Den sollten wir uns spa‘n!
Während sich die Sozialdemokratie als Alternative selbst zerlegt, marschiert die Union weiter in Richtung Unmenschlichkeit.
„Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus.“ Deshalb muss man dem Volk vorkauen, wen es als Staatsgewaltige wollen soll. Es ist wichtig, schon bei der Vorauswahl geeigneter Politiker Sorge zu tragen, dass sich nichts Wesentliches am System ändert – es sei denn zum Schlechteren. Besonders hoch im Kurs steht derzeit Jens Spahn, der sich mit seinen Äußerungen zu Hartz IV, Essener Tafel und Flüchtlingen als Fleisch gewordener Rechtsruck in der Union zu etablieren versucht. Auf allen Kanälen wird uns der schnöselige CDU-Politiker als große Polithoffnung und fast sicherer nächster Kanzler unseres Landes aufgedrängt. Am Mittwoch wurde er als Gesundheitsminister vereidigt. Worin liegt das Geheimnis dieses Mannes und seiner medial aufgeblasenen Blitzkarriere?
Kleiner Test: Sagt Ihnen der Name Helge Braun etwas? Oder Maria Böhmer? Steffen Kampeter? Uwe Beckmeier, Iris Gleicke, Gabriele Lösekrug-Möller? Nicht? Es sind alles Namen von Staatssekretärinnen und -sekretären des Kabinetts Merkel III, hochrangige Mitarbeiter in Ministerien des Bundes. In der letzten Regierung gab es deren 38.
Und nun die Gegenfrage: Haben Sie schon von Jens Spahn gehört? Ich wette, mehr als nur einmal. Vermutlich sogar täglich mehrfach auf allen Kanälen. Und nicht erst seit der „schärfste Merkel-Kritiker“ zum Gesundheitsminister erhoben wurde. Jens Spahn kreiste schon seit Wochen und Monaten im Orbit – sei es als „Nachwuchshoffnung“ oder größte Bedrohung der Kanzlerin. Ein Ministerrang schien ohnehin nur noch eine Frage der Zeit, ja auch die Kanzlerschaft steht über kurz oder lang im Raum – nur noch zu verhindern eventuell durch „Kronprinzessin“ Annegret Kramp-Karrenbauer. Uns allen wurde durch ein mediales Dauerfeuer eingebläut: Jens Spahn gehört zu den politischen Talenten unserer Epoche – ein Mann mit Zukunft.
In Wahrheit war Jens Spahn bis vor kurzem nicht mehr als Helge Braun oder Gabriele Lösekrug-Möller: Staatssekretär eben. In seinem Fall im Finanzministerium. Zusätzlich wird ihm etwas Erfahrung im Fachbereich Gesundheit nachgesagt. Na und? Sind die Medien nun alle Hellseher, die vorausahnen können, was oder besser: wer politisch auf Deutschland zukommt? Oder wurde Jens Spahn im Gegenteil von den Medien „gemacht“? Hat die Presselandschaft, gedacht eigentlich dazu, die politische Realität widerzuspiegeln, mitgeholfen, diese erst zu erschaffen? Noch eine dritte Hypothese wäre denkbar: Sind Politikbetrieb und Medienbetrieb etwa nur wie Finger ein- und derselben Hand, koordiniert durch einen einheitlichen Willen?
Woher rührt der Wahn um Spahn?
Jetzt kommen wir natürlich in den Bereich der Verschwörungstheorie. In Zukunft wird mein Name überall nur noch mit dem Zusatz „Der Verschwörungstheoretiker Roland Rottenfußer“ Erwähnung finden. Aber ich muss es jetzt einfach sagen: Jens Spahn nahm an der Bilderberger-Konferenz vom 1. bis 4. Juni 2017 teil, an einer jener völlig intransparenten Eliteveranstaltungen, denen man nachsagt, sie wollten am Wähler vorbei massiv Einfluss auf die Weltpolitik ausüben. Kurze Nebenbemerkung: Auch Olaf Scholz nahm an einer Bilderberger-Konferenz teil. Auch er ist heute obenauf. Typisches Verschwörungsgeschwurbel von mir, ich weiß.
Vielleicht aber haben Verschwörungstheorien auch deshalb heute Hochkonjunktur, weil alle alternativen „seriösen“ Theorien fast noch unglaubwürdiger wirken.
Etwa die Annahme, ein eher blasser, nicht einmal sonderlich charismatischer Jüngling mit gekünstelt wirkendem Siegerlächeln habe es aus eigener Kraft so weit gebracht, dass ihm der Posten des zweitmächtigsten Führers der westlichen Welt fast nicht mehr zu nehmen ist.
