Das Tahiti-Projekt
Die Zerstörung der Welt oder Leben im Ökoparadies? Begleiten Sie den Hamburger Spitzenjournalisten Cording auf seiner Reportagereise. Teil 3.
Eine Vorschau auf das Jahr 2022 — aufgeschrieben mehr als ein Jahrzehnt früher: Die Welt droht in einem Chaos aus natürlichen und menschengemachten Katastrophen unterzugehen. Nur auf Tahiti wächst ein neues ökologisches Paradies heran. Omai, der junge Präsident der Insel, versucht, sein Land zu beschützen. Der Hamburger Spitzenjournalist Cording lässt sich vom Idealismus Omais anstecken und wird unversehens in eine Affäre ungeheuren Ausmaßes hineingezogen. Denn die Mächtigen der Welt haben es auf die Rohstoffvorräte Tahitis abgesehen. Manova veröffentlicht jede Woche ein Kapitel aus Dirk C. Flecks visionärem und spannendem Roman. Hier finden Sie alle vorherigen Teile.
Die Sicherheitsvorkehrungen im Verlag wurden immer aberwitziger. Sie filzten nicht nur das Gepäck, jetzt durfte das Wachpersonal den Angestellten in eigens errichteten Kabinen sogar stichprobenartig an die Wäsche. Natürlich traf es mal wieder ihn.
„Machen Sie sich nichts draus“, bemerkte Dr. Werner vom Aufsichtsrat, als sich Cording in der Empfangshalle das Hemd in die Hose stopfte, „mich hat es gestern ebenfalls erwischt. War übrigens hervorragend, Ihre Reportage über die Babyfänger. Was stellen die chinesischen Behörden eigentlich mit den zweitgeborenen Babys an?“
„Das wollten sie mir nicht sagen ...“, entgegnete Cording ironisch.
Dr. Werner stutzte kurz, dann begann er zu lachen. „Die bringen sie doch nicht tatsächlich um, wie behauptet wird, oder?“
Cording zuckte mit den Schultern und ging zu den Fahrstühlen. Vierzehnter Stock. Er marschierte den langen Flur hinunter, vorbei an den gerahmten Reportagen, die das Emergency-Team im letzten Jahr zustande gebracht hatte. Die Tür zum Sekretariat stand offen. Betty, Mikes Sekretärin, saß an ihrem Schreibtisch und spielte gedankenverloren mit einem Bleistift. Als sie ihn entdeckte, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
„Schön, dass du wieder da bist“, sagte sie.
Cordings Blick glitt unter den Schreibtisch, wo eine kugelsichere Weste sowie ein Stahlhelm mit der Aufschrift PRESSE deponiert waren. Betty war sein prüfender Blick nicht verborgen geblieben.
„Wen schickt ihr denn als nächsten ins Gefecht?“, fragte er.
„Der Set ist für dich“, sagte Betty.
„Für mich?! Was soll das?!“, schimpfte er, „ich bin gerade mal seit 24 Stunden zurück!“
Betty zuckte nur mit den Schultern.
„Das musst du schon mit Mike klären.“
„Wo soll es denn hingehen?“
„In den Senegal. Du fliegst morgen von Frankfurt aus mit der Bundeswehr nach Agadir. Von dort geht es mit dem Jeep weiter“.
„In die Flüchtlingscamps?! Weißt du, was der nordafrikanische Staatenbund dort veranstaltet? Organisierten Massenmord! Sie lassen die Flüchtlinge in die Falle laufen und hungern sie aus. Dort krepieren Hunderttausende. Frauen, Kinder, Greise. Die senegalesische Grenze ist ein einziges Massengrab. Mein Gott, Betty, ich habe genug Scheiße gesehen die letzten Monate. Das reicht für ein ganzes Leben!“
Betty antwortete nicht. Cording hielt nun ebenfalls die Klappe. Er würde da nicht hinfahren, soviel stand fest.
„Bestell Mike, dass er mich sonstwo kann“, sagte er und verschwand leise fluchend aus dem Büro. Diesmal verzichtete er auf ein Taxi und nahm die U-Bahn. Das Risiko, seiner angestauten Wut an unpassender Stelle Luft zu verschaffen und möglicherweise in einer weiteren Polizeikontrolle Amok zu laufen, war ihm zu groß.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, traute er seinen Augen nicht. Die Mansteinstraße lag unter einer dichten Schneedecke begraben. In der Nacht war die Temperatur um zwanzig Grad gefallen. Und das Anfang Mai! Er lehnte an der offenen Balkontür und hielt sein Gesicht in die Sonne. Unten hatte jemand den Namen ANNA auf ein verschneites Auto geschrieben. Der Anblick versetzte ihm einen Stich.
