Der ausgehöhlte Mensch

Das materialistische Paradigma ist in der Coronakrise an seine Grenzen gestoßen. Nicht nur ist es menschenunwürdig, es hat auch zu medizinischen Fehlbehandlungen geführt.

Gesundheitspolitik bedeutet, das Auftreffen eines Virus auf den menschlichen Körper um jeden Preis zu vermeiden. Dafür ist es notwendig, Menschen möglichst voneinander zu isolieren. Wer dergleichen behauptete, galt in den Coronajahren als Inbegriff wissenschaftlicher Vernunft. Wer Zweifel äußerte, wurde dagegen als unseriöser Schwurbler ausgegrenzt. Das Tragische an dieser Dynamik ist aber: Nicht nur sind Isolationsmaßnahmen für die Betroffenen unbequem, sie sind auch, was die gesundheitliche Wirkung betrifft, oft kontraproduktiv. Denn wie die Psychoneuroimmunologie gezeigt hat, schwächen Isolation und Stress das Immunsystem, also genau jene Faktoren, die die Politik den Menschen damals verordnete. Dieses Beispiel ist nur eines von vielen, die zeigen, dass in unserem Gesundheitssystem etwas fundamental falsch läuft. Es basiert auf einem fehlerhaften und einseitigen Paradigma, das vom Thron gestoßen werden muss, wollen wir eine Medizin, die dem ganzen Menschen und seinen Bedürfnissen wirklich gerecht wird. Der Psychoneuroimmunologe Prof. Dr. Dr. Christian Schubert war einer der vehementesten Kritiker der Coronapolitik unter den Ärzten. Hier geißelt er einen Medizinbetrieb, der sich zum ausführenden Organ einer totalitären Ideologie machen lässt, und fordert eine Wende in der Gesundheitspolitik.

Thomas Brunner: Herr Professor Schubert, neben dem Historiker René Schlott waren Sie einer der ersten Wissenschaftler, der die verengte Vorgehensweise der Coronamaßnahmen-Politik kritisierte. Während Dr. Schlott anmahnte, dass die Politik zu einseitig auf Virologie setze, also auch soziologische und psychologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien, machten Sie in Ihren Stellungsnahmen deutlich, dass die Reduktion auf die Virologie auch aus rein medizinischen Gründen als fataler Irrweg anzusehen ist. Können Sie Ihre diesbezüglichen Grundgedanken noch einmal skizzieren?

Christian Schubert: Nun, so weit weg von Herrn Schlotts Kritik bin ich inhaltlich gar nicht. Es kommt nämlich ganz darauf an, was man unter „Medizin“ versteht. Das, was heute üblicherweise gelehrt und praktiziert wird, die Schulmedizin, halte ich in den meisten Fällen für den falschen Ansatz, wenn es um die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit geht.

Ich beziehe mich hier gerne auf wesentliche Vorreiter des medizinisch-ganzheitlichen Gedankens wie George Libman Engel (1) oder Thure von Uexküll (2). Beide kritisierten schon in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, dass die Schulmedizin an den fundamentalen erkenntnistheoretischen Irrtümern des reduktiven Materialismus leidet (3), der davon ausgeht, dass alles am Menschen rein materiell ist und sich der Mensch auf kleinste Bausteine reduzieren lässt.

Da der Materialismus das Menschenbild in der Medizin letztlich zu dem einer Maschine verkommen lässt, spricht Thure von Uexküll in diesem Zusammenhang auch vom Maschinenparadigma der Medizin. Unter einem Paradigma versteht man nach Thomas Kuhn die Gesamtheit von Grundauffassungen, die in einer historischen Zeit eine wissenschaftliche Disziplin ausmachen. Diese Grundauffassungen geben vor, welche Fragestellungen wissenschaftlich zulässig sind und was als wissenschaftlich befriedigende Lösung angesehen werden kann (4).

Im Maschinenparadigma der Medizin stechen insbesondere der Dualismus und der Reduktionismus als erkenntnistheoretische Leitprinzipien ins Auge. Nach Ansicht Engels und von Uexkülls sieht die Schulmedizin den Menschen demnach nicht in seiner Gesamtheit, sondern konzentriert sich rein auf den Körper, den stofflichen Teil des Menschen. All das, was nicht zum Körper gehört, das Seelische, das Geistige, die sozialen Beziehungen, das Kulturelle ist nach diesem Paradigma nebensächlich und vernachlässigbar, wenn es um die Frage geht, was den Menschen gesundhält und was ihn krank macht. Ich habe von Beginn der Coronakrise an kritisiert, dass eine Medizin, die nur die körperlich-materiellen Aspekte des Menschen und seiner Lebenswelt im Blick hat, falsch ist und Gefahr läuft, immensen Schaden für die Bevölkerung anzurichten.

Meinen Sie also, dass die Durchführung der geradezu technokratischen Coronamaßnahmen-Politik vor allem deshalb möglich war, weil die heutige Medizin selbst an grundlegenden Defiziten leidet?

Ja, das meine ich. Die Coronamaßnahmen-Politik war gewissermaßen der Stresstest für das schulmedizinische Maschinenparadigma (5). Dabei wurde in den letzten drei Jahren nicht nur deutlich, dass eine Medizin, die den Menschen wie eine Maschine sieht, im Härtefall versagt, also quasi an der Realität scheitern muss. Sondern es wurde auch klar, dass wir es nicht nur mit einer rein rationalen Problematik eines falschen Paradigmas zu tun hatten, sondern mit einer Ideologie, einer Maschinenideologie, die von Medizin, Regierung und Medien mit allen, auch unmenschlichen Mitteln eingesetzt und verteidigt wurde. Denken Sie nur daran, wie die deutsche Bundesregierung mittels gezielter Angst- und Panikmache in der Bevölkerung den „Hochleistungsmotor deutsche Wirtschaft“ am Laufen halten wollte (6).

Lassen Sie mich zwei Beispiele für die paradoxen Folgen anführen, die entstehen, wenn man in einer medizinischen Notsituation, wie sie eine Pandemie zweifelsohne darstellt, die Psyche und die sozialen Beziehungen der Menschen außen vorlässt und nur das Biologische, in diesem Fall das SARS-CoV-2-Virus, in den Mittelpunkt der vermeintlichen Schutzmaßnahmen stellt. Das erste Beispiel bezieht sich auf die erste Phase der Pandemie, als die Parole „Flatten the curve“ ausgerufen wurde, um vor allem die Intensivstationen der Krankenhäuser zu entlasten. Eine der wesentlichen Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie ist, dass Sozialfaktoren wie soziale Verbundenheit, soziale Unterstützung und soziale Integration mit der Stärkung in genau jenen Bereichen der zellulären Immunaktivität verbunden sind, nämlich unter anderem den natürlichen Killerzellen und den T-Lymphozyten, die für die virale Abwehr von entscheidender Bedeutung sind (7).

