Demokratie oder Untergang

Die Strukturen der Partizipation in unserem Gemeinwesen müssen so umgestaltet werden, dass der Kern des Menschlichen gewahrt werden kann. Teil 2 von 4.

„Demokratie oder Untergang!“ Diese Überschrift übertreibt apokalyptische Ängste? Vielleicht. Wir können nicht in die Zukunft schauen, aber vieles spricht dafür, dass eine Weiterentwicklung der Menschheit — und das geht allein mit Überwindung von Krieg — nur möglich ist, wenn wirkliche Demokratie weltweit realisiert wird. Es sind jene Menschen, die in ihrem Kern nicht mit den Bereicherungs- und/oder Herrschaftseliten verbunden sind, also die bei Weitem größten Teile der Bevölkerung, die den originären Schatz der Menschlichkeit (1), auch wenn vieles verschüttet ist, nach wie vor aufbewahren. Diese Menschen müssen ihre wirklichen Interessen in echten demokratischen Verhältnissen zum Ausdruck bringen können. Verschiedene Formen der Demokratie müssen mit normativen Regeln, Gesetzen und Kontrolle bewerkstelligen, dass sich der Kern des Menschlichen geschützt im politischen Handeln entfalten kann. Rätedemokratie, Repräsentationsdemokratie, direkte Demokratie und „demokratischer Zentralismus“ reichen alle nicht, um grundlegend die die Menschlichkeit fundamental bedrohenden Bereicherungs- und Herrschaftsansprüche zurückzuweisen und zu unterbinden. In zwei sehr lesenswerten Artikeln zum Thema Demokratie und Rätedemokratie haben Roland Rottenfußer („Selbstbestimmung statt Stimmabgabe“, (2)) und Heinrich Leitner („Die unvollendete Demokratie“, (3)) Beiträge verfasst, durch die ich bei meinem Nachdenken über Demokratie dazugelernt habe. Die Frage der Demokratie nehme ich letztlich als die Kernfrage für die Zukunft der Menschheit wahr. Ein Beitrag zur Debatte.

In Teil 1 dieses Artikels beleuchtete ich zuletzt an einem Beispiel der revolutionären Situation in Russland vor der Oktoberrevolution 2017 die Kraft von Räten, die sich aus der Bevölkerung selbst bilden und ein ursprünglich demokratisches Element darstellen. Ich führte danach aus, dass die Macht der Räte in der Realität der weiteren Entwicklung an die kommunistische Partei abgegeben werden musste. Hier nun, im zweiten von vier Teilen des Artikels geht es um die unvermeidlichen inneren Widersprüche des Demokratie-Konzepts.

Die Aporie (24) von Demokratie und Diktatur

Rosa Luxemburg („Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ (25)) kritisierte schon 1918/19 an der Rolle der Bolschewiki, in der kommunistischen Erhebung gegen die Zarendiktatur, dass, wenn wiederum diktatorische Maßnahmen ergriffen werden mussten, dies nur in einer neuen „Art der Verwendung der Demokratie und nicht in ihrer Abschaffung“ zur Anwendung hätte kommen dürfen (26).

So kam es leider nicht. In einem Überlebenskampf gegen die Konterrevolution — die von vielen westlichen Mächten unterstützt und betrieben wurde — ging es bald nicht mehr um Rätedemokratie, sondern um eine andere Form von Herrschaft im Namen einer ideologischen „Gewissheit“ und einer Partei, die bald ohne demokratische Willensbildung nur mehr diktatorisch behauptete, den Volkswillen zu verwirklichen.

Wenn hier von Rosa Luxemburg diktatorische Vollmachten mit einer Anwendung von Demokratie in Bezug gebracht werden, sollten wir in unserem spontanen Erschaudern über die Ungeheuerlichkeit, Demokratie und Diktatur in einen Zusammenhang zu bringen, kurz innehalten. Vielleicht — nein, ganz sicher — sollten wir andere Begriffe verwenden, aber wir kommen in der Sache nicht darum herum, anzuerkennen, dass jede echte Demokratie auch eine „diktatorische“ Seite hat.

