Das Systemversagen
Die Erosion von Gesellschaftssystemen ist eine Konstante in der Menschheitsgeschichte. Exklusivabdruck aus „Systemversagen“.
Im Lauf der Geschichte wurden immer wieder Gesellschaftssysteme radikal verändert, Staaten oder Staatengebilde brachen zusammen, und Hierarchien wurden auf den Kopf gestellt. Dies geschah durch Kriege, Revolutionen, Naturkatastrophen oder Zerfallsprozesse aufgrund von Fehlentwicklungen. Die Beispiele dafür sind zahlreich. Die nähere Betrachtung des Niedergangs historischer Zivilisationen hilft uns auch, die Chancen und Gefahren der derzeitigen Situation der westlichen Länder richtig einzuschätzen. Exklusivabdruck aus „Systemversagen: Warum wir in eine multiple Krise geraten sind“.
Einer der folgenreichsten Zusammenbrüche für die weitere Entwicklung Europas war der Zusammenbruch des Weströmischen Reichs im Laufe des fünften Jahrhunderts nach Christus. Das römische Imperium wurde letztlich Opfer seines eigenen Erfolgs. Ursächlich für den Niedergang und letztlich den Zusammenbruch war die übergroße territoriale Ausdehnung. Das riesige Gebiet von Afrika bis Spanien, Britannien, Gallien und Mitteleuropa war nicht mehr zu kontrollieren und zu verteidigen. Das Imperium wurde immer heftiger von außen attackiert: von den Hunnen, von Ostrom, den Germanen, Franken, Vandalen, Goten.
In allen Teilen des riesigen Reiches machten die Angreifer dem römischen Imperium zu schaffen. Zusätzlich war es zu einer enormen Konzentration von Vermögen und Macht einer kleinen Oberschicht gekommen. Das Reich und seine kleine Elite erwiesen sich aber letztlich als zu schwach, dem Ansturm von allen Seiten die Stirn zu bieten. Die inneren Wirren und die Zerstörung des wirtschaftlichen und politischen Netzwerkes beförderten den Zerfallsprozess. Die Eindringlinge erwiesen sich letztlich als dem hoch entwickelten Imperium überlegen. Der Germanenführer Odoaker verdrängte 476 den letzten Augustus, Romulus, vom Thron. Ein imperialistisches Reich ging damit unter und mit ihm seine Elite samt ihrem immensen Besitz.
Damit endete aber auch eine Kultur, der Europa bis heute viele Errungenschaften und Erkenntnisse in Wissenschaft und Kunst zu verdanken hat: Straßenbau, Wasserleitungen, Befestigungsanlagen, Literatur, Kunstwerke — vieles davon hat überdauert und prägt Europa immer noch.
Das Weströmische Reich endete somit durch einen länger andauernden Zerfallsprozess. Man wollte lieber genießen als kämpfen, häufte Reichtümer an, die fremde Völker anlockten, beutete fremde Provinzen und deren Bewohner aus und wurde selbst immer unproduktiver.
Es gelang der Elite letztlich nicht mehr, politische und militärische Macht und Kontrolle auszuüben, stabilisierend zu wirken und für innere und äußere Sicherheit zu sorgen. In diesem Sinn handelte es sich also um ein Staatsversagen.
Auch in unserer Zeit können Staaten scheitern: durch Korruption, fehlende Sicherheit, Zusammenbruch der öffentlichen Infrastruktur und Dienstleistungen und den Verlust der staatlichen Legitimität. Wenn also die Staatsmacht nicht mehr als solche anerkannt wird, weil sie ihre Aufgaben nicht mehr oder nur sehr unzulänglich erfüllt, ist ein Staat als gescheitert anzusehen. Die Folgen sind gravierend. Meist, aber nicht immer, wenden sich die Dinge für die Bevölkerung zum Schlechten: Kriegsherren übernehmen die Kontrolle, was häufig mittels Gewalt vor sich geht. Faustrecht und Willkür ersetzen den Rechtsstaat.
Der afrikanische Kontinent etwa leidet seit Jahrzehnten unter Bürgerkriegen verfeindeter Stämme. Man denke etwa an das Blutbad, das der Bürgerkrieg in Ruanda angerichtet hat. Ruanda, eine ehemalige deutsche Kolonie, war ein strukturschwaches, armes und übervölkertes Land. Auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs wurden 1994 an die 800.000 vorwiegend Tutsis von radikalen Hutus ermordet, was einem Völkermord gleichkommt.
