Das Zwangsabo

Millionen Deutsche zahlen keinen Rundfunkbeitrag — auch Sie können sich wehren! Exklusivabdruck aus „AbGEZockt“.

Seit dem Jahr 2013 schulden wir ARD und ZDF den Rundfunkbeitrag. Wir haben keine Wahl mehr. Jeder Inhaber einer Wohnung ist immer auch Beitragsschuldner. Bereits dieses steife Wort genügt und viele möchten innerlich abschalten. Tun Sie es bitte nicht. Hier geht es um das Schicksal von Millionen, die doch bloß den Rundfunkbeitrag nicht zahlen wollen. Schon viel zu viele wurden aber gezwungen — am Ende sitzen dann Menschen im Gefängnis, die sich nicht zwingen lassen wollen.

Reden wir also wenigstens einmal ganz offen:

Wer wohnt, der muss an ARD und ZDF zahlen. Somit müssen auch die bezahlen, die nichts davon haben. Es spielt weder eine Rolle, welche Geräte wir besitzen, noch ob wir auch zuschauen oder -hören. Nichts von dem, was die Menschen wollen — oder nicht wollen —, spielt hier eine Rolle. Beim Rundfunkbeitrag gibt es bloß ein Müssen, lebenslang. Wer ihn eine Zwangsabgabe nennt, der beschreibt leider die Wirklichkeit.

Es ist keine schöne Wirklichkeit, und sie wird schon wieder teurer: Der Beitrag dürfte bereits zum 1. Januar 2021 von jetzt 17,50 Euro auf monatlich 18,36 Euro steigen (1). Unsere Sendeanstalten haben bei der Politik mehr gefordert — „drei Milliarden Euro zusätzlich“, verteilt auf die nächsten Jahre (2). Dabei haben sie die alten Rekorde bereits 2014 überboten: Dank des neuen Rundfunkbeitrags sprudelten die Einnahmen, unfassbare 8,32 Milliarden Euro in nur einem Jahr (3). Der Kassensturz brachte viel mehr ein als erwartet, bis Ende 2016 summierte sich dieser hübsche Überschuss sogar auf 1,5 Milliarden (4). Heute spricht die ARD wieder über Milliarden, die ihr fehlen. Viele mögen sich besorgt fragen: Wann wird es endlich genug sein?

Vielleicht nie. Es gibt zu viele düstere Diagnosen. Deutschland gönnt sich „den mit Abstand teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas“ (5). Unternehmensberater machten beim Rundfunk eine „attraktive Versorgungslandschaft“ aus (6). Wir reden also statt über das Programm über „Hybris“ bei den Öffentlich-Rechtlichen, über „überdurchschnittliche Gehälter“ und Milliardenlücken in den Pensionskassen (7). Das sind die Folgekosten einer allzu üppigen Vergangenheit. Die Deutschen lesen hingegen wenig über das Sparen beim ZDF oder über das Schrumpfen der ARD. Viele fühlen, dass wir hier längst draufzahlen. Das ist ein Gefühl, aber dieses Gefühl ist eben auch der kleinste gemeinsame Nenner: Es gibt längst die große Unzufriedenheit mit ARD und ZDF — quer durch alle Schichten —, und es eskaliert gerade beim größten Reibungspunkt, dem Rundfunkbeitrag.

Eine erdrückende Mehrheit der Deutschen würde hier nur allzu gerne aussteigen. 2016 wollten über 70 Prozent der Befragten überhaupt nicht mehr zahlen, wenn es denn ginge (8).

Laut einer aktuellen Umfrage möchten bloß noch 7,9 Prozent der Menschen den Rundfunkbeitrag in gleicher Höhe weiterzahlen, wenn er freiwillig wäre (9). Er ist es aber nicht und deshalb zahlt die überwiegende Mehrheit eben weiter — oft handeln wir dabei gegen die eigene Überzeugung. So sind wir eben. Viele tun es mit Wut im Bauch. Es sind nur 17,50 Euro im Monat, aber sie tun weh. Ich glaube, dass es nicht das Bezahlen ist, das den Schmerz verursacht. Wir spüren, dass es so, wie es läuft, einfach nicht richtig ist. Da steht ein unheimlicher Zwang dahinter.

Vor Jahren brachte der FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube den Ärger vieler kluger Köpfe auf den Punkt:

„Die größenwahnsinnige Bezeichnung der Fernsehgebühren als ‚Demokratieabgabe‘ (...) unterstreicht die Fusion von Politik und Funk in den Köpfen der Begünstigten. Man hält sich für die Öffentlichkeit der Demokratie und zieht daraus den Schluss, einen Beitrag selbst von denen eintreiben zu dürfen, die sich andernorts oder gar nicht informieren wollen. Nur weil sie im Sendegebiet einen Haushalt führen“ (10).

Das sind deutliche Worte, aber es sind eben auch Worte aus dem Jahr 2017 — und da war es längst zu spät. Wer genau hinsah, der wusste von Anfang an, was mit dem Rundfunkbeitrag wirklich auf uns zukommt. Bereits 2010 stand im Spiegel eine treffende Analyse:

„Man verbietet die Flucht. Der Trick (...) ist ganz einfach: Man schafft eine Gebühr ab, die nach Zwang riecht, aber immer weniger bezahlen wollen, um eine Abgabe zu schaffen, die tatsächlich Zwang ist. Und das Geld fließt in alle Ewigkeit“ (11).

