Der Fluch von Hiroshima

Bis heute wird der Abwurf der weltweit ersten Atombombe von den USA gerechtfertigt.

Braucht Deutschland eine „eigene“ Atombombe? Teilweise wird dies ernsthaft diskutiert, unlängst etwa von Christian Hacke in der „Welt am Sonntag“. Bevor man so redet, sollte man sich einmal bewusst machen, was ein Atombombenabwurf tatsächlich bedeutet: nämlich Völkermord und unvorstellbares Leid. Während Auschwitz als entsetzliches Unrecht weithin anerkannt ist, wird das zweite große Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts von der Täternation noch immer teilweise gerechtfertigt. Hiroshima sei „notwendig“ gewesen, um den Krieg gegen Japan zu beenden. Das ist nicht nur widerwärtig, es ist auch historisch falsch, denn vieles deutet darauf hin, dass die Bombe vor allem eine Drohung in Richtung Moskau gewesen ist.

Das Thema hat mich immer wieder beschäftigt, zum einen weil ich als Student den Jesuiten und Philosophieprofessor Helmut Erlinghagen als Universitätslehrer hatte, der den Angriff auf Hiroshima als junger Mann im dortigen Jesuitenkloster miterlebte. Er hat mir in vielen Privatgesprächen über die apokalytischen Folgen berichtet, über die hilflosen Bemühungen des Klosters den Menschen medizinisch und pflegerisch zu helfen, sowie seine Argumente und Schlussfolgerungen des Nachdenkens über sein Lebensthema mitgeteilt.

Zum anderen habe ich als Journalist später Oberstleutnant Daniel McGovern interviewt, der als US Militär-Kameramann etwa einen Monat nach der Explosion nach Hiroshima und Nagasaki geschickt wurde, um die Folgen der Bombe an Gebäuden und Menschen zu dokumentieren. McGovern war ein hartgesottener Mann, aber die Erlebnisse in den atomar zerstörten Städten hatten ihn bis ins Mark erschüttert. Und ich habe über die Geschichte der israelischen Nuklearwaffen eine Dokumentation gedreht. Der Staat Israel ist auf einzigartige Weise mit beiden Themen, Auschwitz und Hiroshima verbunden, er wollte die Möglichkeit mit einem „neuen Hiroshima drohen zu können, um ein neues Auschwitz zu verhindern“, wie es der Historiker Dr. Avner Cohen in meinem Film ausdrückte.

Als Daniele Ganser meinen ersten Vortrag über Hiroshima und Nagasaki auf seiner Facebookseite ankündigte, gab es Leserkommentare, die kritisch anmerkten, wie sehr diese Ereignisse doch Vergangenheit seien, dass es heute wichtigere Themen gäbe, salopp gesagt, warum ich mich mit altem Kram beschäftigen würde um daraus Geld zu schlagen.

Tatsächlich ist Hiroshima ein Thema, das so relevant ist wie Auschwitz. Aber es wird völlig anders behandelt. Nur wenige Menschen kämen z.B. auf den Gedanken, Auschwitz als alten Kram zu bezeichnen, und wer das in der Öffentlichkeit täte, wäre bald arbeitslos und gesellschaftlich isoliert.

Diskussionen über Hiroshima aber finden in einem völlig anderen Gedankenumfeld statt.

Die Tatsache, dass Hiroshima und Nagasaki nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit und moralischen Intensität behandelt werden, ist bei nüchterner Betrachtung ein Beweis für ein Versagen der Öffentlichkeit. Das Versagen hat Ursachen. Die müssen ebenso dringend wie hartnäckig bekämpft werden. Aus rationalen, pragmatischen und moralischen Gründen. Hiroshima ist ein Zukunftsthema.

Ich möchte diese These begründen, die nach Provokation klingt, aber Realitätsbewältigung ist.

Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki mit ihren etwa 100.000 Toten unmittelbar nach Abwurf und weiteren 130.000 Menschen, die bis Ende 1945 elend starben, so die landläufige Meinung, seien zwar furchtbar gewesen, aber notwendig, um den 2. Weltkrieg zu beenden. Eine Invasion der Amerikaner in Japan hätte bis zu 1 Million US Soldaten sowie unzählige japanische Soldaten und Zivilisten das Leben gekostet, weil die Japaner bis zum bitteren Ende notfalls mit Stöcken und Steinen gekämpft hätten, wie die Kamikaze Angriffen bewiesen. Erst der Schock des Atomwaffeneinsatzes habe die japanische Führung zur Kapitulation bewogen. Die grausamen Atomwaffen gelten seitdem als Friedensgaranten, ihre Existenz verhinderte bisher einen Atomkrieg.

Diese Argumente bilden den Hiroshima Mythos. Sie sind ausnahmslos falsch.

In der akademischen Welt gibt es seit langem eine Diskussion, ob die Japaner auch ohne Atomwaffeneinsätze kapituliert hätten und ob die Atomwaffeneinsätze die Ursache der Kapitulation waren. Diese Diskussion ist wie kaum ein anderes Thema, vergleichbar nur mit der Sklaverei und dem Mord an den amerikanischen Ureinwohnern, in den USA „patriotisch“ aufgeladen. Es geht um mehr als Geschichte, es geht um das Selbstverständnis der USA.

Die US Historiker Gar Alperovitz und Tsuyoshi Hasegawa, der japanische Wurzeln hat und japanisch, russisch und englisch spricht und damit alle wesentlichen Dokumente im Original lesen kann, haben wesentliche Beiträge geliefert. Gar Alperovitz hat gezeigt, dass die die Notwendigkeit der Atombombenabwürfe insbesondere von US Militärs in Frage gestellt wurde.

Es gibt eine Vielzahl von Zitaten, die das belegen:

General Dwight D. Eisenhower, späterer US Präsident: „..die Japaner waren bereit zu kapitulieren und es war nicht nötig, diese furchtbaren Dinger auf sie abzuwerfen.“

Admiral William D. Leahy, Stabschef unter den beiden US Kriegspräsidenten Roosevelt und Truman:

„Ich bin der Meinung, dass der Einsatz dieser barbarischen Waffen in Hiroshima und Nagasaki keinen wesentlichen Beitrag zu unserer Kriegführung gegen Japan geleistet hat. Die Japaner waren bereits geschlagen und bereit zur Kapitulation, wegen der effektiven Seeblockade und den erfolgreichen Bombenangriffen mit konventionellen Waffen.“ - „Mein Empfinden ist, dass wir, indem wir die ersten waren, die so etwas eingesetzt haben, den ethischen Standard der Barbaren des finsteren Zeitalters übernommen hatten. Man hat mich nicht gelehrt, Krieg in dieser Weise zu führen, und Kriege können nicht durch die Vernichtung von Frauen und Kindern gewonnen werden.“

Norman Cousins über General McArthur: „Er antwortete, dass er keine militärische Rechtfertigung für den Anwurf der Atombombe gesehen habe. Der Krieg hätte Wochen vorher enden können, wie er sagte, wenn die Vereinigten Staaten zugestimmt hätten, wie sie es dann später ohnehin taten, dass die Institution des Tenno beibehalten würde.“

Paul Nitze, Vize-Vorsitzender der Kommission zur Auswertung des strategischen Bombenkrieges:

„Basierend auf einer detaillierten Untersuchung aller Fakten und unterstützt durch die Zeugenaussagen der japanischen Führung, kam die Auswertungskommission zu dem Ergebnis, dass Japan sicher vor dem 31. Dezember 1945 und aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem 1. November 1945 kapituliert hätte, auch wenn die Atombomben nicht abgeworfen worden wären, selbst wenn Russland nicht in den Krieg eingetreten wäre, und sogar wenn keine Invasion geplant oder erwogen worden wäre.“

Gar Alperovitz legte außerdem dar, dass die atomare Vernichtung der beiden Städte vor allem als Machtdemonstration an die Adresse der Sowjetunion gerichtet war, des zukünftigen Machtkonkurrenten, mit dem die USA in Potsdam über die Nachkriegsordnung verhandelte. Es ging nicht darum, den Krieg mit Japan zu beenden.

Und die Invasion Japans hätte nach den Kalkulationen der US Militärs 40.000 Amerikaner das Leben gekostet, nicht eine Million. Allerdings: Warum hätte der US Präsident auch nur einen Soldaten opfern sollen, wenn die Atombomben den Krieg beenden konnten?

