Der Fall Steimle

Das Schicksal des populärsten ostdeutschen Kabarettisten demonstriert, wie kritische Geister heute an den medialen Pranger gestellt und „ausgeschaltet“ werden.

„Der MDR trennt sich von Uwe Steimle“ — was als lapidare Meldung daher kommt, ist der vorläufige Höhepunkt einer medialen Hetzjagd. Der bekannte ostdeutsche Kabarettist gehörte zu den wenigen, die noch Biss hatten und wirkliche Systemkritik wagten. Das wurde den Fernsehgewaltigen zu viel. Aus dem Zusammenhang gerissene und zum Skandal aufgebauschte Zitate wurden Steimle zum Verhängnis. Der Vorwurf lautet — natürlich —, der Künstler sei „rechts“. Erschreckend ist dabei, dass es einer offiziellen Zensurbehörde gar nicht bedarf. Die Treibjagd auf den Kritiker übernimmt bereitwillig ein Kollektiv von Journalisten-Kollegen — Menschen, die ihren Job als Kontrollinstanz der Mächtigen im Gegensatz zu Steimle nicht ordentlich machen und statt dessen unbequeme Geister rausmobben. Ein spontaner Beitrag zur Verteidigung und Unterstützung dieses mutigen Kabarettisten.

Uwe Steimle ist der bekannteste Kabarettist aus dem Osten Deutschlands und gehört dort wohl auch zu den beliebtesten. Steimle ist einer, der den klassischen Anspruch von Satire und Kabarett sehr ernst nimmt. Ganz nach Tucholsky, für den Satire die Waffe des kleinen Mannes war, gegen die Kriegstreiber von oben. Überhaupt haben Satire und Kabarett ihren Ursprung in der Kritik der „Obrigkeit“. Das Mindeste, was dem machtlosen Volke bleibt: Über „die da oben“ Witze zu machen. Ein Selbstverständnis von Satire, das lange galt, bis unter den Nazis erstmals in bis daher nie dagewesener Weise der machtlose Mitbürger zum Ziel boshaftester Häme wurde.

Bei heutigen vermeintlichen Satire-Sendungen stellt mancher nicht selten fest, dass schon wieder viel auf Kosten Dritter gelacht wird, wegen ihrer komischen Aussprache, ihres Alters, ihrer mangelnden Intelligenz. Da wird arrogante Häme mit Witz verwechselt und wenn es gegen die Obrigkeit geht, dann am meisten gegen die in anderen Ländern. Bei Erdogan oder Putin werden deutsche Kabarettisten meistens richtig mutig.

Nur wenige nehmen den ursprünglichen Anspruch von Satire noch ernst, einer der besten, Volker Pispers, trat erschreckend früh in den Vorruhestand, Erwin Pelzig hält sich auch nur noch als seltener Ersatzmann und die Anstalt traut sich kaum noch auf das Niveau ihrer ersten Sendungen.

Uwe Steimle hält da als sächsischer Sturkopf seinem Berufsethos die Treue, wettert mit bissigem Spott gegen die deutsche Regierung, etwa gegen ihre wiedergekehrte Kriegsbegeisterung („Früher wurde man wenigstens noch gefragt!“), führt die Heuchelei dieser Regierung in Sachen Flüchtlingsfrage vor und macht sich zum Verteidiger des kleinen Mannes. Das ist bei Steimle keine Pose sondern Passion.

In seinem bisherigen TV-Format „Steimles Welt“ präsentiert er Menschen aus den östlichen Bundesländern, also dem Sendegebiet des MDR, die etwas Besonderes geleistet haben. Für Menschen, die sich für eine gute Sache einsetzen, kann Steimle sich begeistern und sein Herz schlägt für jeden, der auf seine Weise etwas für den kleinen oder großen Frieden tun will oder getan hat. So stellte er zum Beispiel jene Frau vor, die das berühmteste Friedenskinderlied unseres Landes geschrieben hat, die „kleine weiße Friedenstaube“. Inbrünstig möchte er die Ossis an ihre guten Seiten erinnern, die sich mit den einstigen Idealen ganz weit weg von rechts befinden.