ANNA. Elf Monate war es her, seitdem sie ihm beim Frühstück in zärtlichster Manier zu verstehen gegeben hatte, dass sie ihn verlassen werde. Er hatte ihre Entscheidung akzeptiert wie einen Richterspruch. Die Zeit mit ihr war ihm ohnehin als etwas erschienen, das er noch nicht verdient hatte — ein Wechsel auf die Glückseligkeit sozusagen, den es irgendwann einzulösen galt. Er kramte nach ihren Fotos. Anna erinnerte ihn an ein Taipi-Mädchen, von denen Herman Melville berichtet hatte. Die Taipi waren Südsee-Insulaner. Ihre Mädchen wuchsen frei und ungezwungen auf, sie waren von jeder gesellschaftlichen Pflicht entbunden, körperliche Arbeit war ihnen bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr untersagt.
Er kam nicht dazu, lange in Erinnerungen zu schwelgen. Der Wandbildschirm signalisierte den Eingang einer dringenden E-Mail. Die Chefredaktion zitierte ihn ins Haus, das war zu erwarten gewesen.
„Er telefoniert noch“, sagte Betty, die über seinen schnellen Abgang, den er sich das letzte Mal geleistet hatte, immer noch verärgert zu sein schien.
Cording blickte in den Innenhof, der sich unter einer stürmischen Wolkenfront verfinsterte, als sei die Welt beleidigt.
„Kannst reingehen, er hat aufgelegt.“
Als Cording eintrat, ließ Michael Kühling , deutscher Redaktionsleiter des internationalen Reportagemagazins EMERGENCY, die rechte Hand über die Sessellehne fallen, als biete er sie zur Maniküre dar.
„Siehst beschissen aus“, bemerkte er. „Was war los mit Dir gestern? Warum bist du nicht in den Senegal geflogen?“
Cording antwortete nicht. Stattdessen sah er sich in aller Ruhe um. Sie hatten den Chefsalon renoviert. Neue Möbel, neuer Teppich, neue Gemälde.
„Der Kandinsky ist echt“, bemerkte Mike, als wollte er der Nachfrage zuvorkommen. „Aber zur Sache: was war los?“
Cording betrachtete seinen Vorgesetzten wie eine Naturerscheinung. Der Mann war innerhalb kürzester Zeit zu einem strahlenden Erfolgsmodell mutiert. Mike war nur noch ein Schatten seiner selbst, bis unter die Haarspitzen von Machtgeilheit und klammheimlicher Lust erfüllt. Wie sollte er diesem gekauften Freund seine Lebensmüdigkeit erklären? Cording fragte sich, was er hier zu suchen hatte. Jedes Mal, wenn er diese gesicherte Trutzburg des Journalismus betrat, hatte er das Gefühl, dass die Selbstzufriedenheit, die an diesem Ort vorherrschte, in keinem Verhältnis zur Realität stand. Die Leute hier hatten doch keine Ahnung, wie es da draußen wirklich aussah.
„London hat sich nicht gerade erfreut darüber gezeigt, dass du den Auftrag abgelehnt hast“, hörte er Mike sagen. „Wenn sie der Meinung sind, dass jemand ihrer Angestellten ausgebrannt ist, reagieren sie humorlos. So ist das Geschäft. Ich habe deine Tochter sterben lassen. Das haben sie als Grund akzeptiert.“
„Meine Tochter? Ich habe keine Tochter!“
„Du hattest eine uneheliche Tochter und damit basta“.
„Hätte es eine simple Krankschreibung nicht auch getan?“
„Bist du naiv, mein Lieber! In welcher Welt lebst du eigentlich? Du bist fast fünfzig! Da kommt eine Krankschreibung überhaupt nicht gut“.
Tja, in was für einer Welt lebte er eigentlich? Das hätte er manchmal selbst gerne gewusst.
„Wie lange ist es her, dass du deine letzte Reportage geschrieben hast, Mike?“, fragte Cording. „Fünf Jahre? Zehn?“
„Acht, um genau zu sein“.
