Deine Daten gehören mir!
Über eine schleichende Enteignung.
„Daten sind die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts“, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel (1) wiederholt und Meglena Kuneva, ehemalige EU-Kommissarin für Verbraucherschutz, bezeichnete persönliche Daten als das neue Öl des Internets und die neue Währung der digitalen Welt.
Diese neue „Ölquelle“ hat gigantische Ausmaße. So haben Experten berechnet, dass die gesamte Menschheit von Beginn der Zeitrechnung bis zum Jahr 2003 fünf Milliarden Gigabyte an Daten erzeugt hat. Zehn Jahre später wird die gleiche Menge innerhalb von nur zehn Minuten produziert. Eine wissenschaftliche Schätzung geht davon aus, dass alle Daten, die allein im Jahr 2020, erstellt werden, auf DVDs kopiert einen Stapel ergeben, der 44-mal von der Erde zum Mond und zurück reichen würde.
Das klingt sehr vielversprechend und sollte jeden munteren Leser aufhorchen lassen, denn das Gros der des Treibstoffs für Big Data sind personengenerierte Daten, also Daten, die konkret durch einen Menschen entstehen. Und wenn dadurch sehr viele Menschen Eigentümer eines ungeahnten Reichtums sind, den sie täglich noch durch alltägliche Aktivitäten vermehren, sollte die Freude doch groß sein.
Aufteilung des Reichtums
Da sich der geneigte Leser jedoch wohl kaum bisher über seinen neuen Reichtum freuen konnte, ist offenbar irgendetwas anders gelaufen. Der Landesdatenschutzbeauftragte Joachim Wahlbrink betont, dass Daten dem Big Business dienen und dass „mit jeder Information, die irgendwie verwertet werden kann, gehandelt wird. (...) Egal ob das jeweilige Geschäft nun gesetzlich erlaubt ist oder nicht“ (3). Der Internetphilosoph Evgeny Morozow warnt:
„Fünf amerikanische Firmen (Chinas Baidu wäre der einzige nennenswerte nicht-amerikanische Konkurrent) haben jetzt schon einen Großteil der Daten auf dieser Welt geerntet und verarbeitet. So haben sie eine so weit fortgeschrittene KI-Leistungsfähigkeit geschaffen, dass sie sich damit die Kontrolle über eine entscheidende globale Infrastruktur gesichert haben. Das ist so, als ob die gesamte Landmasse des Planeten plötzlich fünf großen Banken oder Immobilienfirmen gehören würde und jeder Mensch eine Gebühr bezahlen müsste, wenn sein Fuß die Erde berührt.“
Heute weiß der Datenhändler Acxiom in den USA mehr über das Leben der US-Amerikaner als das FBI. Rund 1.500 Einzelangaben listet das Unternehmen pro US-Haushalt in seiner Datenbank auf. Weltweit verfügt Acxiom über 500 Millionen Konsumentenprofile, darunter 44 Millionen in Deutschland. Sein Umsatz beläuft sich auf eine Milliarde US-Dollar.
In Deutschland zählen Bertelsmann, Otto und die Deutsche Post zu den bekanntesten Datenhändlern. Aber auch ein Unternehmen wie Schober nennt eine Datenbank sein eigen, die 30 Millionen Privatadressen „mit jeweils über 300 Zusatzmerkmalen zu Konsumverhalten, Soziodemografie sowie Wohn- und Lebenssituation“ beherbergt.
Weltweit ist das Business mit Big Data einer der profitabelsten Wachstumsmärkte. Für Deutschland allein prognostiziert der Branchenverband BITKOM einen Umsatz von mehr als 13 Milliarden Euro.
Und das ist beileibe noch nicht alles. Ganze 460 Milliarden Euro an zusätzlicher Wirtschaftsleistung verspricht ein Bericht zweier Think Tanks, wenn nur sechs der führenden europäischen Wirtschaftsnationen ihre „digitale Dichte“ auf US-amerikanisches Niveau steigern könnten.
Datenschutz ist Schnee von gestern
Wo neu entdeckter Reichtum groß ist, sind es auch die Begehrlichkeiten.
