Das wachsende Rettende

„The Great WeSet“, das neue Buch Walter van Rossums, beschreibt, wie sich als Reaktion auf den massiven Niveauverlust in Medien und Justiz eine Gegenöffentlichkeit formierte.

Als Moderator des Manova-Talkformats „Great WeSet“ wurde er mit einer unüberschaubaren Zahl von interessanten Menschen, von Konzepten und Meinungen konfrontiert. Er war immer dicht dran am politischen Geschehen der letzten Jahre. Es ist also aufschlussreich, welche Themen Walter van Rossum auswählt, wenn er sich anschickt, ein neues Buch zu schreiben. Seine erfolgreichen Werke „Meine Sonntage mit Sabine Christiansen“ sowie „Meine Pandemie mit Professor Drosten“ bewiesen großen Mut, in Abgründe zu schauen. Anstatt sich als Nächstes aber Karl Lauterbach oder Markus Lanz zu widmen, nimmt sich van Rossum in seinem neuen Buch vor allem zweier Themen an: der Medien und der Justiz. In seiner Ausrichtung ist das Buch sowohl geeignet, Mut zu machen, als auch Verzweiflung zu vertiefen. Es wird zwar die Dimension der Gefahr aufgezeigt, in der wir als Bürger einer auf abschüssiger Bahn in Richtung Totalitarismus gleitenden, überwachten und formierten Gesellschaft schweben, aber auch das — im Sinne Hölderlins — wachsende Rettende. Zugleich ist das Buch ein Stück topaktuelle Medien- und Justizgeschichtsschreibung und ein Kabinettstück des sprachmächtigen Essays.

Als Interviewer lässt Walter van Rossum seinen Gästen viel Raum, weiß Menschen sehr verschiedener politischer Provenienz respektvoll zu begegnen und mit ihnen auf Augenhöhe zu debattieren. Er drängt sich nicht in den Vordergrund; spricht er aber — und das beginnt bei seinen ausgefeilten Einstiegsmonologen —, möchte so mancher Zuschauer gerne mehr von ihm hören, als es dieses Format normalerweise zulässt. Man wünscht, van Rossum würde sich selbst interviewen, damit sich seine Weisheit und Sprachbeherrschung einmal über einen längeren Zeitraum entfalten könnten. Denn der Stil des ausgebildeten Journalisten ist dicht, prägnant und Augen öffnend, einer Aphorismen-Sammlung näher als jener Schwurbelei, derer die „Szene“, der er angehört, oft bezichtigt wird.

Ein Textbeispiel: „Das ist die Falle des Realismus: sich nur Aufgaben zu stellen, die im Licht der verfügbaren Mittel erscheinen. Die Falle der Utopie: dem Traum die Mittel zu opfern.“ Wer dergleichen zu schätzen weiß — Sätze, deren Erkenntniswert bei mehrfachem Lesen eher noch wächst —, wird im Buch „The Great WeSet“ reichlich fündig werden. Es ist dies auch eine kurze Geschichte der politischen Entwicklungen der letzten Jahre, die van Rossum auf einzigartige Weise, abstrakt und doch bildhaft-eindringlich, beschreibt. Eine Art Chronik der Jahre des Ausnahmezustands, ausgebreitet in einem polyfonen Textgewebe aus einander ergänzenden Geschichten von Tätern wie von Opfern. Den frühen Schock des Corona-Überfalls Anfang 2020 beschreibt Walter van Rossum so:

„Mit einem Mal glitten wir nicht mehr auf den Gleisen unseres Lebens, etwas setzte uns auf eine andere Spur. Wir verloren selbst die Illusion von Kontrolle. Die Geschichte würde ihren Lauf ändern, und wir hatten es nicht kommen sehen. Das war eine Erfahrung, die die meisten noch nicht gemacht hatten. Ich auch nicht. Am Montag, dem 16. März, stand ich im Garten, sah den Blütenstaub im milden Licht dieses wunderschönen Frühlingstages tanzen, spürte die samtweiche Luft und den Hauch einer Ahnung, dass mein bisheriges Leben zu Ende war und ich mich in einer anderen Welt noch einmal erfinden müsste. Es war nicht schrecklich, es war bloß überwältigend. So ist es geblieben. Auch davon handelt dieses Buch.“