„Lass mich überlegen. Es war der Bericht über den dioxinverseuchten Familienvater, richtig? Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie du gelitten hast damals. Diese Anteilnahme machte die Faszination deiner Reportage aus. Sie war großartig, wirklich. Kein Mensch hat verstanden, dass du anschließend mit dem Schreiben aufgehört hast. Ich nehme an, dass du dir darüber selber nicht im Klaren bist.“
„Was wird das? Hör auf, den Psychiater zu spielen!“
„Entschuldige.“ Cording legte sich mit im Nacken verschränkten Armen auf die Besuchercouch. „Wir beide wissen doch, worin das Erfolgsrezept von EMERGENCY besteht“, sagte er. „In der bedingungslosen Hingabe des Reporters an seine Geschichte. Fernsehteams haben an den aktuellen Brennpunkten kaum noch eine Chance, sie fallen zu sehr auf, sind zu unbeweglich, sie werden verprügelt und davongejagt. Sie können meist nur noch aus der Luft berichten. Aber die arme Sau, die sich am Boden den katastrophalen Verhältnissen stellt, die oft genug mutierten Monstern begegnet statt Menschen, die jede Form von seelischer und körperlicher Verkrüppelung vorfindet — diese arme Sau zahlt mit dem Verlust ihrer letzten Hoffnungen, wenn sie denn bei der Wahrheit bleibt und sich nicht als routinierter Kriegsberichterstatter entpuppt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich das alles nicht mehr lange aushalte ...“
Kühling langte in die Schublade und warf ihm eine Orange zu.
„Dafür zahlt euch der Verlag aber eine ordentliche Stange Geld“, bemerkte er ungerührt. „Unsere Reporter gehören zu den Topverdienern der Branche, vergiss das nicht. Was den Erfolg von EMERGENCY angeht, so trägt die Qualität der Beiträge nur bedingt dazu bei. Sicher, die Reportagen sind unser Markenzeichen. Aber gute Reportagen alleine finanzieren ein so aufwendiges Produkt nicht. Das Magazin erscheint in fünfzehn Sprachen, wir verkaufen über zwölf Millionen Exemplare. Der Verkaufspreis deckt aber nur ein Zehntel der Kosten. Also bedarf es potenter Anzeigenkunden: der Global Player, wie du weißt. Das Rezept ist einfach: EMERGENCY liefert den gnadenlosen Zustandsbericht und die Multis, die ihn zu verantworten haben, versichern an gleicher Stelle, dass nur sie es sind, die Abhilfe schaffen können. Für diese Imagepolitur zahlen sie horrende Summen. Das funktioniert, das ist genial.“
„Das ist nicht genial“, antwortete Cording resignierend, „das ist pervers“.
Auf dem Wandschirm wurde die Videokonferenz mit London angekündigt. Cording wollte sich verdrücken, aber Kühling gab ihm zu verstehen, dass er bleiben solle. Da saßen sie also in trauter Teerunde, die Verantwortlichen aus der Zentrale von EMERGENCY. Chefredakteurin Lydia Parker begrüßte die zugeschalteten Außenredaktionen.
„Bevor wir zur Blattkritik kommen,“ sagte sie, „möchte ich unserem Verleger das Wort erteilen, der uns heute mit seiner Anwesenheit beehrt“.
Rupert Matlock erschien auf dem Schirm, der Mann von dem nicht ein einziges Foto in der Öffentlichkeit kursierte. Matlock war es in den letzten zehn Jahren gelungen, die zwölf potentesten europäischen Verlagshäuser unter einem Dach zu versammeln. Damit hatte er die Pressefreiheit in Europa praktisch außer Kraft gesetzt. Cording starrte gebannt in dieses britische Bauerngesicht mit der knubbeligen Nase.
„Meine Damen und Herren,“ begann Matlock mit überraschend heller Stimme, „ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Ihnen meinen Dank auszusprechen. EMERGENCY hat sich unter Ihrer Führung in nur vier Jahren auf dem weltweiten Pressemarkt etabliert. Und nicht nur das: Unser Magazin ist zum Marktführer avanciert. Das gilt fürs Internet wie für den freien Verkauf. Die Wirtschaft hat das Konzept angenommen, darüber freue ich mich. Um ehrlich zu sein hatte ich auch nichts anderes erwartet ...“
Die am Konferenztisch Versammelten lachten artig.