Umgekehrt gehen soziale Isolation, Einsamkeit, Depression und Angst mit Defiziten in der zellulären Immunaktivität einher. Das ist zwar psychosomatisches Lehrbuchwissen, dürfte aber aufgrund des in der Medizin vorherrschenden Maschinenparadigmas den meisten Ärzten, insbesondere den Virologen, nicht bekannt sein. Wie ließe sich sonst erklären, dass mit den Lockdowns und Schulschließungen genau das Gegenteil von dem, was eine ganzheitlich-medizinische Sicht nahelegen würde, als Schutzmaßnahmen vor Virusinfektion und -erkrankung implementiert wurde. Mit fatalen gesundheitlichen Folgen.

Mechanistisch gesehen mag es logisch sein, Menschen auf Distanz zueinander zu bringen, um Infektionen zu vermeiden. Psychoneuroimmunologisch gesehen wird bei sozialer Distanz jedoch der Immunschutz der sozialen Gemeinschaft nicht genutzt beziehungsweise durch soziale Isolation sogar vermindert, was somit erst recht die Grundlage für eine Infektionsbereitschaft schafft.

Tatsächlich stellte sich schon früh am Beispiel Schwedens heraus, welches keine drastischen sozialen Einschränkungen vornahm, dass die in anderen Ländern verhängten Lockdowns und Schulschließungen nicht nur nutzlos, sondern lebensgefährlich waren. Es wurden damit schwere psychische und soziale Belastungen der Bevölkerung geschaffen, notwendige medizinische Untersuchungen und Behandlungen nicht durchgeführt, Ernährungsunsicherheit, Bildungsdefizite und soziale Polarisierung vorangetrieben, Milliarden Euros vergeudet und die Verschuldung verstärkt, das Vertrauen in Medizin, Regierung und Medien verloren und die Menschenrechtslage verschlechtert. Die Langzeitfolgen der mit den Lockdowns und Schulschließungen einhergehenden sozialen Schädigungen werden Hunderte Millionen Menschen weltweit betreffen (8) und viele Millionen Lebensjahre kosten, wie Modellrechnungen befürchten lassen (9). Ist das nicht paradox? Man wollte Menschen in der Pandemie schützen, dürfte sie aber aufgrund eines falschen Menschenbildes erst recht auf Jahrzehnte hin so gesundheitlich geschädigt haben, dass die zuletzt gestiegene allgemeine Lebenserwartung in der Bevölkerung nun wieder sinken wird.

Und das zweite Beispiel?

Das zweite Beispiel betrifft die Impfung gegen COVID. Grundsätzlich benötigt der Mensch für die Entwicklung eines ausreichenden Impfschutzes, also eines ausreichenden Antikörpertiters, ein funktionierendes Immunsystem. Ist eine Person jedoch chronisch gestresst, kann man vor dem Hintergrund psychoneuroimmunologischer Erkenntnisse damit rechnen, dass zum einen der Impferfolg ausbleibt, weil das Immunsystem stressbedingt unterdrückt ist, und zum anderen, dass die Nebenwirkungsrate etwa von thromboembolischen und entzündlichen Komplikationen verstärkt ist, unter anderem weil bei Stress eine erhöhte Neigung zur Blutgerinnung und entzündlichen Reaktion besteht (10). Viele Studien haben in den letzten Jahren nachweisen können, dass die Impfung gegen COVID schützt, jedoch existieren auch viele Einzelberichte, Behördenmeldungen und wissenschaftliche Studien, die das Gegenteil zeigen. Vergleicht man beispielsweise die an das Paul-Ehrlich-Institut gemeldeten Zahlen zu möglichen COVID-Impfschäden mit den bis dato stattgefunden Meldungen zu allen anderen Impfungen gegen Erreger wie Masern und Röteln und so weiter, so dürften allein in der ersten Jahreshälfte von 2021 fast 30-mal mehr Menschen an der COVID-Impfung verstorben sein als in den 20 Jahren zuvor an allen anderen Impfungen (11).

Wiederholt wird auch in medizinischen Fachzeitschriften darüber berichtet, dass die COVID-Impfung nicht nur nicht schützt, sondern sogar eine negative Effektivität aufweist, also die Gefahr verstärken kann, sich an SARS-CoV-2 zu infizieren und daran zu erkranken. In den sozialen Medien wurde hierzu bereits im Juni 2022 eine Liste von 59 meist peer-reviewed Studien veröffentlicht, die dies eindeutig belegen (12). Auch gibt es bereits über 1.000 Studien, die über teils lebensgefährliche Körperreaktionen — Myokarditis, Thrombozytopenie, zerebrale Venenthrombose und vieles mehr — berichten, die im direkten Zusammenhang mit der Verabreichung des mRNA-Impfstoffes gegen COVID stehen (13). Die COVID-Impfstoffe werden für die seit Beginn der Impfkampagne insbesondere in Ländern mit hoher Impfquote zu beobachtende Übersterblichkeit in ursächlichen Zusammenhang gebracht (14).

Ich möchte aber betonen, dass es mir an dieser Stelle nicht darum geht, die COVID-Impfung an sich, also die neue genbasierte mRNA-Technik zu kritisieren, die zu diesen Impffolgen geführt haben könnte. Mir geht es eher darum, die kontextuellen Umstände der Impfung kritisch zu beleuchten und ihren Anteil für das Versagen der COVID-Impfung herauszuarbeiten. Missachtet man nämlich den insbesondere durch die Pandemie hervorgerufenen psychischen Stress der Menschen und schleust sie indes in mechanistischer Manier wie am Fließband durch Impfstraßen, dürfte allein schon aus Sicht der Psychoneuroimmunologie das Risiko von Impfmisserfolgen und Impfschäden ansteigen. Wieder lässt sich somit ein Paradoxon aus der medizinparadigmatischen Missachtung von Psyche und sozialen Beziehungen beobachten: Aus einer vermeintlich wohlgemeinten Idee, nämlich mittels rasch entwickelter Impfung der Pandemie schnell ein Ende setzen zu können, dürfte eine medizinische Katastrophe resultiert sein, bei der die Intervention mehr Tote zur Folge hat als das Virus, gegen das die Intervention entwickelt wurde (15).