2013 kam die große Umstellung auf den Zwang und viele glaubten zunächst, dass sich nur ein Name ändert: Die alte Rundfunkgebühr ging in den Ruhestand, es kam der neue Rundfunkbeitrag. Vorher wurde die Gebühr je nach Anzahl der Fernseher und Radiogeräte erhoben. Jetzt soll es keinen Ausweg und keine Fluchtmöglichkeit mehr geben, damit die Milliarden verlässlich fließen. Wir müssen an ARD und ZDF zahlen, weil wir wohnen. Für den Rundfunkbeitrag selbst spielt es keine Rolle, ob noch einer anschaut, was die Sender senden.

Dieser Zwang mutet altertümlich an und es fällt nicht leicht, da hinter einen Sinn zu erkennen, der über das Geld oder die Pfründe hinausgeht. Die ganze Welt ändert sich, nur ARD und ZDF dürfen bleiben, was sie doch längst nicht mehr sind? Ihre Rolle als Institution für alle wird inzwischen angezweifelt.

Trotzdem gilt unbeirrbar das Argument: Beitragsgerechtigkeit für alle. Sieht so Gerechtigkeit aus? Die eine Seite will nicht verzichten, während die Bedürfnisse der anderen konsequent ignoriert werden? Es stimmt schon lange nicht mehr zwischen den Rundfunkanstalten und den Menschen, deshalb wird auch der Rundfunkbeitrag nicht akzeptiert — er ist der schmerzhafte Teil einer Beziehung, die viele als gescheitert betrachten. Eigentlich waren wir doch schon dabei, uns auseinanderzuleben. Dann kam die se Zwangsabgabe und presste zusammen, was offenbar schon lange nicht mehr zusammengehörte.

Seit Jahren regt sich hartnäckiger Widerstand. Der Rundfunkbeitrag ist beim Realitätscheck gescheitert — und zwar krachend. In weniger aufgeregten Zeiten würde es heißen: Wir müssen in einer Demokratie doch miteinander reden. Wir müssen etwas verändern, wir müssen nachjustieren.

Im Grunde müssen wir uns auch fragen: Braucht es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch und wenn ja: wie viel?

Doch all das geschieht nicht. Wir alle zahlen und haben doch in dieser Sache keine Lobby. Die ARD geht den Konflikt auf schlimme Weise an: Ihre Sendeanstalten wollen für Demokratie und die Freiheit der Meinungen einstehen, aber wenn der Rundfunkbeitrag nicht gezahlt wird, lassen sie den Zwang sprechen. Jahr für Jahr schieben sie Millionen Menschen in die staatliche Verwaltungsvollstreckung.

Dort geht es verstörend zu. Ich habe es hautnah erlebt. Das ist eine Tragödie. Zum Glück für die ARD bleibt es meist still: Jeder wird für sich allein vollstreckt.

Trotzdem muss der Beitragsservice seine Zahlen offenlegen: Ende 2015 befanden sich fast 5 Millionen der insgesamt 45 Millionen Inhaber von „Beitragskonten“ im Mahnverfahren (12). Das ist mehr als jeder Zehnte. Wie reagiert der Beitragsservice auf anhaltenden Zahlstreik?

Mit der Vollstreckung. Bereits 2013 wurden mehr als 700.000 Menschen in diesen bürokratischen Schraubstock gespannt (13), 2016 lag das Jahrespensum schon bei fast 1,5 Millionen (14). Insgesamt wurde der Rundfunkbeitrag in den Jahren zwischen 2013 und 2018 mehr als 7 Millionen Mal vollstreckt (15).

Es sind lediglich Statistiken, aber diese nackten Zahlen bleiben auch in einem anderen Punkt sehr zurückhaltend: Sie erzählen nichts über das Schicksal so vieler. Wie viele Millionen Menschen wurden mit einem Haftbefehl bedroht und wie viele tatsächlich verhaftet? Wie oft wurden Wohnungen aufgebrochen? Wie oft Konten, Löhne und Renten gepfändet? Wie viele Autos wurden lahmgelegt oder gar beschlagnahmt, weil der Rundfunkbeitrag nicht mehr gezahlt wird?

Im April 2016 sehen wir dann doch eine Wirklichkeit, die nicht in den Statistiken des Beitragsservice auftaucht. Wir lesen eine Schlagzeile: „Gebühren-Rebellin nach 61 Tagen aus Haft entlassen“ (16). Die Thüringerin Sieglinde Baumert will damals weiter im Gefängnis durchhalten — aber der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) ist es, der öffentlich unter Druck gerät und diese Haft beendet.

Warum so etwas überhaupt passieren konnte, erfahren wir schon nicht mehr. Viele Journalisten schreiben darüber, doch der Erkenntnisgewinn bleibt gering. Ausgerechnet die ARD, die sich doch von allen fürs Informieren finanzieren lässt, bleibt damals und in eigener Sache erstaunlich zu rückhaltend. Die Haft von Sieglinde Baumert war die erste Nachricht dieser Art und sie war auch die öffentliche Bankrotterklärung einer Zwangsabgabe.