Beim Abbau des neuen schwarzen Goldes darf natürlich dem Willen der Profiteure gemäß keine altmodischen staatlichen Hindernisse im Weg stehen. In den Worten eines Internetunternehmers: „Datenschutz ist einfach eine alte Idee. Die meisten Menschen verstehen noch nicht einmal, was das ist.“ Oder um es mit den Worten des ehemaligen Chefs des Computerkonzerns Sun, auf den Punkt zu bringen: „Sie haben keine Privatheit, finden Sie sich damit ab.“
Bei der entscheidenden Frage, wer bei den Daten, dem neuen Öl des 21. Jahrhunderts, der Profiteur ist, schlagen sich eine Reihe führender deutscher Politiker aktuell auf die Seite der Internetfirmen. „Meine Daten gehören mir“ lautete ein langjähriges Motto des Kampfes für den Schutz der Privatsphäre. Heute ist dieser Anspruch auf Selbstbestimmung Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein Dorn im Auge. Daher bewertete er sie als eine „zweifelhafte Grundannahme“. Sein CDU-Kollege Ole Schröder, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, pflichtete ihm bei und urteilte kategorisch: "Die Aussage: 'Meine Daten gehören mir' ist Unsinn".
Wir sind mit dabei
Die Bundeskanzlerin war noch vor einiger Zeit unsicher, wessen Eigentum beispielsweise die in vernetzten Autos erzeugten personenbezogenen Daten sind. Allerdings schwankte sie zwischen dem Software- oder dem Autohersteller. Ein Gedanke, dass eventuell der Fahrer Eigentümer der Daten sein könnte, die durch ihn erzeugt werden, kam ihr indes nicht.
Auf dem CDU-Parteitag ist die Bundeskanzlerin schon einen kleinen Schritt weiter. Gedanken an eine mögliche Datensparsamkeit, die auch mit der Idee eines möglichen Datenschutzes zusammenhingen, tauchen nicht mehr auf. „Datenreichtum“ ist das neue Zauberwort:
„Wer sich nicht daran beteiligt, die Vielzahl an Daten zu nutzen, sei es in der Medizin, sei es in der Zukunft der Mobilität, sei es in Angeboten der Plattform-Wirtschaft, der wird zurückfallen und nicht die Arbeitsplätze der Zukunft haben. Und deshalb müssen wir vorne mit dabei sein.“
Bei den eingangs angesprochenen potentiellen Milliardengewinnen, die der Big-Data-Branche winken, entscheidet sich die Politik offenbar in Windeseile gegen den Datenschutz und das Recht auf Dateneigentum.
Zeigt mir her, Eure Daten!
Auf dem CDU-Parteitag war daher eine entscheidende Forderung, dass die Wirtschaft künftig mehr Daten sammeln dürfe. Diese sollten selbstredend von Staat und Bürger zur Verfügung gestellt werden.
Die CDU erklärte: "Datensparsamkeit kann heute nicht mehr die generelle Verhaltensleitlinie sein. Denn sie reduziert Chancen für neue Produkte, Dienstleistungen und Fortschrittsmöglichkeiten" und Ziel sei es, „unser Land zum bürger- und unternehmerfreundlichen digitalen Deutschland weiterentwickeln".
Zustimmung zur eigenen Enteignung
Erstaunlich ist bei all dieser Entwicklung, dass ein Aufschrei der Menschen ausbleibt, die über ihre Köpfe hinweg gleichsam enteignet werden. Zum Teil dürfte dieses Phänomen dadurch zu erklären sein, dass der Diskurs über Daten und Datenschutz noch immer von der Haltung bestimmt wird: „Ich habe doch nichts zu verbergen“. Sogar der selbstentlarvende Ratschlag von Eric Schmidt, ehemaligem Chef von Google, ändert hieran kaum etwas: „Wenn Sie etwas tun, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, dann sollten Sie vielleicht gar nicht erst tun“.
Einen weiteren Grund für das einfache Spiel der Enteignung und des Desinteresses an Datenschutz beschreibt Internetpionier Jaron Larnier in seinem Buch „Wem gehört die Zukunft?: "Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt": „Damit der Mensch den Verlust der Freiheit widerspruchslos akzeptiert, muss man diesen Verlust anfangs wie ein Schnäppchen wirken lassen.“
Harald Welzer, Professor für Transformationsdesign, folgert daher zu Recht in seinem Buch „Die smarte Diktatur: Der Angriff auf unsere Freiheit“: „Ich fürchte, heute haben wir es mit einem neuen Phänomen zu tun; einer freiwilligen Kapitulation vor den Feinden der Freiheit.“
Die tragbare Stasi
Wie selten naiv die Haltung des "Ich-habe-doch-nichts-zu-verbergen" erscheint, läßt sich am Beispiel des Smartphones belegen. Scheinbar vermittelt es ein hohes Maß an möglicher Anonymität. 2013 analysierten Forscher aber anonymisierte Bewegungsdatensätze von 1,5 Millionen Menschen über einen Zeitraum von 15 Monaten, wie der ehemaligen Datenanalyst Markus Morgenroth in „Sie kennen dich! Sie haben dich! Die wahre Macht der Datensammler“ zitiert.
