Der dritte Weg

Der Traum von einer Vereinigung von Kapitalismus und Kommunismus wird derzeit wahr — allerdings indem man nur das Schlimmste aus beiden Systemen realisiert.

Dass das 21. Jahrhundert im Zeichen Chinas stehen würde, wurde bereits in der letzten Dekade vielfach prophezeit. Nun vollzieht sich der Wechsel in der Funktion der führenden Weltmacht unübersehbar vor unser aller Augen. Die westlich geprägte Variante des Kapitalismus weicht dem kommunistischen Modell chinesischer Prägung, welches in seinem unmenschlichen Charakter Erstgenannte bei weitem überbietet.

von Giorgio Agamben

Der Kapitalismus, der im Begriff ist, sich im planetaren Maßstab zu konsolidieren, ist nicht der Kapitalismus in der Form, die er im Westen angenommen hatte: Es ist eher der Kapitalismus in seiner kommunistischen Variante, der eine extrem schnelle Entwicklung der Produktion mit einem totalitären politischen Regime vereinte.

Das ist die historische Bedeutung der Führungsrolle, die China nicht nur in der Wirtschaft im engen Sinne übernommen hat, sondern auch, wie der politische Gebrauch der Pandemie überdeutlich gezeigt hat, als Paradigma der Beherrschung der Menschen. Dass die in den selbsternannten kommunistischen Ländern errichteten Regime eine besondere Form des Kapitalismus waren, speziell an die ökonomisch rückständigen Länder angepasst und deshalb als Staatskapitalismus bezeichnet, war jedem, der die Geschichte zu lesen versteht, bestens bekannt.

Völlig unerwartet war hingegen, dass es dieser Form des Kapitalismus, die ihre Aufgabe erfüllt zu haben und deshalb obsolet geworden schien, stattdessen bestimmt war, in technologisch aktualisierter Gestalt zum vorherrschenden Prinzip in der gegenwärtigen Phase des globalisierten Kapitalismus zu werden.

Es ist tatsächlich möglich, dass wir heute einem Kampf zwischen dem westlichen Kapitalismus, der mit dem Rechtsstaat und den bürgerlichen Demokratien einherging, und dem neuen kommunistischen Kapitalismus beiwohnen, aus dem letzterer siegreich hervorzugehen scheint.

Was jedoch gewiss ist, ist, dass das neue Regime die unmenschlichste Seite des Kapitalismus mit der schrecklichsten des Staatskommunismus vereinen wird, indem es die extreme Entfremdung in den zwischenmenschlichen Beziehungen mit einer beispiellosen sozialen Kontrolle verbindet.


Giorgio Agamben, Jahrgang 1942, lehrt heute als Professor für Ästhetik an der Facoltà di Design e Arti der Universität Iuav in Venedig, an der European Graduate School in Saas-Fee sowie am Collège International de Philosophie in Paris. Sein Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien unter dem Titel „Capitalismo comunista“. Er wurde von Thorsten Schewe aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzerteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratteam lektoriert.