Was hat dieser gute Mann angestellt, dass er als „untragbar“ gefeuert wird? Dass er sogar offiziell als „antisemitischer, völkischer Jammer-Ossi“ bezeichnet werden darf? Er, der eher ein Jubel-Ossi ist, weil er eigentlich ständig begeistert ist, und alles „ganz große Klasse“ findet.

Die, die ihn loswerden wollen und in aller Öffentlichkeit diesen Rausschmiss erkämpft haben, beziehen sich immer wieder auf dieselben Äußerungen in Interviews und Kabarett-Programmen.

Steimle hat sich in einer Kabarett-Sendung darüber beschwert, dass die USA und Israel Kriege führen, für die wir (die Zeche) zahlen müssen. Damit hat er Recht, denn tatsächlich zahlt der deutsche Steuerzahler für US-amerikanische Militärbasen auf deutschem Boden und subventioniert Waffenlieferungen nach Israel. Doch sagen darf man das offenbar nicht. Anstatt Meinungsfreiheit demonstrieren Medien und Politiker die bekannte Meinungsverdrehung: Wer die Kriegspolitik Israels kritisiert, ist Antisemit.

Und einer, der NATO-Kriege kritisiert, dem wird natürlich ganz genau aufs Maul geschaut. Da hat man es bei Steimle jetzt ganz leicht. Denn Steimles Kabarett-Prinzip besteht ja wiederum daraus, dem Volk aufs Maul zu schauen. Manchmal macht er sich dabei zum Sprachrohr, eben wenn es um Kritik an „die da oben“ geht und er es für angebracht hält, die Waffe der Satire zu wählen. Wenn Steimle aber merkt, dass es brodelt im Volk, dass Menschen anfangen aufeinander loszugehen, dann versucht er die Fronten mit Spott und Witz aufzuweichen. Es macht Spaß zu sehen, wie er manche Stimmung nachmacht, zum Beispiel gegen Flüchtlinge, um sie zwei Sätze später ad absurdum zu führen. Oder dem Ganzen einfach eine menschliche Bitte um Toleranz entgegensetzt.

Wer nun böse Absichten hegt, der hat‘s ganz einfach, der zerrt die „schlimmen“ Aussagen heraus und lässt den Rest weg. Da steht der Steimle im Regen. Da kann man jetzt zetern: Das hat der wirklich gesagt! Es ist ein dummes Spiel, und es wird bis zum Erbrechen gespielt, obwohl jeder weiß, wie es geht und dass man auf diese Weise so gut wie jeden zur Strecke bringen kann.

Manche Angriffe auf Steimle entlarven dabei die Kulturlosigkeit seiner Kritiker. Etwa wenn man ihm vorwirft, ein T-Shirt mit der Aufschrift „Kraft durch Freunde“ sei Nazi-verherrlichend. Es ist ein Zitat des berühmten Kabarettisten Werner Finck, der zu seiner Zeit noch so verstanden wurde, dass man mit einem kleinen semantischen Trick eine böse Ideologie auf den Kopf stellen kann. Doch heute versteht man offenbar so manches nicht mehr, was früher keine Erklärung brauchte.

Etwa dass Medienkritik nicht bedeutet, Kabarettisten so lange fertig zu machen, bis keiner mehr etwas mit ihnen zu tun haben will. Das Medienmagazin ZAPP, ursprünglich gegründet, um das Treiben von Presse und Funk kritisch zu beleuchten, scheint seinen Namen immer mehr als Kürzel für ZensurAPParat zu verdienen. Seine Sendung über Steimle vom Juni dieses Jahres ist ein beispielhaftes Werk an Auslassungen, Verdrehungen und grundlosen Behauptungen. Mit einem gerechten Blick auf die Arbeit von Uwe Steimle, auf sein künstlerisches Konzept und seine zentralen Botschaften hat das nichts zu tun. Mehrfach wird verbal Druck auf den MDR ausgeübt — wann er sich denn endlich von seinem „unhaltbaren“ Künstler trenne.

Es ist schon irre, dass heute nicht eine Behörde für Zensur die Verfolgung kritischer Geister übernimmt, sondern Journalisten sich in ihrem Ehrgeiz darin überbieten, einen Kollegen im Medienbetrieb fertig zu machen.

