Das Spiel mit der Angst
Vor dem Szenario, das mächtige Kriegstreiber für Deutschland ersonnen haben, sollten wir uns eher mehr als weniger fürchten.
Olaf Scholz (SPD) mache einen Wahlkampf, der auf Angst beruhe, heißt es in Politik und Medien. Da ist durchaus etwas dran. Doch neben den wahlkampftaktischen Entscheidungen eines Kanzlers, dessen letztes Ass im Ärmel die Verweigerung von Taurus-Lieferungen für die Ukraine ist, lassen die Aussagen der politischen Konkurrenz den Atem gefrieren. Denn sie verbieten die Angst vor dem Krieg.
Die Deutschen haben Angst. Oder besser ausgedrückt: Die Deutschen haben gefälligst Angst zu haben. Seit Corona wissen wir, dass alles ganz schlimm ist, und wer angstfrei durchs Leben geht, ist bereits verdächtig, etwas Böses im Schilde zu führen. Doch ausgerechnet bei der derzeitigen Eskalation zwischen Russland und dem Westen ist den Deutschen die Angst verboten. Dabei wäre ein Krieg — zumal, wenn er auch atomar geführt wird — das größtmögliche Unheil, das auf uns zukommen kann.
Doch ein Volk, das „kriegstüchtig“ werden soll, darf keine Angst haben, mit Angsthasen wurde noch nie ein Krieg gewonnen. Damit ist die Erklärung für die Verharmlosung geliefert, die sich ausgebreitet hat, seit der Krieg eine konkrete Überlegung geworden ist. Putin bluffe, heißt es seit fast drei Jahren. Jetzt, da er es nicht mehr tut, bestünde aber dennoch kein Grund zur Sorge, der russische Präsident inszeniere sich nur, der jüngste Abwurf der Bomben auf die Ukraine sei, so Frank Sauer, Politologe an der Bundeswehruniversität München, nur „Show“. Derselbe Sauer sagte zu den von den USA gelieferten Personenminen, diese seien „nicht schön“. Nicht schön also, kein Grund zur Sorge.
Die Grünen aber — und nicht nur die — stufen die Zurückhaltung von Olaf Scholz, was eine weitere Eskalation durch die Lieferung von Taurus angeht, als „unverantwortliches Gerede“ ein. Da die Taurus-Lieferung beziehungsweise die Weigerung, dieses System an die Ukraine zu liefern, Scholz’ — um im Bild zu bleiben — „letzte Patrone“ ist, um womöglich bei der anstehenden Bundestagswahl noch etwas zu reißen, kann die innere Überzeugung des Kanzlers kaum überprüft werden. Aber die Haltung seiner Kritiker wirft ein erschreckendes Licht auf die politische Stimmung in Deutschland.
Unverantwortlicher Friedenswunsch
Zugegeben, das Treffen der Verlierer aus der SPD ausgerechnet „Wahlsiegkonferenz” zu nennen, wie es die SPD tat, ist wohl irgendwo zwischen infantil und hoffnungsvoll anzusiedeln. Doch die Tatsache, dass die Gefahren, die mit einer Eskalation im Ukraine-Krieg zusammenhängen, angesprochen wurden, ist bemerkenswert und wichtig. Wir befinden uns in einer weltpolitischen Lage, die angespannter kaum sein könnte, und so überraschen die Reaktionen auf Scholz Zurückhaltung in Bezug auf die Ukraine doppelt, denn sie werden mit recht verstörenden Argumenten untermauert. Anton Hofreiter (die Grünen) sagte etwa:
„Der Kanzler spielt mit den Ängsten der Bevölkerung, um die Wahl zu gewinnen. Ein solch absolut unverantwortliches Gerede, das am Ende nur Kremlchef Wladimir Putin hilft, können wir Grüne als Koalitionspartner nicht akzeptieren.“
Wie funktioniert das von Hofreiter beschriebene Spiel mit der Angst? Werfen wir einen Blick zurück in die Corona-Episode, dann sind wir gleich schlauer. In dieser Phase wurde mit der Angst der Menschen nicht nur gespielt, sie wurde bewusst initiiert. Man erinnere sich an das sogenannte „Angst-Papier“, aus dem hervorging, dass die Erzeugung von Angst absolute Priorität hatte.