Die Krise als Wachstumschance

Das Erlebnis des Überwältigtwerdens wird zum „Call to Adventure“, zur Initialzündung für eine Heldenreise, die einige seelische wie politische Wachstumschancen für jene bereithält, die sich der Aufgabe stellen.

Die Zeit der Latenz „vorher“ verblasst vergleichsweise zu einer Phase der Selbsttäuschung, des politischen Halbschlafs, aus dem man durch die Trompetenstöße staatlicher Zwangsmaßnahmen unsanft geweckt wurde. In den Schilderungen schwingt dabei auch ironische Selbstkritik und eine milde Bitternis mit, die für van Rossum nicht untypisch ist.

„Leute wie ich hatten sich insgeheim damit arrangiert, Teile eines großen Fait accompli zu sein. Wir bekamen eine Art Gnadenbrot dafür, abendländischen Tiefsinn in die Luft zu pusten. Der Posten war vorgesehen und interessierte niemanden wirklich. Man hätte zufrieden sein können. Und noch bevor wir das Geringste verstanden hatten, beschlossen wir, die Herausforderungen anzunehmen. Das ist, glaube ich, der Moment, der uns zu den ‚Sehenden‘ hat werden lassen — auch wenn es für die meisten noch eine ganze Weile gedauert hat, etwas zu verstehen und schon gar das ganze Ausmaß. In dem Moment, da wir uns für den Zweifel entschieden, wurden wir in ein Getto eingeschlossen. Die Parallelgesellschaft hatten nicht wir gesucht. Sie wurde über uns verhängt.“

Dies war auch die Geburtsstunde der „Gegenkultur“, der der Autor sich zugehörig fühlt.

„Bevor ich mit diesem Buch begonnen habe, hatte ich bloß vage Ahnungen vom Ausmaß dieser Parallelgesellschaft oder besser: dieser Gegenkulturen. Eine gewisse Unauffindbarkeit gehört zum Geschäftsmodell dieser Bewegung. Insofern kann niemand genau sagen, wie viele Menschen in Deutschland sich längst klammheimlich vom Acker der gängigen Gesellschaftskonfiguration gemacht haben. Sicher hingegen ist, dass der verordnete Bruch mit der alten Normalität der Suche nach einer neuen, selbst geschaffenen Normalität einen gewaltigen Auftrieb verschafft hat. Es dürfte mittlerweile eine ‚kritische‘ Zahl von Menschen geben, die aus dem System ausbrechen und das System aus ihrem Innenleben vertreiben wollen.“

Als Initiation diente oft die Erfahrung, zum Opfer gemacht zu werden. Dissidenz und gesellschaftlicher Ausschluss wurden zu Massenphänomenen.

„Es geht nicht um ein paar Härtefälle, es geht um viele Millionen Bürger, die gleichsam über Nacht zu kriminellen oder kranken Elementen wurden. Wer sich der Politik nicht fügte, wurde entlassen oder bekam es mit der Justiz zu tun. Der Corona-Staat setzte Grundrechte außer Kraft als handle es sich um lästige Vorschriften einer Schrebergartenordnung.“

Selbst wer van Rossums Beschreibung der neuen Protestbewegung für zu optimistisch hält, kann sich durch seine Worte angeregt fühlen, dem, was vielleicht noch nicht ist, zum Leben zu verhelfen.

