Das Zombie-Finanzsystem

Das im Sterbeprozess befindliche Finanzsystem wird künstlich am Leben gehalten.

Das Leben ist wichtiger als der Profit. Daher muss die Wirtschaft heruntergefahren werden, um Menschenleben zu schützen. „Plötzlich“ rangen sich 2020 viele Politiker und Medienvertreter zu diesem Grundsatz durch. Bei Betrachtung der Zusammenhänge kann einem jedoch die rosa Brille von der Nase fallen. Von dem vermeintlich so menschenfreundlichen Lockdown zum Schutze aller profitieren vor allem die Reichsten der Reichen. In dem ganzen Corona-Diskurs bleibt ein Aspekt weitgehend unbeleuchtet: Seit der Bankenkrise 2007/2008 befindet sich unser Finanzsystem in der Schwebe zwischen Leben und Tod. Es konnte nur künstlich am Leben gehalten werden, indem immer neue Gelder hineingepumpt wurden. Im September 2019 kam es zu einem Börsenbeben, einer regelrechten Kernschmelze, die dem System beinahe den Garaus gemacht hätte. Betrachtet man die Coronakrise vor diesem Hintergrund, eröffnet sich einem ein ganz neuer Blickwinkel. Zugleich stellt sich die Frage: Geht es bei all dem wirklich um die Gesundheit von Menschen oder vielmehr um das Überleben eines kranken Finanzsystems?

Die Lockdown-Politik und das damit einhergehende, staatlich verordnete Herunterfahren von Produktion, Tourismus, Handel und mehr sind eine Katastrophe für die Realwirtschaft. Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte wurde derart massiv in die „freie Wirtschaft“ eingegriffen. Viele werten dies als ein positives Signal, dass Gesundheit in Pandemiezeiten endlich einmal über den Profit gestellt wird. Dies ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit.

Während die Realwirtschaft leidet, findet eine beispiellose Umverteilung des Reichtums von unten nach oben statt. Dabei boomt der Finanzsektor. Der Deutsche Aktienindex steht Mitte Januar 2021, nach einem Tiefpunkt im März 2020, erneut auf Vorkrisenniveau. Wie passt das mit dem harten Lockdown — in dem sich das Land befindet — zusammen? Die Auswirkungen auf Produktion und Konsum sind schließlich weitreichend. Könnte es an der Geldschwemme der europäischen Zentralbank und den krisenbedingten Konjunkturprogrammen liegen? Welche Rolle spielt bei alledem das weitgehend unbeachtet gebliebene „Börsenbeben“ im September 2019? Es ist Zeit, einmal genauer hinzuschauen und einer bisher wenig beachteten Perspektive Raum zu geben.

Die Schuldfrage

Der Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser, weiß um die Wichtigkeit, historische Ereignisse in einen angemessenen zeitlichen Kontext einzubetten. Als Beispiel nennt er die Kubakrise 1962. Versucht man die damalige Situation zu verstehen und korrekt einzuordnen, ist es von immenser Bedeutung, zu welchem Zeitpunkt man die Nachforschung startet. Beginnt man im Oktober 1962, als die Amerikaner bei Überwachungsflügen entdeckten, dass sowjetische Techniker Startrampen für sowjetische Mittelstreckenraketen, die das US-amerikanische Festland erreichen können, auf Kuba aufstellten, kann man zu dem Schluss kommen, dass die Sowjets Böses im Schilde führten. Die Indizien scheinen erdrückend. Wer Raketenabschussrampen an der Grenze eines feindlichen Landes aufstellt, ist ein Aggressor der fahrlässig Millionen von Menschen in Gefahr bringt. Der Schuldige steht also fest: die Sowjets.

Präsident Kennedy war außer sich: „Warum stellt Nikita Chruschtschow die dort auf? Das ist ja so, als ob wir eine große Anzahl von Mittelstreckenraketen in der Türkei aufstellen würden. Das wäre ‚goddamned dangerous‘, möchte ich mal behaupten.“ In diesem Moment dürfte McGeorge Bundy, der Berater für nationale Sicherheit nervös herumgedruckst haben, als er Kennedy zumurmelte: „Das haben wir, Mr. President“.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Amerikaner tatsächlich zuvor Raketen in der Türkei stationiert hatten, haben die Sowjets also lediglich auf eine bereits vorher von den Amerikanern verübte Aggression reagiert und gleichgezogen. Die Schuldfrage sollte also weder vorschnell noch allzu leichtfertig beantwortet werden. Ein erweiterter Blickwinkel kann zu gänzlich anderen Einschätzungen führen.