Aber nicht nur das: Die Impfung gegen COVID fand mehrheitlich unter menschenverachtendem sozialem Druck statt, auch wenn Medizin, Regierungen und Medien nicht müde wurden zu betonen, dass kein Impfzwang herrschte. Die bei vielen vorherrschende Angst vor dem Verlust emotional bedeutsamer Beziehungen, vor gesellschaftlicher Ächtung und vor Jobverlust und natürlich auch die massenmedial geschürte Angst vor SARS-CoV-2 selbst, vor dem man sich eigentlich, sofern man nicht vorerkrankt, alt und gebrechlich ist, nicht fürchten müsste (16), trieb viele gegen ihren Willen in die Impfung. Ich halte das für staatlich betriebenen kollektiven Missbrauch und kollektive Traumatisierung, was die Gefahr von immensen langfristigen Gesundheitsfolgen birgt. Die Psychoneuroimmunologie zeigt sehr deutlich, dass Missbrauch und Traumatisierung zu Funktionsstörungen des Immunsystems führen können, etwa zu Autoimmunreaktionen, die ihrerseits die körperliche Seite einer posttraumatische Belastungsstörung darstellen (17). Die chronischen Beschwerden, über die viele Betroffene nach einer COVID-Impfung berichten, also das Post-Vakzin-Syndrom, und die chronischen Beschwerden, die bei einer posttraumatischen Belastungsstörung auftreten, weisen in der Tat starke Ähnlichkeiten auf (18).

Aus dieser ganzheitlichen Perspektive betrachtet, muss therapeutisch beim Post-Vakzin-Syndrom, wie übrigens auch bei Post- beziehungsweise Long-COVID, an traumatherapeutische Interventionen gedacht werden. Leider aber dominiert auch hier der mechanistische Gedanke, gegen eine vermeintlich biologisch-stofflich verursachte Erkrankung (19) entzündungshemmende Medikamente wie Cortison oder gar Methotrexat zu verschreiben und damit eine mögliche Traumafolgestörung durch die Gabe von stofflichen Mitteln weiter zu chronifizieren. Das schulmedizinische Desaster nimmt seinen Lauf (20).

Sie sagen also, dass der gesundheitliche Schaden durch die Impfung nicht nur physiologischer Art ist — zum Beispiel durch Blutgerinnsel verursachte Schlaganfälle —, sondern mindestens genauso schwerwiegend durch den traumatisierenden politischen Druck?

Ja, traumatisierender politischer Druck dürfte über chronischen psychosozialen Stress auch Blutgerinnsel und Schlaganfälle verursachen (21). Die gerade angestellten Überlegungen zu den während der Corona-Pandemie stattgefundenen schweren körperlichen und emotionalen Traumatisierungen ganzer Bevölkerungsteile weisen auf etwas hin, das ebenfalls mit dem Maschinenparadigma der Schulmedizin verbunden sein dürfte, aber offenbar erst unter starkem funktionellen Druck, also unter lebensbedrohlichen Bedingungen und im Zusammenhang mit großer Angst und Panik deutlicher zum Vorschein tritt. Ich meine den ideologischen Charakter des Paradigmas. Eine Ideologie ist eine Weltanschauung, die einen hohen Anspruch auf Wahrheit erhebt, die für abweichende Lehrmeinungen kaum noch offen ist und vehement verteidigt wird, wenn sie infrage gestellt wird. Im engeren Sinn wird damit, auf Karl Marx zurückgehend, das „falsche Bewusstsein“ einer Gesellschaft bezeichnet. Der Philosoph Josef Pieper würde dieses falsche Bewusstsein der Gesellschaft als „Pseudorealität“ bezeichnen, eine Form von persönlicher oder gesellschaftlicher Realität, die typisch für psychisch kranke Menschen ist, um mit der Wahrheit besser leben zu können (22).

Pseudorealität können Sie aber auch bei sonst gesunden Menschen beobachten, dann etwa, wenn jemand verliebt ist. Haben Sie schon einmal versucht, einer verliebten Person den Grund ihrer Liebe auszureden? Sie können sich vorstellen, wie vehement die oder der Geliebte verteidigt wird, ohne dass dies in irgendeiner Weise rational begründet ist. Diese Menschen verwenden eine irrationale Scheinlogik, eine Paralogik, die pseudorealistisch gesehen durchaus plausibel ist, bei Realitätsprüfung aber mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitert. Darüber hinaus ist Pseudorealität von einer Paramoral gekennzeichnet. Diejenigen sind demnach gute Menschen, die die Pseudorealität gerne akzeptieren, während alle anderen unmoralisch und böse sind. Auf diese Weise wird der notwendige soziale Druck erzeugt, um die Lüge und deren unmoralisches System aufrechtzuerhalten. Pseudorealität kann als Ursprung von ideologisch dogmatischen und totalitären Gesellschaftssystemen angesehen werden (23).

Das medizinische Maschinenparadigma, das von Thure von Uexküll ursprünglich als wissenschaftstheoretischer Irrtum begrifflich eingeführt wurde, erwies sich während der Corona-Pandemie als lebensgefährliche Ideologie, und es wurde deutlich, dass es nicht mehr nur rein um die rationale Auseinandersetzung verschiedener wissenschaftlicher Standpunkte ging, sondern um etwas soziopsychologisch Tieferes, ja kulturell Krankes. Das Paradigma war wie irrational aufgeheizt, und sein totalitärer Charakter (24) wurde deutlich, wobei Andersdenkenden mit einer Unmenschlichkeit und Bosheit begegnet wurde, die an längst vergangen geglaubte Zeiten erinnerte. Menschen, die nicht folgsam waren, wurden denunziert, vor Gericht gebracht und sogar zu Haftstrafen verurteilt.

Ich werde nicht vergessen, wie in der Gemeinde, in der ich lebe, bei einer öffentlichen Veranstaltung diejenigen, die geimpft waren, ein grünes Band, und jene, die ungeimpft waren, ein rotes Band tragen mussten.

Oder denken Sie an die ZDF-Komikerin Sarah Bosetti, die wörtlich meinte: „Wäre die Spaltung der Gesellschaft wirklich etwas so Schlimmes? Sie würde ja nicht in der Mitte auseinanderbrechen, sondern ziemlich weit rechts unten. Und so ein Blinddarm ist ja nicht im strengeren Sinne essenziell für das Überleben des Gesamtkomplexes“ (25). Es ist übrigens noch nicht lange her, dass Nazi-Ärzte Juden mit einem vereiterten Blinddarm am Körper Europas verglichen, der aus Achtung vor dem menschlichen Leben herausgeschnitten gehört. Medizinisches Maschinenparadigma, Maschinenideologie und totalitäre Menschenverachtung sind untrennbar miteinander verbunden.

„Aus Achtung vor dem menschlichen Leben schneide ich einen vereiterten Blinddarm heraus; die Juden sind der vereiterte Blinddarm am Körper Europas“ (26).

Was hat diese Entwicklung mit dem heutigen Bildungssystem zu tun? Hängt das Verhalten der Ärzte, die unwidersprochen die Verordnungen mitgetragen haben, damit zusammen, dass nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt steht, sondern ein materialistisches Nutzenkalkül auch das Medizinstudium beherrscht?

