Ende herauskommende Null steht stellvertretend für den Wert der Kooperation, die im Fußball nahezu gegen null geht. Kooperation beschränkt sich allenfalls temporär auf die Zeit des Spiels, während ansonsten sowohl zwischen den Mannschaften als auch innerhalb der Teams Machtkämpfe toben. Insofern ist der Fußball integraler Bestandteil des seit Jahrtausenden in unterschiedlichsten Erscheinungsformen bestehenden Herrschaftssystems, zu dessen DNA die stetige Produktion von wenigen Gewinnern und einer breiten Masse an Verlierern gehört. Dieses Prinzip ist durch generationsübergreifende Prägung schon so tief in uns verankert, dass es weitestgehend nicht mehr wahrgenommen wird. Dabei gibt es durchaus alternative Spielprinzipien, die auf Kooperation basieren und allen Beteiligten einen Mehrwert liefern.

Wettbewerb ist der wahre Spielverderber

Fußballturniere sind eine „Reise nach Jerusalem“. Vermutlich dürfte jedem dieses Spiel noch aus Schulzeiten bekannt sein. Zu Spielbeginn werden in der Anzahl der beteiligten Spieler Stühle aufgestellt, abzüglich eines: Beispielsweise kommen auf 10 Spieler 9 Stühle. Anschließend wird eine Musik abgespielt, bei der, solange sie spielt, die Teilnehmer die Stühle umkreisen. Sobald die Musik verstummt, müssen die Spieler schnellstmöglich einen Platz finden. Schließlich gibt es nicht genügend Stühle für alle.

Der Langsamste muss am Ende ausscheiden. Mit jeder weiteren Runde wird ein Stuhl entfernt, und das Ellenbogengerangel wiederholt sich so häufig, bis am Ende ein alleiniger Gewinner dank seines Durchsetzungsvermögens sich auf dem letzten Stuhl inthronisiert. Der alleinige Gewinner ist dann eben auch genau das: allein. Nicht minder allein sind jedoch auch all die ausgeschiedenen Mitspieler. Bevor die knallharte Wettbewerbszentrifugalkraft sie aus dem Spiel geschleudert hat, haben sie zuvor mit den anderen Konkurrenten um die verbliebenen Stühle gerangelt.

„Reise nach Jerusalem“ steht symbolisch für konkurrenzbetonte Spiele, die keinerlei Gemeinschaft oder Miteinander stiften. Derartige Spiele bestärken thatcheristische Glaubenssätze à la „There is no such thing as society.

There are individual men and women (…) people look to themselves first“. Es sind Spiele, die atomisieren und ein Mangelbewusstsein in den Köpfen zementieren. Dass diese wortwörtlich asozialen Spiele in pädagogischen Einrichtungen zum festen Repertoire gehören, lässt tief blicken, verwundert aber letztlich nicht, wenn wir bedenken, worauf Schule und Kindergarten die Menschen vorbereiten.

Im kritischen Diskurs zur diesjährigen Europameisterschaft war auch im Rahmen des EM-Themenspezials hier auf Manova immer wieder mal direkter, mal indirekter herauszulesen und herauszuhören, dass dieser unheilvolle Wettbewerbsgeist von manchen Kommentatoren nicht nur gebilligt wird, sondern dessen Schwinden geradezu beklagt wird. In der Kritik steht die „Dabei sein ist alles“-Mentalität, die an die Stelle des kompetitiven Spielcharakters treten würde. Die nun heranwachsende „Snowflake-Generation“ (polemische Bezeichnung für Generation Z) würde eine Niederlagen-Intoleranz entwickeln und müsste selbst bei schlechter Leistung, um dadurch kein Trauma zu erleiden, gehätschelt werden.

Nun ist es durchaus mehr als berechtigt, auf die problematische und auch messbare Verweichlichungstendenz der Gesellschaft hinzuweisen. Diese findet ihren Ausdruck eben nicht nur in einer Niederlagen-Allergie, sondern eben auch in dem Unvermögen, sich Herausforderungen zu stellen, deren Bewältigung auch einer Kooperation bedarf. Insofern geht die Annahme fehl, das Heil liege in einer Rückkehr zu einem Mehr an Wettbewerb, zu einem Neuausfahren der Ellenbogen. Das „Dabei sein ist alles“, was in dem Diskurs mehrfach verächtlich gemacht wurde, ist dabei durchaus eine erstrebenswerte Zielsetzung, ein kooperationsbetontes Prinzip anstelle eines wettbewerbsbetonten. Hierfür muss das Rad gar nicht neu erfunden werden — es genügt, wenn es aus der falschen Richtung wieder zurückgedreht wird.