Ein Virus legt die Wirtschaft lahm?

Anfang 2021 sind die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen, die uns sehr wahrscheinlich jahrzehntelang beschäftigen werden, für weite Teile der Bevölkerung noch überwiegend unsichtbar. Auch hier scheint die Schuldfrage offensichtlich. Die globale Wirtschaft brummte emsig vor sich hin, als Ende 2019 ein neuartiges Virus auf den Plan trat. In der Folge wurde die Weltwirtschaft heruntergefahren, was anschließend zu einem Wirtschaftskollaps und einem gigantischen neuen Schuldenberg führen musste. Höhere Gewalt also? Mag sein, aber vielleicht wäre es auch hier geboten, einen anderen Zeitpunkt für den Beginn der Recherchen zu wählen. Manche Stimmen weisen nämlich darauf hin, dass die Wirtschaft bereits vor Corona auf eine Krise zusteuerte.

Außerdem hat der Autor im Coronajahr 2020 mit vielen Menschen gesprochen, die sich erfreut darüber zeigten, dass in der Coronakrise die Gesundheit endlich einmal über die Wirtschaft gestellt wurde. Hat die Pandemie den Kapitalismus gezähmt? Hält diese Sichtweise einer kritischen Betrachtung stand? Dieser Artikel soll eine Antithese dazu sein und eine Geschichte von zwei Krisen erzählen. Die der Krise der Realwirtschaft und die der Finanzwirtschaft.

Die Fragen, die gestellt werden sollten, lauten daher:

  1. Wird die Weltwirtschaft „an“ oder „mit“ Covid-19 zugrunde gegangen sein? Eine Korrelation bedeutet nicht zwangsläufig eine Kausalität.
  2. Hat die Lockdown-Politik der „Wirtschaft“ geschadet oder nur einem Teilbereich, konkret der Realwirtschaft, während die Finanzwirtschaft profitierte?

Kurzschluss im Finanzsystem 2019

Der Versuch, den Blickwinkel zu erweitern, beginnt einige Monate vor dem Auftauchen des Virus. Paul Schreyer von multipolar stellt in seinem Artikel „Was steckt hinter der Corona-Politik“, Überlegungen darüber an, ob zwischen dem in der Öffentlichkeit kaum thematisierten Börsenbeben vom September 2019 und der Corona-Politik ein Zusammenhang bestehen könnte. Dort zitiert er einen Artikel, in dem „Die Zeit“ am 1. Oktober 2019 titelte: „Kurzschluss im Finanzsystem“:

„Die Krise kam über Nacht. Banken drohte das Geld auszugehen. Notenbanker pumpten Hunderte Milliarden Dollar in den Geldmarkt, bloß um das Schlimmste zu verhindern. Das alles klingt nach dem Höhepunkt der Weltfinanzkrise vor elf Jahren — doch tatsächlich beschreibt es den Montag vorletzter Woche. Da stand ein wichtiger Teil des Weltfinanzsystems kurz vor dem Zusammenbruch, und die Öffentlichkeit bemerkte so gut wie nichts. In der Nacht zum 17. September schoss ein bestimmter Zinssatz (…) ohne Vorwarnung nach oben: der Satz, der für Banken gilt, die sich kurzfristig etwas leihen wollen.

Normalerweise werden Banken dort für etwa zwei Prozent Zinsen mit Cash versorgt (…) Aber plötzlich kostete Cash dort zehn Prozent. (…) Das letzte Mal, dass die Notenbanker am Repo-Markt eingreifen mussten, war nach dem Untergang der Investmentbank Lehman Brothers 2008. Die Schieflage der Investmentbank löste damals einen Notstand in diesem Teil des Finanzsystems aus, was fast zum Kollaps der Weltwirtschaft geführt hätte.“

Hierzu erklärt Paul Schreyer, dass auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008, die amerikanische Notenbank Federal Reserve über den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen mit selbst erzeugtem Geld die Bilanzsumme massiv erhöht hatte, um einen Systemkollaps abzuwenden. Durch diesen Prozess des „Gelddruckens“ konnte die Vertrauenskrise der Händler und Spekulanten untereinander überbrückt werden. Das Vertrauen wurde aber nie vollständig wiederhergestellt.