„Diese Revolution wird nicht auf den Barrikaden stattfinden, und keine neue Junta muss installiert werden. Menschen wenden sich einfach ab, desertieren aus der bestehenden Ordnung und schließen sich zusammen, um etwas anderes zu erschaffen. Und sie werden da auf die treffen, die bereits zuvor nicht länger von dieser Welt sein wollten.“

Journalistisches Totalversagen

Zunächst zum Themenbereich „Journalismus“, dem sich der Autor natürlich im besonderen Maß zugehörig fühlt. Die Eingangsdiagnose ist vernichtend: „Aus der Sicht eines einigermaßen kritischen Verständnisses von Journalismus hat der mediale Mainstream seit 2020 auf eine atemberaubende Art und Weise versagt.“

In seinem Abschnitt über Medien erzählt Walter van Rossum unter anderem die Hagiographien einiger bekannter Vertreter des „alternativen“ Journalismus, vor allem jener, die sich 2020 sehr schnell aus der Deckung gewagt hatten und dadurch für die Gralshüter der Neuen Normalität zur Zielscheibe wurden: Paul Schreyer etwa, Mitherausgeber des Magazins Multipolar, der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen, das journalistische Urgestein Dirk Pohlmann und immer wieder natürlich Ken Jebsen, lange der bevorzugte Prügelknabe der Richtigdenker. All diese politischen Biografien eint das Erlebnis, sich unversehens im Umfeld einer sich verdunkelnden politischen Großwetterlage wiederzufinden, erschüttert und bereit zu kämpfen, jedoch konfrontiert mit der niederschmetternden Erfahrung, dass kaum jemand bereit war, mitzukämpfen. Im Gegenteil kam es nicht selten vor, dass sich ehemalige Mitstreiter längst dienstbeflissen im Lager der Gegner eingefunden hatten.

Über Wolfgang Wodarg, meistdämonisierter kritischer Arzt der Corona-Epoche, erzählt van Rossum eine für jene Zeit charakteristische Anekdote. Sie handelt von einem Mann, der sich — scheinbar naiv und noch an die Tragfähigkeit der alten demokratischen Institutionen glaubend — unversehens in das radikal Neue und Niederträchtige hineingestoßen sieht, dem sich andere längst chamäleonartig angeglichen hatten. Hier, in den eigenen Worten von Dr. Wodarg:

„Alles war gut gelaufen, aber als ich das Studio verließ, spürte ich in den Redaktionsbüros eine seltsame Stimmung. Ich nahm das nicht so ernst und machte mich, zufrieden mit den Hörergesprächen, auf den Heimweg. Am Torweg zum Hinterausgang stand ein Mann, der sich gerade eine Zigarette anzündete. Ich erkannte Hubertus Heil, mit dem ich im Gesundheitsausschuss des Bundestages vor Jahren zusammengearbeitet hatte. Mit einer scherzhaften Bemerkung über die gesundheitlichen Auswirkungen des Rauchens begrüßte ich also den Bundesminister für Arbeit und Soziales und seine mir unbekannte Begleitung. Als er mich fragte: ‚Was machst du denn hier?‘, nutzte ich die Gelegenheit zur Bitte, er möge mir doch helfen, diese unnötige Panik schnell zu beenden. Daraufhin zog er noch einmal an der Zigarette, lächelte schweigend und wünschte mir ohne weiteren Kommentar alles Gute.“

Die Vertreibung des Zweifels

Der Mainstream-Journalismus, so erzählt es Walter van Rossum im medienhistorischen Teil seines Buchs, sah sich durch die Konkurrenz des World Wide Web bedroht, denn jetzt „konnte jeder ‚Amateur‘ seine Sicht der Dinge weltweit verbreiten. Das Selbstverständnis der Journalisten als gelernten Realitätsbeobachtern und -sortierern erhielt einen schweren Schlag.“ Da eine wirkliche Pluralität veröffentlichter Meinung auf keinen Fall geduldet werden durfte, mussten neue Methoden der Selektion, der Lenkung der Aufmerksamkeit der „User“ gefunden werden. Mag auch alles heutzutage jedem zugänglich sein — auf keinen Fall sollte auch tatsächlich alles gelesen oder gar geglaubt werden. Erwünschte Informationen mussten gleichsam mit Leuchtstift markiert und durch Wiederholung unauslöschlich in die Gehirne eingeprägt werden, unerwünschte mussten mit dem Stigma des Undenk- und Unsagbaren versehen werden.