„Wie Sie wissen, funktioniert die Anzeigenakquisition deshalb so erfolgreich, weil wir die Inserenten ein halbes Jahr im voraus mit unseren Themenplänen versorgen. Damit geben wir ihnen genügend Zeit, angemessen reagieren zu können. Seit einigen Monaten aber fragen immer mehr Unternehmen von sich aus bei uns an, ob wir ihnen nicht ein geeignetes redaktionelles Umfeld zur Verfügung stellen könnten. Aktuell gilt das für Airbus Industries, Global Oil und Merck. Natürlich werden wir nicht jedem Wunsch nachkommen können, aber wo es möglich ist, da sollten wir es tun. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.“
Cording lag wie betäubt auf der Couch. Die anschließende Diskussion, ob man die vom Elektrosmog in den Wahnsinn getriebenen Eskimos auf den nächsten Titel nehmen sollte, den bolivianischen Bürgerkrieg um privatisiertes Wasser oder die Massenevakuierungen an den indonesischen Küsten, nahm er kaum wahr. Er schützte sich mit einem Zitat des spanischen Kulturphilosophen Ortega y Gasset gegen das Gezerre der Redaktionshyänen um ein sattes Stück verlagsinternen Renommees: „Ich leugne rundum, dass heute in irgendeinem Winkel der Erde eine Gruppe existiert, die ihr Gesetz von einem neuen Ethos empfinge“. Cording musste schmunzeln.
Als die Konferenz beendet war, wurde der Bildschirm wieder matt und blind. In den letzten zwanzig Minuten war Cording einmal mehr bewusst geworden, dass es den Verlag einen Dreck interessierte, wie sich seine teuer bezahlten Edelfedern fühlten. Auch sie waren nur Rädchen im Getriebe und jederzeit austauschbar. Die Fluktuation im Reporterpool hätte ihm schon lange zu denken geben sollen. Von den achtunddreißig internationalen Topschreibern, die Rupert Matlock mit enormem finanziellen Aufwand und unter großem Propagandagetöse bei der Blattgründung rekrutiert hatte, waren siebzehn nicht mehr dabei. Sie waren entweder freiwillig gegangen oder aussortiert worden. Es war wohl einzig der Gnade von Mike Kühling zu verdanken, dass sich Cordings renitenter Charakter bisher noch nicht bis nach London herumgesprochen hatte.
„Ich habe den Eindruck“, hörte er Mike sagen, „als seist du dir immer noch nicht im Klaren darüber, das wir in erster Linie ein Geschäft betreiben. Es gibt ihn nicht mehr, den edlen journalistischen Ritter, der für nichts anderes als die Aufklärung streitet. Das bildest du dir ein, weil dich in diesem Hause niemand daran hindert, die Wahrheit zu schreiben. Aber die Wahrheit, von der du dir so viel Wirkung versprichst, ist Teil eines ausgeklügelten Deals! Sie ist ausschließlich dazu da, den Schuldigen Absolution zu erteilen. Dafür zahlen die sich dumm und dusselig. EMERGENCY fungiert in diesem Drama als Domina. Wir peitschen die Mächtigen bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus und sie versprechen reumütig Abhilfe. So funktioniert das ...“
Cording hatte das Gefühl, dass ihm das aberwitzige Lächeln, das er seit einigen Minuten zur Schau trug, langsam zu einer Maske gefror.
„Wir machen folgendes“, sagte Mike, „die nächsten zwei Wochen wirst du ausspannen. Leg dich in die Sonne oder organisiere eine Schlittenfahrt auf Grönlands letztem Gletscher. Ist mir wurscht. Danach erwarte ich wieder vollen Einsatz?“
„Theodore Kaczynski ist tot,“ warf Cording unvermittelt ein. „Nach 26 Jahren Haft im Knast gestorben“.
„Sagt mir nichts der Name“.
„Kaczynski, ehemaliger Harvard-Professor, besser bekannt als Unabomber. Der Mann war in den Neunzigern der meistgesuchte Terrorist in den Staaten!“
Kühling lud die Daten auf den Bildschirm. „Achtzehn Jahre lang terrorisierte der Unabomber die Repräsentanten der technischen Welt“, las er laut. „Er verschickte fünfzehn Briefbomben. Das Ergebnis: 3 Tote, 23 Verletzte.“ Er blickte Cording irritiert an: „Was willst du mir denn damit sagen ...?“
„Ruf sein Manifest auf. Kaczynski hatte dem FBI ein Jahr vor seiner Verhaftung einen Deal vorgeschlagen. Er versprach, seine Aktivitäten einzustellen, wenn eine überregionale Tageszeitung sein Manifest drucken würde. Die Washington Post und die New York Times hatten es getan. Titel: ‚Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft‘ Los, ruf es auf. Wenn du darin nur einen Satz findest, den du nicht unterschreiben kannst, vergessen wir die Angelegenheit ...“
Kaczynskis Manifest leuchtete wie ein Menetekel an der Wand dieser frisch renovierten Schaltzentrale medialer Macht auf: „Die Folgen der Industriellen Revolution haben sich für die Menschheit als eine Katastrophe erwiesen. Das Leben wurde unerfüllt, die Menschen gerieten in eine unwürdige Abhängigkeit, diese Entwicklung hat zu weit verbreiteten psychischen Problemen geführt und der Natur wurde unermesslicher Schaden zugefügt. Die kontinuierliche Entwicklung der Technologie wird die Lage weiter verschlimmern. Mit Sicherheit wird die Menschheit in noch größerem Maße abhängig werden und es werden noch gewaltigere Naturschäden auftreten. Unser Ziel wird nicht darin bestehen, Regierungen zu stürzen, sondern die wirtschaftliche und technologische Basis der gegenwärtigen Gesellschaft zu zerstören.“
Cording registrierte mit Genugtuung, dass sein Freund den Text offensichtlich ernst nahm.