Wie schon die kleinste Änderung einer Regel ein wettbewerbsorientiertes Spiel in ein kooperationsbetontes umwandeln kann, zeigte der Mathematiker und Physiker Erich Visotschnig in der Einleitung seines Werks „Nicht über unsere Köpfe“ im Bezug auf die eingangs erwähnte „Reise nach Jerusalem“. In seiner Konzeption sind die Gegebenheiten des Spiels gleichbleibend, denn auch hier wird mit jeder weiteren Runde ein Stuhl weggenommen — allerdings scheidet kein Spieler aus. Anstelle eines Wettkampfes um die verbliebenen Plätze müssen sich die Spieler derart zusammen organisieren, dass sie alle auf den immer weniger werdenden Stühlen Platz finden, ohne dass die Füße den Boden berühren. Ein Sieg kann hierbei nur in Zusammenarbeit gelingen — entweder sind am Ende alle Gewinner oder alle Verlierer.

Hier gilt wahrhaftig: Dabei sein ist alles! Entweder ist das Ergebnis „+1“ oder „-1“, aber kein Nullsummenspiel. Und da sage noch mal jemand, dies sei nicht spannend. Zum Ende hin gaben die Teilnehmer an, dass sie diese kooperative Variante von „Reise nach Jerusalem“ als wesentlich bereichernder empfanden als die konventionelle, auf knüppelharten Wettbewerb ausgerichtete Spielweise (1).

Der Autor, apolut-Moderator und Begründer des Nicht-Kampf-Prinzips, Rüdiger Lenz, entwickelte in Zusammenarbeit mit mehreren Mathematikern eine eigene Spieltheorie zu seinem Prinzip. Das am Ende stehende Ergebnis zeigt auf, dass kooperationsbetonte Systeme in der Summe ertragreicher sind als wettkampfbetonte. Vor diesem Hintergrund, dass kooperationsbetonte Spiele und Sportarten also potenziell verheißungsvoller und zufriedenstellender für alle Beteiligten sind, soll es hier im Nachfolgenden gar nicht um ein Spielverderben gehen. Es geht nicht darum, etwas Bekanntes „madig zu machen“, schlicht zu meckern, ohne besser Alternativen aufzuzeigen. Vielmehr soll der Beitrag darauf abzielen, mit der im kulturellen Gedächtnis tief sitzenden Fehlannahme aufzuräumen, Spiele würden nur dann Spannung, Freude und Ehrgeiz erwecken, wenn sie auf ein Gegeneinanderspielen ausgerichtet sind. Zumindest haben derartige Spiele diesen Reiz nicht für sich gepachtet: Auf Kooperation ausgerichtete Spiele können derlei ebenfalls hervorbringen. Eine mentale Abwendung von Sportarten wie Fußball oder zumindest die Bereitschaft, gegenüber Alternativen aufgeschlossen zu sein, birgt keinen Verlust, sondern etwas, das es zu gewinnen gibt, und zwar für alle.

Somit sollen nachfolgend zunächst die destruktiven und kriegerischen Elemente des Fußballs skizziert werden und im Anschluss eine Auswahl von kulturell in Vergessenheit geratenen Sportarten oder Varianten, die auf das Miteinander ausgerichtet sind.

Verteidigung, Stürmer und geschossene Tore — die Verwandtschaft von Fußball und Krieg

Was passiert mit Menschen aus kooperativen Gesellschaftssystemen, denen mit einem Male wettkampfbetonten Systeme aufgezwungen werden? Mit Verweis auf die Forschungsarbeit von Richard Sorensen, der das Sozialverhalten tibetanischer Klosterschüler vor und nach der Vertreibung durch die chinesische Armee untersuchte, bemerkte der Psychoanalytiker Arno Gruen:

„Die Atmosphäre in den Schulen war entspannt und ohne Konkurrenzdenken. (…) (A)lles wurde geteilt, (…) auch der Prozess des Lernens. Sportlicher Wettbewerb war den Studenten fremd. In sportlichen Disziplinen wie beispielsweise Tischtennis interessierte sie nur, wie oft und wie lange der Ball in Bewegung gehalten werden konnte. 1959 kam die chinesische Armee. Tausende der Mönche und Studenten flohen in benachbarte Länder wie Indien. Dort wurden bald mit dem Geld von reichen Stiftern neue Klosterschulen für sie erbaut. Die Absichten der Stifter schienen positiv, und doch brachten sie wesentliche Elemente ihrer westlichen Erziehung mit in die neu erbauten Klostermauern: Wettbewerb und Leistung. Im Laufe der Zeit verminderte sich bei den Studenten die Sensibilität gegenüber den Interessen und Gefühlen anderer. Anstatt sich wie früher beim Sprechen direkt anzuschauen, wurde nun der Augenkontakt vermieden. Schüler fingen an zu lügen, wurden heimlichtuerisch, erfanden Ausreden. Gewalt und Drohungen wurden alltäglich, und neue aggressive Sportarten wie Fußball wurden zur Freizeitbeschäftigung“ (2).

Offenkundig waren Sportarten wie der Fußball in kooperativen Gesellschaften wegen ihres kompetitiven, aggressiven und kriegerischen Charakters gar nicht denkbar.

Wie wesensverwandt der Fußball mit dem Kriegerischen ist, zeigt sich bereits in der Sprache. Im hinteren Spielfeld befindet sich die Verteidigung, im vorderen Bereich die Stürmer, und Tore werden geschossen. Zudem stehen die knüppelharten Trainings in den Kaderschmieden für neue Fußballstars dem militärischen Drill in fast nichts mehr nach. Wer den Ausbildungsdruck für den Kampf auf dem hellgrünen Schlachtfeldrasen nicht aushält, wird eiskalt wieder ausgespuckt und in seine teils weit entfernte Heimat und in die Perspektivlosigkeit zurückgeschickt.

Die Gewaltkomponente des Fußballs hat noch viele weitere Gesichter. Das sich am unmittelbarsten aufdrängende ist die Hooligan-„Kultur“, in der gewaltsame Austragung von Vereinsrivalität tief verankert ist und sich in dieser Gestalt am unübersehbarsten zeigt.

Dabei wird teils versucht, das primitivste Ausleben niederster Instinkte mit einer dazugehörigen Philosophie irgendwie schönzureden und zu glorifizieren, so als wäre diese „Kultur“ noch eines der letzten „Fight-Club“-Reservate in einer triebunterdrückenden Gesellschaft, in welcher der Mann sich noch als solcher gemäß seiner unbändigen Natur ausleben könnte. Dabei kann dieses Ausagieren wohl als eine Ersatzhandlung gesehen werden, die an die Stelle tritt, wo in vorzivilisierten Zeiten Initiationsriten und ähnliche Handlungen das Mannwerden und Mannsein begründeten. Was die Hooligan-Kultur hinterlässt, sind zugemüllte Plätze, zerstörte Straßencafés und gebrochene Knochen. Darüber hinaus dienen sie dem repressiven Polizeistaat als Übungsfeld, um Taktiken der Aufstandsbekämpfung zu erproben.

Auch auf wirtschaftlicher Ebene ist das Gewaltsame tief in in den Wesenskern des Fußballs verwoben. Die korrupten Machenschaften der FIFA sind sattsam dokumentiert. Abgesehen von systematischer Korruption tritt die ökonomische Gewalt im Fußball in mannigfaltiger Form auf. Verwiesen sei hier auf die Macht- und Kapital-Akkumulation in Form von kommerziell erfolgreichen Vereinen, die sich Spieler aus aller Welt einkaufen, welche mit der Örtlichkeit gar nichts mehr zu tun haben, nach der der Verein benannt ist. In dieser Dynamik inbegriffen ist zudem die für die neoliberale Ideologie inhärente Vereinzelung der Gesellschaft — derart, dass so etwas wie lebenslängliche Verbundenheit gar nicht mehr besteht. Spieler sind so lange bei einem Verein, bis sie von einem höher bietenden ein lukrativeres Angebot erhalten. Monetäre Verlockungen stechen Treue und Zugehörigkeit.

Abseits dessen stellt die systemstabilisierende „Brot und Spiele“-Funktion ein mustergültiges Beispiel für die wirtschaftliche Gewalt des Fußballs dar. Gerade die großen Meisterschaften fungieren nahezu immer als großes Ablenkungsmanöver, in dessen Schatten unpopuläre, schwer zu vermittelnde Entscheidungen in den Parlamenten getroffen werden. Diese Funktion zeigt sich charakteristisch auch in der auf sklavenähnlicher Arbeit fußenden Errichtung der Austragungsstätten. Je nach Austragungsort sind die Arbeitsbedingungen bei der Errichtung der gigantischen Spielstätten mal weniger, mal mehr katastrophal, ja beruhen geradezu auf der Ausbeutung vollkommen mittelloser Menschen, die wie Sklaven an den Baustellen gehalten werden. Die selektive Skandalisierung dieser Missstände — je nachdem, ob das Turnier bei befreundeten oder bei feindlichen Despoten ausgetragen wird — ist zudem ein für die Mächtigen probates Mittel der Feindbildgenese- und -aufrechterhaltung.