Ich bin überzeugt davon, dass die derzeitige Schulmedizin totalitäre Züge hat, in der ein oftmals gesichtsloser ideologisch-materialistischer Machtfaktor unermüdlich am Werk ist und das dehumanisierte System aufrechterhält. Was erwartet denn die Studierenden, wenn sie ihr Medizinstudium beginnen? Fast ausschließlich Studienfächer, die den Körper betreffen, wie Humanbiologie, Biochemie, Genetik und Physiologie. Nicht umsonst heißt die erste große Prüfung im deutschen Medizinstudium „Physikum“. Danach geht es im Medizinstudium so weiter, nun aber mit echten Menschenkörpern in verschiedenen klinischen Abteilungen. Dass der Studierende nicht an dieser Körperlastigkeit seines Studiums verzweifelt, ja durchaus sogar Begeisterung findet, mag wiederum damit zu tun haben, dass er schon sehr früh und damit auch in der Schule in Richtung Materialismus sozialisiert und ideologisiert wurde. Die naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer Chemie, Physik, Biologie und Mathematik gelten hier als die wichtigsten Vorbereitungsfächer für das Medizinstudium. Und natürlich ein Notendurchschnitt von 1.0, denn wer letztlich schon früh belegen kann, sehr gut in dem zu sein, was Mächtigere einem auftragen, empfiehlt sich besonders für den künftigen Job als Mediziner. Nach dem Medizinstudium wird im ähnlichen Stil weitergemacht, sei es in der Klinik, wo möglichst nach den mechanistisch-reduktionistischen Vorgaben der evidenzbasierten Medizin gearbeitet werden soll und/oder in der medizinischen Forschung, wo menschenentfremdete Forschungsdesigns zum methodischen Goldstandard gehören (27).

Um Ihnen ein aktuelles Beispiel dazu zu geben, wie scheinrealistisch entrückt die Verantwortlichen in diesem Zusammenhang sind, möchte ich Markus Müller, Rektor der Medizinischen Universität Wien, exemplarisch anführen. Der hielt eine Lobrede auf den „extremsten Reduktionismus“ der digitalen Medizin der Zukunft, wo der Mensch als Datensatz dargestellt und erforscht werden würde, ja als Avatar im Metaversum in Echtzeit untersucht und diagnostiziert werden könnte (28). Worüber hier der Rektor einer renommierten österreichischen medizinischen Universität schwärmt — und er meint das sicher nicht in böser Absicht —, ist nicht nur erkenntnistheoretischer Unsinn, sondern menschenverachtend und brandgefährlich für die Gesundheit der Menschen. Schert man aber als Arzt aus dieser materialistischen Pseudorealität aus, droht die Stagnation auf der streng hierarchisch organisierten medizinischen Karriereleiter; man hat dann häufig weniger Macht und verdient weniger Geld als der konforme Kollege. So gesehen ist die Schulmedizin der Prototyp eines totalitären Systems. Natürlich nutzt das die Medizinindustrie aus, denn nur an der Körpermedizin kann richtig gut Geld verdient werden.

Ich sehe den kapitalistischen Nutzen aber innerhalb eines materialistisch-ideologischen Bezugsrahmens. Die jahrhundertealte materialistische Ideologie ist beziehungsfeindlich, und in der Medizin wird dieses Problem besonders evident. Durch sein Studium ist der Arzt nicht darauf vorbereitet, sich dem individuellen Patienten in menschlicher Weise als Lernender anzunähern. Im Gegenteil:

Die indoktrinierte mechanistische Sicht vom Menschen lässt den Patienten nun zum passiven, abhängigen Schüler werden, dem Angst gemacht wird, der sich schuldig fühlen muss und der zu bestrafen ist, wenn er den Anweisungen des Arztes nicht gehorcht.

Oft trifft der Arzt in der Praxis auf einen Patienten, der ja genau wegen solcher traumatisierender Faktoren krank geworden ist und nun viel Zeit, Beziehung und Vertrauen benötigen würde, um seine Beziehungsängste zu überwinden und in die Heilung zu kommen. Kann der Arzt auf diesen sensiblen Aspekt nicht eingehen, zieht sich der Patient zurück und neigt dann dazu, sich durch den instrumentellen Zugang des Arztes erneut traumatisieren zu lassen. Wir nennen das in der Psychologie Kollusion, ein Zusammenspiel auf unbewusster Ebene, das letztlich in der gegenseitigen Vermeidung einer effizienten Behandlung mündet und das Drama des Patienten — und auch das des ineffizienten, frustrierten und im tiefsten Innern schuldbeladenen Arztes (29) — chronifiziert.

Dass aus dieser Konstellation Systeme wie die Medizinindustrie parasitären Nutzen ziehen, liegt auf der Hand, ist aber meines Erachtens nicht die Ursache des komplexen Medizinversagens, sondern seine logische Folge beziehungsweise Begleiterscheinung. Das von Ihnen angesprochene Nutzenkalkül zeigt sich somit auf mehreren Ebenen des medizinischen Handelns, mit destruktiver positiver Verstärkerdynamik: Die angstbedingte Beziehungsvermeidung treibt Geld in die Kassen der Entfremdeten, die dadurch noch mehr zur Dehumanisierung neigen. Die verschiedenen Proponenten des Gesundheitssystems drehen sich in der medizinischen Pseudorealität im Kreis. Jeder hat Nutzen vom anderen, und der Patient wird immer kränker, bis er stirbt. So ungefähr dürfte auch die Corona-Pandemie in ihr menschliches Desaster gelaufen sein.

Eine eigenartige, die Ärzteschaft bevormundende Rolle hat ja auch das 1891 gegründete Robert Koch-Institut (RKI) während der Coronakrise gespielt. Wie denken Sie über diese staatliche Behörde, die ja schon in der Zeit des Nationalsozialismus eine unrühmliche Rolle gespielt hat? Braucht es für ein zeitgemäßes Gesundheitswesen ein solches Institut?

Sie sprechen ein heikles Thema an, aber Wissenschaft darf vor keinem Thema scheuen, besonders dann nicht, wenn Gefahr im Verzug ist und schlimme Ereignisse der Geschichte sich zu wiederholen drohen.

Die materialistische Ideologie beherrscht insbesondere die westliche Welt schon seit Jahrhunderten. Sie neigt dazu, Menschen zu Objekten zu machen. Spricht man dem Menschen aber in materialistischer Manier das genuin Menschliche ab und macht ihn zu einer Maschine, dann ist man auch nicht mehr weit weg davon, ihn als Ware für seine Zwecke zu missbrauchen. Das sehen wir in vielen Bereichen unserer kapitalistischen Gesellschaft, zum Beispiel bei den teils menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen der Großindustrie sowie im Leistungssport. Als besonders gefährlich entpuppt sich dabei der Arztberuf, der aufgrund seiner berufsinhärenten Macht über Leben und Tod eine Sonderstellung in unserer Gesellschaft spielt.

Denn aufgrund der materialistischen Entfremdung vom Menschen und vom Menschsein an sich dürfte der Arzt immer wieder dazu verführt werden, sich für die eigene narzisstische Aufwertung und materielle Bereicherung über das Subjekt Patient zu stellen, es zu missbrauchen und sogar in den Sog verbrecherischer Aktivitäten zu geraten.