Das mag sich wie ein absurdes Paradox anhören und ist es wohl auch, eine Aporie (24) eben, und es mag der Grund sein, weshalb die frühen Arbeiter-Revolutionäre vom langfristigen Zielbild des „Absterbens des Staates“ (27) sprachen. Damit war das Erreichen eines zukünftigen Zustandes uneingeschränkter, demokratischer Vernunft und Freiheit imaginiert. Aber für die Übergangsphase, so formulierten Karl Marx und Friedrich Engels, müsse es eine „Diktatur des Proletariats“ geben, um den alten Ausbeutern und Unterdrückern die Wiedererlangung der Herrschaft zu verunmöglichen (28).

Zweifelsohne ist der Begriff „Diktatur des Proletariats“ nicht nur ein Missgriff semantischer Art, denn zugleich werden die Kräfte wirklicher Demokratie gering geschätzt und durch ein „wissenschaftliches“ Programm zur Erreichung des Endziels mittels einer Kaderpartei ersetzt. Umso bemerkenswerter die Kritik von Rosa Luxemburg!

Zutreffend ist es aber sehr wohl, davon zu sprechen, dass es gerade auch in einer Demokratie — welcher Art auch immer — strikte Regeln gibt. Eine Demokratie, die dem gesellschaftlichen Ganzen, also sich selbst, keine Regeln (Gesetze) vorschreiben darf, ist keine Demokratie, weil dann das gesellschaftliche Ganze gar nicht, also auch nicht im Sinne der Bevölkerung, organisiert wird. Die Folge ist nicht Freiheit, sondern es ist ein Wuchern des Recht des Stärkeren, es sind überall dort „failed states“, wo Menschen in konzentrierter Form zusammenleben. Selbst in der sonstigen, durch die Evolution gewachsenen Natur ist es so. Friedliche Tiere beginnen sich unter Umständen untereinander zu zerfleischen, wenn sichernde Regeln und Möglichkeiten der Biosphäre nicht mehr gegeben sind — etwa in völlig unnatürlicher Gefangenschaft (29). Auch das „Tier“ Mensch muss sich eine „artgerechte“ Haltung geben, was eben infolge der ständigen Eingriffe des Menschen in die Natur und in sein inneres menschliches Zusammenleben bedeutet, sich selbst Regeln aufzuerlegen, wenn eine größere Zahl von Menschen friedlich und im positiven Miteinander arbeiten und leben wollen.

Man kommt nicht darum herum, anzuerkennen, dass Freiheit auch in der Hegel'schen „Einsicht in die Notwendigkeit“ (30) besteht. Auch ein einzelner Mensch oder eine Gruppe, die frei und unbekümmert in der Natur lebt, unterwerfen sich freiwillig ständig den Regeln der Biosphäre. Tut der Mensch das nicht, wird er nicht frei leben können. Wer zum Beispiel, um nur ein ganz triviales Beispiel zu nehmen, versucht, aus der Vielfalt der Natur Dinge zu essen, die ihm nicht bekommen, der wird weder ein gutes noch ein freies Leben führen können. Ein freies und gutes Leben gibt es nur im Einklang mit der Biosphäre.

Eine freie Gesellschaft gibt es nur im Einklang mit Regeln, die ein gutes menschliches Dasein ermöglichen. Wenn das durch eine Demokratie nicht hergestellt wird und stattdessen partikulären Bereicherungsinteressen zur Dominanz verholfen wird, die sich durchsetzen, indem andere die notwendige Arbeit zur Herbeischaffung dieses Reichtums erbringen, so kann keinesfalls von wirklicher Demokratie und einem guten Leben die Rede sein.

Tatsächlich gibt sich auch jede Art der Demokratie die notwendigen, strikten Regeln. Die Frage ist nicht, ob es Regeln gibt, sondern welche Regeln es sind, und natürlich vor allem, ob sich wirklich der Souverän, das Volk (31) selbst, die Regeln gegeben hat! Wurden jedoch die Gesetze erst einmal demokratisch geschaffen, so wird zu Recht darauf bestanden, dass diese Gesetze wirklich gelten und eingehalten werden. Wir nennen das Wirken dieser Gesetze nicht diktatorisch, aber was ist es sonst, wenn Menschen von Gerichten abgeurteilt werden und sogar ins Gefängnis kommen können, falls sie sich Regeln nicht beugen?

Ich war erstaunt zu lesen, dass Immanuel Kant in seiner Schrift „Zum Ewigen Frieden“ (1795) sogar formulierte: „Unter den drei Staatsformen (Autokratie, Aristokratie, Demokratie) ist die der Demokratie, im eigentlichen Verstande des Worts, notwendig ein Despotism“ (32).

