Debatten(un)kultur

Widerstand tut not. Wir müssen lernen, miteinander statt immer nur gegeneinander zu kämpfen.

In letzter Zeit ist viel von "Fake News" und "alternativen Fakten" die Rede. Weitaus weniger beachtet wird die in allen parteipolitischen Lagern um sich greifende "Debattenunkultur", obwohl sich diese meines Erachtens mindestens ebenso destruktiv auswirken kann wie das Leugnen von Tatsachen. Am Beispiel der Linken möchte ich mich genau deshalb in dem nachfolgenden kleinen Beitrag hierzu äußern.

Kennen Sie das auch? Im privaten und/oder politischen Bereich müht man sich ab, einen bestimmten Standpunkt zu erläutern und dann greift sich der/die Gesprächspartner/in einen einzigen Satz zur Begründung der kompletten Ablehnung des vorgetragenen Standpunktes heraus. Eine noch irrationalere Form der Erwiderung liegt dann vor, wenn die argumentative Ebene gleich ganz verlassen und durch persönliche Beleidigungen ersetzt wird.

Auch schriftlich geführte Diskussionen sind dagegen nicht gefeit. Geradezu peinlich wird es, wenn sich die ehrverletzenden Schlammschlachten auf wissenschaftlichem Terrain abspielen. Und auch die Linken geben in dieser Hinsicht ein zunehmend unrühmliches Bild ab.

Im Gegensatz hierzu treten die über wirkliche Macht verfügenden "Neoliberalen" weitaus geschlossener auf, indem sie sich kaum jemals in aller Öffentlichkeit gegenseitig diskreditieren. Vor diesem Hintergrund ist der am rechten politischen Rand inszenierte Theaterdonner auch nicht so sehr als Ausnahme von der Regel, sondern eher als Ablenkungsmanöver zu verstehen.

Das unterschiedliche Verhalten von Herrschenden einerseits und ihren Widersachern andererseits dürfte nicht zuletzt auf die sehr unterschiedliche Art der Interessenvertretung zurückzuführen sein:

Die Neoliberalen vertreten einzig und allein ihre eigenen Interessen und werden zudem direkt in Form eines stetigen Anwachsens ihrer Macht und ihres Vermögens "belohnt".

Demgegenüber vertreten die Linken überwiegend die Interessen anderer und erfahren dabei immer wieder, dass ihr Einsatz für die Schwächsten der Gesellschaft nicht einmal von den Adressaten ihrer Bemühungen ausreichend gewürdigt wird. Stattdessen müssen sie konstatieren, dass die am Rande der Gesellschaft lebenden Menschen zunehmend mehr der AfD vertrauen, wenn es um den Kampf gegen das Establishment geht.

Das alles erzeugt mächtig viel Frust, der wohl einer der wichtigsten Gründe für das auch intern praktizierte Hauen und Stechen ist. Doch bei allem Verständnis für derart verursachte "Entladungen" sollten zwei Fragen nicht in Vergessenheit geraten:

Was bewirkt ein solches Verhalten und wem nützt es?

Gegenseitige Angiftungen bringen gegenseitige Verletzungen mit sich, die wiederum eine Entsolidarisierung untereinander zur Folge haben. Wenn es ganz schlecht läuft, kann das der Moment sein, in dem die Profilierung auf Kosten einer/eines Mitstreiterin/Mitstreiters und/oder das Ergattern eines Pöstchens wichtiger wird als das bedingungslose Eintreten für die Rechte der in jeder Hinsicht Unterprivilegierten.

Und damit ist die zweite Frage indirekt gleich mitbeantwortet:

Wenn das in größerem Maßstab geschieht, können sich die Herrschenden entspannt zurücklehnen und genüsslich zuschauen, wie sich ihre politischen Widersacher selbst schwächen. Deshalb mein Appell an alle, die sich auf interne Grabenkämpfe bereits eingelassen haben: Schüttet die Gräben wieder zu und kehrt zu einem sowohl sachlichen als auch freundlichen Ton zurück!

Damit trete ich aber nicht für eine "Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität" ein. Ganz im Gegenteil! Das Ringen um bestmögliche Lösungen wird in Anbetracht unterschiedlicher Ausgangspositionen immer Auseinandersetzungen mit sich bringen, aber es kommt doch sehr darauf an, wie diese Auseinandersetzungen geführt werden.

Nur dann, wenn die Suche nach humaneren Alternativen in einem guten Geist erfolgt ist, können die dabei am Ende erzielten Vereinbarungen nicht nur stärker, sondern auch glaubwürdiger vertreten werden. Anders ausgedrückt: Wer das (Zusammen-)Leben von Menschen verbessern will, sollte bei sich selbst beginnen und eine auf gegenseitigem Respekt beruhende Debattenkultur pflegen.

Oder, um es mit den Worten von Rubikon-Beiratsmitglied Jean Ziegler zu sagen:

„Es gibt eine letzte große Chance, den Beutejägern des Kapitals das Handwerk zu legen, bevor sie mit der neoliberalen Dampfwalze jeder Individualität und humanistischen Solidarität ein Ende setzen. Die Gründer und Förderer von Rubikon scheinen den schwächsten Punkt der demokratischen Linken erkannt zu haben: Wenn niemand den anderen dominieren oder reduzieren will und kann, bleiben jene Ressourcen gewahrt, die der Verschiedenheit menschlicher Erfahrungen zu verdanken sind, und die gebraucht werden, um sinnvolle Antworten auf die grundlegenden Fragen zu finden. Fragen, auf die - weil sie notwendig eng an lokale und nationale Interessen gebunden sind - weder Gewerkschaften noch Parteien eine globale Lösung wissen. Und wenn doch, werden sie diese nicht so offen diskutieren können, wie dies in einem Forum mit den Grundsätzen von Rubikon möglich ist und sein muss. Pierre Bourdieu fand dafür bereits 2002 die überzeugende Formel: 'Vereinen, ohne zu vereinheitlichen'.“