Nach dem Ende des Bürgerkriegs kam es zu einem Wiedererstarken der Staatsmacht. Es gelang, eine neue Verfassung zu verankern; seit 2003 gibt es ein gewähltes Parlament und einen gewählten Präsidenten. Doch eine Demokratie im europäischen Sinn wurde Ruanda nicht: Präsident Paul Kagame, seit 2000 im Amt, und seine politische Rolle sind umstritten. Den einen gilt er als Verfechter von Frauenrechten und Garant für Sicherheit und zunehmenden Wohlstand.
Kagame genießt auch außerhalb des Landes Ansehen, er wurde 2018 zum Präsidenten der Afrikanischen Union gewählt und 2022 zum Vorsitzenden des Commonwealth of Nations. Ruanda ist seit Jahren das Land mit dem größten Wirtschaftswachstum in Afrika. Für Kritiker hingegen ist Kagame ein autoritärer Herrscher, der mit eiserner Faust regiert. Pressefreiheit und eine echte Opposition gibt es nicht, auch bestimmt der Präsident den Regierungschef und die Minister. Letzteres gibt es allerdings auch in Präsidialrepubliken. Dennoch ist es in Ruanda gelungen, den Bürgerkrieg nachhaltig zu beenden, innere Sicherheit zu gewährleisten und eine florierende Wirtschaft mit Niederlassungen internationaler Konzerne, wie etwa VW, zu erreichen.
Nicht gelungen ist dies hingegen in Somalia — ganz im Gegenteil. Somalia, am Horn von Afrikas Ostküste gelegen, entstand 1960, indem sich die ehemaligen Kolonien Italiens und Großbritanniens zusammenschlossen. Bis 1991 herrschte dort der ehemalige Offizier Mohamed Siad Barre als Diktator mit eiserner Faust. Er und seine Günstlinge raubten das Land und seine Bodenschätze regelrecht aus.
Eine von Sarre durchgeführte Bodenreform begünstigte Politiker und einzelne Geschäftsleute, die öffentlichen Gelder aus Steuereinnahmen landeten in den eigenen Taschen, Entwicklungshilfe-Gelder wurden abgezweigt. An Sozialleistungen für die besonders arme Landbevölkerung bliebt fast nichts übrig. So betrachtet, waren der Zusammenbruch des Staates und die Vertreibung der räuberischen Elite kein großer Nachteil für die Bevölkerung Somalias. Diese hatte ja schon zuvor nicht von den ohnehin bescheidenen Gütern des Landes profitiert. Der Lebensstandard im Hinblick auf die Wirtschaftsdaten änderte sich für den Großteil der Menschen daher nicht wesentlich.
Bei Barres Sturz im Zuge des Bürgerkriegs löste sich der Staat jedoch de facto auf, zerfiel in kleine Territorien, die seither von rivalisierenden Clans, Terroristen, Piraten und Islamisten beherrscht werden. Gewalt ist allgegenwärtig, nur die Hauptstadt Mogadischu konnte zeitweilig etwas gesichert werden. Die Menschenrechtssituation in dem Land ist katastrophal. So schildert etwa die Autorin Ayaan Hirsi Ali, eine der bekanntesten Exil-Somalierinnen, eindrucksvoll die schrecklichen Praktiken der Genitalverstümmelung und der Scharia in dem durchwegs islamischen Land (1).
Überall konnten sich ungehindert radikale Islamisten ausbreiten. Es bestehen auch Verbindungen zu terroristischen Gruppen wie der al-Qaida, die in dem anarchischen Land Unterschlupf finden. Der Staatszusammenbruch und die Abwesenheit einer staatlichen Ordnung und Sicherheit hatten aber noch zahlreiche andere Auswirkungen: So etwa nutzen Kriminelle die fehlende Küstenwache nicht nur, um der Piraterie nachzugehen oder ungehemmt Fischfang zu betreiben, sondern auch um illegal giftigen oder Atommüll vor der Küste ins Meer zu werfen. Die katastrophalen Auswirkungen machen sich bereits bemerkbar, auffallend viele Babys und Kleinkinder leiden an Missbildungen.