Echte Demokratie zwischen diktatorischem Demokratieverständnis und faschistoider Bereitschaft

Die Aporie, dass Demokratie und Diktatur einander ausschließen sollten, zugleich jedoch Demokratie strikte, „diktatorische“ Maßnahmen erfordert, kann von keiner Seite aufgehoben werden, außer es bildet sich langfristig tatsächlich ein so paradiesisches Gleichgewicht von Freiheit und Regeln, das im Einklang von Menschlichkeit und Völkerverbindung steht, wodurch dann die Aporie in der Praxis wirklich „einschlummern“ könnte.

Das konträr Gegenteilige dazu ist es, wenn die Herrschenden die Widersprüche im System der Bereicherungsökonomie mit zunehmend faschistoiden (33) Mittel zu „meistern“ versuchen. Staatsterrorismus (34) ist dabei in der „Demokratie“ keineswegs eine unbekannte Größe. Stürmende Polizeitruppen zur Aufspürung des Wortgebrauchs „Schwachkopf“ oder Julian Assanges Folterarrest sind nur zwei Beispiele. Die diktatorische Seite der Demokratie oder von dem, was für Demokratie gehalten werden soll, ist offensichtlich tief in „demokratisches“ Unterbewusstsein eingeschrieben und kann dabei, wie sich zeigt, recht leicht in einem staatsterroristischen Konzept auf den Kopf gestellt werden und den Dünger für faschistoide Entwicklungen liefern.

Ein Beispiel, wie spielend leicht im Selbstverständnis von heutiger Demokratie diktatorische Maßnahmen Anerkennung finden, zeigte sich in jener zutiefst erschreckenden Farce, als Menschen, die fest überzeugt waren, dass sie in der besten aller Demokratie-Welten lebten, ohne mit der Wimper zu zucken bereit waren, die totalitärsten Regeln gutzuheißen, als sie sträflich leichtfertig der Erzählung glaubten und folgten, dass eine vernichtende Pandemie sie bedrohe.

In diesem Fall waren die diktatorischen Maßnahmen alles andere als das begründete Ergebnis von Demokratie, ganz offensichtlich nicht. Dies aber vor allem deshalb nicht, weil schon die Prämisse der „Pandemie“ konstruiert war und gezielt genutzt wurde, um den Bevölkerungen nach Belieben und zum eigenen Vorteil diktatorische Maßnahmen aufzwingen zu können.

Tatsächliche handelte es sich um ungeschminkte Diktatur, die mit allen ihren Konsequenzen darüber hinaus, ohne Zweifel in großem Maße, weltweit Menschenleben forderte. Jeder konnte das sehen oder hätte es zumindest sehen können. Mit großer Wahrscheinlichkeit waren es Millionen von Menschen in der ganzen Welt, die letztlich durch die Handlungen von direkten oder mittelbaren Betreibern und Verantwortlichen vorzeitig zu Tode gebracht wurden (35)! Dies geschah aufgeheizt und vermittelt durch hysterische Maßnahmen oder „unbemerkt“ und kaschiert mit scheinwissenschaftlichen „Tests“, mit hässlicher Wortgewalt, mit staatlichem Zwang, mit medizinischen Fehlbehandlungen und mit „Impfungen“ — und stellt ein gewaltiges Menschheitsverbrechen dar. Wie wir es aus der Geschichte kennen, war es paradoxerweise wieder einmal öffentlich „unbemerkt“, aber im Grunde doch für alle sichtbar. Allerdings schien das Zusammengehören von Demokratie und Diktatur den sich unterwerfenden Menschen so selbstverständlich, dass es ihnen gar nicht auffiel, dass die Demokratie im Handstreich faschistoide Züge annahm.

Dabei hätte der Widerspruch zwischen Demokratie und Diktatur in der „Coronazeit“ kaum schreiender sein können. Die hochgepeitschte Angst entfernte jedoch anstandslos jeden Funken von Demokratieverständnis aus dem Denken vieler Gläubiger.