Tsuyoshi Hasegawa wies nach, dass die Atombomben nicht der wesentliche Faktor für die Kapitulation Japans waren. Der japanischen Führung, insbesondere den Militärs, waren die zivilen Toten einigermaßen egal, sie interessierte nur die Einsatzfähigkeit der Streikräfte. Beim Brandbombenangriff auf Tokio 1945 waren mehr Menschen als in Hiroshima und Nagasaki getötet worden, etwa 100.000 Bewohner einer Stadt voller Holzhäuser.

Die US Luftwaffe verbrannte die Japaner zu Hundertausenden, das war Kriegsalltag. Die Atombomben fielen für die japanischen Militärs nicht aus dem Rahmen. Sie waren nur eine neue Art des massenhaften Tötens. Die japanische Führung klammerte sich an die Hoffnung auf eine Vermittlung durch die Sowjetunion, die bis zum 8. August 1945 Japan nicht den Krieg erklärt hatte, die Sowjetunion war Japan gegenüber neutral.

Wenn US Bomberbesatzungen nach Angriffen auf Japan in Wladiwostok notlandeten, wurde sie interniert, wie Deutsche oder Briten in der Schweiz. Erst als Sowjetunion Japan den Krieg erklärte und die sowjetischen Streitkräfte in der Mandschurei wie ein heißes Messer durch Butter vorstießen, nur gebremst durch den Nachschub an Benzin, erst als der Zweifrontenkrieg alle Hoffnungen auf eine verhandelte Kapitulation zunichte machte, gab die japanische Führung auf.

Alperovitz und Hasegawa stehen mittlerweile in den USA unter konstantem Beschuss einer patriotisch-revisionistischen Historikergilde, die ihre Arbeit zu diskreditieren versucht und als unwissenschaftlich bezeichnet, ähnlich wie es Daniele Ganser mit seiner Forschung zu Gladio ergeht. Der Grund ist in beiden Fällen gleich.

Es geht um den moralischen Machtanspruch der USA, die Selbstversicherung, nicht nur die einzige Supermacht zu sein, sondern auch die einzig gute Supermacht. Kein machiavellistisches Imperium, das mit Lug und Trug, mit Staatsstreichen und politischen Morden die Weltpolitik dominiert.

Der 2. Weltkrieg wird in den USA „The Good War“ genannt, er war der Krieg gegen das Böse. Der Abschluss des Krieges war der Einsatz der Atomwaffen, eine Story aus einem Hollywood-Drehbuch, die „außergewöhnliche“ (exzeptionelle) Nation hatte in letzter Minute die Superwaffe zur Verfügung, sie rettet die Helden, die Superwaffe beendet den Krieg, und dient für alle Zukunft als Fundament und Garant der Vormachtstellung. Gegen das neue Böse.

Da passt ein gigantisches Kriegsverbrechen als Schlusspointe nicht in die Storyline.

Die wahre Geschichte der Atombombe aber sieht anders aus als der Hiroshima Mythos, finsterer.

Die Atombombe wurd mit Hilfe emigrierter Wissenschaftler konzipiert, die eine weltweite Nazi-Herrschaft fürchten. Was wäre, wenn Hitler die Bombe als erster bauen würde? Diese Bedrohung brachte selbst Albert Einstein dazu, sich für ein amerikanischen Atombombenprogramm auszusprechen – was er später bereut hat. Als das Manhattan-Projekt begann, war nicht klar, ob es der teuerste wissenschaftliche Fehlschlag aller Zeiten werden würde, oder am Ende eine neue Superwaffe stünde.

Es war das gigantischste geheime Waffenprogramm, dass es bis dahin gab. 150.000 Mitarbeiter und die in den 40er Jahren nach Fantastillionen klingende Summe von etwa 2 Milliarden US Dollar wurden eingesetzt.

Und als die Bombe endlich fertig ist, das Programm ein Erfolg, ist der Krieg gegen Deutschland gewonnen. Am Ende der Bombe ist - fast - zu wenig Krieg übrig, um sie noch auszuprobieren. Und ausprobieren wollten man sie natürlich, nach dieser Mammutanstrengung.

Das ultimative Machtinstrument, die Superwaffe, die alles verändern wird, sollte auch explodieren. Über Menschen.

