Das Team Mensch
Der Rubikon rief dazu auf, Visionen für eine lebenswerte „neue Welt“ zu teilen — so sehen sie aus. Teil 6.
Vor einiger Zeit hat der Rubikon in Anlehnung an den neuen Bestseller „Wer, wenn nicht Bill?“ von Sven Böttcher seine Leser dazu ermutigt, ihre Visionen für eine Welt jenseits von Corona und totalitärer Macht mit uns zu teilen. Wir erhielten eine erfreuliche Anzahl von Zuschriften und haben eine Auswahl davon hier zusammengestellt. Die Visionen unserer Leser sind dabei genau so vielfältig wie die Menschen selbst. Sie mögen als Inspirationsquelle dienen. Denn wir können nur die Zukunft erschaffen, die wir bereit sind, uns vorzustellen.
Stopp! Es reicht. Wir wissen alles, fast schon zu viel darüber, was in dieser Welt nicht stimmt. Schon seit Jahren, und verstärkt im letzten Jahr, haben wir die zahlreichen Missstände von allen Ecken und Enden, allen Seiten und Kanten ausgiebig beleuchtet. Doch was genau hat das bewirkt? Hat sich dadurch etwas verändert? Nein, stattdessen hat die immerwährende Analyse des Gegenwärtigen nur zu noch mehr Angst geführt: Angst vor der Atomapokalypse, Angst vor der Umweltapokalypse, Angst vor der Wirtschaftsapokalypse, Angst vor dem totalitären Faschismus.
Und ja, all das ist möglich oder schon eingetreten. Doch was bringt es uns, wenn wir immer und immer wieder darauf starren, wie ein krankes System unser Leben verändert hat? Auf diese Weise bewirken wir keine Veränderung, ganz im Gegenteil, wir verfestigen den Status quo. Denn auch im Unbehagen kann man es sich gemütlich machen. Immerhin ist das Gegenwärtige bekannt und damit vertraut. Man weiß, wovor man Angst zu haben hat, weiß, wer der Feind ist.
Schluss damit! Angst und Gewohnheit lähmen. Schauen wir nicht länger auf das, was falsch läuft, auf all die möglichen Schreckensszenarien. Denn dann werden sie eintreten, wie die gegenwärtige Situation beweist. Gerade jetzt, in diesen Zeiten des Umbruchs, ist eine günstige Gelegenheit gekommen, sich aus den Gewohnheiten zu reißen und endlich etwas Neues zu beginnen. Fangen wir also damit an, unsere Träume zu verwirklichen.
Denn jeder von uns trägt in sich seine Träume und Visionen, gut verschlossen, wohl gehütet, versiegelt mit dem Etikett „Irgendwann“. Dieses „Irgendwann“ wird aber nie kommen, wenn man die Saat der Idee für sich behält und nicht in der Welt aussät.
Denn jede Vision kann wahr werden. Alles, was wir dafür tun müssen, ist, sie offen in die Welt zu bringen, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Denn nur auf diese Weise können wir herausfinden, dass um uns herum viele Menschen gleiche oder ähnliche Ideen und Visionen hegen, die sich ergänzen und komplettieren. Wir sehen, dass wir nicht die einzigen sind, und die vielen Ausreden fallen plötzlich weg.
Denn wie oft denkt man: „Dafür habe ich kein Geld“, „Dafür hab ich keine Zeit“, „Alleine schaffe ich das niemals“ und so weiter, und so fort. Doch wenn wir nicht alleine sind, uns motiviert zusammenschließen, dann fallen all diese Begrenzungen weg. Gemeinsam finden wir auf jede dieser Ausreden eine Antwort, welche die Begrenzung sprengt. Wir können Energien entfesseln, von denen wir alleine nie gedacht hätten, dass wir sie in uns haben. Lasst uns daher über unsere Visionen sprechen, lasst uns unsere Träume nach außen tragen.