Wie sehr das Kriegerische mit dem Fußball verwandt ist, zeigte sich erst kürzlich in aller Überoffensichtlichkeit durch das Sponsoring des BVB durch Rheinmetall. Der Verein wurde im Netz seither vielfach „Bomb Russia Dortmund“ statt „Borussia Dortmund“ genannt.

Nachdem das destruktive und kriegerische Wesen des Fußballs hier nachgezeichnet wurde — ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben —, wollen wir uns im Nachfolgenden alternative, kooperationsbetonte Konzepte ansehen.

Dabei sein wirklich ist alles

Wie das Eingangsbeispiel mit der „Reise nach Jerusalem“ gezeigt hat, genügt die Veränderung eines kleinen Teilchens innerhalb der Spielkonzeption, um aus einem Spiel der Ellenbogen ein Spiel des alle einbeziehenden Schulterschlusses zu machen. In matriarchalen oder indigenen Völkern finden sich hierfür zahlreiche Beispiele.

So war etwa Lacrosse, welches heute ebenso wettbewerbstont wie Fußball ist, in seinen Ursprüngen bei den Irokesen ein kooperatives und zeremonielles Spiel (3). Besonders lässt sich Ähnliches beim Tauziehen veranschaulichen, das zeigt, wie eine minimale Veränderung der Spielregel ein Wettkampfspiel in ein kooperatives Spiel verwandeln lässt. Bei den Inuits ging es beim Tauziehen, „Ajagaq“ genannt, nicht darum, die Stärke des jeweils anderen oder des gegnerischen Teams zu ermitteln, sondern vielmehr darum, beim Ziehen beidseitig das Gleichgewicht und dabei das Seil in einer bestimmten Höhe oder in ein bestimmten Position zu halten. Dies erfordert die empathische Voraussicht, die Bewegung und Kraft des jeweils anderen zu antizipieren, um entsprechend das Seil in der erforderlichen Position zu halten. Die Literatur über indigene Völker ist reich gefüllt mit Beispielen unterschiedlichster Spiele, bei denen es im Kern darum geht, im Zusammenspiel mit anderen Menschen, ohne Konkurrenz, auf ein Ziel hinzuarbeiten, etwa Federbälle, Steine oder andere Gegenstände in der Luft zu halten, ohne dass sie den Boden berühren.

Als Meta-Kommentar sei dem beigefügt, dass es wirklich schwierig ist, an entsprechende Quellen heranzukommen, die diese Spiele detailliert beschreiben. Die Ergebnisse bei unterschiedlichsten Suchmaschinen sind sehr dürftig, entsprechende Literatur ist in der Staatsbibliothek meist nicht vorrätig, Erklärvideos oder Animationen über die Spielregeln finden sich auf YouTube so gut wie gar nicht, und auch die Angaben von ChatGPT sind teils irreführend. Anscheinend besteht ein Interesse daran, dieses Wissen zu unterdrücken.

Neben den Gemeinschaft stiftenden Spielkonzeptionen bei Urvölkern gibt es in bis heute existierenden Indigenenvölkern Mechanismen, die sich genauer anzusehen lohnenswert ist. Bei diesen Mechanismen geht es um die Einhegung von Personenkult und Heroisierung Einzelner, wie wir diese aus dem Fußball kennen. Mit dem Kult um einzelne Spieler wird durch Kartendecks und Sammelalben unfassbarer Reibach mit dem Taschengeld von Kindern und Jugendlichen gemacht, und Deutschrap-Texte quellen über vor Querverweisen auf irgendwelche Fußballstars.

Im Endergebnis werden damit einzelne Menschen über andere erhoben, teils auch ganze Mannschaften, die allerdings mit elf Spielern plus Auswechselspieler eine für Personenkult eine ausreichende Überschaubarkeit haben. Verbunden ist das Ganze mit obszönen Gehältern für die göttergleich gehandelten Spieler.