Am sichersten gewann man eine Debatte, die man gar nicht erst führte, weil man sie durch ein Schaulaufen der Richtigdenker ersetzt hatte, durch die Repetition von minimalen Variationen des einmal für korrekt Erkannten.

Gleichzeitig sollte ein allmählicher geistiger Schrumpfungsprozess bei den Rezipienten initiiert werden, der diese selbst für offenkundig unsinnige leitmediale Verlautbarungen empfänglich machte.

Wir erfahren in diesem Zusammenhang auch von Walter van Rossums eigener Aufwachgeschichte. Der nämlich hatte lange beim WDR gearbeitet, seinerzeit ein Hort westdeutscher Wertarbeit im öffentlich-rechtlichen Sektor und Wiege so beliebter Formate wie die Tatorte mit Ballauf und Schenk. Auch in diesem Milieu fand ein schleichender Verwandlungsprozess statt. Im Hörfunk, für den van Rossum hauptsächlich arbeitete, wurde „Durchhörbarkeit“ zum Programmmaßstab erklärt, um die Hörer möglichst lange bei der Stange zu halten. „Nichts Besonderes sollte ihn stören bei der akustischen Begleitung durch den Tag. Alles Anstrengende verschwand in eigens geschaffenen Wellen für die Anspruchsvollen (…). Seitdem kam der Mainstream weitgehend ohne grundlegende Debatten aus.“ Die Leitmedien verzichteten auf „die Prinzipien der Unabhängigkeit, Objektivität und Neutralität.“ Nun ginge es um „neue Formen der Ansprache: emotionaler und mit Identitätsangeboten lockend, indem man Ingroups und Outgroups konstruierte.“

In den sozialen Medien und auf YouTube war Meinungsvereinheitlichung nicht ganz so einfach, denn dort war die anarchische Vielfalt der Ausdrucksformen und Überzeugungen kaum zu bändigen. In der Folge wurde „gelöscht, was das Zeug hielt“. Dafür verantwortlich, so van Rossum, sei weniger seine eigene Altersgruppe.

„Der Generationenwechsel in den Redaktionen beschleunigte sich. Die Jungen, die Digital-Natives, wussten, wie Gesinnungsproduktion funktionierte, die älteren Journalisten wurden an den Rand gedrängt oder gleich ganz ausgemustert. (…) Der neue Gesinnungsjournalismus diskutiert nicht mehr. Er hat die Wahrheit auf seiner Seite. Er ist totalitär und nicht gerade zimperlich. Doch jede Wahrheit lebt von der Unwahrheit, gegen die sie sich triumphierend durchsetzt. Von Anfang an betonte der Mainstream die Gefährlichkeit seiner Feinde, die er sorgfältig selbst konstruierte und unter Kontrolle hielt.“

Die letzten Journalisten

Aber das Feuer der Gefahr ist es, in dem Helden geschmiedet werden. Denn die im Zeichen von Corona entstandene Gegenöffentlichkeit, so sagte es van Rossums Weggefährte Dirk Pohlmann, sei ein „erstaunlicher Beweis für die Vitalität der Zivilgesellschaft. Viele Leute sind dabei mit ihren Aufgaben gewachsen“. Diesen setzt Walter van Rossum hier ein Denkmal. Sein Buch könnte später einmal zu einer wertvollen Primärquelle werden, um die Geburt des Neuen aus den Trümmern leitmedialer Glaubwürdigkeit zu dokumentieren. Wer bei van Rossum „drin“ ist, hat auch Format. Und bekommt ein Lob, auf das Vielgescholtene sonst oft lange vergeblich warten. Etwa Ken Jebsen. Dieser repräsentiere „eine Zivilcourage, die uns hilft, kommende Schlachten zu verlieren, ohne unterzugehen. Das ist auch der Grund, warum an ihm ein gnadenloses Exempel statuiert werden musste“.

