Der Adel liebt den Rubikon
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Der Blog „Ruhrbarone“ phantasiert sich eine „Querfront gegen Israel“ an der Ludwig-Maximilian-Universität München (LMU) herbei. Grund dafür ist Michael Meyen, seines Zeichens Professor für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung. Dessen Lehrbereich veranstaltet nämlich am 7. November in den Räumlichkeiten der LMU eine Veranstaltung mit dem Titel „Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren“. Eine solche Veranstaltung in jener Stadt, in der jede noch so berechtige Israel-Kritik im Keim erstickt wird, hat bei den üblichen Verdächtigen ein Kreuzfeuer entfacht, bei dem Rubikon ebenfalls in die Schusslinie — der sogenannten „Ruhrbarone“ — geriet.
Am 29. Oktober veröffentlichte ein anonymer „Ruhrbaron“ – Psiram lässt grüßen – beim gleichnamigen Blog die „Meldung“ „München: Querfront gegen Israel“.
Grund ist die Veranstaltung „Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren“ am 7. November an der LMU in München. Veranstalter ist Kommunikationswissenschaftler Professor Dr. Michael Meyen, beziehungsweise dessen Lehrbereich. Meyen beging vor kurzem den Fauxpas, Ken Jebsen ein Interview zu geben. Entsprechend enthält der Artikel den üblichen mit Halbwahrheiten getränkten „Copy-Paste“-Absatz über Jebsen.
Doch darum soll es hier nicht gehen. Diesmal haben wir vom Rubikon ebenfalls Liebesgrüße aus dem Ruhrgebiet bekommen. Uns wurde ein gesamter Absatz gewidmet, da unsere Autoren Rolf Verleger und Nirit Sommerfeld Mitinitiatoren des „Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung“ sind. So heißt es bei den Ruhrbaronen:
„Gegründet wurde das ‚Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung‘ (…) u. a. von der Münchner Aktivistin Nirit Sommerfeld (…) und dem Autoren Rolf Verleger, der wie Sommerfeld für das verschwörungstheoretisch aufgeladene Anti-Establishment-Portal ‚Rubikon‘ schreibt. (…) Für das Portal ‚Rubikon‘ schreibt auch regelmäßig Professor Michael Meyen (...). Bei ‚Rubikon‘ handelt es sich um ein Online-Magazin, in dessen Redaktionsbeirat u. a. Daniele Ganser sitzt. Ganser ist in der Vergangenheit durch ein Gespräch mit dem Rechtsextremisten Karl-Heinz Hoffmann über das Oktoberfestattentat, einem Interview für die Blaue Narzisse, einem Magazin der Neuen Rechten, oder Verschwörungstheorien hinsichtlich des Anschlags auf Charlie Hebdo und der angeblichen Besetzung Deutschlands durch die USA aufgefallen. Auf ‚Rubikon‘ werden darüber hinaus Artikel veröffentlicht, die die Existenz von AIDS leugnen oder die aufgeschlossene Lektüre von ‚Mein Kampf‘ empfehlen. Es werden von Autoren Verschwörungstheorien zu 9/11 breitgetreten, die an anderer Stelle die Linke zur Zusammenarbeit mit der radikalen Rechten aufrufen.“
Mit Halbwahrheiten aufgeladen
Decodieren wir diese Liebeserklärung, fällt zunächst die Anzahl der Begriffe auf, die sich aus dem Wortstamm „Verschwörungstheorie“ ableiten. Sechs mal werden Kampfbegriffe wie Verschwörungsdenken, verschwörungstheoretisch etc. verwendet. Rainer Mausfeld, Professor für Kognitionswissenschaft und allgemeine Psychologie, definiert diesen Begriff wie folgt:
„Der politische Kampfbegriff der Verschwörungstheorie lässt sich kurz abhandeln. Er ist ohne jede ernsthafte intellektuelle Substanz und erschöpft sich weitgehend in seiner ideologischen Verwendung als Diffamierungsbegriff.“
Stichhaltig definiert! Die Verwendung dieses Wortes, um andere zu diskreditieren, ist somit jedes Mal ein intellektuelles Eigentor. In diesem Falle steht der Punktestand der Ruhrbarone bei sechs solcher Tore.
Ein weiterer Vorwurf lautet, unser Beiratsmitglied Dr. Daniele Ganser hätte sich mit dem Rechtsextremisten Karl-Heiz Hofmann, einem der Verantwortlichen des Oktoberfestattentates, unterhalten. Auch wenn es sich hierbei nur um einen plumpen Kontaktschuld-Vorwurf handelt, ist die Aussage korrekt – in zweifacher Hinsicht. Einerseits, weil dieses Gespräch tatsächlich stattgefunden hat und andererseits, weil das schließlich der Job eines Historikers ist!