Bereits vor dem Zusammenbruch war Somalia ein armes Land, die bäuerliche Bevölkerung litt an der Ausbreitung der Wüste und Missernten. Die Situation hat sich seither nur noch verschlimmert. Somalia bildet derzeit das Schlusslicht, was die Ernährungslage der Bevölkerung betrifft. Nirgends auf der Welt leiden die Menschen mehr an Hunger als in Somalia.
Gänzlich anders verliefen der Zerfall der Sowjetunion und die Implosion der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa. Bemerkenswert daran war, dass der Zusammenbruch zwar bereits lange zuvor einsetzte, etwa durch die immer schlechtere Wirtschaftslage. Dennoch kam er, politisch gesehen, überraschend; er ging ab 1989 sehr rasch und unblutig vor sich, was sich zuvor niemand hatte vorstellen können. Die neuen Staaten und die neuen Systeme brachten den Menschen mehr Wohlstand und Freiheit als unter der Herrschaft der UdSSR und dem System des Kommunismus. Im Fall der ehemaligen kommunistischen Diktaturen kann man von einem Systemzusammenbruch sprechen.
Es war mehr als ein Staatsversagen, als ein Versagen der politischen Institutionen und der Verwaltung. Es war ein totaler Umbruch, ein Wandel der Werte und stellte die Hierarchie und soziale Ordnung auf den Kopf. Ein Beispiel dafür war der Dissident und Dichter Václav Havel, der im alten System in der ČSSR im Gefängnis saß und Publikationsverbot hatte, im neuen System hingegen zum Volkshelden und Staatspräsidenten der tschechischen Republik avancierte. Der Systemwechsel führte nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung der Gesellschaft, der Demokratie und der Wirtschaft.
Bei einem Staatszusammenbruch gehen nicht nur das Staatsgebilde und seine Elite unter, sondern es löst sich die Gesellschaft auf, sie funktioniert nicht mehr so wie zuvor. Das äußert sich darin, dass im Prozess des Zusammenbruchs die Arbeitsweise weniger arbeitsteilig ist, weil man sich auf die Notversorgung konzentrieren muss.
Die Wirtschaft fällt um mehrere Stufen zurück, weil Güter fehlen, der Austausch und die Kommunikation schwieriger sind. Es wird wenig investiert, Kunst und Kultur kommen zum Erliegen. Politisch wird ein solcher Zusammenbruch sichtbar, indem der Staat seine Kontrollfunktion nicht mehr ausüben kann, politische Prozesse nicht mehr funktionieren, die Verwaltung, das Steuerwesen, die Leistungen des Staates ganz oder großteils zum Erliegen kommen. Der Staat kann keine Sicherheit mehr garantieren. Das führt zu Anarchie, Gewalt und Willkür. Die Bevölkerung schrumpft, flieht oder wird Opfer von Gewalt.
Nun sollte man meinen, eine mächtige und reiche Elite hat kein Interesse an einem Kollaps und wird alles tun, um diesen zu verhindern. Am Beispiel des Weströmischen Reiches haben wir jedoch gesehen, dass ihre Macht begrenzt ist, weil sie zu spät reagiert und zu schwach ist, den Untergang zu verhindern. Aber es kann andererseits auch durchaus im Interesse einer Elite liegen, einen Kollaps herbeizuführen. Denn was die Vermögensverteilung betrifft, so wird diese bei einem Systemzusammenbruch komplett verändert. Einerseits verlieren die alten Eliten ihr Vermögen, andererseits bietet sich die Chance, dass andere Minderheiten die Gelegenheit haben, sich zu bereichern. Das sieht man bei Bürgerkriegen und Putschen. Wenn allerdings ein größeres Staatsgebilde in kleine Einheiten zerfällt, so gibt es in der Folge nur beschränkte Möglichkeiten, sich zu bereichern und genauso reich und mächtig zu werden wie die Elite zuvor (2).
So gesehen kann ein Staatsversagen dazu führen, dass Vermögen gleichmäßiger verteilt ist, meist haben dann alle wenig zur Verfügung. Die Reichen haben jedoch viel mehr zu verlieren als die weniger Wohlhabenden, weshalb sie am Bestand des Systems interessiert sind. Dies war etwa der Fall, als 1917 das Zarenreich in Russland durch die kommunistische Revolution gestürzt wurde.