Die Datensätze bestanden nur aus den Angaben über Standort und Aufenthaltsort der benutzten Handys. Nur vier einzelne Zeit/Ort-Datenpunkte waren nötig, um 95 Prozent der Menschen zu identifizieren. Dies ist besonders problematisch, weil beispielsweise rund ein Drittel aller Applikationen für Apple-Geräte auf Positionsdaten der Nutzer zugreifen.
Das Smartphones, das wir fast rund um die Uhr bei uns tragen, entpuppt sich als eine freiwillige Unterwerfung unter die Fuchteln der Überwachung, oder, um mit den Worten von Harald Welzer zu sprechen,: „Sie sind die Laborratte, die die Daten liefert, mit deren Hilfe Sie manipuliert werden.“
Auflösung des Menschen
Eine fundamentale Kritik an der Behandlung der Frage nach dem Dateneigentum stammt von Yvonne Hofstetter. In „Sie wissen alles: Wie Big Data in unser Leben eindringt und warum wir um unsere Freiheit kämpfen müssen“ nimmt die Unternehmerin die Stellung des Menschen in der Welt von Big Data unter die Lupe: „Am Anfang aller Big-Data-Unternehmen stehen unsere persönlichen Daten – am Anfang aller persönlichen Daten steht der Mensch. Ohne unsere persönlichen Daten gibt es keine Big-Data-Unternehmen.“
Hofstetter unterstreicht: „Die besondere Ungerechtigkeit: Die Profite der Big-Data-Unternehmen beruhen auf der Verfügungsgewalt und Verwertung persönlicher Daten, ihre Profite sind die Frucht der Datenweitergabe durch die Subjekte persönlicher Daten. Die persönlichen Daten tragen das Zeichen ihrer Subjekte, denen dennoch nichts vom Ertrag ihrer persönlichen Daten zukommt. Weitaus schlimmer: Durch die Weitergabe persönlicher Daten kann ihr Subjekt sogar in eine künftige Bedrohungslage geraten.“
Daraus folgert Hofstetter: „Wer aber die Freiheit auch im Informationskapitalismus erhalten will, muss darüber nachdenken, wie er persönliche Daten gegenüber dem Kapital stärkt. (…) Der Primat des Kapitals ist nicht grundlegend, er ist ein Denkmodell, mehr noch, ein Denkfehler, weil er den Anfang und das Ende persönlicher Daten, den Menschen, aus den Augen verloren hat und ihn wie alle seine anderen Instrumente als bloßes Objekt des Wirtschaftens betrachtet.“
Kapitalismus als Lösung
Jaron Larnier stellt zu Rest fest: „Es ist also nicht so, dass der Markt besagt, Menschen seinen online nichts wert, nein, die Menschen wurden nur aus der Schleife ihres eigenen wirtschaftlichen Wertes gedrängt.“ Eine mögliche Lösung sieht er darin, den Primat des Kapitals wieder auf die Füße zu stellen und den Menschen wieder zum Eigentümer seiner Daten zu machen:
„Das Vermögen sollte nicht denjenigen zufliessen, die die Daten einfach nur sammeln. (…) Wir sind die Urheber der Daten. Daher sollte die Nutzung unserer Daten uns Geld einbringen.“ Denn „in einer Welt der digitalen Würde wäre jeder einzelne Mensch der kommerzielle Eigentümer seiner Daten.“
Gemeinwohl als Lösung
Der Internetphilosoph Evgeny Morozov präsentiert eine andere Lösung, die sich bewusst von Larnier unterscheidet, indem sie Daten aus dem Markt herausnimmt:
„Eine viel bessere Agenda für linke Populisten wäre, darauf zu bestehen, dass Daten entscheidender Bestandteil einer Infrastruktur sind, die allen gehören sollte. Natürlich müssen Firmen ihre Dienste auf diesen Daten aufbauen dürfen, aber nur, wenn sie dafür auch bezahlt haben. Daten und KI, die auf ihnen aufbaut, müssen öffentlicher Besitz bleiben. Nur so können Bürger und öffentliche Einrichtungen sichergehen, dass Firmen sie nicht mit Kosten für Dienste erpressen, die ja letztlich die Öffentlichkeit selbst geschaffen hat. Statt Amazon für die KI-Dienste zu bezahlen, die mit unser aller Daten konstruiert wurden, sollte Amazon verpflichtet werden, diese Gebühr an uns zu entrichten.“