Wie solche Tendenzen eingehegt werden können, darauf verweist der Psychologe und Kognitionsforscher Rainer Mausfeld in seinem Monumentalwerk „Hybris und Nemesis“ mit Blick auf die in der südafrikanischen Kalahari lebenden !Kung San. Bei der Gestaltung der Jagd — die neben der Überlebensnotwendigkeit auch einen sportiven Charakter hat — sind Mechanismen implementiert, die der potenziellen Überheblichkeit, Egomanie und der Machtakkumulation der erfolgreichen Jäger Grenzen setzen. So werden etwa die zur Jagd verwendeten Pfeile vorab mit den Namen der Jäger beschriftet, jedoch werden sie dann, bevor sie zum Einsatz kommen, willkürlich innerhalb der Jägergruppe getauscht. Am Ende gebührt der Ruhm des Jagdertrages jenem Jäger, dessen Name auf dem Pfeil steht, obwohl er selbst das Tier gar nicht erlegt hat. Damit wird verhindert, dass sich innerhalb der Jagdgruppe „ein Star so wie Neymar“ herausbildet, der statt für Tore eben für das Schießen von Tieren Ruhm und Macht erlangt. Das ist so, als würden Fußballspieler vor dem Spiel untereinander die Trikots tauschen und der Ruhm der geschossenen Tore würde jenem Spieler zukommen, dessen Namen auf dem Trikot des eigentlichen Torschützen steht. Das wäre eine durchaus spannende Neukonzeption eines Fußballspiels — und zugegebenermaßen ein Horror für jeden Fußballkommentator.

Ein weiterer Mechanismus besteht darin, dass die erfolgreichen Jäger, also jene, die tatsächlich und unabhängig vom Namen auf dem Pfeil das Tier erlegt haben, sich im Anschluss einer zeremoniellen Demütigung unterziehen müssen. In dieser lassen sie sich von ihren Stammesmitgliedern sagen, wie wertlos ihre Beute gewesen sei. Zweck der auf den ersten Blick befremdlichen Praxis ist die Prophylaxe gegen übermäßigen Stolz und Überheblichkeit sowie die Verhinderung, dass erfolgreichen Jägern durch ihre Beute gesellschaftliche Vorteile in Form von Machtansprüchen erwachsen (4).

Resümee

Dass Spannung, Tempo und Adrenalin bei Gemeinschaftssportarten nicht zwingend auf ein Konkurrenzverhältnis angewiesen sind, sollte hier deutlich geworden sein. Ebenso herausgearbeitet wurden die destruktiven Dynamiken und Begleiterscheinungen, die aggressiven, auf Kampf basierenden Sportarten wie dem Fußball inhärent sind.

Intention dieses Textes ist nicht, die Lust am Fußballspiel zu vermiesen. Es ist durchaus verständlich, woher die Leidenschaft im Bein kommt und warum dass das Ringen der 22 Männer um die Torschüsse eine solche Anziehungskraft ausübt und so mächtige Emotionen hervorruft. Diese Sportart ist mit ihren hellen und dunklen Seiten tief in die DNA unserer Kultur verwoben. Sie lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen kollektiv dekonditionieren. Das anzustreben wäre darüber hinaus auch sehr vermessen und hätte einen bitteren, kulturrevolutionären Beigeschmack. Nur weil jemand fußballbegeistert ist, bedeutet das selbstverständlich nicht, dass er oder sie ein egozentrischer oder kampfversessener Mensch ist. Selbst bekannte Persönlichkeiten der Friedensbewegung haben eine Schwäche für Fußball, beispielsweise der Friedensforscher Daniele Ganser oder Aktivist und Rapper Äon. Sich für eine friedliche Welt einzusetzen und gleichzeitig eine Affinität für kampfbetonte Spiele zu haben schließt sich nicht aus. Der Mensch ist nun mal seinem Wesen nach widersprüchlich, was in einem gewissen Rahmen auch natürlich und in Ordnung ist.

Die Absicht dieses Beitrags war es also nicht, stumpf den Fußball madig zu reden, ohne Alternativen aufzuzeigen. Sie wurden aufgezeigt, in Form konkreter kooperationsbetonter Spiele oder Spielprinzipien. Wenn sich also selbst ein typisches Ellenbogen-Spiel wie „Reise nach Jerusalem“ durch eine geringfügige Änderung des Spielcodes in ein kooperatives Spiel verwandeln kann — was für alternative Fußball-Spielarten wären wohl möglich, bei denen es nicht darum geht, dass je 11 Menschen gegeneinander, sondern miteinander auf ein gemeinsames Ziel hinkicken?