Zeitgleich wurde jedoch die Bilanzblase immer größer. Die Zentralbank versuchte daher in den Folgejahren, durch den Verkauf von Staatsanleihen und Unternehmensanleihen Druck abzulassen und zu einer Geldpolitik mit stabilen Zinsen zurückzukehren. Allerdings mit überschaubarem Erfolg. Der Ökonomieprofessor Felix Fuders, erster Vorsitzender der Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung, hat gemeinsam mit Professor Carlos Louge, Direktor des Instituto de Estudios Económicos Silvio Gesell, möglicherweise eine Erklärung dafür, warum es nicht geklappt hat:

„Je länger ein Finanzsystem besteht, desto niedriger ist das Zinsniveau. Genau dies ist in vielen Ländern der industrialisierten Welt zu beobachten. Die Zinsen sinken nicht, weil die Zentralbank eine Geldpolitik des billigen Geldes verfolgt, sondern weil der Markt nicht mehr bereit ist, höhere Zinsen zu zahlen. Zentralbanken folgen hier grundsätzlich nur dem Markttrend“ (1).

Schreyer verweist dazu auf die Fed-Bilanz, aus der ersichtlich werde, wie die Zentralbank ab Ende 2017 entgegen dem Markttrend agierte und versuchte, in überschaubaren, regelmäßigen Tranchen Staats- und Unternehmensanleihen zu verkaufen, und darauf hoffte, dass sich das Vertrauen wieder einstellt.

„Dieser zentral gesteuerte Prozess ging zwei Jahre lang gut — bis im September 2019 dann das passierte, was der Zeit-Artikel oben beschreibt: Eine Neuauflage des Zusammenbruchs von 2008, nur diesmal wesentlich größer, stand unmittelbar vor der Tür.“

Im Anschluss an das Börsenbeben habe die amerikanische Notenbank Fed dann die seit zwei Jahren verfolgte Strategie in den Wind geschlagen und wieder angefangen „Geld zu drucken“.

Das Vertrauen der Banken untereinander war also eher noch weiter geschrumpft als gewachsen. Es scheint, als ob die Probleme der vorherigen Finanzkrisen nie behoben, sondern nur in die Zukunft verlagert wurden. Die notwendig gewordene Feuerwehrmethode — immer mehr Geld ins System zu pumpen — verschärft die Probleme jedoch gnadenlos immer weiter und erhöht dabei die Fallhöhe. Der Versuch einer Abkehr von dieser gefährlichen Geldpolitik wird vom Markt nicht hingenommen und für die Weltwirtschaft zum gefährlichen Drahtseilakt. Nach dem Börsenbeben 2019 hat die Fed dann erneut den Versuch einer Regulierung aufgegeben und sich stattdessen den Forderungen der Märkte gebeugt.

Schreyer fährt fort:

„Entscheidend dabei ist, dass die Trendwende klar erkennbar nichts mit dem Auftauchen eines Virus zu tun hat, sondern mit dem beschriebenen Vertrauensverlust an den Börsen im September 2019. Aus diesem Blickwinkel betrachtet stellt sich die Frage, ob die Coronakrise seit Januar 2020 nicht ein globales Ablenkungsmanöver ist, mit dessen Hilfe die Manager des komplexen internationalen Finanzsystems Zeit gewinnen zur Absicherung ihrer Macht und Kontrolle.“

Fuders und Louge haben sich dazu auch geäußert, allerdings bereits im Juli 2020:

„Nun mag es etwas weit hergeholt sein, zu behaupten, die Corona-Krise sei absichtlich herbeigeführt worden. Aber es ist eine Tatsache, dass schuldenfinanzierte Konjunkturpakete genau jetzt dem Finanzsektor helfen. (...) die Krise liefert einen Vorwand für massive staatliche Interventionen. 193 aller 195 Länder der Welt haben riesige Konjunkturpakete zur Rezessionsbekämpfung angekündigt oder bereits parlamentarisch verabschiedet.

