Das tote Meer
Die Ausweitung des Tiefseebergbaus hätte massive Schäden an der Unterwasserflora und -fauna zur Folge. In einem Roman hat Dirk C. Fleck schon vor dieser Gefahr gewarnt.
Den Meeresboden aufzuwühlen und die dort lagernden Substanzen freizusetzen könnte Umweltschäden in unvorstellbarem Ausmaß verursachen. Ein solcher Schritt würde in einer ohnehin schon labilen ökologischen Gesamtlage den Tod ungezählter Lebensformen mit sich bringen. Wegen der praktischen Schwierigkeiten, mit denen dies verbunden ist, wurde der Tiefseebergbau bisher nicht in besorgniserregendem Ausmaß betrieben. Dies könnte sich jetzt ändern. Die norwegische Regierung will ein großes Gebiet im Nordatlantik für den industriellen Abbau von Rohstoffen freigeben. In seinem Utopie-Science-Fiction-Roman „Das Tahiti-Projekt“ hat Dirk C. Fleck den massiven Tiefsee-Raubbau bereits vorhergesehen. Wird es in unserer Realität auch ein Happy End geben, bei dem der submarine Beutezug aufgehalten wird?
Das Problem von Literatur ist, dass sie vorgreifen muss, wenn sie auf gesellschaftspolitische Entwicklungen und Gefahren hinweisen will. Aber selbst ein Science-Fiction-Autor sieht die Realität sehr schnell im Rückspiegel auf die Überholspur wechseln. So ist es auch mit dem Roman „Das Tahiti-Projekt“ aus dem Jahre 2007 geschehen.
Worum geht es in dem Buch? Im Jahre 2022 droht die Welt in einem Chaos aus natur- und menschengemachten Katastrophen zu versinken. Zu diesem Zeitpunkt lädt der junge tahitianische Präsident Omai fünfzig internationale Pressevertreter ein, damit sie sich vor Ort ein Bild von der sozioökologischen Neuausrichtung der Gesellschaftsinseln machen können, die sich für den radikalen Umbau jahrelang vor der Weltöffentlichkeit abgeschottet hatten.
„Wir haben Sie hergebeten,“ beginnt Omai seine Begrüßungsrede, „damit Sie sich davon überzeugen können, dass die menschliche Gemeinschaft funktioniert. Dass sie frei sein kann von Missgunst und Vorteilsnahme, dass die Kluft zwischen Arm und Reich nicht zwingend notwendig ist. Die Menschheit ist entschieden zu weit gegangen — es ist an der Zeit, wieder Lebensqualität statt Gier und Zerstörung zu produzieren.“
Kurz darauf informiert ein Whistleblower die tahitianische Regierung darüber, dass der weltweit größte Energiekonzern Global Oil damit begonnen hat, illegal in den Hoheitsgewässern der Gesellschaftsinseln in großer Tiefe nach Manganknollen zu schürfen, was eine Umweltkatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes nach sich ziehen wird.
Das war eine Romanfantasie, das war Science-Fiction. Nur 17 Jahre später ist es Realität geworden. Zumindest ist es beschlossene Sache. Das norwegische Parlament hat gerade entschieden, große Gebiete im Nordatlantik für den Tiefseebergbau zu öffnen. In dem 281.000 Quadratkilometer umfassenden Gebiet zwischen Ostgrönland und Spitzbergen lagern nach Schätzungen von Geowissenschaftlern rund 45 Millionen Tonnen Zink sowie 38 Millionen Tonnen Kupfer, also das Doppelte der heute weltweit geförderten Menge. Außerdem soll die Meereskruste große Mengen an Gold, Silber, Mangan, Titan, Kobalt, Nickel und den begehrten „seltenen Erden“ enthalten. Ein Fraß, den sich die unersättliche Konsumgesellschaft unserer Tage nicht entgehen lassen will.
Zwar wird das norwegische Öl- und Energieministerium nicht müde zu betonen, dass man beim geplanten Deep Sea Mining großen Wert auf Umweltaspekte legen wolle. Der geplante Abbau soll erst gestartet werden, wenn die betreibende Industrie „verantwortungsvolle Praktiken“ nachweisen kann. Umweltorganisationen und Ozeanologen aber laufen Sturm gegen das gigantische Vorhaben. Mit dieser Entscheidung, so die Kritiker unisono, setzte Norwegen seinen Ruf als umweltfreundliche und nachhaltige Nation in Brand.
Noch im November 2023 hatten 121 EU-Parlamentarier einen dringenden Appell an die norwegischen Parlamentarier gerichtet, gegen den Tiefseebergbau zu stimmen, weil das Abernten des Meeresbodens irreversible Schäden an Flora und Fauna zur Folge haben würde.
Vor Kurzem hatten Wissenschaftler die Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) untersucht, eine Tiefseegegend im Zentralpazifik, in der mehrere Staaten nach Manganknollen schürfen wollen. Sie fanden 5.578 Tierarten, von denen 92 Prozent bis dahin unbekannt gewesen waren. Die Wissenschaftler betonten ausdrücklich, dass dies nur eine Stichprobe gewesen sei, es vermutlich sehr viel mehr Arten gebe. Die verhängnisvolle Entscheidung des norwegischen Parlaments betrifft nur norwegische Gewässer; es ist aber zu befürchten, dass nun eine Art Wettrennen um die Ressourcen der Tiefsee beginnt, an dem sich noch viele andere Nationen beteiligen werden.
Im „Tahiti-Projekt“ konnte der illegale Angriff auf die Tiefseeschätze vor Ort noch abgewendet werden. So etwas geht in einem Roman. In der Realität lässt sich der Raubbau an der Natur nicht verhindern. Das hatte schon Hans Paasche vor über hundert Jahren erkannt. Paasche (1881 bis 1920) diente als Marineoffizier in Afrika und kam zu folgender traurigen Erkenntnis:
„Das Leid der geschändeten Natur war niemals, seit die Erde besteht, so groß wie jetzt unter der nichts schonenden Macht des Welthandels, des Verkehrs, der Industrie. Maßlos sind die im Nehmen. Was irgend die Erde an lebender Schönheit und Pracht hervorbrachte, muss ihnen dienen. So lange noch eine Gazelle lebt, deren Fell auf dem Weltmarkt Wert hat, ein Wal im Eismeer, ein Paradiesvogel im Urbusch entlegener Inseln, so lange ruht die geschäftige Betriebsamkeit nicht, gepaart mit menschenunwürdiger Gedankenlosigkeit und Kurzsicht.“
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