Zuvor war die Vermögensverteilung extrem ungleich; eine kleine Oberschicht aus Aristokraten war immens reich, während das Volk oft nicht einmal genug zu essen und wenig oder gar keinen Landbesitz hatte. Nach der Revolution hatten dann alle nichts, denn nicht nur die Aristokratie wurde enteignet und ermordet oder vertrieben, sondern auch die Bauern, die eigenes Land besaßen.
Es ist jedoch fraglich, ob die These, dass bei einem Systemkollaps die Elite besonders viel zu verlieren hat und diesen deshalb verhindern will, auch heute noch gültig ist.
Wir beobachten in unserer Zeit eine starke Zunahme an Ungleichheit. So etwa ist in den USA das Vermögen ungleicher verteilt als je zuvor. Die reichsten ein Prozent der US-Bürger besitzen 34,6 Prozent aller in Privatbesitz befindlichen Vermögenswerte und 42,7 Prozent aller Finanzanlagen.
Der Immobilienbesitz ist darin nicht eingerechnet (3).
Von 1980 bis 2014 hat sich der Vermögensanteil des reichsten ein Prozent in den USA verdoppelt! Die Zahlen stammen aus 2014, seitdem ist die ungleiche Verteilung von Vermögen noch mehr gestiegen. Die untersten 50 Prozent hingegen besitzen fast gar nichts, nämlich 0,1 Prozent des Vermögens.
Man kann einwenden, dass das System in den USA auf dem reinen Leistungsprinzip beruht und dass eine neoliberale und rein kapitalistische Wirtschaftsweise dominiert, die derartige Vermögensanhäufungen begünstigt. Die Steuern sind vergleichsweise niedrig und die Sozial- und Transferleistungen des Staates gering. All dies begünstigt eine Ungleichverteilung von Vermögen. Doch dies ist nicht der Fall. Denn auch in Deutschland, einem Land mit ausgeprägten Sozialleistungen, einem weit ausgebauten System von Umverteilung und Wohlfahrt, sieht die Lage ähnlich aus.
Eine im Jahr 2020 publizierte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ergab ein klares Bild: Demnach besitzen ein Prozent der Erwachsenen rund 35 Prozent des gesamten Vermögens. 90 Prozent der Erwachsenen besitzen insgesamt weniger als dieses eine Prozent, nämlich 33 Prozent des Gesamtvermögens. Das restliche Drittel besitzen 9 Prozent der Erwachsenen. Es war dies die erste Untersuchung über die Besitzverteilung und die Besitzverhältnisse in Deutschland (4).
Die Hälfte der Deutschen besitzt kein oder nur ein geringes Vermögen. Das entspricht ebenfalls in etwa den Zahlen aus den USA. Dies bedeutet, dass die Förderungen und Transferleistungen vielleicht dem Mittelstand ein wenig helfen. Zum Vermögensaufbau reicht es aber nicht.
Die aktuelle Inflation hat den Trend inzwischen noch verstärkt. Dazu kommt, dass die Deutschen eher mieten, als Immobilien zu erwerben. Die Mieten sind jedoch mittlerweile in den deutschen Städten nahezu unerschwinglich geworden. Durch eine starke Zuwanderung aus armen Ländern wächst auch der Druck auf die unterprivilegierten Schichten. Ebenso kann der Schluss gezogen werden, dass die im Vergleich höheren Steuern und Abgaben die Superreichen nicht sehr belasten. In Deutschland wurde zwar eine hohe Immobiliensteuer eingeführt, diese trifft aber vor allem den Mittelstand. Finanzvermögen jedoch ist flüchtig und kann — etwa durch Stiftungen oder Auslandskonten — leicht dem Zugriff des Staates entzogen werden.