Da die meisten Länder nicht über ausreichende Mittel für diese außergewöhnlichen Ausgaben verfügen, wird diese expansive Fiskalpolitik durch Defizite finanziert. Und das ist genau das, was unser Weltfinanzsystem braucht, weil es bereits im September 2019 kurz vor einer ‚Kernschmelze‘ stand. Banken brauchen solvente Schuldner, die Großkredite abnehmen … und die Staaten brauchen jetzt viel Geld für die Corona-Hilfspakete.“

Warum folgen viele Regierungen inmitten der Pandemie nicht den Empfehlungen der WHO?

Es ist ein ungeheuerlicher Verdacht. Könnte die in der Menschheitsgeschichte beispiellose Lockdown-Politik mit einem verfehlten Finanzsystem in Zusammenhang stehen? Der Lockdown ist offensichtlich nicht für alle gleichermaßen fatal. Während Gastronomie, Einzelhandel, Tourismus und Produktion unter den Bedingungen massiv leiden, profitiert das Finanzsystem, weil es Abnehmer für seine (Konjunktur-)Kredite findet. Anfang 2021 steht der Dax trotz des „harten Lockdowns“ auf ähnlichem Niveau wie im Januar des Vorjahres. Hierbei sollte man auch nicht vergessen, dass der erneute Lockdown entgegen den Empfehlungen der WHO durchgesetzt wird.

Im Oktober 2020, warnte der Gesandte der Gesundheitsorganisation David Nabarro vor den Folgen einer Politik des Zusperrens: :

„Wir in der WHO empfehlen keine Lockdowns als primäre Maßnahme, um das Virus zu kontrollieren. Wir glauben, ein Lockdown ist höchstens dann gerechtfertigt, um sich Zeit zu beschaffen, sich neu zu organisieren, sich neu zu gruppieren, Ressourcen neu zu verteilen und um erschöpfte Mitarbeiter des Gesundheitssystems zu schützen — aber alles in allem raten wir davon ab. (…) Lockdowns führen zu etwas, was man nie, nie kleinreden darf und zwar dazu, dass sie arme Menschen noch schrecklich viel ärmer machen.“

Auch Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung findet kurz vor Weihnachten deutliche Worte und zeigt auf, dass Teile der Bevölkerung unter den Maßnahmen mehr leiden als andere, :

„Dieser Shutdown ist so brutal undifferenziert und er ist so fair wie ein Schlag ins Gesicht. Er ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich monatelang um gute und kluge Hygienekonzepte bemüht und diese auch umgesetzt haben. Dieser Shutdown ist unverhältnismäßig, er ist in seinen Details unschlüssig und er ist in seinen wirtschaftlichen Folgen unabsehbar. (…) es ist brutal, wie einem Teil der Gesellschaft Sonderopfer abverlangt werden, den Gastwirten, den Künstlerinnen und Künstlern vor allem, die in die Existenz eingreifen.“

Finanzsystem als „Drogenjunkie“

Auch der Finanzjournalist und Autor Ernst Wolff weist darauf hin, dass die Finanzwirtschaft von der gegenwärtigen Situation profitiert. Zum besseren Verständnis der aktuellen Situation blickt er auf die letzte große Finanzkrise zurück:

„2007/08 hat das globale Finanzsystem seine bisher größte Krise erlebt. Es ist damals nur deshalb nicht zusammengebrochen, weil die Politik die betroffenen Geldinstitute für „too big to fail“ erklärt und sie mittels einer riesigen Vermögensumverteilung von unten nach oben gerettet hat. Allerdings ist das System schon bald wieder unter Druck geraten, unter anderem durch die Eurokrise. Da die Staatskassen wegen der vorangegangenen Rettungsaktion weitgehend leer waren, mussten diesmal die Zentralbanken eingreifen. Sie haben riesige Geldsummen aus dem Nichts geschaffen, sie zu immer niedrigeren Zinssätzen ins System gepumpt und damit nicht nur Banken, sondern ganze Staaten vor dem Bankrott gerettet“ (2).