Dies war der Grundgedanke der Rubikon-Leseraktion „Team Mensch.“ Und weil die Aufgabe, Visionen zu entwickeln, jeden von uns betrifft, möchte auch ich meine Vision aufschreiben.
Eine Vision
Ich träume von einem Waldgarten, der ein lebendiges Ökosystem bildet, und noch in vielen Generationen Mensch und Tier nicht nur mit gesunder Nahrung, natürlichen Gebrauchsgegenständen sowie mit sauberem Wasser versorgt, sondern ihnen auch eine Heimat ist. Hier können Mensch und Tier in Harmonie miteinander leben und sich entfalten. Sie leben von dem, was sie vorfinden und betreiben dabei keinen Raubbau an der Natur, sondern bereichern sie noch. Mensch, Tier, Pflanzen und Pilze bilden hier ein sich selbst erhaltendes und bereicherndes Ökosystem.
In der Mitte des Waldes gibt es eine große Lichtung, in deren Zentrum eine Rosskastanie wächst. Hier versammeln sich die Menschen zu Festen und Feiern, zum Essen, zur Erholung oder Selbstverwirklichung. Auch einige Hütten, unterschiedlicher Größe, wird es geben, in denen Menschen leben und Werkzeuge aufbewahren, dazu Kräuter- und Gemüsegärten. Begrenzt wird die Lichtung durch Sträucher und Hecken. Darunter finden sich beispielsweise Rosengewächse und Weißdorn.
Dahinter folgt ein Mischwald aus Birken, Eichen, Walnussbäume, Esskastanien und vielen anderen Bäumen. Gebüsche, Sträucher und Pilze wachsen zwischen den Bäumen, rankende Pflanzen wie Bohnen können sich an den Stämmen emporziehen. Auf lichteren Stellen haben auch Obstbäume und Wildkräuter ihren Platz.
Überflüssige oder unerwünschte Pflanzen, sogenannte Unkräuter, gibt es nicht. Jeder Organismus hat seinen Platz und seine Funktion im Ökosystem und dient diesem.
Zudem wird die Natur nicht auf ihre Verwertbarkeit für den Menschen reduziert, sondern jedes Lebewesen darf um seiner selbst willen existieren. Alles, worauf man achten muss, ist, dass keine Art sich dominant ausbreitet und den anderen das Leben schwer macht oder andere Arten sogar verdrängt.
Von der Lichtung aus führen vier Wege, in jede Himmelsrichtung, aus dem Wald hinaus und in ein oder zwei kleine Dörfer. Auch hier bauen die Menschen Getreide, Lein, Hanf und andere Dinge an und halten einige Tiere. Dies geschieht selbstverständlich im Einklang mit den Bedürfnissen der jeweiligen Lebewesen und hat einen konsequenten Aufbau von Humus zum Ziel. Die Menschen leben in verschiedenen Formen zusammen, sei es als Hofgemeinschaften, in kleineren Familien oder allein.
Auch die Wege sind im Wald und außerhalb in konzentrischen Kreisen miteinander verbunden, genauso wie die Dörfer. Umgeben sind die Felder und Dörfer von Obststreuwiesen. An vielen Stellen wird es Bienenstöcke und Nistkästen für Vögel geben, Bruchsteinmauern und -haufen, Erdhügel, kleine Gruben, Kompost, alles, was Tieren und Pflanzen Lebensraum bietet.
Im Laufe der Zeit wird der Mischwald sich in alle Richtungen ausbreiten und auch die Dörfer einschließen. Zudem wird er sich auf natürliche Weise immer wieder neu durchmischen, Arten werden ihre Standorte wechseln, Wege sich verändern. Der Wald wird Luft und Wasser reinigen, Grundwasservorkommen erschaffen oder vergrößern und an die Oberfläche strömen lassen. Auf diese Weise können Bäche, Teiche oder Seen entstehen. Vorhersehbar ist dieser ganze Prozess so wenig wie die Natur selbst.