Es gab sie aber, diejenigen, die durchschauten, dass die Ausrufung der Pandemie in erster Linie ein inszenierter Akt auf der Weltbühne war, um Pharmakonzerne, Milliardäre und machtgeile Politiker wie auch Militärs einerseits in einen Bereicherungs- und andererseits einen Herrschaftstriumpf zu katapultieren. Diesen Menschen wurde schnell klar, dass die Maßnahmenklaviatur einiger Milliardäre und Staatsakteure dem Faschismus viel ähnlicher war als freien demokratischen Entscheidungen nach der Erkenntnis und dem Willen des Souveräns.

Diese Demokratur wurde in typischer „Haltet den Dieb“-Manier weitergetrieben, sodass sich heute viele heroisch als Antifaschisten und „Kämpfer gegen rechts“ darstellen, die eine lange Kette von Verbrechen gegen die Menschlichkeit offen oder stillschweigend gutheißen, wie zum Beispiel „demokratische“ Kriege in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien., Völkermord in Palästina, die eben erwähnten „Corona“-Verbrechen, die Vorbereitung und Provokation des Krieges in der Ukraine und vieles andere mehr. Das heißt nicht, dass die „anderen“ nicht auch einen Weg einschlagen können, der einer allgemeinen faschistoiden Tendenz entspricht. Die Tendenz ergibt sich aus den ungelösten inneren Widersprüchen, nicht so sehr alleine aus den handelnden Gruppierungen. Aber jedenfalls ist nichts verkehrter und demokratieferner, als die babylonische Sprachverwirrung, die mehr oder weniger bewusst herbeigeführt wird, zu benutzen oder ihr zu folgen, um die bestehenden Herrschafts- und Bereicherungsverhältnisse zu rechtfertigen.

Freiheitsrechte außer Streit stellen, nicht jedoch eine „Bereicherungsfreiheit“

Wenn wir anerkennen, dass Demokratie nur im aporetischen Zwillingsdasein mit strikten Regeln vorstellbar ist, müssen wir zugleich ohne Zweifel einen Grundkonsens herstellen, welche Freiheitsrechte nicht angetastet werden dürfen. Dazu zählen nach den Ergebnissen von Kämpfen, die durch die Jahrhunderte gegen Herrschaftskasten geführt wurden, vor allem die folgenden: Rede- und Pressefreiheit — heute auch wirklich freie Kommunikation im Internet, was demokratische Kontrolle der Gestaltung der Algorithmen bedeuten würde —, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Freiheit der Wissenschaft, Religionsfreiheit, Reisefreiheit; Gleichheit vor dem Gesetz, Gewerbefreiheit, Schutz des Eigentums, Schutz des Rechtes auf Bildungszugang, Schutz des Rechts auf Wohnen und Arbeit, Schutz von Kinderrechten.

Nicht kann es jedoch eine „Bereicherungsfreiheit“ oder eine „Ausbeutungsfreiheit“ und Ähnliches geben. Das vorgeschobene Argument, es würde eine Win-Win-Situation ergeben, wenn einige ökonomische Führer reich werden, weil dann die anderen auch etwas davon hätten, stellt das Versprühen einer geistigen Giftbrühe im Interesse einer Bereicherungsoligarchie dar.

Am Rande sei hier eine Bemerkung zum aktuellen Geschehen eingeflochten: Wenn heute ein Ex-Präsident Joe Biden und wie auf Kommando auch andere westliche Politiker plötzlich vor einer Reichtumsoligarchie warnen, die die Demokratie aushebelt, so ist diese Warnung aus den Mündern jener, die schon die ganze Zeit selbst das Kernelement dieser Aushebelung formaler Demokratie durch Bereicherungseliten sind, an Verlogenheit kaum zu überbieten. Was wir sehen, ist nur das Schauspiel, wie sich die Eliten untereinander übervorteilen und verraten (36). Die Bevölkerung, wenn sie klug ist, wird durch dieses Schauspiel einmal mehr zu einer größeren Erkenntnis der Wahrheit gebracht.

Eine Win-Win-Situation kann es geben, wenn freier Austausch und vor allem positive menschliche Zusammenarbeit in vernünftigem Maße den gemeinsamen gesellschaftlichen Reichtum steigern. Aber eine ungerechte innere Verteilung ist niemals eine Win-Win-Situation, sondern ganz im Gegenteil das Ergebnis eines Nullsummenspiels, das jede Gesellschaft zerreißt (37). Es kann und darf kein Bereicherungsrecht geben, ein Recht auf die Erlangung von Reichtum kann es demokratisch nicht geben. Die Menschen sind zwar nicht alle gleich, und sie müssen auch nicht alle das Gleiche an Vermögen und auch nicht an Einkommen haben, aber ihre Leben und ihr Lebensglück müssen auf jeden Fall gleich viel zählen bezüglich der Rahmenbedingungen, die ihnen eine wirklich demokratische Gesellschaft gibt!

