Das Schwellenjahr

Der Wilsonianismus schuf bereits vor einhundert Jahren die Grundlagen für die Globalisierung als auch Hegemonie der USA.

Nur wenige Menschen dürften 1919 geahnt haben, wie wichtig die politischen Entscheidungen nach dem Ersten Weltkrieg für das zukünftige Zusammenleben auf unserem Planeten sein würden. Nach dem Ende des British Empire, der Monarchien und der klassischen Bourgeoisie wurde damals das Zeitalter der Demokratien, der Globalisierung und der Hegemonie der USA eingeläutet. Auch wenn das Leben der Menschen, im Großen wie im Kleinen, nicht nach einem Plan abläuft, ist erstaunlich zu sehen, wie sich ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit der letzten hundert Jahre zieht.

„Die überwiegende Mehrheit der Menschheit ist natürlich ihr außerwestlicher Teil, und das Paradoxon ist, daß wir Menschen des Westens Leute sind, deren Geschichtsbild noch oft jenem aus der Zeit vor Vasco da Gama gleicht. Ich persönlich glaube nicht daran, daß diese vorsintflutliche, traditionelle Geschichtsauffassung des Westens sich noch lange halten wird. Ich zweifle nicht, daß eine Neuorientierung bevorsteht, und es wird, denke ich, in unserem Falle eine Neuorientierung im buchstäblichen Sinne des Wortes sein“ (Arnold Toynbee 1968, 1, 2).

*„Ich glaube, daß nur ein allgemeiner Verzicht auf Waffengewalt überhaupt (…) Sinn hat“ * (Max Born 1957, 3).

„Die Bundeswehr soll nach den Worten von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen künftig nicht nur im Norden Iraks, sondern im ganzen Land die Streitkräfte unterstützen“ (FAZ vom 10. Februar 2018).

Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson begründete vor hundert Jahren eine außenpolitische Doktrin, die künftige weltweite Konflikte vermeiden und US-Interessen durch die weltweite Verbreitung von Marktwirtschaft und Demokratie sowie im Notfall durch militärisches Eingreifen in Konfliktherde sichern sollte. Der Ausdruck Wilsonianismus wurde geprägt, als Wilson 1918 während der Verhandlungen zum Versailler Vertrag zum Ende des Ersten Weltkriegs ein 14-Punkte-Programm „für den ewigen Frieden“ auf der Welt vorlegte (4). Der Wilsonianismus wollte also der Welt den Weg aus einer „globalen“ Krise weisen (5).

Wenn wir „unseren“ Medien und der Politik glauben, dann finden wir uns seit 2007 wieder von einer ganzen Reihe von Krisen bedroht. So lesen wir in Wikipedia — und das sind doch heute „wir“ —: Die Weltwirtschaftskrise ab 2007 wurde ausgelöst durch das Platzen einer Immobilienpreis-Blase, mit einhergehender Finanzkrise und Bankenkrise, auf die später Staatsschuldenkrisen bis zum Teil Staatskrisen wie in Griechenland folgten (Hervorhebungen durch den Autor).

Seit 2007 sind zwölf Jahre vergangen. Damals befand sich die Welt also in einer großen Wirtschaftskrise, begleitet von anderen wichtigen Krisen. So wurde und wird uns jedenfalls von allen Medien erzählt. Die Immobilienpreisblase beziehungsweise Sub-Prime-Blase in den USA war geplatzt. Wir waren alle von der sogenannten Lehmann-Bankenkrise betroffen.

Wir sollten Angst um unser Geld, um unser Aus- und Fortkommen haben. Noch nicht um unser Leben. So wurde uns erzählt, und wir haben auch entsprechend reagiert und waren bereit, wenn nicht alles, so doch vieles „alternativlos“ zu akzeptieren.