Doch Steimle hat schon eine lange Reihe solcher Angriffe hinter sich. So durfte ihn der grüne Kommunalpolitiker Andreas Vorrath als „völkisch-antisemitischen Jammer-Ossi“ bezeichnen, um mit solchen Kampfbegriffen ein Ehrenamt Steimles in Dresden zu verhindern, und wurde für diese denkbare schlimmste öffentliche Verleumdung von einem Gericht auch noch freigesprochen. Selbstverständlich haben sich auch die üblichen Verdächtigen bei Wikipedia wieder fleißig damit beschäftigt, jede einzelne haltlose Diffamierung gegen Steimle sorgfältig aufzulisten und als lexikalisches Wissen zu vergolden.

Auch dass Steimle einem Volk, das das Maul aufmacht, erstmal so generell seine Sympathie aussprach, rief in unseren demokratisch freiheitlichen Medien einen regelrechten Skandal hervor und bekam natürlich auch Applaus von rechts. Was dann der schlagende Beweis dafür war, dass der konsequent links denkende Steimle nun endlich als „Rechter“ entlarvt werden konnte.

Als Steimle mutig bei seinen Positionen blieb und in einem Interview die mangelnde Staatsferne der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten beklagte, braute sich ein neuer Sturm über ihm zusammen. Obwohl jeder Depp weiß, wer in den Aufsichtsräten dieser Anstalten sitzt, erklärte man Steimle für seine sachliche Feststellung zum „Reichsbürger“, der nicht wisse, wie man seine Meinungsfreiheit zu gebrauchen habe.

In seinem bislang letzten öffentlichen Interview, das er am 16. November dieses Jahres der Thüringer Allgemeinen Zeitung gab, ist man geradezu erstaunt und ich — ehrlich gesagt voller Bewunderung —, wie dieser Mann es schafft, bei so viel Hysterie, haltlosen und vor allem boshaften Vorwürfen, ruhig zu bleiben und seine Arbeit zu machen. Er berichtet darin von Dreharbeiten für die nächste Ausgabe von Steimles Welt. Er will — und leider muss man jetzt schon sagen wollte — den Arbeitern an der Trasse, wie die Erdgasleitung von Sibirien in die DDR genannt wurde, ein Denkmal setzen. Er spricht darin von seinem Wunsch und seiner Hoffnung auf positive Gemeinschaften, die etwas Gutes und Menschliches bewegen. Man spürt zutiefst: Er ist ein Linker und er ist mit seinen Landsleuten verbunden und wünscht sich inständig, dass sie einen guten humanistischen Weg gehen.

Nach den Angriffen auf seine Person gefragt, erklärt er nur kurz, er sei entsetzt und traurig, dass sein Sender sich nicht schützend vor ihn gestellt habe. Nun gibt sich der Sender empört, weil er findet, er habe ihn verteidigt. Es gab dem Medienmagazin ZAPP gegenüber Worte der Beschwichtigung, das ist wahr, doch unter Schutz hat sich Steimle offenbar noch etwas anderes vorgestellt.

Dass sein angeblich ungerechter Vorwurf nun der Grund sein soll, warum man sich von Steimle trennt und seinen ostdeutschen Fans die Lieblingssendung streicht, wirkt absurd. Gerade dieser Rauswurf bestätigt Steimles Vorwurf ja.

Es ist stark anzunehmen, dass höchster Druck auf dem MDR gelastet hat, und man sich von dem Mann trennte, um nicht weiter vom Politbüro bei ZAPP unter Druck gesetzt zu werden.

Ich selbst bin sprachlos und habe mich im Jubiläumsjahr des Mauerfalls selten so sehr an das politische Klima in der DDR erinnert gefühlt wie heute.

Wenigstens will ich mit diesem spontanen Beitrag meine Solidarität mit Uwe Steimle zum Ausdruck bringen.

Wer Uwe Steimle unterstützen möchte, kann sich an der Petition zum Erhalt der Sendereihe „Steimles Welt“ beteiligen.


Quellen und Anmerkungen:

ZAPP-Beitrag über Steimle

Interview mit Steimle vom 16. November 2019