Das Dilemma der Machtkonzentration

Zurück zu den Ansätzen, wenigstens eine formale Demokratie durchzusetzen: Die Bedeutung historischer Kämpfe um Demokratie ist völlig unbestreitbar und gehört zweifelsohne auf die Erfolgsseite der Zivilisationsgeschichte. Ob jedoch repräsentative Demokratie oder Rätedemokratie oder auch „demokratischer Zentralismus“, wie die sozialistische Idee ihre Art der Demokratie nannte und in China auch noch nennt, oder ob das eine oder das andere verbunden wird mit Elementen einer direkten Demokratie: Immer bleibt das Problem, dass die Luft oben dünner, der Ausblick weiter und die Chance, Fäden der Macht zu ziehen, größer werden.

Solange die politische Selbstorganisation des Menschseins in der Gesellschaft sich in lokalen Räten formiert, um den Willen einer mehr oder weniger einheitlichen Gemeinschaft zu lokalen Fragen zu formulieren und umzusetzen, sind die Wirkmechanismen überschaubar. Aber es ist illusorisch, sich die Gesellschaft nur zusammengesetzt aus solchen lokalen Einheiten vorzustellen.

Unweigerlich gibt es Fragen und Entscheidungen, die über das Lokale hinausgehen, und ja, es gibt auch unweigerlich Fragen, die über den nationalen Rahmen hinausgehen. Je breiter die Ebene ist, durch die und für die Fragen entschieden und umgesetzt werden sollen, desto weniger Entscheidungsausführende gibt es dann, die dementsprechend auch mehr formale Macht erlangen.

Auch wenn die Räte einer Räterepublik an die „oberen“ Räte den Auftrag erteilen, nur auszuführen, was von der lokalen Bevölkerung vorgegeben wurde, kommt es doch unvermeidlich zu einer Verdünnung der lokalen demokratischen Machtwirkung und zu einer Konzentration von Macht in den „höheren“ Räten. Ansätze einer Konsent- und „Nicht-Mehrheitsabstimmungs“-Demokratie, wie sie zum Beispiel die soziokratische Demokratie-Praxis (38) sehr interessant vorschlägt, werden ebenfalls kaum ganz um diese Problematik herumkommen.

Es ist schwer vorzustellen, dass die mit einem gebundenen Mandat beauftragten Abgesandten der lokalen Räte sich bloß verhalten wie „bezahlte Agenten der Wählerschaft“ (39), formulierte Hannah Arendt, die von einem Dilemma spricht. Haben Volksvertreter hingegen ein freies, ungebundenes Mandat, so kann es sich selbst im besten Fall ergeben, dass die beauftragten Abgesandten in den Debatten, die „weiter oben“ im „auserwählten“ Kreis stattfinden, neue Argumente und Überzeugungen dazulernen, die ihren ursprünglichen Auftrag relativieren, was sie sogar zu Recht dazu bringen könnte, gegen den ursprünglichen Auftrag zu entscheiden, selbst wenn sie sich dem Geist des ursprünglichen Auftrages verpflichtet fühlen und ihm folgen wollen.

Im schlechtesten Fall jedoch — und dahin tendiert jede rein repräsentative Demokratie, wenn dahinter uneingebundene Machtinteressen gestattet werden — werden die repräsentierenden Mandatare völlig abgekoppelt tun, was immer sie wollen, und dabei, wenn es „nötig“ erscheint, die Bevölkerung hinters Licht führen, um zugleich im Verborgenen die Diener ganz anderer Herren zu sein.

Roland Rottenfußer hebt völlig zu Recht hervor: „Moderne Demokraturen funktionieren nach dem Motto ‚Ich nehme deine Stimme und mache dann damit, was ich will‘ (…)“, wobei „das ‚Gewissen‘ (…) ein sehr wolkiges und manipulierbares Gebilde ist, das (…) häufig im Sinne der Mächtigen votiert“ (2).