Warum, wenn an der ganzen Sache nicht etwas faul ist, schrieb das britische Magazin „The Guardian“ schon im August 2016: „Jens Spahn: The Man who could replace Merkel as Chancellor“? Nirgendwo las man zum Beispiel: „Gabriele Lösekrug-Möller – die Frau, die die Welt erschüttern wird”. Hatten die Schreiberlinge im Königreich einfach einen guten Riecher – oder ist Jens Spahn eine Figur, die derzeit sogar auf internationaler Ebene gepusht wird?
Ein Moderator bricht eine Lanze
Bei Markus Lanz, jenem Talkshow-Matador, der 2014 Sahra Wagenknecht in höchst unfairer Weise ins Verhör nahm, konnte man am 13.02.2018 die Ausrufung Spahns zum künftigen Lenker der Geschicke unseres Vaterlands und Europas live miterleben. Schon zu Beginn blendete Lanz eine Fotomontage des CDU-Politikers mit Merkel-Frisur ein. Untertitel: „Das Spahn-Merkel“. Dieser gezielt platzierte Scherz gab die Richtung vor. Im Anschluss gewährte Lanz dem Shooting-Star endlos Raum, um sich – ohne lästige Kritik fürchten zu müssen – auszubreiten. Markus Lanz musste vom vielen Zunicken schon eine Genickstarre bekommen haben. Dabei zeigt der Fall Wagenknecht, dass der ehemalige Wetten-dass?-Moderator durchaus bissig werden kann, wenn er jemanden nicht mag.
Assistierend stand Lanz dabei Michael Spreng zur Seite, Journalist und ehemaliger Wahlkampfleiter Edmund Stoibers, der seine Verehrung für den Unions-Sonnenjüngling kaum zu verhehlen versuchte. (Zum Vergleich: Beim Wagenknecht-Schlachtfest engagierte Lanz den Stern-Journalisten Jörges, um die Delinquentin von zwei Seiten in die Mangel zu nehmen).
Spreng kam dann gegen Ende der Sendung zur Sache und verlangte, man solle Spahn sofort ein schwieriges Ministerium zuweisen, am besten Gesundheit, in dem er sich bewähren könne. „Rufen Sie Jens Spahn gerade zum nächsten Kanzlerkandidaten der Union aus?“, kam Lanz auf den Punkt. Michael Spreng räumte daraufhin ein, es gebe „mehrere Nachwuchsleute“: den Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther und – wenig überraschend – Annegret Kramp-Karrenbauer sowie Julia Klöckner. „Und Jens Spahn“ fügte der Unions-Unterstützer hinzu. Aus diesem Kreis, so Spreng dezidiert, werde sich ein Nachfolger für Frau Merkel herausschälen.
Woher weiß der das so genau? Und warum sind nur knapp 14 Tage nach der Sendung tatsächlich genau diese drei Personen obenauf (nur von Günther ist derzeit wenig die Rede)? Warum spricht man mit Blick auf eine künftige Kanzlerschaft nie vom derzeit beliebtesten CDU-Minister, Peter Altmaier? Sieht der nicht gut genug aus? Oder vom Ministerpräsidenten des größten Bundeslands, Armin Laschet? Wäre nicht auch eine aus Altersgründen etwas kürzere Kanzlerschaft von Ursula von der Leyen oder Lothar de Maizière denkbar gewesen – erfahrene Kräfte im Bereich Krieg und Bürgerrechtsabbau und somit bestens für „Höheres“ geeignet? Es muss ja nicht jeder gleich einer ganzen Epoche seinen Stempel aufdrücken wie die Königin von England.
CDU-Vorsitzender = Bundeskanzler
Was hat Jungspund Jens, was die nicht haben? Man kommt schon ins Grübeln dabei. Folgt die Politik etwa einem Drehbuch, dessen Finale längst feststeht? Jedenfalls bediente sich die Lanz-Sendung eines geschickten, jedoch höchst unaufrichtigen Tricks. Sollte die Botschaft lauten: „Jens Spahn ist unser nächster Kanzler“, so war es besser, wenn weder der Moderator noch der Kandidat selbst dies aussprachen. Ein „unabhänger“ Dritter sollte sagen, was ohnehin schon länger in der Luft lag.
Einige Dinge scheinen jedenfalls klar: Der oder die nächste CDU-Vorsitzende wird auch KanzlerIn der Bundesrepublik Deutschland sein. Andere Varianten (etwas ein SPD-Sieg mit Nahles 2021) sind höchst unwahrscheinlich.