„Die Washington Post und die New York Times haben das Manifest 1995 gedruckt“, wiederholte er.
„Ich stelle mir eine Serie unter dem Titel HELDEN vor. Da wäre Kaczynski dabei und Paul Watson, der mit seiner ‚Sea Shepherd‘ auf offenem Meer Walfänger rammte. Dave Foreman natürlich, Gründer der radikalen Umweltschutzgruppe ‚Earth First!‘. Jaime Lerner, Bürgermeister der brasilianischen Millionenstadt Curitiba*, der trotz explodierender Einwohnerzahlen immer wieder unkonventionelle Konzepte im Kampf gegen Smog, Verkehrsinfarkt, Müllchaos und Verbrechen fand und der das Kunststück fertig brachte, mit seiner ökologisch ausgerichteten Politik die Favelas zu befrieden. Nicht zu vergessen Edward Abbey, Autor des Romans ‚The Monkeywrench Gang‘, in dem eine Bande Ökokrieger durch den Südwesten der Vereinigten Staaten zieht und Anschläge auf die technischen Einrichtungen der Montan- und Schwerindustrie verübt. Auch Heimo Schulz-Meinem gehört dazu, der in der Lüneburger Heide eine ‚Naturbefreiungsarmee‘ rekrutierte. Vielleicht mögen wir uns sogar an Miguel Gonzales erinnern, den portugiesischen Michael Kohlhaas, der jahrelang erfolglos gegen die Agrarbestimmungen der EU kämpfte, oder an den sturen Bock aus Frankreich, Jose Bové, der mit seinem Traktor McDonalds-Filialen aufmischte.“
Mike hörte ihm schweigend zu.
„Nicht zu vergessen Ophelia Mendez, Gründerin des Internationalen Öko-Tribunals,“ legte Cording eindringlich nach.„Wie hatte Dave Foreman gesagt: ‚In vierzig Jahren werden die Regenwälder von der Erde verschwunden sein. Wir sind die letzte Generation, die das verhindern kann. Notfalls werden wir es mit Gewalt tun.‘ Helden ... Ihr Widerstand hat zwar nichts gebracht, aber ich finde schon, dass sie ein Denkmal verdient hätten.“
Kühling klopfte kaum hörbar mit dem Kugelschreiber auf die Glasplatte seines Schreibtisches. „Die Idee ist interessant,“ sagte er schließlich. „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wen wir für dieses Thema als Inserent gewinnen wollen, aber Serien-Inserate sind ohnehin die Ausnahme. Gut, ich kümmere mich darum.“ Er blickte auf die Uhr. „Tut mir leid, ich muss gehen... Ach, fast hätte ich es vergessen: Gestern rief mich ein Mann an, der behauptete, Thorwald Rasmussen zu sein. Du weißt schon, der dänische Professor, dessen Familie auf Bornholm abgeschlachtet wurde. Er sagte, er würde über Informationen von solcher Brisanz verfügen, dass ganze Regierungen vor ihm zitterten. Will sich wieder melden. War vermutlich nur jemand, der sich wichtig machen wollte. Sollte an der Sache aber etwas dran sein, hole ich dich aus dem Urlaub zurück.“
Cording umarmte Mike zum Abschied. Er war abhängig von diesem Mann, wenn er nicht auf der Straße landen wollte, das wusste er. Aber auch Mike brauchte Cording. Durch ihn verlor er auf seinem Höhenflug durch die Verlagsetagen das freie Leben, dessen größter Verfechter er einmal gewesen war, nicht gänzlich aus den Augen.
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