Und weiter führt Wolff aus:

„Das globale Finanzsystem kommt heute nicht mehr ohne die Geldzufuhr durch die Zentralbanken aus. Anders ausgedrückt: Das System gleicht einem Drogenjunkie, der ständig Nachschub an Suchtmitteln braucht. Und nicht nur das: Wie bei einem Drogenjunkie muss die verabreichte Dosis ständig erhöht werden. Das wiederum führt zu immer neuen Krisen, die den gesamten Organismus jedes Mal mehr schwächen. Genau so eine Krise haben wir im Herbst 2019 im US-Finanzsystem erlebt — und zwar am sogenannten ‚Repo-Markt‘, an dem sich US-Banken über Nacht gegenseitig mit Geld versorgen“ (3).

Hatte der „Drogenjunkie“ nach dem Herunterfahren der Weltwirtschaft in den anschließend von der Politik auf den Markt gebrachten Konjunkturpaketen nun also neue Möglichkeiten zur Befriedigung seiner Sucht gefunden?

Virus als Sündenbock?

Ernst Wolff geht noch einen Schritt weiter und schreibt im April 2020:

„Seit einigen Wochen können wir beobachten, wie Hedgefonds ihre Marktmacht ausspielen und das bestehende System mit Hilfe von Regierungen und Zentralbanken zu ihren Gunsten auspressen, wie sie ihrem größten Konkurrenten — der mittelständischen Wirtschaft — den Boden unter den Füßen entziehen und jede denkbare Maßnahme ergreifen, um vom inzwischen unvermeidbaren Wirtschafts- und Finanzcrash maximal zu profitieren. Sofern niemand sie stoppt, werden wir sehr wahrscheinlich schon bald erleben, wie die neuen Hedgefonds uns allen — unterstützt von Politik und Zentralbanken — ein auf die Finanzelite und ihre Bedürfnisse zugeschnittenes neues System aufzwingen werden.

Um die Hintergründe dieses historischen Umbruchs zu verstehen, ist es wichtig, sich von dem zurzeit am meisten verbreiteten Irrtum zu lösen, all das habe ursächlich etwas mit dem neuartigen Corona-Virus zu tun. Tatsache ist, dass die Probleme im Finanzsektor lange vor der Pandemie bestanden haben und auch ohne sie fatale Folgen gehabt hätten“ (4).

Lockdown-Politik als Bankenkonjunkturprogramm?

Wenn man dieser Argumentation folgen möchte, dass das Finanzsystem bereits vor dem Auftreten des Virus vor einer neuen, schweren Krise stand, stellt sich an dieser Stelle die Frage: Warum wurden dann nicht einfach die geldpolitischen Maßnahmen aus der Finanzkrise wiederholt? Alter Wein in neuen Schläuchen. Hätte man die Notwendigkeit einer erneuten Bankenrettung nicht einfach den Menschen erklären können? Hierfür haben Fuders und Louge eine mögliche Erklärung:

„In einer solchen Situation spielt die Covid-19-Pandemie dem Bankensektor in die Hände, weil die jetzt notwendig gewordene massive staatliche Intervention die Kreditaufnahme fördert. Während die Banken kurz vor der Pandemie noch mit ihrer verzweifelten Suche nach zahlungsfähigen Kreditnehmern zu kämpfen hatten, werden nun enorme, noch nie dagewesene Kreditvolumina vom öffentlichen Sektor der meisten Länder der Welt, nicht nur der Industrieländer, nachgefragt werden.

(…)

Noch nie waren die staatlichen Interventionen so intensiv wie heute. Selbst nach der Finanzkrise 2008 waren die Konjunktur- und Bankenrettungspakete nur etwa halb so umfangreich wie die jetzt verabschiedeten. Seit 2008 sind zwölf Jahre vergangen, und weil Einlagen und Schulden exponentiell wachsen, muss nun auch entsprechend mehr aufgebracht werden, um das System zu ‚retten‘. Erneut ein solches Geldvolumen zur Rettung der Banken aufzubringen, würden die meisten Menschen wahrscheinlich nicht gutheißen.