So absurd das klingen mag: Mal rein hypothetisch angenommen, es wäre möglich, für wissenschaftliche Zwecke Stalin, Mao Zedong oder Hitler – wobei klar betont werden muss, dass Hoffmann mit den eben genannten Persönlichkeiten natürlich nicht auf eine Stufe zu stellen ist – für zehn Minuten wiederzubeleben und mit ihnen zu sprechen – welcher Historiker würde sich diese Chance entgehen lassen?
Mit Hitler kommen wir auch schon gleich zum nächsten Vorwurf: Rubikon würde eine aufgeschlossene Lektüre von „Mein Kampf“ empfehlen. Die Ruhrbarone beziehen sich damit auf Peter Freys Artikel „Lesungen aus einem verbotenen Buch“, der eine Auseinandersetzung mit Hitlers Gedanken fordert, sowie auch KZ-Gedenkstätten von Besuchern eine Auseinandersetzung mit den Massenmorden der Nazis fordern. Der Argumentationslogik der Ruhrbarone nach dürfte man also kein KZ besuchen, weil man dadurch automatisch zum KZ-Aufseher werde.
Und wer mit diesem Thema wesentlich öffentlicher und provokanter umgeht, ist der Kabarettist Serdar Somuncu. Dieser ging mit „Mein Kampf“ an Schulen und las vor Kindern und Jugendlichen aus jenem Buch vor. Damit fordert er beim Hörer nicht minder eine Auseinandersetzung mit „Mein Kampf“ heraus, als Peter Frey dies tat. Das war dem Ruhrbaron jedoch keine Zeile wert.
Weiterhin wird dem Rubikon vorgeworfen, die Existenz von AIDS zu leugnen. Der Artikel, auf den sich diese Unterstellung bezieht, verneint jedoch nicht die Existenz von AIDS, sondern problematisiert die Gleichsetzung von HIV mit AIDS und hinterfragt die Schlussfolgerung, dass eine HIV-Infektion automatisch zu AIDS führe. In Teilen wird die Wissenschaftlichkeit der Forschung zu AIDS und HIV infrage gestellt; nicht aber deren Existenz. Was der Ruhrbaron dem Leser verschweigt: Rubikon veröffentlichte – als plurale Plattform – in der Retrospektive auch zwei (1,2) entgegengesetzte Ansichten.
Raum des Sagbaren
Der Veranstaltungstitel „Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren“ trifft den Nagel auf den Kopf. Den Raum des Sagbaren in Bezug auf Israel-Kritik möchten unter Anderem eben jene Ruhrbarone schmal und klein halten und all jenen Inhalten jenseits dieser vier Wände den Antisemitismus-Stempel aufdrücken. Diesen sollen vor allem sämtliche BDS-Unterstützer zu spüren bekommen. Hierzu zitiere ich die klärenden Worte von Wolf Wetzel:
„Der Boykottaufruf richtet sich nicht gegen ‚die Juden‘, sondern gegen die Nutznießer, gegen die Profiteure der Besatzung. Weder im Vordergrund, noch im Zentrum steht das Jüdisch-Sein, sondern der Besatzungsstatus. Der Aufruf zielt nicht auf ein ethnisches Sein, sondern auf ein bestimmtes, also veränderbares Tun, also ausschließlich und explizit gegen jene, die von dem Besatzungsstatus leben beziehungsweise profitieren.“
Das bedeutet, dass es bei der Israel-Kritik nicht um den jüdischen Glauben und damit auch nicht um Antisemitismus geht. Würde sich Netanjahu morgen vor die Mikrophone stellen und verkünden, Israel würde von nun an dem Judentum abschwören und sich zum Glauben an das fliegende Spagetti-Monster bekennen, würde sich bei gleichbleibender Besatzungspolitik Israels an der Forderung der BDS-Kampagne nichts ändern.
Hier geht es nämlich nicht um eine Religion, sondern um eine rassistische Politik. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, unter welchem Gott diese Politik ausgetragen wird. Und wer Jüdinnen wie Nirit Sommerfeld bereits persönlich kennengelernt hat und weiterhin behauptet, sie sei eine Antisemitin oder eine selbsthassende Jüdin, der hat – frei mit den Worten von Karl Lagerfeld – die Kontrolle über sein Leben verloren!
Zu guter Letzt möchte ich den Liebesgruß der Ruhrbarone in einen Werbeblock für die Veranstaltung am 7. November an der LMU München umwandeln. Der Versuch der Ruhrbarone, kritische Stimmen mundtot zu machen, soll einem Kampf gegen die Hydra gleichkommen – je mehr Kritikern sie an den Hals gehen, desto mehr Leute sollen sich einen Kopf darüber machen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.rubikon.news/artikel/kein-aids-fur-alle
(2) https://www.rubikon.news/artikel/todlicher-ernst