In einer unipolaren neuen Bundesrepublik erscheint es allenfalls noch fraglich, welche Farbe nach „Schwarz“ hinter dem Bindestrich kommt: Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb, Schwarz-Gelb-Grün, Schwarz-Braun, Schwarz-Gelb-Braun.
Wir sprechen also von AnwärterInnen auf einen der einflussreichsten Posten der Weltpolitik. Erscheint das erwähnte „Kleeblatt“ dem wirklich gewachsen? Kennen Sie viele Menschen, in denen eine tiefe Sehnsucht wohnt, demnächst von Jens Spahn oder Annegret Kramp-Karrenbauer regiert zu werden? Oder kann es sein, dass uns diese Figuren im großen Spiel eher aufgedrängt werden sollen?
Für Jens Spahn dürfte das Gesundheitsministerium noch längst nicht das Ende der Fahnenstange sein. Über mögliche politische und handwerkliche Mängel im Amt würde eine äußerst wohlwollende Presse ggf. gern hinweghelfen. Sollte Spahn also nicht den Guttenberg machen, können wir „Großes“ von ihm erwarten. Vielleicht muss der Senior-Minister Horst Seehofer aus Altersgründen mal sein Amt abgeben. Oder die Klagen über nicht einsatzfähige Tötungswaffen, U-Boote oder Panzer der Bundeswehr, bringen die noch scheinbar unantastbare Ursula von der Leyen zu Fall (und später ins Schloss Bellevue).
In beiden Fällen käme für die Nachfolge nur einer in Frage: Jens Spahn. Spätestens wenn der ohnehin repressionsfreudige Konservative eines der beiden „klassischen“ Ressorts besetzt, wird ihm die Kanzlerschaft nicht mehr zu nehmen sein.
Merkel muss Spahn gnädig stimmen
Schon jetzt scheint es ja, als ob nicht Spahn sich bei Merkel bewähren müsse, sondern als ob die erfahrenste Regierungschefin des Westens dazu angehalten sei, bei einem Newcomer, der eigentlich noch nicht grün hinter den Ohren ist, um Schonung zu bitten. Schon 2013, so liest man mit Entrüstung, habe Merkel Spahn das Gesundheitsministerium „verweigert“. Einen solchen Fehler dürfe sie keinesfalls wiederholen, wolle sie nicht bei Spahn – und damit beim wachsenden konservativen Flügel der Union – in Ungnade fallen.
Merkel wagte das Aufbegehren nicht und tat, was von ihr verlangt wurde. Sie „band ihren größten Kritiker ein“ – auch dies natürlich ein Schmierentheater, denn weder ist Spahn jemals derart radikal gewesen, noch war Merkel je wirklich „links“. Der aufgebauschte innerparteiliche Konflikt hilft, die AfD klein zu halten, sie jedoch weiter als Bedrohungspotenzial zu nutzen, um den Weg in die autoritär-marktradikale Republik in kleinen Schritten weiter fortzusetzen.
Die AfD-Wählerinnen und -wähler sind ohnehin die Hätschelkinder der derzeitigen Politik. Fast jede Partei unternimmt Kraftanstrengungen, um die Ungnädigen „zurückzugewinnen“, als gälte es um eine wunderschöne, etwas spröde Braut zu werben.
Darunter leiden natürlich nicht die gut situierten Politiker selbst, sondern viele der Schwächsten in der Gesellschaft: Zuwanderer, Asylbewerber, Hartz-IV-Betroffene, Kleinkriminelle und andere Randgestalten, gegen die es unbedingt „strenger“, „härter“ und „schärfer“ durchzugreifen gilt.
Offen ist derzeit nicht mehr, ob, sondern nur noch, wie stark die Union sich in naher Zukunft nach rechts verschieben wird: maßvoll und noch in der Tradition Merkels mit Kramp-Karrenbauer – oder etwas deutlicher mit Spahn. Alexander Dobrindt (CSU), Christian Lindner (FDP) und Jens Spahn – so liest man – treffen sich des Öfteren in trauter Rund beim Grunewalder Nobel-Italiener „Capriccio“, offenbar um eine gemeinsame Strategie zur Übernahme der Macht (ohne Grüne und SPD) zu besprechen. Wieder ist Spahn auf rätselhafte Weise zur rechten Zeit am rechten Ort, um den kommenden Rechtsruck zugleich vorzubereiten und an exponierter Stelle zu verkörpern. Randbemerkung: Gabriele Lösekrug-Möller und die anderen 38 Staatssekretäre bleiben dabei wieder außen vor.