Der Gipfel der Perversität war die Strategie, besonders Kinder in Angst zu versetzen und in ihnen die Sorge zu erzeugen, am Tod ihrer Liebsten schuldig zu sein, wenn sie sich nicht regierungskonform verhalten.
Macht Olaf Scholz das gleiche? Nein, denn erstens unterbindet er lediglich die Lieferung eines Waffensystems, das eskalierend wirken würde. Und zweitens ist die weltweite Gefahr, um die es hier geht, nicht in den Köpfen irgendwelcher Politiker oder Journalisten entstanden, sondern real.
Und inwieweit Scholz im Interesse Putins handelt, ist ebenfalls unklar. Sicher, es dürfte im Sinne des russischen Präsidenten sein, wenn die Lieferung eines weiteren Systems, zumal mit einer erheblichen Reichweite, ausbleibt. Aber darüber hinaus sollte es der Wunsch jedes vernünftig denkenden Menschen sein, weitere Provokationen zu vermeiden.
Unterm Strich sind die Worte Hofreiters hohl und leer, sie entbehren jeglicher sachlicher Grundlage.
Kugel im Lauf
Olaf Scholz hatte noch etwas gesagt:
„Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch Roulette.“
Über die Wortwahl kann man sicher streiten, aber wir sind im Wahlkampf und bekanntlich ist der schmutzig. Doch inhaltlich trifft Scholz den Nagel auf den Kopf, denn was längst nicht mehr wahrgenommen wird, ist die Tatsache, dass Russland ein Akteur ist, der wesentlich darüber mitentscheidet, wann eine Grenze erreicht, eine rote Linie überschritten ist. Insofern ist die nun folgende Erwiderung von Friedrich Merz (CDU), nicht nur billig, sondern in höchstem Maße verantwortungslos:
„In Fragen von Krieg und Frieden braucht es keinen unberechenbaren Oppositionsführer, sondern einen kühlen Kopf.“
Die Sache mit dem kühlen Kopf zog schnell Kreise, so wie es immer ist, wenn jemand etwas sagt, das sich politisch nutzen lässt. Für Hofreiter hat Scholz’ Agieren nichts mit einem kühlen Kopf zu tun, wenn er sagt:
„Olaf Scholz verkehrt mit Hinweisen auf die Atommacht Russland seine vermeintliche Besonnenheit ins Gegenteil und schadet damit auch der Sicherheit Deutschlands.“
Damit kann nur gemeint sein — anders ergibt das, was Hofreiter sagt, wie so oft, keinen Sinn —, dass nur die Lieferung von Taurus im Sinne der Sicherheit Deutschlands wäre. Da nun aber eine solche Lieferung die Eskalationsschraube weiter drehen würde, bleibt am Ende nur eine Einordnung von Hofreiters Worten: Setzen, sechs, Thema verfehlt, inhaltliche Fehler und logisch nicht begründbar.
Ricarda Lang, der man nachsagt, dass sie kürzlich die ersten beiden Bücher ihres Lebens gelesen hat — „1984“ von George Orwell und die Memoiren von Angela Merkel —, rückt dem möglichen Koalitionspartner Merz ein wenig näher, wenn sie kundtut, es sei „nicht gerade Ausdruck eines kühlen Kopfes, als Bundeskanzler bewusst Ängste zu schüren, um sich dann im Wahlkampf als einzige Antwort auf die Angst präsentieren zu können.“
Wie kühl Langs Kopf ist, soll hier nicht thematisiert werden, aber auch sie versagt auf der sachlichen Ebene. Etwas zu tun, um die Gefahr der Verschlimmerung einer Situation zu vermeiden, ist das Kühlste, was der gemeine Kopf zu bieten hat, egal, ob er auf Scholz’ Schultern sitzt oder auf denen von beispielsweise der Grünen Emilia Fester — ein gewagter Vergleich, zugegeben.
Krieg ist Frieden, Merz ist Februar
Das Problem der Deutschen: Wenn Friedrich Merz im Februar 2025 tatsächlich nach der Bundestagswahl als kommender Bundeskanzler feststeht, sind wir dem Frieden nicht näher, der Krieg wird nur dann ganz offiziell anders genannt.