Schon 2008 waren viele überrascht über die großen Geldsummen, die plötzlich aus dem Nichts aufgebracht werden konnten und die theoretisch den Welthunger für 566 Jahre hätten beseitigen können. Aber Geld für Konjunkturmaßnahmen aufzunehmen, die zunächst uns allen dienen, wird nur von wenigen in Frage gestellt. Und wenn die Finanzkrise, die früher oder später unweigerlich zuschlagen wird, doch nicht weiter aufgeschoben werden kann, dann wird auch jetzt niemand das System in Frage stellen.“

Notwendig gewordene Bankenbailouts sind der Bevölkerung also nicht zu vermitteln, schuldenfinanzierte Corona-Rettungspakete jedoch schon?

Es spricht einiges dafür, dass auch in der sogenannten Corona-Pandemie das offizielle Narrativ keine befriedigende Erklärung liefern kann. Zu groß sind die Ungereimtheiten bei der offiziellen Darstellung und zu heftig verläuft die Bekämpfung Andersdenkender im analogen und digitalen Raum.

Bereits die vermeintliche „Gier der Banker“ in der Finanzkrise oder die unterstellte „Faulheit der Griechen“ in der Eurokrise, entpuppten sich bei näherer Betrachtung als unterkomplexe Zerrbilder der Realität, die von der inhärenten Dysfunktionalität unseres Finanzsystems ablenken sollten.

Kommt es, wie es kommen muss?

Fuders und Louge halten einen Zusammenbruch dieses Systems, wie wir es kennen, früher oder später für unausweichlich:

„In jeder Volkswirtschaft kommt unweigerlich ein Zeitpunkt, an dem die Wirtschaftsleistung nicht mehr ausreicht, um die stetig wachsenden Zinsverpflichtungen zu erfüllen. Der Zusammenbruch tritt in der Regel dann ein, wenn die Banken nicht mehr genügend solvente Kreditnehmer finden können, um die ständig wachsenden Einlagen mit Zins und Zinseszins zu bedienen. Dies geschieht etwa alle 50 bis 80 Jahre, abhängig vom durchschnittlichen Zinssatz.“

Ernst Wolff hingegen sieht die Hauptproblematik eher in den „parasitären Auswüchsen“ des Finanzsektors und einem grundsätzlich undemokratischen Geldsystem. Einen Lösungsansatz sieht er darin, dieses System zu demokratisieren. Dabei gelte es jedoch, sich davor zu hüten, den Bock zum Gärtner zu machen.

„Voraussetzung für ein demokratisches Geldsystem wäre also, dass die Menschen seine Entwicklung und seine derzeitige Funktion zumindest in ihren Grundzügen durchschauen und sich nicht mehr hilfesuchend an die Falschen wenden — nämlich den Staat, der ja ein Produkt des bisherigen Geldsystems ist, oder an die Politik, die ja auf dem Boden dieses Staates operiert und ihn und sein Geldsystem verteidigt“ (5).

Zwischenfazit

Wir halten also fest.

  1. Es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass die Weltwirtschaft bereits vor dem Auftreten von Covid-19 auf eine schwere Krise zusteuerte. Dafür spricht zum Beispiel die ‚Kernschmelze‘ im September 2019. Der massive Einbruch des globalen Aktienmarktes im Dezember 2018 und der Einbruch des Ölpreises im März 2020 wurden hier nicht thematisiert, zählen aber auch dazu. Wenn künftige wirtschaftliche Probleme allein auf das Coronavirus geschoben werden, sollte man hellhörig werden.
  2. Die beispiellose Lockdownpolitik hat viele Verlierer, zum Großteil aus der Realwirtschaft, aber auch viele Profiteure hervorgebracht. Dazu zählt allen voran der Finanzsektor. Es scheint in Anbetracht dessen nicht ausreichend differenziert, zu sagen, die Gesundheit wurde über „die Wirtschaft“ gestellt.

Sind Schulden antidemokratisch?

Ob sich die düsteren Aussichten in Bezug auf die Weltwirtschaftslage bewahrheiten, wird sich in den kommenden Monaten herausstellen. Was wir jedoch zweifelsfrei wissen ist, dass wir bereits jetzt — ohne eigenes Zutun — vor einem gigantischen Schuldenberg stehen. Die Rückzahlung von Schulden wird gemeinhin als alternativlos betrachtet. Diese selten angezweifelte Kompromisslosigkeit in Bezug auf Schulden wird zuweilen dazu verwendet, ganzen Nationen eine Politik aufzuoktroyieren, die dem Willen der Bevölkerungsmehrheit diametral entgegensteht.