Parteiendemokratie und Fraktionszwang repräsentieren nicht den Souverän

Während Abgeordnete mit den Stimmen, die sie sich bei der Wahl abholten, heute also letztlich mehr oder weniger tun können, was sie wollen, kommt noch hinzu, dass sie sich üblicherweise einem Fraktionszwang unterwerfen, sodass sie ihren „freie Willen“ gleich wieder abgeben, sobald sie mit einem Mandat betraut sind, dem sie nach „freiem Wissen und Gewissen“ dienen sollen. So ist man jedenfalls meilenweit von echter Demokratie entfernt.

Eine Parteiendemokratie, in der angeblich der Volkswille durch angeblich konkurrierende Parteien repräsentiert werden soll, ist schon in der Grundkonzeption und der Intention nicht dem Gedanken entnommen, dass der Souverän selbst die Regeln und Gesetze erstellen sollte, die dann für alle gelten.

Aus den Parteien, die ursprünglich vor allem die Interessen auf Grundlage verschiedener ökonomischer Bedürfnisse von Bauern, Unternehmern, Arbeitern et cetera im Sinne eines Interessensausgleichs gegenüberstellen sollten, wurden bald Sammelbecken ideologisch ausgerichteter Schein-Wesentlichkeiten, die aber alle vereint waren, und sind in ihrem Kotau vor den Interessen der ökonomisch bestimmenden Schicht der Reichen und Superreichen. Hinter allem ideologischen Blabla bilden die Parteien, weil sie den Kern, um den es geht, kaum ansprechen, in Wahrheit Instrumente zur Durchsetzung fremder Interessen von Bereicherungsgewinnern. Wenn die Menschen sich in Teilfragen, die sie unmittelbar betreffen oder die sie für wichtig erachten, auf die Hinterbeine stellen und sich in Organisationen, die bestimmte aufklärerische und politische Ziele verfolgen, zusammenschließen, so kann das natürlich ein Element echter Demokratie sein. Die Sache verliert sich aber im Einflussbereich von Milliardärsoligarchien oder der staatlichen Parteiendemokratie, sobald diese „Nichtregierungsorganisationen“ oder die „Farbrevolutionäre“ in den Einflussbereich ebendieser Machtapparate kommen und so hinter Spiegelgefechten zu Dienern falscher Herren werden.

Genauer betrachtet war das formale Parteien- und Repräsentationsdemokratie-Modell wohl schon immer weitgehend so gedacht, dass die Herrschaftsinteressen einer Reichtumsoligarchie nicht infrage gestellt werden sollten. Darauf weist Rainer Mausfeld im Zusammenhang mit der Entstehung der amerikanischen Verfassung hin:

„Bei der Erfindung der ‚repräsentativen Demokratie‘ durch die Väter der amerikanischen Verfassung (…) handelte es sich um einen gezielten Wortbetrug. Das lässt sich an der Intention seiner Erfinder leicht erkennen. Denn die Schöpfer der amerikanischen Verfassung waren ganz ausdrücklich antidemokratisch ausgerichtet. Sie waren explizit davon geleitet, eine egalitäre Demokratie im ursprünglichen Sinne zu verhindern und eine kapitalistische Eliten-Wahl-Oligarchie zu errichten“ (40).

Dabei wird der demokratisch anmutende Gedanke der repräsentativen Demokratie, dass Abgeordnete im Auftrag und zum Wohl aller, aber nach freiem Wissen und Gewissen Gesetze entwerfen und darüber abstimmen, in eine weitgehend durch Fraktionszwang bestimmte Abstimmungsmaschinerie über Gesetze pervertiert. Die Gesetzesentwürfe werden dabei nicht selten von der Industrie, den Banken, den Finanzkonzernen selbst geschrieben oder zumindest entscheidend beeinflusst, durch eine Vielzahl von Lobbygruppen und auch von militärischen Apparaten und Geheimdiensten. Die großen Medien, wiederum von der Reichtumspyramide abhängig, schmieren den ganzen Vorgang mit „Meldungen“ und „Argumenten“. Im Endeffekt kungeln Parteispitzen mit den ökomischen, de facto herrschenden Machtspitzen alles aus. So kommt es, dass Bereicherungsoligarchien herrschen, obwohl das Volk seine Stimme in einem anderen Sinne abgegeben hat.