Das Vermögen der reichsten 1 Prozent der Weltbevölkerung besteht nicht mehr wie in vorindustrieller Zeit vorwiegend aus Landbesitz, Immobilien und Gold. Heute besteht es in Form von Finanzwerten, Firmenwerten und immateriellem Besitz, Wissen etwa. So werden Daten als das „neue Gold“ angesehen. Denn wer viele Daten hat, kann damit viel Geld verdienen und hat zusätzlich noch viel Macht über andere. Die modernen Superreichen besitzen mehr als ganze Staaten. Sie haben auch mehr Macht und Einfluss als die politischen Staatenlenker. Und sie arbeiten intensiv daran, diese Macht weiter auszubauen.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig festzuhalten, dass sich die politische Elite in Demokratien heute aus Vertretern der Mittelschicht rekrutiert, im Gegensatz zu früherer Zeit, wo eine reiche Oberschicht gleichzeitig auch die alleinige politische Macht innehatte. Ein Rest davon fand sich im Wahlrecht: Wer mehr Steuern zahlte, hatte auch politisch mehr mitzubestimmen. Das ist heute nicht mehr der Fall. Jene 99 Prozent, die nicht zu den Superreichen zählen, bestimmen die Politik. Als politische Akteure und als Wähler. Das ist für die obersten 1 Prozent ein Problem, denn sie müssen immer wieder dem Versuch entgegenarbeiten, dass diese übermächtige Mehrheit auf ihr Vermögen zugreift.
Somit ist ein Versagen oder gar ein Kollabieren des demokratischen Staatssystems, wie wir es heute kennen, für diese Gruppe durchaus interessant. Der Kollaps eines politischen Systems, der Verlust des Vertrauens in den Staat, der staatlichen Kontrolle und Legitimität — dies alles würde den modernen Superreichen nämlich neue Chancen eröffnen.
Diese Elite könnte dann die Kontrolle übernehmen und einspringen für die gescheiterte Staatsmacht. Damit würden sie sich jener Macht entledigen, die sie in der Vergangenheit stets kontrollieren und in ihren Möglichkeiten einschränken wollte. Die Mittel, also das Geld und das Wissen, hätten sie, um ein neues System zu etablieren.
Entgegen kommt dieser Elite auch, dass die Ungleichheit bei einem Systemzusammenbruch in Folge abnimmt. Das entspricht durchaus der Vision dieser Elite, die sie auch offen ausspricht. Wir erinnern uns etwa an den Gründer des Weltwirtschaftsforums (WEF), Klaus Schwab, der in seinen Büchern und Reden von einer Welt träumt, in der alle nichts haben und glücklich sein werden. Eigentlich ein kommunistisches Konzept, das bereits krachend gescheitert ist. Sich selbst nehmen die Angehörigen dieser Elite von dieser schönen Zukunft der Besitzlosigkeit natürlich aus.
Selbst wenn man dies als Hirngespinst abtut und dem WEF keinen Einfluss zumisst, so sollten wir nicht davon ausgehen, dass allen Mächten und Kräften am Bestand unseres Systems gelegen ist. Das Modell des europäischen Wohlfahrtsstaats, von Demokratie, Gleichberechtigung, Freiheit und Fortschritt, ist, weltweit betrachtet, ein Minderheitenmodell. Die Mehrheit der Staaten und deren Eliten streben dieses Modell nicht an. China etwa lehnt Freiheit und Demokratie ab. Chinas Präsident strebt an, die ganze Welt dem eigenen totalitären System zu unterwerfen. Darauf wird noch näher eingegangen. Auch China erlebte einen Zusammenbruch seines Staatswesens und seines Systems, nämlich im Zuge der Revolution Mao Tse-tungs, als das jahrtausendealte Kaiserreich gestürzt und eine kommunistische Volksrepublik errichtet wurde.
Die islamischen Staaten, wie Iran oder Saudi-Arabien, lehnen Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung ebenfalls ab. Sozialstaat und Wohlfahrt gibt es nicht oder wenn, dann nur für die eigenen Stammesangehörigen. Ja, selbst die USA sehen in Europa nicht nur einen Verbündeten und kulturell Gleichgesinnten, sondern in wirtschaftlicher Hinsicht auch einen Konkurrenten. Man denke an das Diktum von US-Präsident Trump „America first“.
Dies hat sich unter den Demokraten nicht geändert, weder wirtschafts- noch geopolitisch. Und Russland sieht in Europa einen verkommenen Kontinent, der den alten christlichen Werten abgeschworen habe und sich im unaufhaltsamen Abstieg befinde. Das westliche Modell und seine Staaten sind somit in Bedrängnis geraten. Verstärkt wird dies durch die geopolitische Krise, die zu einer ernsten Gefahr für die gesamte Menschheit zu werden droht.