Eine zwischen 2006 und 2008 durchgeführte wissenschaftliche Untersuchung kam zum Schluss, dass die Machenschaften des RKI während der Nazizeit „von der Untersuchung von Blutproben für die ‚Rassenhygienische und bevölkerungspolitische Forschungsstelle‘ am Reichsgesundheitsamt über die Nutzung von KZ-Insassen und Psychiatriepatienten zur regulierenden Qualitätssicherung von Impfstoffen bis hin zu Infektionsversuchen mit einkalkuliertem tödlichen Ausgang zur Erprobung neuer Impfstoffe oder neuartiger Behandlungsmethoden (reichten)“ (30).

Dies alles war nur möglich, weil man eine willfährige Ärzteschaft zur Umsetzung dieser Gräueltaten instrumentalisieren konnte. Untersuchungen zeigten nämlich, dass die ausgeprägte Konformitäts- und Autoritätshörigkeit der Ärzte ein gewichtiger Grund dafür war, dass mindestens 50 Prozent aller deutschen Ärzte schon früh der NSDAP beigetreten und Ärzte siebenmal häufiger in der SS repräsentiert waren als der durchschnittliche männliche Beschäftigte. Zudem reizte den Arzt der ökonomische Vorteil des Arztberufs und war er dem Sozialdarwinismus, der Eugenik und dem heiligen Volkskörper besonders zugetan (31).

Mit der vorhin beschriebenen, immer noch aktuell vorherrschenden universitären Sozialisierung und Ideologisierung des Arztberufs scheint man aber nicht das wirklich Wesentliche aus der jüngeren Geschichte gelernt zu haben, nämlich die Änderung des Menschenbildes. Denn bei der eben beschriebenen Persönlichkeit des Naziarztes wird deutlich, welcher Prototypus Arzt wahrscheinlich auch bei der Umsetzung der Maßnahmen zur Eindämmung und Verhütung der Corona-Pandemie Gewehr bei Fuß stand. Was mir aber an dieser Stelle sehr wichtig ist zu betonen: Es geht nicht darum, den Arzt als Verbrecher dazustellen, sondern zu verdeutlichen, dass dehumanisierte Pseudorealitäten dazu neigen, menschliche Katastrophen zu schaffen. Wir müssen also das materialistische Menschenbild verändern, wenn wir aus der Geschichte lernen wollen. Dann wird es auch das RKI, wie es jetzt ist, nicht mehr geben und wird auch das Medizinstudium endlich wirklich ganzheitlich werden und damit rehumanisiert sein.

Gewiss kennen Sie auch die Bemühungen von Dr. Konrad Schily zur Erneuerung des Medizinstudiums. Sein Ansatz in der Universität Witten/Herdecke (WH) war insbesondere, dass die Studierenden von Anfang an nicht nur theoretisch studieren, sondern unmittelbar mit einem Krankenhaus verbunden sind, um dort parallel schon die Praxis kennenzulernen. Wäre das eine sinnvolle Perspektive auch in Ihrem Sinne?

Das greift mir viel zu kurz, ja sogar ins Leere. Ein besserer Praxisbezug verbessert nicht automatisch die Praxis. Denn welche Praxis werden die Studierenden vorfinden? Wohl eine, wie gerade dargelegt, materialistische und damit dehumanisierte. Die von Herrn Schily propagierte Perspektive ist also erneut sinnentleert, wenn man einen Paradigmenwechsel in Gesellschaft und Medizin anstrebt. Ein Paradigmenwechsel mit Überwindung von Dualismus und Reduktionismus und konsequenter Berücksichtigung dessen, was menschliches Leben genuin ausmacht, lässt sich mit dem Maschinenparadigma nicht vereinen. Es wird also die Schulmedizin, so wie sie es derzeit gibt, nicht mehr geben in einer neuen Medizin. Das Maschinenparadigma ist falsch und lässt sich auch nicht erweitern oder korrigieren. Es lässt sich nur abschaffen und durch ein neues Paradigma ersetzen.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen, wie Adorno in der Minima Moralia so klar formuliert. Mir ist bewusst, dass dies nahezu utopisch klingt. Wir sind aber an den menschlichen Grenzen des Materialismus angekommen.

Wenn wir nun nicht wirklich konsequent an einer neuen menschengerechteren und natürlicheren Kultur- und Gesellschaftsform arbeiten, dann wird es uns als Menschen irgendwann nicht mehr geben.

Die zunehmenden, sich verdichtenden Kriege des letzten Jahrhunderts wie auch die in den letzten Jahrzehnten erzielten technischen Erfolge des Transhumanismus weisen in diese Richtung und sind besorgniserregend. Die Technik beginnt in uns überzugehen und uns zu beherrschen. Ich stimme da Giorgio Agamben zu, wir haben uns etwas geschaffen, mit dem wir nicht umzugehen verstehen (32). Und Goethe würde rufen: „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“

Ich persönlich sehe nur einen Ausweg aus dieser Sackgasse: indem wir wieder zu dem werden, was wir genuin sind, nämlich Mensch. Das ist zwar eine radikale Umkehr, die man aber durchaus Schritt für Schritt machen kann, sie muss also nicht von heute auf morgen stattfinden, aber wir sollten endlich damit beginnen. Es ist vergleichbar wie in einer gelingenden Psychotherapie. Auch da ist der erste Schritt ein riesiger, sich überhaupt für eine autonomisierende Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben zu entschließen. Die Arbeit, die dann kommt, ist langwierig, aber vom ersten Tag an spürt man, es geht in die richtige Richtung.

Als entscheidenden Schritt in eine Neuausrichtung der Medizin beschreiben Sie in Ihrem Buch „Was uns krank macht — was uns heilt“ (2016) die Notwendigkeit, die mechanistischen Vorstellungen, die den einzelnen Fall nach allgemeinen Vorgaben behandeln, wieder zu überwinden, weil sie die besondere, individuelle psychosoziale Lebenssituation nicht berücksichtigen. Könnten Sie ein wenig ausführen, was dies für die medizinische Forschung bedeutet?

Um diese Frage beantworten zu können, muss ich zunächst verdeutlichen, was ich eigentlich mit dem Wechsel vom medizinischen Maschinenparadigma zum ganzheitlichen Paradigma meine. Ich beziehe mich dabei auf das biopsychosoziale Modell George Libman Engels sowie auf die Überlegungen von Thure von Uexküll zu einem biosemiotisch-systemischen Medizinparadigma. Neuerdings sehe ich auch in der Fraktalgeometrie, wie sie von Benoît Mandelbrot entwickelt wurde, ein essenzielles theoretisches Element zu einer, wenn man so sagen will, integrativen Lebenswissenschaft beziehungsweise Lebenssicht, die als Basis einer neuen Medizin fungieren kann (33).