Für Walter van Rossum selbst erfolgte der Call to Adventure in seinem Rauswurf beim WDR nach 40 Jahren Tätigkeit. Einer der Vorwürfe gegen den Altgedienten: Er hatte für das Onlinemagazin Rubikon geschrieben. In einem Schreiben seiner Vorgesetzten steht:

„In der Vergangenheit haben wir Ihre Publikationen und Veröffentlichungen auf diversen Online-Plattformen aufmerksam verfolgt — zuletzt auf rubikon.news — und sehen nach ausführlicher Prüfung und Diskussion leider keine weitere Basis mehr für eine vertrauensvolle und gerne auch kritische Zusammenarbeit gegeben.
Die Grenze einer konstruktiven Kritik ist für uns u. a. mit diesen von Ihnen bewusst publizierten Formulierungen überschritten, die wir deutlich zurückweisen:
‚Zwangsfinanzierte Hetze‘
‚öffentlich-rechtliche Witzsendung‘
‚öffentlich-rechtlichen Zensoren‘
‚Charakterschwachen Gesinnungswächtern in den Rundfunkgremien‘
‚missionarische Propaganda‘.
Wir akzeptieren Ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, aber Ihre Äußerungen mit Beleidigungen wie ‚charakterschwach‘ stehen im Widerspruch zu Ihrer Tätigkeit für uns.“

Naive Zeitgenossen mögen nun einwenden: „Wo ist das Problem? Die Wahrheit wird man doch noch sagen dürfen!“ Darf man nicht. In seinem Buch präzisiert der Autor seine Vorwürfe: „Wer im Lichte jener Programmrichtlinien die Produktionen des WDR überprüft, kann nur zu dem Schluss kommen, dass die ‚zwangsgebührenfinanzierte‘ Anstalt systematisch ihre eigenen Prinzipien verhöhnt.“

Die Guten auf dem Weg zum Endsieg

Es war wohl vor allem die „Güte“ seiner Vorgesetzten, die dazu führte, dass man Walter van Rossum so übel mitspielte. „Und das Gute beweist seine Güte allein dadurch, dass es dem Bösen nicht nur widersagt, sondern es auch tätig bekämpft.“ Immer mit dabei: der Vorwurf, „Verschwörungstheorien“ Vorschub zu leisten. „Wenn von Verschwörungstheorien die Rede ist, errichtet man eine Demarkationslinie zwischen Drinnen und Draußen. Wer darf mitreden und wer nicht? Was gilt noch als zumutbare Überlegung und was nicht? Doch die Demarkationslinie basiert nicht auf Argumenten, sondern funktioniert über pathologische Zuschreibungen.“ Wir alle kennen diese fast mythologisch anmutende Spaltung der Realität: „Und Gott schied das Licht von der Finsternis.“

Der Moderator und nunmehr außerhalb der Demarkationslinie agierende Journalist bemüht sich hier auch um die Rehabilitation der „Verschwörungstheoretiker“. Diese „arbeiten an der Wiederherstellung eines wenigstens minimalen Pluralismus. Und die besteht in diesem Fall aus einer überaus mühsamen Sammlung und Sichtung von Informationen und Überlegungen, die der Proklamation der coronaren Apokalypse widersprechen. Darüber ließe sich reden — über Argumente also. Doch genau das verweigern die rüden Fürsten des Mainstreams von Anfang an. Man lässt sich nicht die schöne Katastrophe verwässern. Und heute könnten Diskussionen glatt den Endsieg verhindern“.