Genauer gesagt, sollen zwei Bomben explodieren. Denn es gibt eine Uranbombe, die auf Hiroshima fallen und eine Plutoniumbombe, die Nagasaki vernichten wird. Sie basieren auf zwei verschiedene Konstruktionsprinzipien. Während die Wissenschaftler beim primitiven Kanonenprinzip der Hiroshimabombe auf das Funktionieren vertrauen, sind sie beim komplexen Implosionsprinzip der Nagasaki-Bombe nicht so sicher. Dieser Bombentyp wird in der Wüste von New Mexico im Juli 1945 getestet. Erfolgreich.

Die Nachricht wird Präsident Truman nach Potsdam durchgefunkt, wo er Stalin darüber informiert, dass die USA eine Superwaffe besitzen. Truman stellt erstaunt fest, dass Stalin gleichmütig reagiert. Was Truman nicht weiß: Stalin ist durch seine Geheimdienste über das Atomprojekt der US informiert.

Jetzt geht es darum, auf welches Ziel die Bombe abgeworfen werden soll. Japan ist weitgehend dem Erdboden gleichgemacht, aber einige wenige Städte haben die US Strategen verschont, darunter Hiroshima. Es wurde nicht bombardiert, weil es kein militärisches Ziel war, unwichtig. Aber von der Geographie her ideal geeignet als Ziel des größten Feldexperimentes der Geschichte. Die Stadt ist intakt, man wird den Vorher-Nachher-Effekt nach der Atomexplosion sehr gut beobachten können.

Einige Wissenschaftler plädieren dafür, die Bombe über einem Kriegshafen abzuwerfen, oder eine spektakuläre Demonstration durchzuführen, z.B. über einem Wald mit riesigen Bäumen, die dann wie Streichhölzer als Muster kilometerweit umgerissen würden und im Zentrum spektakulär verbrennen – eine graphische Präsentation, die nur wenige Zivilisten töten würde. Aber die Politiker wollen das Ding explodieren sehen, über einer funktionierenden Stadt– und Wirkung demonstrieren.

So wird Hiroshima verbrannt, mit einer Einwohnerschaft, die mehrheitlich aus Frauen und Kindern besteht. Prof Erlinghagen schätzte, dass 90% der Verbrannten Frauen und Kinder waren. Die Bombe entsprach 13.000 Tonnen Sprengstoff. Das ist nicht viel. Nach heutigen Maßstäben eine taktische Gefechtsfeldwaffe. Heutige Nuklearwaffen sind im Megatonnenbereich, das ist ein Unterschied wie zwischen Handgranate und Luftmine.

Nach dem Explosion der Atombombe über der Stadt ziehen Menschen als lebende Leichen strahlenkrank über Trümmer, unter denen ihre Verwandten um Hilfe flehen. Wenn sie die Hand reichen, kann man die verbrannte, verstrahlte Haut wie einen Handschuh abziehen.

Schwarzer, radioaktiver Regen fällt. Die Verendenden entwickeln wildes Fleisch, sie betteln darum, getötet zu werden. Kleinkinder sitzen weinend neben ihren sterbenden Müttern. Der militärische Chef des Atombombenprogramms General Lesley Groves behauptet in den USA:

„Der Atomtod ist ein schöner Tod.“

Die Nachricht von einer ungewöhnlichen Bombe hat gerade erst die japanische Regierung erreicht, die sich wenig darum wenig kümmert, ihre Aufmerksamkeit gilt der Sowjetunion, als die zweite Bombe fällt, von der sie noch nichts weiß. Die japanische Führung erhält keine Zeit zu kapitulieren, aber darum geht es ja auch gar nicht. Die zweite Bombe wird abgeworfen, weil man beide Bombentypen ausprobieren will. Sie soll auf Kokura fallen, aber dort herrschen schlechte Sichtbedingungen. So trifft es Nagasaki.

Aber haben die Atombomben nicht doch irgendwie den Krieg beendet? Sind sie nicht dadurch, trotz aller Grausamkeit, gerechtfertigt? Das Argument ist also, dass der Zweck die Mittel heiligt. Stimmt das? Gesetzt den Fall die Konzentrationslager hätten den Krieg beendet, würden wir darüber diskutieren, ob sie das rechtfertigen würde?