Die allgemeine Systemtheorie geht davon aus, dass biologische, psychologische und soziale Lebensentitäten in komplexer und untrennbarer Verbindung vernetzt sind und höher komplexe, beispielsweise psychosoziale und kulturelle Faktoren, weniger komplexen molekular-stofflichen Faktoren kausal vorgeschaltet sind. Wenn es also kurzerhand um die Frage geht, was uns krank macht und was uns gesund hält, sind gesellschaftliche und kulturelle Faktoren und nicht Moleküle und Gene primär wirksam. Dies ist längst auch von der neueren medizinischen Wissenschaft bestätigt worden, indem beispielsweise die epigenetische Forschung klar zeigt, dass Gene niemals a priori aktiv sind, sondern durch Umgebungsfaktoren an- oder abgeschaltet werden. Von der Schulmedizin wird aber trotzdem weiterhin gerne angeführt, dass die Ursache für komplexe Phänomene wie Gesundheit und Krankheit in den Genen liegt. Das ist unsinniger naturwissenschaftlicher Reduktionismus!

Dies alles heißt aber nicht, dass nicht auch körperliche Faktoren Einfluss auf die seelische Aktivität und darüber hinaus sogar auf soziale Beziehungen haben können. Denn wird der Mensch mit einem neuartigen Umweltreiz konfrontiert, nutzt er seine veränderte körperliche Aktivität, um sich rückwirkend und regulierend in seinem Erleben und Verhalten an die Umweltveränderungen anzupassen. Solche Reaktionen finden ständig statt. Haben wir uns beispielsweise mit einem Virus infiziert, lässt die abwehrende zelluläre Immunaktivität mithilfe von neuronal wirksamen Entzündungsbotenstoffen uns erschöpft und krank fühlen, damit wir uns sozial zurückziehen und so Energie für die Regeneration einsparen und andere vor einer Ansteckung schützen. Wir nennen das in der Psychoneuroimmunologie „Sickness Behavior“, und es zeigt auf, wie sinnvoll das Zusammenspiel zwischen Organismus und Außenwelt bei Anpassungsleistungen an Stressoren funktioniert.

Interessanterweise reagiert der Organismus ähnlich, wenn er mit einem psychosozialen Stressor konfrontiert wird, beispielsweise einer überfordernden Arbeitssituation. Auch hier, wie bei einem Virus, kommt es zum Entzündungsanstieg und zur Erschöpfung und oftmals auch zu einem krankheitsbedingten Rückzug, um sich zu schonen und die Stressquelle zu meiden. Ob und wie man auf ein Ereignis reagiert, hängt entsprechend biosemiotischer Überlegungen davon ab, welche Bedeutung, bewusst und unbewusst, man dem Ereignis beimisst.

Der schulmedizinisch sozialisierte und ideologisierte Arzt wird die Erschöpfung und die erhöhte Immunaktivität wohl registrieren, den Sinn dahinter, die belastende Arbeitssituation und insbesondere die Bedeutung, die ihr die erkrankte Person beimisst, wird er aber nicht erkennen — mit fatalen Folgen für die Therapiewahl. Denn eigentlich müsste der Patient psychologisch beraten werden, um seine persönlichen Gründe für die Arbeitsüberlastung, die ihm oft nicht bewusst sind, ja die er aufgrund der damit zusammenhängenden biografisch belastenden Zusammenhänge zunächst auch gar nicht sehen will, zu identifizieren und dann zu beseitigen.

Aber was macht der konventionell geschulte Arzt? Er verschreibt immunregulierende Medikamente zur Verringerung seiner Beschwerden und rät dem Patienten, sich besser zu ernähren und mehr zu bewegen. Und der Patient willigt häufig ein, denken Sie an das Phänomen der Kollusion. Damit wird zwar das Symptom kurzfristig beseitigt — wenn überhaupt —, die Ursache des Symptoms bleibt aber bestehen, sodass es erneut auftauchen wird und die Krankheit schlussendlich chronifiziert. Mit diesem Beispiel möchte ich erneut aufzeigen, wie gefährlich Reduktionismus und Dualismus des medizinischen Maschinenparadigmas für die alltägliche Gesundheit des Menschen sind. Die mechanistisch-reduktionistische Schulmedizin ist sinnentleert, trifft aber auf Erkrankungen, die Sinn für den Patienten machen und dessen tiefere Bedeutungswelt betreffen.

Und wie könnte ein modernes Studium aussehen, das die durch die Psychoneuroimmunologie-Forschung gewonnenen Erkenntnisse tatsächlich berücksichtigt?

Wie stelle ich mir ein modernes Medizinstudium vor, das die gewonnenen Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie berücksichtigt und den Studenten auf die biopsychosoziale Lebenswirklichkeit ihrer Patienten vorbereitet? Kein leichtes Unterfangen, hierauf eine Antwort zu finden. Darüber werden sich noch viele andere Gedanken machen müssen. Aber ich versuche mal einen ersten Aufschlag. Ein ganzheitlich erweitertes Medizinstudium müsste meines Erachtens so aufgebaut sein, dass die biosemiotisch-systemischen Kriterien einer integrativen Lebenswissenschaft von Beginn an sichtbar und erfahrbar werden. Ich würde also das Studium mit Fächern beginnen, die den Studenten sehr früh auf eine ganzheitliche medizinische Sichtweise hinführen, also zum Beispiel mit Philosophie, Soziologie und Systemwissenschaften. Im konventionellen Medizinstudium sind dies im besten Fall Wahlfächer. Ich hingegen würde solche Fächer in das Zentrum der medizinischen Lehre stellen. Weiterhin müsste auch der Psychologie und der Psychotherapie — und hier besonders der Psychoanalyse — ein gewichtiger Platz eingeräumt werden.

So könnte sich der Student in seinem Zugang zur Medizin quasi von außen, von der immateriellen Lebenswelt des Menschen herkommend der Körperwelt nähern. Erst später im Studium, wenn das im wahrsten Sinn des Wortes Wesentlichste angesprochen wurde und der Student an seiner ganzheitlichen Haltung arbeiten konnte, würde ich die klassischen Fächer der Schulmedizin bringen. Wobei klar sein muss, dass die Lehrinhalte dieser klassischen Fächer, etwa der Physiologie und Pathophysiologie, an ein modernes ganzheitliches Wissen anzupassen sind. Begleitend würde ich den Studenten zur tiefenpsychologischen Selbsterfahrung verpflichten, ihm früh auch Kontakt mit echten Patienten ermöglichen, ihn in der Arzt-Patient-Beziehung schulen und diese durch regelmäßige Supervisionen im Sinne der Balint-Idee begleiten lassen.