Diese Vorgehensweise führte zu einer Herrschaft des selbstbewusst auftretenden Dilettantismus. „Journalistische Knirpse ohne nennenswerte Fachkenntnisse haben sich angemaßt, Leute wie John Ioannidis, Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi zu ‚widerlegen‘ und in Misskredit zu bringen. (…) Ich hege den Verdacht, dass der real existierende Journalismus weniger sein Publikum als vielmehr sich selbst vor den Zumutungen einer pluralen Welt schützen will.“

Tausendfache Rechtsbeugung

Der zweite Teil des Buchs „The Great WeSet“ widmet sich dem Verfall des Justizsystems in Deutschland während der vergangenen knapp vier Jahre. Es hat sich herausgestellt: Wo sich die Täter mit ihren Kontrolleuren sowie den Kontrolleuren der Kontrolleure einig darüber sind, bestehendes Recht zu beugen, sieht sich der Einzelne schutzlos einem überwältigenden Apparat gegenüber. Das Corona-Establishment — und dies gilt bis zum heutigen Tag — will nicht überzeugen. Schon gar nicht will es vergangene Fehleinschätzungen eingestehen und korrigieren. Mithilfe der Gerichte sollen Dissidenten vielmehr niedergerungen, abgestraft und zum Schweigen gebracht werden. Das „Zentrum zur Aufarbeitung, Aufklärung, juristischen Verfolgung und Verhinderung von Verbrechen gegen die Menschheit aufgrund der Corona-Maßnahmen (ZAAVV)“ hat Hunderte staatliche Überfälle auf Corona-Oppositionelle dokumentiert. Viele von ihnen wurden mit beispielloser Brutalität durchgeführt — etwa durch Strafen, die jedem Gefühl für Verhältnismäßigkeit spotten.

„Die 70-jährige Ärztin Dr. Gudrun Ströer wurde im August 2022 vom Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung und zu einer Geldstrafe verurteilt, außerdem wurde ein dreijähriges Berufsverbot verhängt. Sie soll in 309 Fällen Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt haben, ohne einen der Patienten untersucht zu haben. Der Gynäkologe Dr. Ronald Weikl aus Passau wurde zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 50.000 Euro verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte sogar eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren gefordert.“

Der Arzt Rolf Kron erlitt eine erniedrigende Hausdurchsuchung. Er war offenbar „auffällig geworden, weil er früh zu den sogenannten Corona-Maßnahmen kritisch Stellung bezogen hat. Außerdem hatte er öffentlich seine Bereitschaft erklärt, Maskenatteste auszustellen“. Walter van Rossum resümiert:

„Je mehr man sich mit den Umständen der Ermittlungen gegen Rolf Kron beschäftigt, umso mehr entsteht der Eindruck einer ‚politisch motivierten‘ Strafverfolgung, was juristisch einer Rechtsbeugung entspräche. (…) Der Sinn solcher dramatisch unverhältnismäßigen Ermittlungen dürfte in den allgemeinen Einschüchterungseffekten liegen: Ärzte, die sich in welcher Weise auch immer gegen die Corona-Maßnahmen stellen, werden gnadenlos verfolgt.“