Deutschland sucht den Super-Rechtsausleger
Wie schon gesagt, sollte man innerneoliberale Unterschiede auch nicht übermäßig dramatisieren. Alle KandidatInnen blinken derzeit rechts. Spahn natürlich vorne weg mit schlichten, dafür einprägsamen Parolen, die er in allen Talkshows wiederkäut: Ausländer führten die Kriminalitätsstatistik an; die Burka gehöre nicht zu Deutschland; man solle sich an Hauptbahnhöfen wieder sicher fühlen können; Hartz IV habe mit Armut gar nichts zu tun; die Politik müsse dem Bürger signalisieren, sie habe verstanden, dass eine Gesellschaft durch Zuwanderung nicht beliebig belastbar sei. Alles Statements mit Signalwirkung für die Zielgruppe – jene 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung, die der Union derzeit zu entgleiten drohen.
Auch Annegret Kramp-Karrenbauer, deren Handicap darin besteht, als „Merkel 2“ wahrgenommen zu werden, versucht sich derzeit vorsichtig von ihrer Mentorin abzusetzen – nach rechts. „Jemand, der seine Identität verschleiert oder Papiere vernichtet hat, muss mit harten Konsequenzen rechnen“, sagte sie z.B. über jugendliche, unbegleitete Flüchtlinge. Auch der „Schutz von Polizisten“ (nicht: vor Polizisten) liegt der neuen Generalsekretärin am Herzen.
Und Julia Klöckner – nach außen hin zur Zeit vielleicht das freundlichste Gesicht der CDU – gibt sich in der Sache knallhart. Sie fordert ein Burka-Verbot und eine Integrationspflicht für Flüchtlinge sowie verpflichtende Sprachkurse. Sie ist gegen die volle rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen und entwarf 2016 einen „Plan A2“ zur Begrenzung der Flüchtlingszahl.
Mit Distanzierung von Merkel hat diese rechte Wanderbewegung jedoch wenig zu tun. Wie viele gelesen haben werden, sagte die Kanzlerin beim CDU-Parteitag am 27. Februar: „Null Toleranz ist unser Motto.“ Und sie fügte hinzu: „Sicherheit ist nicht verhandelbar“. Was meint sie damit? Ist Sicherheit, das „Super-Grundrecht“, heute so unauflöslich mit deutscher Staatsräson verknüpft, dass sie es nicht einmal nötig hat, in Verhandlungen mit anderen wichtigen Werten unseres Gemeinwesens zu treten – mit Würde und Freiheit zum Beispiel? Will Merkel damit sagen, dass das klassische Spannungsfeld zwischen Belangen der Sicherheit und der Freiheit gänzlich aufgelöst werden soll durch eine totale Dominanz der Sicherheit? Zwei sehr gefährliche Äußerungen der gern als „blass“ und „gemäßigt“ verharmlosten deutschen Dauerkanzlerin.
„Schwarzbraun bin auch ich…“
Hatte Franz Josef Strauß nicht die Parole ausgegeben, rechts von der Union dürfe es keine politische Partei von Gewicht geben? Klingt plausibel, geht aber beim derzeitigen politischen Zuschnitt der Bevölkerung nur, indem man auch Rechtsradikale, Xenophobe und Rassisten umarmt. Man gibt vor, sich jenem rechten Zeitgeist anpassen zu „müssen“, den man selbst fleißig zu erzeugen half. Alle genannten PolitikerInnen signalisieren mit ihren wohl kalkulierten Statements: „Habt keine Angst, dass Ihr es mit Gutmensch-Softies zu tun habt. Wir sind ganz harte Kerle oder Kerlinnen, die gegen kriminelle Ausländer und das ganze Geschmeiß auch mal hart durchgreifen können.“
Eine rechtsoffene CDU – Alexander Dobrindt beschwört gern die „Konservative Revolution“ herauf – schielt merklich auf österreichische Verhältnisse. Sie möchte sein, was früher die FDP – nur mit kleinerer Stimmenzahl – gewesen ist: Scharnier der Politik und Zünglein an der Waage. Es wird der Tag kommen, an dem die „Stagnation“ endloser Großer Koalitionen aufgebrochen werden wird durch den frischen Wind des Neuen: Schwarz-Braun oder, wie es dann heißen wird, Schwarz-Blau. Eine Regierung Spahn/ Lindner/ Dobrindt/ Weidel vielleicht, die mangels nennenswerter Opposition frei schalten und walten kann und das Land umformt zu einem Abdruck ihrer eigenen „schwarzen“ Seelenbeschaffenheit. Dann gute Nacht!