Bisher wurde diese Praxis vor allen Dingen ehemaligen Kolonien und Nationen des globalen Südens gegenüber angewandt. In jüngerer Vergangenheit auch gegenüber Südeuropa, allen voran Griechenland. Aber ist ein Großteil dieser Schulden, häufig verursacht von einer Minderheit aus Politik und Finanzwesen und durchgesetzt von nicht gewählten Vertretern globaler Institutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds, nicht eigentlich inhärent antidemokratisch?

Verabscheuungswürdige Schulden

Es existiert hierzu das spannende Konzept der „odious debts“, also der verabscheuungswürdigen Schulden oder Diktatorenschulden. Der in den 1920er-Jahren entwickelte völkerrechtliche Begriff ist allerdings bisher nicht in geltendes Völkerrecht eingegangen.

Nach der Theorie der odious debts gelten Staatsschulden als verabscheuungswürdig und illegitim und müssen daher nicht zurückgezahlt werden, wenn:

  1. diese ohne Zustimmung der Bevölkerung zustande gekommen sind, aufgrund des Fehlens einer durch demokratische Wahlen legitimierten Regierung,
  2. die Gelder zur Unterdrückung des Landes genutzt wurden und die damit bezahlten Leistungen den Menschen geschadet haben, und
  3. die Kreditgeber von beidem Kenntnis hatten oder bei zumutbarer Nachforschung hätten haben können.

So hatte sich beispielsweise Ecuador 2008 trotz drohender Embargos und Klagen geweigert, aus ihrer Sicht illegitime, Schulden zu bezahlen.

„Die Regierung Ecuadors folgt mit ihrer Entscheidung der Empfehlung einer Untersuchungskommission, die feststellte, dass nahezu alle Schulden, die zwischen 1976 und 2006 entstanden, rechtswidrig sind. Dem Ansatz der Kommission zur Folge bedeutet dies, dass die Schulden zum einen von nicht ausreichend demokratisch legitimierten Regierungen aufgenommen wurden, desweiteren nicht zum Nutzen der Bevölkerung eingesetzt wurden und die politisch Verantwortlichen zudem um diese Umstände wussten.”

Was sind denn schon Schulden?

Der leider im September 2020 im Alter von 59 Jahren an nekrotisierender Pankreatitis verstorbene Anthropologe David Graeber schrieb in seinem 2011 erschienenen Magnum Opus: „Schulden: Die ersten 5.000 Jahre”:

„Es scheint mir, dass bei uns ein biblisches Jubeljahr lange überfällig ist: ein Schuldenerlass, der sowohl internationale Schulden als auch Konsumschulden für nichtig erklären würde. Dies wäre heilsam, nicht nur weil dies so viel echtes menschliches Leid lindern würde, sondern auch als eine Erinnerung daran, dass Geld nicht über den Dingen schwebt, dass die Essenz von Moral nicht darin besteht, seine Schulden zu bezahlen, dass all diese Dinge menschengemacht sind, und dass Demokratie, wenn sie bedeutsam sein soll, in der Fähigkeit besteht, sich einigen zu können, die Dinge zukünftig anders zu handhaben.

(…)

Da wo wir heute stehen, hat sich das Prinzip (des Schulden Zurückzahlens) als ungeheuerliche Lüge herausgestellt. Es zeigt sich, dass nicht ‚alle‘ von uns ihre Schulden zurückzahlen müssen. Nur ein Teil von uns muss dies tun. Nichts wäre wichtiger, als darunter einen Schlussstrich zu ziehen, mit angewöhnten Moralvorstellungen zu brechen und einen Neustart zu wagen. Was sind denn schon Schulden? Eine Schuld ist die Perversion eines Versprechens. Es ist ein Versprechen, welches durch Mathematik und Gewalt korrumpiert wurde.