Auch Philip Manow (41) betont, dass es die ursprüngliche Konzeption der repräsentativen Demokratie war, die eigentliche Bevölkerung letztlich von der Macht fernzuhalten. Ulrike Guérot fasst es so zusammen:

„Im Grunde beschreibt Philip Manow ganz süffisant, also ein bisschen spielerisch, wie die parlamentarische Demokratie eigentlich ein System ist, das erschaffen wurde, um dem Volk als abstrakter Größe Rechenschaft zu tragen, aber das Volk als reales Volk, also als Straße, als Masse, als Pöbel oder als Plebs, im Grunde außen vor zu halten. Ja, und er führt eine Menge von Zitaten an, (…) über die USA, also 1776 Amerikanische Revolution und dann Französische Revolution (…), dass das damals auch durchaus so gesagt wurde, also dass diejenigen, die die parlamentarische Demokratie tatsächlich erfunden haben, tatsächlich davon ausgegangen sind, dass man ein System finden muss, in dem die Plebs nur vertreten wird, also repräsentiert wird, aber bloß nicht selber sich der Geschäfte, der Gesetzgebung ermächtigt. Weil ja sichergestellt werden müsse, dass die Besseren die Schlechteren vertreten. Ja, also im Grunde ist die parlamentarische Demokratie oder die repräsentative Demokratie ein Kunstgriff, um die Massen aus der Entscheidungsfindung herauszuhalten, weil man sie ‚vertritt‘“ (42).

Eine große Studie in den USA, die über 10 Jahre lief und 1.779 Fällen von Politikgestaltung auswertete, kam 2014 zu dieser Schlussfolgerung:

„Die Daten zeigen, dass der Normalbürger wenig oder keinen eigenständigen Einfluss auf die Politik haben. (…) In den USA regiert nicht die Mehrheit – zumindest nicht im kausalen Sinn, dass sie tatsächlich Politikresultate bestimmt“ (43).

Rätedemokratie, direkte Demokratie, Transparenz und öffentliche Kontrolle, Abwahlmöglichkeit

Roland Rottenfußer unterstreicht den grundlegender demokratischen Charakter der Rätedemokratie und die positiv bindende Seite des imperativen Mandats:

„Bestimmte Gruppen von Menschen entsenden gewählte Räte in ein Gremium, das einer höheren Organisationseinheit angehört. Wichtig dabei ist das ‚imperative Mandat‘. Das bedeutet: Räte tragen im Rat nicht ihre eigene Meinung vor; sie halten sich getreulich an die Auffassung derer, von denen sie gewählt wurden. Und sie stimmen auch in deren Sinne ab“ (2).

Gewiss ist das eine Möglichkeit, aber nichtsdestotrotz wird man um die Anerkennung des Dilemmas der Machtkonzentration nicht ganz herumkommen. Freies oder gebundenes Mandat — in einer lebendigen Demokratie werden verschiedene Lösungen zum Einsatz kommen.

Nicht nur weil man über repräsentative Elemente nicht hinwegkommen wird, ist jedenfalls eine Praxis von Abwahlrechten von Bedeutung. Öffentlich zugängliche Kontrollmechanismen über die korrekte Ausführung des Mandats vermögen das Dilemma, dass die Luft bei den letzten Entscheidungsträgern dünn ist, einzuhegen, ohne es dabei allerdings völlig aufheben zu können. „Checks and balances“, Gewaltenteilung, Gewaltenverschränkung, wie es sie in den formalen Demokratien gibt, sind zweifelsohne von Bedeutung, aber sie können Kontrolle von unten nicht ersetzen.

Öffentliche Kontrolle muss verbunden sein mit der Verpflichtung zu maximaler Transparenz. Diese muss selbstverständliches Fundament einer Demokratie sein. Das Verstecken hinter Staatsgeheimnissen, Schwärzungen, Betriebsgeheimnissen, „schützenden“ Sicherheitsüberwachungen und so weiter und so fort ist in der Regel ein Hinweis auf Absprachen von Mächtigen gegen den demokratischen Souverän, also auf staatliche Verschwörung und nicht auf Demokratie.