Lichtblicke

Um seine Leser jedoch nicht gänzlich in Mutlosigkeit versinken zu lassen, widmet Walter van Rossum der sich formierenden Gegenbewegung ungefähr genauso viel Raum wie der sich pandemisch ausbreitenden Rechtsbeugung selbst. Die Anwälte Alexander Christ, Beate Bahner, die „Anwälte für Aufklärung“, die Vereine „Aus Liebe zum Grundgesetz“ sowie „Der GesellschaftsFAIRtrag“, das eben erwähnte ZAAVV, die „Kritischen Richter und Staatsanwälte“ — ja, das gibt es! — oder die „Kritischen Polizisten“: Sie alle bekommen ein eigenes kurzes Kapitel. Van Rossum erzählt anschaulich die Geschichten hinter den meist nur stichwortartig bekannten Vorfällen und Namen von Akteuren. Natürlich blieb die konterrevolutionäre Verfolgung dieser Unbotmäßigen nicht aus. So heißt es über die „Kritischen Polizisten“ in einem „Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und Corona-Protestlern“ des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen aus dem Sommer 2022: „Auf deren Kanälen wird die Legitimität des derzeitigen Regierungshandelns in Zweifel gezogen.“ Je mehr die Legitimität der Regierung also infolge einer Fülle von Fehlleistungen schwand, desto ehrpusseliger wurde die Obrigkeit, wenn Kritiker ihr den Spiegel vorhielten.

Im „Sonderbericht“ steht weiter:

„In der Folge werden Polizeibeamtinnen und -beamte zur Verweigerung des Befolgens von Dienstanweisungen (,Befehlsverweigerung‘) aufgerufen. Die Form der hier betriebenen Unterwanderungsstrategie ist für die Funktionsweise des Rechtsstaates in höchstem Maße gefährlich, wenn neben dem ,Anregen zum Nachdenken‘ verschwörungsideologisch geprägte Inhalte und Narrative innerdienstlich weiterverbreitet werden und der Staat dabei als illegitim dargestellt wird — da er durch die sogenannten Eliten ‚unterwandert‘ beziehungsweise ‚ausgehöhlt‘ sei.“

Wie beim Begründungsschreiben für die Entlassung Walter van Rossums durch den WDR kann man auch hier konstatieren: Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd.

Für die Kriminalisierung von Kritikern nämlich hat unsere Regierung, allen voran Pannen-Innenministerin Faeser, die als Spitzenkandidatin bei der Hessen-Wahl gerade eine desaströse Niederlage kassierte, einen smarten Vorwand ersonnen: die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, der Walter van Rossum in seinem Buch ein eigenes Kapitel widmete.

„Gleichzeitig mit der Realisierung der ‚Maßnahmen‘, die mit der radikalsten Aussetzung von Grundrechten seit Bestehen der Bundesrepublik einherging, wurden jeder Zweifel, jede Kritik an dieser Politik umgehend pathologisiert oder kriminalisiert, Kritiker auf eine bis dahin nicht vorstellbare Weise ausgegrenzt und mit persönlichen und beruflichen Konsequenzen bedroht. Und den Androhungen folgten tausendfach reale Sanktionen.“

Ein „nachtragendes“ Buch

Walter van Rossums Buch ist ein Stück deutsche Geschichtsschreibung der letzten Jahre. Es hilft dabei, nicht zu vergessen. Denn was nützt eine Vergebung, die von den Opfern ausgesprochen wird, noch bevor sich auf den Lippen der Täter auch nur die Andeutung eines „Sorry“ geformt hat? Selten habe ich eine so hellsichtige und zugleich bewegende Zusammenfassung des Geschehens gelesen, wie sie sich in „The Great WeSet“ wiederfindet:

„Im März 2020 kollabierte die uns bekannte Realität — im Nachhinein möchte man fast sagen: binnen Stunden. Doch es gibt kein physikalisches Zeitmaß für diesen Kollaps. Es wurden ein paar sonderbare Imperative in die Welt gebellt — und die bekannte Ordnung ging in die Knie: der Rechtsstaat, die Wissenschaft, die Medizin, das argumentierende Begründen, die Aufklärung, die Wirtschaft und die Kunst. Noch bevor wir ein ‚Aber‘ absetzen konnten, um unsere Einwände und Gegenrechnungen zu präsentieren, waren wir längst abgeschaltet von den Zugängen zur imperativen Welt. Aussortiert als Querdenker, Querulanten, Verschwörungstheoretiker und Staatsfeinde. Wir fanden uns wieder unter lauter Gleichgesinnten, die wir noch gar nicht kannten und wie Freunde begrüßten, weil wir mit ihnen reden konnten. Ehemals vertraute Menschen wandten sich von uns ab und wurden zu Kreuzzüglern der Imperative — unerreichbar in ihrem tiefen Glauben, aber stets mit gezücktem Schwert.“