Ein Systemversagen kann es nicht nur in Hinblick auf Staaten geben, sondern auch bei Organisationen. Diese Art von Versagen gefährdet mitunter nicht nur einzelne Staaten, Interessengruppen oder Firmen, sondern kann globale Ausmaße annehmen. Dies ist der Fall, wenn es sich um eine globale Institution mit weitreichenden Zuständigkeiten handelt, die ihren Aufgaben nicht mehr gerecht wird, falsche Entscheidungen trifft oder für Partikularinteressen missbraucht wird.
Dieser Art von Versagen widmet sich dieses Buch im Besonderen. Es ist ein Systemversagen, das sich nicht auf den ersten Blick offenbart, wie eine Revolution, eine Pleite oder ein Staatszusammenbruch. Diese Art von Systemversagen entwickelt sich schleichend und unbemerkt oft über Jahre oder Jahrzehnte. Häufig ist es dann eine Krise, in der diese Institution gefordert wäre, die dann den wahren, desaströsen Zustand offenbar werden lässt. Nicht selten hat aber jenes Systemversagen die Krise erst ausgelöst oder zumindest verschlimmert.
Ein Beispiel für diese Art von Systemversagen sind die Vereinten Nationen (UNO). Die UNO wird ihren Aufgaben in vielen Bereichen längst nicht mehr oder nur unzureichend gerecht, sie ordnet sich Einzelinteressen unter und hat in der aktuellen geopolitischen Krise nichts zu deren Lösung beigetragen. Daher wäre es ihre Aufgabe, dass es erst gar nicht so weit kommt. Ein weiteres Beispiel, das ebenfalls ausführlich dargelegt wird, ist die Rolle der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, deren interne Fehlentwicklungen sich ebenfalls in der aktuellen Krise offenbarten und katastrophal auswirkten. Dessen ungeachtet strebt die WHO eine Art totalitärer Weltherrschaft an, indem sie die Souveränität der Nationalstaaten aushebeln will.
Ein Systemversagen besteht auch darin, wenn Institutionen und Personen, die eigentlich die Mächtigen kontrollieren sollten, sich diesen dienstbar machen oder machen lassen.
Im Fall der Medien war und ist dies vielfach zu beobachten, seien es nun traditionelle Medienhäuser oder IT-Unternehmen mit ihren sozialen Medien im Internet. Auch die parlamentarischen und juristischen Kontrollen, etwa von Verfassungsgerichten, versagten vielfach. Entweder weil sie von ihren Befugnissen zu schwach aufgestellt sind, wie etwa das EU-Parlament, oder weil sie politisch abhängig oder dominiert sind. Dies trifft auch für etliche scheinbar unabhängige Kommissionen zu, die jene kontrollieren sollen, die sie selbst ausgewählt haben. So ein System der Kontrolle kann nicht funktionieren. Und ohne Kontrolle und Kritik werden Fehler und Fehlentwicklungen nicht oder zu spät erkannt, oder sie werden bewusst unterdrückt und vertuscht. Die Folge ist, dass es zu keiner Korrektur kommt, der falsche Weg immer weiter gegangen wird und die Auswirkungen sich immer mehr verschlimmern.
Anhand einiger der aktuellen großen Krisen wird in diesem Buch der Versuch unternommen, die Art des Versagens der Systeme aufzuzeigen. Dabei werden der historische Hintergrund, die Vorgeschichte, die Zusammenhänge sowie die relevanten Mechanismen und Verflechtungen sichtbar gemacht, die zum Versagen oder zu Fehlentwicklungen geführt haben. Es soll damit erklärt — nicht entschuldigt! — werden, wie es so weit kommen konnte. Dabei wird stets im Auge behalten, was immer die wichtigsten Fährten beim Aufspüren dessen waren, was nicht entdeckt werden und ans Licht der Öffentlichkeit gelangen soll: Interessen, Macht — und vor allem Geld.
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Quellen und Anmerkungen:
(1) Ayaan Hirsi Ali: Ich klage an. Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen. München 2005.
(2) Vergleiche dazu Walter Scheidel: Nach dem Krieg sind alle gleich. Seiten 330 folgende.
(3) Distributional National Accounts: Methods and Estimates for the United States, Piketty Thomas, Saez Emmanuel, Zucman Gabriel, The Quarterly Journal of Economics, Volume 133, Issue 2, May 2018, Pages 553–609. https://doi.org/10.1093/qje/qjx043. Published: 10 October 2017.
(4) https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-07/vermoegensverteilung-deutschland-diw-studie-ungleichheit