Die EU-Kommissionspräsidentin weigert sich, milliardenschwere SMS-Vertragsabschlüsse öffentlich zu machen. Die Verträge selbst werden ebenso als geheim behandelt, Menschen sollen sich Gen-Stoffe als Impfung spritzen lassen, von denen nicht einmal die Prüfbehörden alle Informationen erhalten, weil sie „Betriebsgeheimnisse“ darstellen (44)! Die Nichtöffentlichkeit des Handelns von staatlichen und privaten Machtbefugten ist längst vielfach „selbstverständlich“ geworden. Es liegt völlig auf der Hand, dass dies mit Demokratie nichts zu tun hat.

Das ging und geht so weit, dass eine Entscheidung, die eindeutig nur auf der Basis ausreichender Informiertheit getroffen werden kann, nämlich ob man sich impfen lassen will oder nicht, auch gänzlich ohne die Gewährleistung der Transparenz über die Stoffe, die man höchstpersönlich in sein Blut bekommen soll, staatlich erzwungen wurde und auch noch wird (45). Warum wohl haben Ärzte, die aus den Verbrechen des Nationalsozialismus gelernt hatten, den Nürnberger Kodex (46) formuliert? Und warum scheint dieser von „aufrechten Demokraten“ vergessen, wenn es um Impfpflicht geht?

Kontrolle? Wir wollen doch Freiheit!

Es ist ein erheblicher Unterschied, ob Kontrolle durch den Staat oder durch den Souverän erfolgt.

Im Fall der Kontrolle von unten nach oben ist Kontrolle eben keine Bespitzelung der Bürger, sondern dient der Umsetzung des höchst legitimen Anspruchs echter Demokratie zum Schutz von Freiheitsrechten! Hier muss es selbstverständlich sein, dass sich dieser Kontrolle all jene zu beugen haben, die im öffentlichen Interesse mit zeitweiliger Machtbefugnis ausgestattet sind.

Die attische Demokratie beispielsweise hatte schon vor rund 2.500 Jahren das Scherbengericht eingeführt, das Machtmissbrauch mit Verbannung bestrafen konnte: Bei diesen Scherbengerichten konnte „jedes Jahr jeder Bürger bei einer Volksversammlung eine Tonscherbe abgeben, auf der er den Namen des (gegebenenfalls) zu Verbannenden eingekratzt hatte. (…) Es stellte eine Form von Negativwahl dar, durch die die Athener zu machthungrige Aristokraten, von deren Handeln sie Schaden für die Stadt befürchteten, für zehn Jahre in die Verbannung schicken konnten“ (47).

Direkte Demokratie

Neben der Rätedemokratie wird von vielen heute die direkte Demokratie, wie sie beispielsweise in der Schweiz praktiziert wird, als Leitbild gesehen. Gewiss sind Elemente direkter Demokratie für echte Demokratie von großer Bedeutung. Schon Immanuel Kant meinte, dass beispielsweise über Krieg und Frieden nur der Souverän durch direkte Abstimmung entscheiden könne: „In (einer republikanischen) Verfassung kann es nicht anders sein“, als dass „die Zustimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen‚ ob Krieg sein solle oder nicht“ (48).

Und doch kann die direkte Abstimmung über alle Fragen nicht die Lösung der Demokratiefrage schlechthin sein. Auch zeigt sich gerade am Beispiel der Schweiz, die ein Musterland der finanzialisierten Bereicherungsökonomie ist, dass auch die direkte Demokratie von der Durchsetzung von Interessen geleitet werden kann, die nicht den Interessen der Bevölkerung entsprechen. Es ist die Schweizer Demokratie nebenbei gesagt ebenfalls eine repräsentative Parteiendemokratie, wie die anderen auch. Sie wird nur durch zweifelsohne sehr positive Elemente direkter Demokratie wie Referenden und Volksinitiativen ergänzt.

Dabei zeigt sich aber auch, wie die ökonomische Macht von Bereicherungseliten – und dazu gehört vor allem auch immer die Geldmacht – sich trotz direkter Demokratie ihren Weg zu bahnen vermag. Nicht unerheblich ist dabei, neben dem Einfluss auf die Hauptmedien, auch die Einflussnahme auf Formulierungen bei den Abstimmungen selbst. Wer den Kampf um die Köpfe mithilfe von Propaganda gewinnt, gewinnt auch direktdemokratische Abstimmungen, selbst wenn sie sich erkennbar gegen die Interessen der Bevölkerung stellen mögen.

Dieser Artikel wird in den Teilen 3 und 4 fortgesetzt.