Der Börsenkrieg

Spekulanten versuchen die Kleinanleger mit allen Mitteln zu schröpfen — ihre Spielermentalität richtet auch im realen Leben Verwüstungen an.

„Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“, sagte der französische Sozialist Jean Jaurès. Spekulationen am Finanzmarkt hatten schon im frühen 20. Jahrhundert zu einer großen Wirtschaftskrise beigetragen, die zu den Ursachen für den Aufstieg des Nationalsozialismus zählte. Besonders die Regierung Gerhard Schröder „lernte“ dann aus der verheerenden deutschen Vergangenheit, indem sie die Finanzmärkte deregulierte. Bis heute schaut der Staat der trickreichen Enteignung von Millionen Kleinanlegern tatenlos zu. Dies könnte durchaus den Keim für neue soziale Konflikte oder gar Kriege in sich tragen. Doch Widerstand beginnt sich zu regen ...

„Wenn die Börsenkurse fallen, regt sich Kummer fast bei allen…“ So beginnt ein Gedicht von Richard G. Kerschhofer. Er nimmt Stellung zu Leerverkäufen, aber auch Spekulationen, die die große Weltwirtschaftskrise ausgelöst hatten und letztlich Ursache für das Erstarken der Nationalsozialisten war. Beschrieben wird ebenfalls die Konsequenz. Sie besteht darin, dass ein „bisschen Krieg“ gemacht wird, sollten sich die Massen das nicht mehr gefallen lassen (1).

Faktische Enteignungen durch Spekulationen

Rot-Grün unter Kanzler Gerhard Schröder (1998-2005) entließ den Finanzmarkt weitgehend aus der Aufsicht der Bundesbank. Man nannte es Liberalisierung und ermöglichte Hedgefonds und ungezügelte Spekulationen. Um das Jahr 2000 waren Voraussetzungen und Folgen der wesentlich durch Spekulationen ausgelösten Wirtschaftskrise 1929/32 bereits Geschichte. Die Ursachen für Nationalsozialismus, Diktatur und Krieg waren somit offensichtlich schon vergessen.

Wie der Blitz aus heiterem Himmel zeigt die Realität der gegenwärtigen globalen Finanzwelt, dass Krieg und Zerstörung auch derzeit Risiken des Finanzkapitalismus sind.

Unsere angeblich so freien Medien schweigen zum Beispiel darüber, dass die Entfesselung des Finanzkapitalismus eine Kette von faktischen Enteignungen durch Spekulationen ausgelöst hat.

Welche wahrhaft perversen Konstellationen dadurch möglich werden, haben die aktuellen Shortseller Aktionen gezeigt. Hedgefonds leihen sich mit Cent-Beträgen Aktien. Die geliehenen Aktien werden verkauft, sogenannte Leerverkäufe, um im Rahmen von Termingeschäften wieder gekauft zu werden (aus dem Kerschhofer Gedicht: „Keck verhökern diese Knaben, Dinge, die sie gar nicht haben,…“)

Damit werden Kurse von Aktiengesellschaften ins Minus getrieben, weil es rechtlich möglich ist, geliehene Aktien (Stichwort: Leergeschäfte) zu verkaufen. Mit relativ geringen Beträgen kann man so relativ große Aktientransaktionen vornehmen. Beispiel: Bei der Spekulation gegen GameStop hatten die Shortseller sagenhafte 140 Prozent der GameStop-Aktien leerverkauft — also mehr Aktien, als überhaupt existierten (2).

Mit diesen und ähnlichen Transaktionen treiben die Spekulanten (Shortseller) die Kurse nach unten und zwingen Kleinanleger zu verlustreichen Verkäufen. Viele geraten in eine Schuldenfalle und müssen Häuser und Wohnungen verkaufen. Die Hedgefonds dagegen kaufen nun billig zu den gefallenen Kursen auf. Sie wickeln das Ausgangsgeschäft preiswert ab und machen Profit, der sich zu Milliarden addiert.