Natürlich müsste der Student auch früh mit Medizinethik und Medizingeschichte konfrontiert werden, damit aus der Geschichte gelernt werden kann und Geschichte sich nicht wiederholt. Klassische mechanistische Fächer wie Anatomie, Pathologie und Histologie würde ich erst spät im Studium lehren. Es sind einfache, in der biopsychosozialen Komplexitätshierarchie weit unten gelegene Bereiche, die auf mögliche orthopädische und chirurgische Facharztausbildungen vorbereiten, aber für das Gesamtverständnis eines Menschen kaum eine Rolle spielen. Klinische Spezialfächer der herkömmlichen Medizin wie die Innere Medizin, die Neurologie und insbesondere die Psychiatrie werden im Medizinstudium nicht mehr gelehrt werden, da sie sich in einem biosemiotisch-systemischen Studium generale, wie ich es hier andenke, erübrigen.

Die Frage nach der Art eines neuen Medizinstudiums betrifft aber nicht nur das „Was“, also welche Fächer in welcher Reihenfolge vermittelt werden sollen, sondern auch das „Wie“, also auf welche Form des Wissens in Zukunft im Medizinstudium Wert gelegt wird. Dabei spreche ich mich klar gegen ein Auswendiglernen von unzusammenhängenden und damit im wahrsten Sinne des Wortes unsinnigen und bedeutungslosen Einzelergebnissen aus, wie es charakteristisch für das derzeitige Medizinstudium ist — besonders in Zeiten von Computergläubigkeit und Informationsflut. Im Gegenzug plädiere ich für ein Fördern der Synthese von vielen verschiedenen miteinander zusammenhängenden Lehrbausteinen zu einem ganzheitlichen, ökologisch validen Wissen. Dieses Wissen soll in der Praxis erfahrungsreicher Reflexion verwirklicht werden und basiert auf kontinuierlicher, revisionsbereiter Verständigung mit sich selbst und mit anderen Personen.

Auch wird es in einem neuen Medizinstudium darauf ankommen, sich in mehreren Bereichen der Wirklichkeit und der Gesellschaft auszukennen, also in gewisser Weise mehrsprachig zu sein. Das ermöglicht Verständigungsfähigkeit — im wahrsten Sinne des Wortes kognitiv und moralisch! — über die Grenzen der eigenen Spezialisierung hinweg.

Auf diese Weise lässt sich in Zukunft die Verengung des Wirklichkeitshorizonts im Sinne von Pseudorealitäten vermeiden, die besonders dann fatale Auswirkungen zeigen, wenn sie, wie in der Coronakrise gesehen, zu Wahrheitsverzerrung und struktureller Verantwortungslosigkeit neigen (34).

Wie unschwer aus meinen Ausführungen zu erkennen ist, fokussiert die von mir dargelegte Art eines neuen Medizinstudiums auf immaterielle Aspekte des Menschseins, also auf soziale sowie Erlebens- und Verhaltensfaktoren, und damit auf die Aufrechterhaltung von Gesundheit und Vermeidung von Krankheit. Eine neue biopsychosoziale Medizin wird daher dem Präventivgedanken verpflichtet sein und nicht, wie die konventionelle Maschinenmedizin, dem Reparaturgedanken in dem Sinne, dass gewartet wird, bis der Mensch alt, krank und reparaturbedürftig ist, um dann mit materiellen Interventionen wie Tabletten, Instrumenten und Operationen medizinisch aktiv zu werden.

Da diese Neuformulierung des Medizinstudiums und damit des Arztberufs kommerziellen Interessen der Medizinindustrie grundlegend zuwiderläuft und diese alles versuchen wird, eine ganzheitliche Medizin zu verhindern, muss klar sein, dass ein neues Medizinstudium nicht ohne freie demokratische Rahmenbedingungen funktionieren kann. Spätestens hier wird weiterhin deutlich, dass der von mir angesprochene Paradigmenwechsel von einem materialistischen zu einem ganzheitlichen Menschenbild nicht nur die Medizin, sondern letztlich die gesamte Gesellschaft betrifft. Ich denke da an Bereiche wie die Wirtschaft, die Bildung, die Justiz, ja selbst die Kirche. Auch die Integration der geistig-spirituellen Ebene gehört zu einem veränderten Menschbild. Letztlich geht es also nicht mehr und nicht weniger als um unsere Befreiung des Geistes im gesamten kulturellen Leben und um das Beenden der Unterdrückung durch den Staat und durch politisch mächtige Wirtschaftsinteressen (35).

Das ist eine großartige Perspektive, vielen Dank! Herr Schily wird Ihnen übrigens wohl gewiss zustimmen, hatte er doch seinerzeit auch ein Studium generale an der Uni WH veranlagt, das allerdings nicht so umfassend gedacht war wie in Ihrem Entwurf, und heute ist dort das Verständnis dafür wieder nahezu restlos eingeschlafen. Nun ist aber ein großes Problem des gesamten medizinischen Sektors — auch von Hochschule und Forschung — ja schlicht und einfach die zunehmende Abhängigkeit von der Pharmaindustrie und vom Finanzmarkt, die beide ihre Gewinnerwartungsdoktrin zum Beispiel in die Kliniken drücken. Welche Weichen sind hier falsch gestellt, sehen Sie Möglichkeiten für ein anderes — vielleicht zivilgesellschaftlich verwaltetes — Gesundheitswesen?

Auch hier würde ich den Materialismus als den falschen Weg der Menschheitsentwicklung ansehen, und zwar im doppelten Sinn: philosophisch, wenn es um das Menschenbild, und psychologisch, wenn es um die Werte der Menschen geht und die zunehmende Entfremdung von sich selbst. Das Geld hat in allen unseren Lebensbereichen die Macht übernommen. Es gibt gefühlt nichts mehr, das nicht ökonomischen Prinzipien unterworfen ist. Selbst unser wichtigstes Gut, unsere Gesundheit und die unserer Kinder, unterliegt kapitalistischen Interessen. Uğur Şahin und Özlem Türeci, die Entwickler und Vertreiber der COVID-Impfstoffe bei BioNTech, sind 2021 mit einem Nettogewinn von gut 10 Milliarden Euro zu den reichsten Menschen in Deutschland aufgestiegen — und niemand wehrt sich (36). Wie paradox: Die Menschen leben in einem Gesundheitstotalitarismus, halten aber ihr Gesundheitssystem für eines der besten der Welt und finanzieren sogar noch ihr eigenes Elend! So etwas lässt sich nach Rainer Mausfeld nur mithilfe von medialen Soft-Power-Techniken der Indoktrination der Bevölkerung erreichen (37). Diese Art psychosozialer Impfung halte ich übrigens für weit gefährlicher als alles, was wir in den letzten drei Jahren in Bezug auf die genbasierten COVID-Impfungen erleben mussten.

Eine von falschen und gefälschten Ergebnissen nur so strotzende medizinische Wissenschaft ist wiederum das totalitäre Instrument, mit dem diese biopolitische Pseudorealität aufrechterhalten wird.