Auch das ist ein Beispiel, dass wir uns an merkwürdige Begründungen gewöhnt haben, die wir in anderen Fällen als obszön betrachten würden.

Hätte Stalin als erster Atomwaffen gegen die Zivibevölkerung eingesetzt, dann würde das wohl als Beweis für die unvergleichliche Brutalität und Unmenschlichkeit des Kommunismus angeführt werden. Aber warum sind wir so nachsichtig mit den USA?

In den USA wird argumentiert, dass die Atombomben am Kriegsende auf beiden Seiten viele Menschenleben gerettet hätten, weil sie US Invasion überflüssig machten.

Aber Menschenleben der Gegenseite haben weder die Militärstrategen der Japaner noch der Amerikaner interessiert. Das ist eine schönfärberische Lüge, die den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln gegen Zivilisten, überwiegend Frauen und Kinder legitimieren soll. Der Chef des Bomberkommandos, Curtis LeMay sagte:

„Es gibt keine unschuldigen Zivilisten. Es ist ihre Regierung und man bekämpft ein Volk, man versucht gar nicht mehr gegen bewaffnete Truppen zu kämpfen. Also kümmert es mich nicht so sehr, dass ich sogenannte unschuldige Unbeteiligte töte.“

Als der Krieg zu Ende ist, werden US-Kameraleute und Ärzte nach Hiroshima geschickt. Dort wird eine Organisation geschaffen, die Atomic Bomb Casualty Commission, die die Bevölkerung von Hiroshima und Nagasaki medizinisch überwacht, die Effekte der Radioaktivität erfasst, das Leiden und Sterben der Menschen akribisch festhält. Die Ärzte behandeln ihre Patienten nicht, sie beobachten nur, sie sammeln Daten. Die Bevölkerung ist eine Herde von Laborratten, die in einem gigantischen Feldexperiment wissenschaftlich untersucht wird.

Was man man verstehen muss: Atombomben sind keine Waffen. Sie dienen nicht dazu, zielgerichtet andere Soldaten am Töten zu hindern. Sie sind Massenvernichtungsmittel, die auf die Bevölkerung eines Landes gerichtet sind. Die Regierungen drohen mit der Vernichtung von Männern, Frauen, Kindern und Tieren. Mit der totalen Vernichtung eines Landes und seiner Bevölkerung. Mit der Vernichtung der Zivilisation. In der Atomkriegsplanung der USA der 60er Jahre sollte Moskau mit über 160 Nuklearwaffen dem Erdboden gleichgemacht werden. Die Daten für russische Sprengköpfe gegen New York und Washington unterscheiden sich nur graduell.

Das Ziel des Einsatzes von Nuklearwaffen ist die Vernichtung der Bevölkerung.

Die Definition von Terrorismus lautet: Androhung oder Durchführung von Gewaltaktionen zur Erreichung eines politischen Zieles.

Das bedeutet: Atomare Massenvernichtungsmittel sind Staatsterrorismus.

Im 2. Weltkrieg sind die kriegführenden Mächte dazu übergegangen, Städte zu bombardieren. Der Anfang der Verbrechen waren die Bombardierung von Guernica, Warschau und London durch die Nazis, aber die Vernichtung der Bevölkerung wurde in Hamburg, Dresden und Tokio perfektioniert. Mit wissenschaftlicher Akuratesse wurde erprobt, wie man erst durch Sprengbomben brennbares Material schafft, die Wasserversorgung der Feuerwehr zerstört und dann Brände legt, die zu Feuerstürmen anwachsen und so viele Zivilisten wie möglich töten.

Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki waren eine Vervielfachung eines bereits als Alltag eingerissenen Verbrechens. Heute werden diese Verbrechen in unvorstellbarem Maßstab geplant.

Es ist merkwürdig, dass Atomwaffen dabei einen anderen Status als Chemie und Biowaffen haben. Chemiewaffen und Biowaffen wurden bald nach dem ersten Weltkrieg geächtet. Sie gelten als brutal und barbarisch. Mittlerweile sind Chemiewaffen sogar verboten. Der angebliche Einsatz „barbarischer“ Chemiewaffen dient heute als Anlass für Militärschläge von Mächten, die empört sind, wenn Dutzende Menschen sterben, deren Planer aber mit Megatoten durch Atomwaffen rechnen.