Der Autor stellt die entscheidende Frage:

„Wie ist es möglich, dass eine halbwegs leicht zu enttarnende Bedrohung in die Welt gesetzt wird und die hoch komplexe, äußerst differenzierte abendländische Zivilisation daraufhin ihren Dienst einstellt? Als wäre sie nur ein leichtes Seidenjäckchen gewesen, ein hauchdünner ideologischer Firnis?“

Tatsächlich, so scheint es, war unsere viel gelobte „abendländische Zivilisation“ ohne Inhalt, war unser laues und beflissenes Bekenntnis zur „Demokratie“ nur dahingebrabbelt gewesen — ohne eine Idee davon, was Demokratie eigentlich ausmachen sollte, ohne eine wirklich der Tiefe unseres Wesens entsteigende Entschlossenheit, sie notfalls zu schützen.

„Und im Laufe der Zeit haben wir die Leere in uns selbst entdeckt. Wir hatten seit Langem bei diesem Budenzauber mitgespielt. Wir hatten uns arrangiert. Wie aber konnten wir glauben, die Abwesenheit eines Potentaten und das Recht, alle paar Jahre irgendwelche abgebrühten Typen wählen zu dürfen, das wäre Demokratie?"

Eine Skizze des Neuen

In der Folge, so konstatiert Walter van Rossum, geht es jetzt ums Ganze. Reichen nicht auch ein paar Reparaturen? „Leider eben nicht. Die imperative Welt diskutiert nicht. Und insofern bleibt nichts Geringeres als das Ganze. (…) Wenn das Ganze das Falsche ist, dann müssen wir das Ganze ins Visier nehmen.“

Wer sind in diesem Zusammenhang „wir“, wer sind die Akteure des von van Rossum so genannten „WeSet“? Der Autor porträtiert den neuen Typus des Schwurblers, der seine Gestalt und Größe fand, indem er sich an der imperativ auftretenden Dummheit wundrieb.

„Wir haben Gegner, eisige Akteure, die an der Zerlegung der Welt arbeiten, um sie nach ihren Plänen neu zu errichten. Und sie haben erhebliche Fortschritte gemacht. Als unerwünschte, aber erwartbare Nebenwirkung haben sie uns auf den Plan gerufen, die ‚Schwurbler‘. Und wir müssen viel besser sein, als man uns nachsagt. Warum sonst sollte man uns ununterbrochen dämonisieren? Die neue Gegenöffentlichkeit hat ja nicht nur Details kritisiert, sondern die Fälschung des Ganzen aufgedeckt. Wir haben einiges geleistet — zumal in Anbetracht unserer Möglichkeiten. Wir sind nicht nur der Sand im Getriebe des Great Reset, wir sind die improvisierte Skizze von etwas anderem.“

Wer das Buch nach der Lektüre beiseitelegt, angefüllt mit einigen Antworten, jedoch einer noch größeren Anzahl von Fragen, wird sich glücklich schätzen, den weiteren Gedankenprozessen Walter van Rossums in seinen Talksendungen und gelegentlichen Artikeln auf Manova kontinuierlich folgen zu können. Vielleicht wird aus der „improvisierten Skizze“ einer wirkungsvollen Freiheitsbewegung dann mit der Zeit ein großes Gemälde. Ein Satz, der ziemlich am Anfang des Buches „The Great WeSet“ steht, kann jedenfalls als gute Nachricht gelten: „Im Rahmen einer Reihe folgen weitere Bände etwa über Wirtschaft und Gesundheit.“ Für begeisterte Leser dieses Bandes bedeutet das: Fortsetzung folgt.




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