Friedrich Merz hat in Franziska Brantner, der Nachfolgerin von Ricarda Lang, ein echtes Fan-Girl, die der Meinung ist, dass bei den drei zentralen außenpolitischen Themen „Frieden, Freiheit in Europa und klar an der Seite der Ukrainer stehen“ Merz für die Grünen ein besserer Partner sein könne als der aktuelle Regierungspartner Scholz. Nun ist das, was seit knapp drei Jahren in der Ukraine passiert, nachweislich kein Frieden, und was genau Brantner mit „Freiheit in Europa“ meint, ist nicht überliefert oder von Historikern und Soziologen noch nicht abschließend ausgewertet. Zu konstatieren ist jedoch, dass weder Frieden noch Freiheit in Europa derzeit Alleinstellungsmerkmale europäischer Politik sind.
Wie geht eigentlich Kriegsrhetorik?
Unaufgeregt betrachtet ist Kriegsrhetorik die, die auf den Beginn oder die Fortführung eines Krieges abzielt. Der Feind bedroht das eigene Land oder er hat es längst angegriffen, wahlweise kann es sich auch um ein anderes Land handeln. Der Kriegsrhetoriker macht sich diese Tatsachen zu eigen und fordert daher den Einstieg in den Krieg oder die Weiterführung des eigenen, geführten Krieges. Eigentlich ganz einfach.
Friedrich Merz schert sich darum nicht und kehrt die Logik um, und das auch noch sich selbst widersprechend, wenn er zunächst sagt:
„Immer, wenn es für die SPD eng wird, wird die Angst der Menschen vor Krieg mobilisiert.“
So lauten Merz’ Worte einer Mail, die er an seine Unterstützer schrieb. Und er fuhr fort:
„Die Kriegsrhetorik der SPD verstellt den Blick auch ganz gezielt auf andere Probleme unseres Landes.“
Nun ist aber die Verhinderung eines Krieges oder ergriffene Maßnahmen, um ihn nicht weiter eskalieren zu lassen, keine Kriegsrhetorik, sondern das glatte Gegenteil. Und man kann Scholz nicht vorwerfen, andere Probleme Deutschlands ganz gezielt auszuklammern. Im Gegenteil, der Kanzler betont ja schon seit Wochen, dass Themen wie Rente, soziale Absicherung und Wohlstand ihm besonders am Herzen liegen und er diese nicht gegen die sogenannte Unterstützung der Ukraine ausspielen will. Glaubwürdig ist er dabei nicht, denn die wie von Sinnen betriebene Finanzierung des Krieges in der Ukraine und die Fokussierung der von Scholz angesprochenen Themen sind ein Widerspruch an sich, der nicht aufgelöst werden kann, schon gar nicht, wenn man sich weigert, russisches Öl und Gas zu kaufen. Aber, wie gesagt, es ist Wahlkampf, Scholz hat keine Chance, und die will er nutzen.
Was die Deutschen erwartet, wenn die CDU das Kanzler-Zepter in der Hand hält, erfahren wir von Johann Wadephul, dem für die Außenpolitik zuständigen Unionsfraktionsvize, der Scholz vorwirft, „nicht nur unseriös“ zu sein, sondern sich in der Aussage festlegt, Putin wolle gar nicht verhandeln. Insofern seien „pauschale Parolen von Frieden“ etwas, das ins Leere laufe. Wadephul hat aber auch gleich noch eine bessere Idee, die er aus dem Unionshut zaubert:
„Es ist dringend an der Zeit, dass wir zu einer konsequenten und standhaften Ukraine-Politik finden.“
Was wir bisher in Sachen Ukraine erleben durften, ist also nur kalter Kaffee, wenn die Union erst an den Schalthebeln der Macht sitzt, werden ganz andere Saiten aufgezogen.
Angst haben sollen die Deutschen aber nicht, zumindest nicht vor dem Krieg, der ist schon in Ordnung. Ganz im Gegensatz zu Kanzler Olaf Scholz, der doch tatsächlich noch immer nicht kapiert hat, dass Krieg Frieden ist.
An den Urnen wird sich dann entscheiden, wie es weitergeht. Wer sich schon vorher in einer von diesen wegen vorzeitigen Ablebens in Folge des Krieges einen Platz gesichert hat, kann natürlich kein Kreuz mehr machen. Aber vermutlich liegt er unter einem, und das ist ja auch schon etwas wert in Zeiten wie diesen.