Wenn Freiheit (echte Freiheit), darin besteht, echte Freundschaften schließen zu können, dann beinhaltet sie notwendigerweise auch die Fähigkeit, echte Versprechen abgeben zu können. Was für Versprechen würden wirklich freie Männer und Frauen einander geben? Darauf haben wir aktuell keine Antwort. Die Frage ist vielmehr, wie können wir dahin kommen, wo wir es herausfinden könnten? Der erste Schritt auf dieser Reise besteht wiederum darin, zu akzeptieren, dass, genauso wie niemand das Recht hat, uns unseren wahren Wert zu sagen, niemand das Recht hat, uns zu sagen, was wir wirklich schulden“ (6).

Blick nach vorn

Noch weiß niemand, was das Jahr 2021 an Überraschungen bereithält. Zu groß sind die Unwägbarkeiten.

Der Autor rät allerdings zu Mut und Zuversicht. Und dazu, bestehende Denkverbote abzulegen, den Blick nach vorn zu richten und sich im Sinne der Aufklärung des eigenen Verstandes ohne Leitung anderer zu bedienen.

Sollte sich der Verdacht erhärten, dass die Coronapolitik etwas mit der Beinahe-Kernschmelze des Finanzsystems im September 2019 und der Dysfunktionalität des Finanzsystems zu tun hat, wäre es vermutlich angezeigt, ganz grundsätzliche Fragen über unser Zusammenleben zu stellen.

Auch wenn kein Zusammenhang besteht und die umstrittene Lockdown-Politik nichts mit dem Finanzsystem zu tun haben sollte, so wäre es dennoch kein Fehler, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Thomas Piketty schreibt in ‚Das Kapital im 21. Jahrhundert‘: „Die geduldige Suche nach Fakten und Mustern und die ruhige Analyse der ökonomischen, sozialen und politischen Mechanismen, die diese erklären könnten, kann einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Debatte leisten und die Aufmerksamkeit auf die richtigen Fragen lenken“ (7). Dass die ungelösten Probleme im Finanzsektor uns alle längst betreffen, zeigt sich immer deutlicher. Es ist dringend geboten, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Es ist aus Sicht des Autors nicht eindeutig zu klären, ob die wirtschaftlichen Probleme, vor denen wir stehen, nicht auch ohne Covid-19 aufgetreten wären — obwohl einiges dafür spricht. Jedoch hat sich einmal mehr gezeigt, dass auch diese Krise den Reichtum weiter von unten nach oben verteilt. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem der Gesellschaftsvertrag durch diese, dem System innewohnende Dynamik, zu zerbrechen droht. Wie viel Ungleichheit hält eine Demokratie aus, bevor sie sich in eine Oligarchie verwandelt? Eine groß angelegte Studie aus den USA kam bereits 2014 zu dem Schluss, dass die Mehrzahl der Amerikaner keinen Einfluss mehr auf die Politikgestaltung hätte. Stattdessen bringe die politische Dominanz mächtiger Konzerne und einiger weniger Wohlhabender die Demokratie in ernsthafte Gefahr (8).

Ist es daher vielleicht an der Zeit für etwas Neues? Fuders und Louge bringen es abschließend auf den Punkt:

„Es ist nicht ratsam, zu versuchen, Probleme dadurch zu lösen, dass man immer wieder den gleichen Fehler wiederholt. Wir haben jetzt die historische Chance, etwas anderes zu tun.“

Das Veränderungspotential in der Gesellschaft dürfte enorm sein, sollte sich am Ende herausstellen, dass die Lockdownpolitik nicht (nur) aus aufrichtiger Sorge um die Gesundheit der Bürger durchgesetzt wurde. Damit stünde das Tor weit offen, um die Welt, in der wir leben, von Grund auf neu zu denken.


Quellen und Anmkerkungen:

(1) Felix Fuders und Carlos Louge: „Effektive Negativzinsen statt Corona-Schuldenwachstum“, Juli 2020
(2) „Wolff of Wall Street: Ernst Wolff erklärt das globale Finanzsystem“ (2020) Seite 176f
(3) Ebenda, Seite 177
(4) Ebenda, Seite 180
(5) Ebenda, Seite 175
(6) David Graeber — „Debt: The First 5.000 Years“ (2011) Seite 390f (englische Ausgabe)
(7) Thomas Piketty: „Capital in the Twenty-First Century“ (2017) Seite 3 (englische Ausgabe)
(8) Martin Gilens und Benjamin Page: „Testing Theories of American Politics: Elites, Interest Groups, and Average Citizens“, 2014