Der ganze Wald wird nicht nur ein Lebensraum sein, sondern auch eine Stätte spiritueller Begegnungen und Erfahrungen. Er wird eine Art natürlicher Tempel sein, der seine Bewohner selbst versorgt und für jedes ihrer Bedürfnisse eine Möglichkeit der Erfüllung parat hält. Ob man sich alleine zurückziehen und in asketische Meditation versenken oder in Gemeinschaft ausgelassene Feste feiern möchte, jeder hat hier seinen Platz. Die Menschen lernen, Rücksicht auf sich und die sie umgebenden Lebewesen zu nehmen. Sie erlernen erneut, sich verantwortlich zu fühlen für das Wohlergehen anderer, für die Pflege ihrer Umwelt. So ist der Wald auch eine Schule des Lebens und der Lebendigkeit.
Bildungseinrichtungen wird es nicht geben, denn Menschen jedes Alters lernen hier im konkreten Handeln. Dabei kann jeder ein Schüler, aber auch ein Lehrer sein, denn jeder Einzelne nimmt die Welt anders wahr und legt Wert auf unterschiedliche Aspekte, die er oder sie an andere weitergeben kann. Auf diese Weise entsteht ein kollektives Denken, das die Verbundenheit aller mit allem wieder in den Vordergrund rückt, jedoch ohne das Individuelle unterzuordnen. Denn obwohl wir miteinander verbunden sind, so haben wir doch alle unterschiedliche Fähigkeiten und Eigenschaften. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere und Pflanzen.
Später, in einigen Jahrhunderten, wenn viele der ersten Bewohner, also auch ich, lange als Asche unter der Rosskastanie verstreut worden sein werden, leben hoffentlich noch immer Menschen hier im Einklang mit der Natur. Ihre Lebensformen und „Unterkünfte“ sind schwer vorhersehbar, vermutlich werden sie Baumhäuser bauen oder Hütten aus Stroh und Lehm. Sie werden in Tiny Houses leben oder in größeren Gemeinschaften auf den Höfen. Immer wieder werden sie sich an das erinnern, was man ihnen erzählt hat, über die Vergangenheit.
Sie werden von Geld hören und lachen. Sie werden von Krieg hören und sich gruseln. Sie werden von Corona hören und sich wundern, wie die Menschen jemals Angst vor so etwas haben konnten.
Sie werden von Lohnarbeit hören und erleichtert sein, dass sie diese Zeit nicht erleben mussten. Sie werden von Staaten und Gesetzen, von Polizei und Militär hören und sich fragen, wieso die Menschen so lange anderen Macht über sich eingeräumt und sich haben einzwängen lassen. Sie werden wissen, wie nah die Menschheit vor dem Untergang stand, werden all die möglichen Szenarien kennen, über die auch wir tagtäglich schreiben und lesen. Und sie werden dankbar sein. Dankbar dafür, dass es Menschen gab, die sich nicht haben entmutigen lassen, sondern angefangen haben, eine Welt zu erschaffen, die es auch ihnen noch ermöglicht, gesund und in Freiheit leben zu können.
All das sind große Träume, und im Hier und Heute gibt es viele Hürden, die genommen werden wollen. Land muss her, auf dem die Saat für einen potenziell endlosen Wald gelegt werden kann. Geld muss her, denn trotz allem leben wir noch im Kapitalismus, der für alles finanzielle Ressourcen erfordert. Doch am wichtigsten: Überzeugte und motivierte Menschen müssen sich zusammenfinden, um ein solches, ihre eigene Lebenszeit übersteigendes und überdauerndes Projekt zu verwirklichen. Es müssen Menschen sein, die gewillt sind, ihren Nachfahren in vielen Generationen eine lebendige Welt zu hinterlassen und bereit sind, die Verantwortung dafür zu übernehmen.
Doch all das kann geschehen, wenn wir unsere Visionen und Träume miteinander teilen.
Die Zukunftsvisionen des Team Mensch im Überblick:
Das Team Mensch, Teil 1
Das Team Mensch, Teil 2
Das Team Mensch, Teil 3
Das Team Mensch, Teil 4
Das Team Mensch, Teil 5