Quellen und Anmerkungen:

(1) „Nebenwirkung“, FAZ.net, 19. Februar 2020, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ard-chef-tom-buhrow-fuerchtet-um-neuen-rundfunkbeitrag-16640515.html.
(2) „Öffentlich-Rechtliche wollen drei Milliarden Euro zusätzlich“, Welt Online, 27. Juni 2019, abrufbar unter: https://www.welt.de/kultur/medien/article195986047/Rundfunkbeitraege-Oeffentlich-Rechtliche-wollen-drei-Milliarden-Euro-zusaetzlich.html.
(3) „Einnahmen von ARD und ZDF steigen erstmals seit fünf Jahren wieder“, Berliner Tagesspiegel, 02. Juli 2019, abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/ gesellschaft/medien/acht-milliarden-euro-gebuehren-einnahmen-von-ard-und-zdf-steigen-erstmals-seit-fuenf-jahren-wieder/24516028.html.
(4) „Rundfunkbeitrag bringt 1,5 Milliarden Euro Überschuss“, Der Tagesspiegel, 05. März 2015, abrufbar unter: http://www.tagesspiegel.de/medien/jetzt-ist-es-amtlich-rundfunkbeitrag-bringt-1-5-milliarden-euro-ueberschuss/11463600.html.
(5) „Deutschland leistet sich den mit Abstand teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa“, Verband privater Medien, 19. September 2017, abrufbar unter: https://www.vau.net/finanzierung/content/deutschland-leistet-abstand-teuersten-oeffentlich-rechtlichen-rundfunk-europa.
(6) „In Pensionskassen von ARD und ZDF klafft Milliardenlücke“, Berliner Morgenpost, 11. Februar 2016, abrufbar unter: https://www.morgenpost.de/kultur/tv/article207031625/In-Pensionskassen-von-ARD-und-ZDF-klafft-Milliardenluecke.html.
(7) „NRW-Ministerpräsident Laschet über öffentlich-rechtlichen Rundfunk: ‚Egal ob einer schaut, der Sender sendet‘“, Der Spiegel, 10. Januar 2020, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/armin-laschet-ueber-wdr-und-umweltsau-egal-ob-einer-schaut-der-sender-sendet-a-00000000-0002-0001-0000-000168892043.
(8) „Der Beweis: Überwältigende Mehrheit lehnt die GEZ-Zwangsabgabe ab“, Focus Online, abrufbar unter: https://www.focus.de/kultur/videos/insa-meinungstrend-verraet-der-beweis-ueberwaeltigende-mehrheit-lehnt-die-gez-zwangsabgabe-ab_id_5640260.html.
(9) „ARD-Vorsitzender spricht von einem ‚sehr guten Urteil‘“, Die Welt, 18. Juli 2018, abrufbar unter: https://www.welt.de/wirtschaft/article179561258/Rundfunkbeitrag-ARD-und-ZDF-mit-Urteil-zufrieden-Klaeger-Sixt-nicht.html.
(10) „Demokratie in den Medien: Von Staatsrundfunk und Zwangsgebühr“, FAZ.net, 26. August 2017, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/rundfunkbeitrag-alle-fuer-alles-ist-dumm-15168540.html.
(11) „Zu viel GEZahlt“, Spiegel Online, 07. Mai 2010, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/kultur/tv/debatte-ueber-rundfunkgebuehren-reform-zu-viel-gezahlt-a-693570.html.
(12) „4,87 Millionen Konten im Mahnverfahren“, Der Tagesspiegel, 23. März 2017, abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/mehr-saeumige-zahler-beim-rundfunkbeitrag-4-87-millionen-konten-im-mahnverfahren/19563238.html.
(13) „Jahresbericht 2013“, ARD, ZDF und Deutschlandradio Beitragsservice, Seite 20.
(14) „Jahresbericht 2016“, ARD, ZDF und Deutschlandradio Beitragsservice, abrufbar unter: https://www.rundfunkbeitrag.de/e175/e5042/Jahresbericht_2016.pdf, Seite 25.
(15) „Jahresbericht 2017“, ARD, ZDF und Deutschlandradio Beitragsservice, abrufbar unter: https://www.rundfunkbeitrag.de/e175/e5774/Jahresbericht_2017.pdf, Seite 21; „Jahresbericht 2018“, ARD, ZDF und Deutschlandradio Beitragsservice, abrufbar unter: https://www.rundfunkbeitrag.de/e175/e6100/Jahresbericht_2018.pdf, Seite 21; „Jahresbericht 2013“, ARD, ZDF und Deutschlandradio Beitragsservice, Seite 20.
(16) „Gebühren-Rebellin nach 61 Tagen aus Haft entlassen“, Welt Online, 05. April 2016, abrufbar unter: https://www.welt.de/politik/deutschland/article154015177/Gebuehren-Rebellin-nach-61-Tagen-aus-Haft-entlassen.html.