Ganz ähnlich argumentiert auch aktuell ein Impulspapier der „Stiftung Neue Verantwortung“:
„Technologien, die einen so großen gesellschaftlichen Einfluss haben, können nicht allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden. Die anstehende Umsetzung der grundsätzlich sehr weitreichenden EU-Datenschutzgrundverordnung in Deutschland bietet Anlass zur Sorge, dass bisher strenge Regelungen zum Umgang mit Daten eher aufgeweicht werden und den Weg freimachen für fragwürdige Geschäftsmodelle. Umso wichtiger ist es jetzt, dass sich auch gemeinwohlorientierte Akteure der Zivilgesellschaft mit dem digitalen Wandel auseinandersetzen.“
Hoffnung aus der Politik?
Überraschenderweise kommt ausgerechnet aus den Reihen der Bundesregierung ein Grund zu leichtem Optimismus. Das „Strategiepapier Digitale Souveränität“ des „Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur“ betont:
„Daten sind im Rechtssinn keine Sachen und dadurch nicht eigentumsfähig. Wir wollen deshalb Daten im Ergebnis mit Sachen gleichstellen und damit die Voraussetzung schaffen, dass diese eindeutig natürlichen oder juristischen Personen als "Eigentum" zugewiesen werden können. (…) Die Verfügungsrechte an Daten sollen demjenigen zugewiesen werden, auf den die Erstellung der Daten zurückgeht. Damit gilt im Grundsatz: Die Daten und damit verbundene Rechte gehören den Menschen – bei Fahrzeugdaten etwa dem Halter, der das Fahrzeug erworben hat.“ Bleibt zu hoffen, dass zum einen die Bevölkerung dieses so grundlegende Thema endlich in seiner ganzen Dimension entdeckt, als auch dass die kritische Stimme im Strategiepapier sich in der Regierung durchsetzt.
Dateneigentum und die Auflösung der Politik
In seinem Artikel „Datenagenten in eigener Sache: Die Zukunft der Demokratie im Big-Data-Zeitalter“ wirft Evgeny Morozov einen wichtigen Blick über den Rand der Frage nach dem Dateneigentum hinaus und beschreibt die größeren Zusammenhänge: "
Die Frage, die wir uns während der letzten 20 Jahre gestellt haben – wie können wir mehr Kontrolle über unsere persönlichen Daten erlangen? –, ist nicht ganz die richtige, oder zumindest sollte sie nicht die einzige sein. Denn ohne eine tragfähige Theorie darüber, wie automatisierte Informationsgewinnung das demokratische Leben befördert oder vereitelt, mag sich ihre Beantwortung als wertlos erweisen. Zumal dann, wenn die Demokratie die Instanz ist, all unsere möglichen Antworten umzusetzen, sich aber in der Zwischenzeit aufgelöst hat. Dadurch dass wir ein ausgeklügeltes System von Rechten, Kontrolle und der Befähigung des Einzelnen geschaffen haben – und dadurch neue Konsumentengelüste sowie mehr staatliche Kontrolle –, laufen wir Gefahr, die Demokratie selbst aufzulösen. Die Privatsphäre ist unser einziges Mittel, sie zu retten. Aber um das zu verstehen, müssen wir lernen, die Sprache der Infopolitik zu sprechen und nicht nur die des Rechts, der Wirtschaft und der Verschlüsselungssoftware.“
Fußoten:
(1) (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/cebit/vor-der-cebit-merkel-daten-sind-die-rohstoffe-des-21-jahrhunderts-14120493.html
(2) Zitiert nach „Sie kennen dich! Sie haben dich! Die wahre Macht der Datensammler“ von dem ehemaligen Datenanalyst Markus Morgenroth, S. 22