Das haben wir ganz besonders in der Corona-Pandemie erlebt (38). Just während unseres Interviews kommt die Nachricht herein, dass der diesjährige Nobelpreis an Katalin Karikó und Drew Weissman für die Grundlagen zur Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen COVID-19 gegangen ist. Hat es noch mehr gebraucht, um zu verdeutlichen, wie sehr die medizinische Forschung verkauft und korrumpiert ist? Ich bin Forscher und beschäftige mich seit geraumer Zeit mit den antiwissenschaftlichen Folgen des Materialismus. Ich sage Ihnen, das, was ich bereits Kritisches zur klinischen Medizin und zum Medizinstudium gesagt habe, liegt potenziert in der medizinischen Forschung vor. John Ioannidis, der sich in den letzten drei Jahren sehr um wissenschaftlich saubere epidemiologische Daten zur COVID-Pandemie bemühte und dafür diffamiert und diskreditiert wurde, hatte schon 2005 gewarnt, dass die meisten veröffentlichten Forschungsergebnisse der Medizin schlicht falsch sind (39). Ich würde dem aus Sicht der ganzheitlichen Forschung zu 100 Prozent zustimmen. Wie absurd, davon auszugehen, dass das randomisierte kontrollierte Untersuchungsdesign, Zell- und Tierexperimente, kontrollierte Laborversuche und standardisierte Forschungsmethoden sowie andere menschenentfremdete mechanistisch-reduktionistische Forschungszugänge jemals valide und verlässliche Aussagen über den einzelnen Menschen in seinem komplexen, von Dynamik und Bedeutung geprägten Lebensalltag machen könnten (40)!

Wer nun aber glaubt, dass sich diese Form pseudowissenschaftlicher „Science Fiction“ in einem akademischen Elfenbeinturm befindet und weitgehend folgenlos für die Gesundheit der Menschheit bleibt, hat weit gefehlt. Denn immer stärker bestimmen falsche und sinnentleerte Forschungserkenntnisse in Form der evidenzbasierten Medizin das alltägliche geldgetriebene und weitgehend erfolglose, wenn nicht sogar gesundheitsschädliche Denken und Handeln von Ärzten. Und wehe, wenn dieses auch noch einem Stresstest unterzogen wird, wie dies in den letzten drei Pandemiejahren geschehen ist. Als Virologen-Ärzte zu den zentralen Beratern der Regierungen mutierten und ihnen auf diese Weise die Verantwortung über die Gesundheit der Menschen übertragen wurde, wurde auch das von einer falschen Medizin angerichtete Gesundheitsdesaster unübersehbar — zumindest für die, die sich nicht in der materialistischen Pseudorealität befinden (41). Wenn wir also Medizin paradigmatisch verändern wollen, muss das Gesundheitssystem wieder zu dem werden, was es wirklich bedeutet, nämlich ein System, das zentral an der Gesundheit der Menschen interessiert ist und nicht an der Krankheit und am Kranksein. Dazu braucht es eine Rehumanisierung der Gesellschaft, also eine Revolution des Menschlichen, mit einem ganzheitlichen Menschenbild, das Natur und Individuum in den Mittelpunkt stellt. Dem Staat, so wie er derzeit mit seinen biopolitischen Verflechtungen agiert, traue ich diese Verantwortung über das Menschliche nicht zu. Es wird wohl der Mensch selbst sein, in Form von Bürgerinitiativen und Rätesystemen, im Rahmen einer freien Demokratie, der über sein gesundheitliches Wohl bestimmen wird.

Zum Schluss möchte ich Sie noch ganz persönlich fragen: Woher holen Sie Ihre Kraft für all diese anregenden Impulse? Und gab es in Ihrem Leben einen besonderen Moment, der in Ihnen das Interesse für die ganzheitliche Sichtweise erweckte?

Ich hole die Kraft für meine kritischen Äußerungen zum Status quo der Schulmedizin aus meiner psychotherapeutischen Arbeit und der psychoneuroimmunologischen Forschung. In der Forschung gehen wir seit gut 25 Jahren methodisch einen paradigmatisch veränderten, biopsychosozialen Weg. Wir nennen unsere Studien integrative Einzelfallstudien (42). Wie der Name schon sagt, steht in unserem Forschungsansatz das Individuum im Zentrum des Interesses. Es werden keine Daten über mehrere Menschen gemittelt, um vorschnell zu verallgemeinern, sondern wir betrachten die biopsychosoziale Alltagsrealität unserer Probanden sehr genau und individualisiert dort, wo sie stattfindet, im „Life as it is lived“-Setting. Dabei wenden wir sowohl qualitative Interviewanalysen als auch quantitative zeitreihenstatistische Verfahren an, um das dynamische Miteinander von emotional bedeutungsvollen Erlebnissen und den Verläufen diverser Stresssystemvariablen nachweisen zu können. Was wir bis dato empirisch finden konnten, widerspricht den herkömmlichen Zugängen mechanistisch-reduktionistischer Forschung grundlegend. Unsere Studien zeigen klar, dass immunologische und endokrinologische Reaktionen auf Alltagserfahrungen zyklisch verlaufen, sich über mehrere Tage hinwegziehen und sehr von der individuellen Bedeutung abhängen, die die Erlebnisse für die untersuchten Individuen haben. All das ist mit den herkömmlichen Verfahren der biomedizinischen Forschung nicht nur nicht nachweisbar, sondern dürfte auch wesentlich zur oftmals inkonsistenten Datenlage in der medizinischen Forschung beitragen.

Gab es in meinem Leben einen besonderen Moment, der dazu führte, dass ich mich bis heute mit diesen Themen auseinandersetze? Ich denke einige. Ich kann mich beispielsweise erinnern, schon im Kindesalter sehr daran interessiert gewesen zu sein, Menschen zu analysieren und sie zu verstehen, besonders meine Eltern, die keine gute Ehe führten. Später erfüllte ich, wie ich heute glaube, unbewusst den Wunsch meines Vaters, Medizin zu studieren, war aber selbst auch von der Psychologie fasziniert und begann deshalb ein Doppelstudium, um beide Anteile in mir zu vereinen. Nach Studium und Laborzeit war es schließlich mein Kontakt mit den Schriften von Thure von Uexküll und George Libman Engel, die mir quasi einen weiteren wichtigen Schliff in Richtung ganzheitlicher Medizin und Forschung ermöglichten. Die Corona-Pandemie und die dabei angewendeten Maßnahmen bestätigten, was ich bis dorthin erarbeiten konnte. Heute bin ich davon überzeugt, dass der Materialismus in der Medizin lebensgefährlich und ein ganzheitlicher Paradigmenwechsel unumgänglich ist.


Das Interview führte Thomas Brunner, Herausgeber des Buches „Perspektiven für den Wandel: Wege menschlicher Entwicklung zu Freiheit und sozialer Verantwortung“, in dem dieses Interview zuerst erschienen ist.

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