Dabei sind Nuklearwaffen in der Wirkung noch grausamer und barbarischer als Chemiewaffen. Wer das nicht glaubt, sollte sich die Schilderungen aus Hiroshima und Nagasaki anhören. Atomwaffen schädigen darüber hinaus auch noch kommende Generationen sowie den Lebensraum. Sie sind verachtenswert, aber nicht geächtet. Jeder, der ihren Einsatz vorbereitet, ist verachtenswert. Wenn wir es genau nehmen, müssten wir die Außenminister der Nuklearmächte bei der Einreise am Flughafen wegen Staatsterrorismus festnehmen und inhaftieren.

Da atomare Massenvernichtungsmittel aber die Machtgrundlage der wichtigsten Staaten der Welt sind, wird ihr Image sorgsam gepflegt. Bei Chemiewaffen wird dem Publikum oft die Wirkung vorgeführt, in Form von zuckenden, sterbenden Kindern mit Schaum vor dem Mund, Nuklearwaffen hingegen kennen wir als formschöne Metallobjekte, sauber lackiert und ordentlich aufgeräumt. Ab und zu bekommen wir auch einen schaurig schönen, goldenen Explosionspilz zu sehen. Aber nie die Wirkung der Bombe.

Wir Plebejer sollten uns von dieser Desinformation nicht täuschen lassen. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass Regierungen bereit sind, ihre gesamte Bevölkerung für den Machterhalt zu opfern. Nazi-Deutschland und Japan sind Beispiele dafür. Alle auch alle Supermächte kalkulieren die Vernichtung ihrer Bevölkerung.

Es ist zwar im Machtinteresse der Regierungen, Kriege planen zu können, aber nicht unser Interesse als Beherrschte, zur Vernichtung freigegeben zu werden. Wenn die Maschinerie anläuft, ist sie nicht zu stoppen. Unser Ziel muss deshalb die Abschaffung der Nuklearwaffen sein, bevor sie zum Einsatz kommen können.

Das wird aber nicht das Ziel der Regierungen sein. Die Beherrschten werden dieses Ziel den Regierungen aufzwingen müssen. Wenn wir die Dinge laufen lassen, passiert, was bisher passiert ist. Atomare Massenvernichtungsmittel werden schöngeredet, als unabänderlich bezeichnet, als notwendiges Übel, stationiert, obwohl sie uns bereits mehrmals an den Rand der Katastrophe gebracht haben.

Der letzte Chef des mittlerweile abgeschafften strategischen US Bomberkommandos, Vier Sterne General George Lee Butler sagte nach seiner Pensionierung: „Wir haben den Kalten Krieg ohne nuklearen Holocaust durch eine Kombination von Können, Glück und göttlichem Eingreifen überlebt, wobei das göttliche Eingreifen wohl am wichtigsten war.“ Er engagiert sich jetzt für die Abschaffung aller Nuklearwaffen.

Und wie steht es mit Hiroshima und Auschwitz? Das Argument von Prof. Erlinghagen lautet:

„Es gab zwei Menschheitsverbrechen im 2. Weltkrieg. Der industrielle Völkermord an den Juden und den erstmaligen Einsatz von atomaren Massenvernichtungsmitteln gegen die Zivilbevölkerung. Ausschwitz ist erkanntes Böses. Selbst die Neonazis sagen nicht, dass Auschwitz irgendwie gut und richtig war, sie leugnen es. Alle wissen Bescheid. Die atomaren Massenvernichtungsmittel hingegen sind nicht als Böses erkannt. Sie werden nicht geächtet. Auch, wenn die Dimension von Auschwitz größer war, was bedroht uns in Gegenwart und Zukunft mehr, was hat jetzt die größere Dimension? Wir sollten Auschwitz keinesfalls vergessen, aber wäre es nicht richtig und wichtig, dass wir uns gedanklich und in Gesprächen viel mehr mit der atomaren Bedrohung beschäftigen würden?“


Redaktionelle Anmerkung: Der Autor hält am 20. September 2018 um 19:00 Uhr in Hannover einen Vortrag zum Thema. Tickets gibt es hier.

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