Spekulanten als betrogene Betrüger

Der einzige Sinn von Geschäften dieser Art besteht darin, durch die Manipulation von Aktienkursen Kleinanleger abzuzocken. Das ist die sogenannte Freiheit der Märkte, die zum Beispiel in Deutschland und Europa durch Rot-Grün ermöglicht wurde. Es ist deshalb nicht weiter erstaunlich, dass selbst die Krise 2008/09, die durch Spekulationen verursacht wurde, keine Änderung durch die Politik nach sich zog. Wen wundert es, dass hier alle Parteien wieder an einem Strang ziehen.

Nun hat eine Gruppe junger Leute in den USA die Spekulanten auflaufen lassen. Es wurde ein Netzwerk gebildet, um gemeinsam mit Gegenspekulationen Hedgefonds mit ihren eigenen Mitteln zu attackieren (3). Mit koordinierten Aktionen werden die jeweiligen Märkte verknappt und die Preise in die Höhe getrieben. Die Shortseller können sich nun nicht mehr preiswert eindecken, sondern sie müssen ihre terminierten Geschäfte verlustreich abwickeln. Im Ergebnis verloren Hedgefonds Milliarden, weil die Preise in die falsche Richtung marschierten. Spekulanten wurden zu betrogenen Betrügern. Manche verloren 50 Prozent ihres Kapitals.

Aber Hilfe nahte für die Spekulanten: Broker der US-Börsen setzten den Handel mit den fraglichen Titeln aus — offensichtlich nach Absprachen — und blockierten so die angeblich freien Märkte, die man unter den Fonds so schön aufgeteilt hatte. Es begann das Gezeter über Regelbrüche und Unsicherheiten. Auch Politik und Medien sind sensibilisiert. Angeblich funktionieren plötzlich die Finanzmärkte nicht mehr.

Wenn die Börsenkurse fallen…

Merke: Für Spekulationen muss man vorher die passenden Regularien politisch eingetütet haben. Die benötigten politischen Handlanger findet man nicht nur in Amerika, sondern auch in Deutschland in den staatstragenden Parteien.

Die Moral von der Geschichte beschreibt Kerschhofer in seinem Gedicht: „(…) Aber sollten sich die Massen das mal nimmer bieten lassen, ist der Auswege längst bedacht: Dann wird bisschen Krieg gemacht.“

Kriege wie die in Jugoslawien, Syrien, Libyen, Irak und die Propaganda gegen Chinesen und Russen bekommen plötzlich eine neue Bedeutung. Alles nur Verschwörungstheorie? Aber wissen wir denn, ob der Ausweg aus dem Raubtierkapitalismus nicht schon längst wieder bedacht ist? So ist und bleibt das Gedicht „Höhere Finanzmathematik“ brennend aktuell.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Artikel erschien zuerst unter dem Titel „Wenn die Börsenkurse fallen — Zur Aktualität des Themas“ bei Neue Debatte.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Das Gedicht „Höhere Finanzmathematik“, dessen Inhalt Parallelen zur Weltwirtschaftskrise von 1929 aufweist und anfänglich Kurt Tucholsky zugeschrieben wurde, steht im zeitlichen Zusammenhang mit der Finanzkrise 2008. Es wurde von dem österreichischen Autor Richard G. Kerschhofer verfasst. Als eine Art Voraussagung interpretiert, verbreitete es sich schnell im Internet. Kerschhofer, der laut Medienberichten unter anderem für die Wochenzeitung „Preußische Allgemeine” schreibt, wurde einer größeren Öffentlichkeit durch die Berichterstattung über das Gedicht bekannt. Auf der Webseite http://www.genius.co.at/index.php?id=165 (Link abgerufen am 7.2.2021) der FPÖ-nahen Genius-Gesellschaft ist das Gedicht mit der Autorenangabe „Pannonicus” veröffentlicht. Weitere Informationen zum Hintergrund finden sich zum Beispiel auf wien ORF.at unter https://wiev1.orf.at/stories/318946 (abgerufen am 7.2.2021).
(2) Trend (3.2.2021): Wetten auf fallende Kurse — so arbeiten Shortseller. Auf https://www.trend.at/geld/wetten-fallende-kurse-shortseller-11882559 (abgerufen am 7.2.2021).
(3) Frankfurter Allgemeine (31.1.2021): Aufstand gegen die Wall Street. Auf https://www.faz.net/aktuell/finanzen/gamestop-hype-aufstand-gegen-die-wall-street-17173647.html (abgerufen am 7.2.2021).