Wir leben seitdem im Krisenmodus. Angeführt von Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern, die uns erklären wollen, was vorgegangen war. Sie hatten ihre Story und steuerten die Welt in dieser Konsequenz. In der EU kam schon bald die sogenannte Staatsschuldenkrise hinzu. Die Eurokrise war dann noch ein zusätzliches Geschenk an die Politiker. So konnten sie uns allen klar machen: So gut wie bisher könne es uns nur noch gehen, wenn wir uns mehr anstrengten und bereit wären, mehr Opfer zu bringen. Wir müssten auf unsere Politiker hören — diese wüssten sicher, was zu tun und für uns das Beste sei (6).

Ach ja, und auch anderswo „war Krise“. In Syrien, im Irak und in Afghanistan wurde großflächig Krieg geführt. In den nordafrikanischen Staaten war der Frühling ausgebrochen.

Es war schon reichlich etwas los auf der Welt während der letzten zehn Jahre!

Vergessen sollten wir nicht den „Frühling“ auf dem Maidan in Kiew, den Putsch in der Ukraine, die Krim-Krise. Dazu die ständige Bedrohung, wenn auch meist noch latent, durch China, dessen Wirtschaft uns hier in Europa alle aufkauft, und das als Staat in Asien nicht nur ein paar Atolle, sondern die ganze pazifische Welt bedroht und kolonisieren will und inzwischen mit der ganzen Welt im „Handelskrieg“ steht (7).

Und erinnern wir uns an die anderen europäischen Krisen, die wir in dieser Zeit „erleben“ durften. Ständig werden wir von Immigranten bedroht, einige wurden eingeladen, um dann wieder ausgeladen zu werden. Europa spaltet sich auf, weil Großbritannien sich im Brexit abspalten will und die osteuropäischen Staaten es sich erlauben, ihre eigenen Positionen in unterschiedlichen Bereichen zum Ausdruck zu bringen und sich nicht durch die westeuropäischen Mitglieder inklusive Deutschland bevormunden lassen wollen.

Die Wirklichkeit ist komplex, und es ist nicht immer einfach, die Vorgänge zu verstehen und auch verständlich zu machen (8). Ansatzweise soll dies hier aber dennoch versucht werden.

Die Neuordnung der Welt wird 1919 durch die USA eingeläutet

Als die sogenannte Krise im Jahr 2007 losging, war das nur eine Etappe auf dem Weg. Das 19. Jahrhundert war ein „Zeitalter der Extreme“ und es endete in Krisen, die im 20. Jahrhundert ihren „natürlichen“ Fortgang fanden (9).

Schon Anfang des 20. Jahrhunderts, genauer gegen Ende des Ersten Weltkriegs, sollte die Welt durch die Umsetzung der 14 Punkte Wilsons endlich wenn nicht gerettet, dann doch endgültig auf die richtige Bahn gebracht werden. Es war der „Wilsonianismus“, der als Nebenergebnis des Versailler Vertrages zusammen mit der Initiierung des Völkerbunds von den USA auf den Weg gebracht worden war. Was Frankreich und England mit dem besiegten Deutschland verhandeln würden, war aus US-Sicht nicht so entscheidend. Viel wichtiger war die neue Doktrin der amerikanischen Außenpolitik, die sich endlich absetzte von der Nicht-Einmischung und Trennung der globalen Einflusssphären (10).

Die USA wollten sich in Zukunft nicht nur auf die amerikanische Hemisphäre beschränken, sondern den Frieden überall in die Welt tragen, zur Not auch durch Kriege. Der Völkerbund sollte die diplomatische Plattform für die internationalen Dialoge bereitstellen. Das war der Kernpunkt des Wilsonianismus, der noch bis heute jeden Krieg der USA und seiner Verbündeten in der NATO rechtfertigt, von Vietnam über Afghanistan bis in den Irak und nach Syrien (11).

Als 2007 in den USA die Banken ins Straucheln geraten waren, weil die Rückzahlung der günstigen Hypotheken und Kredite nicht mehr sichergestellt war, wurde der damalige US-Präsident Georg W. Bush gefragt, ob er die Lehmann Bank auch noch auf Kosten der Steuerzahler retten wollte. Da sagte dieser mutige und entschlossene Präsident, dem Rat seiner hochkarätigen Wall-Street-gestählten Finanz- und Wirtschaftsberater folgend, dass er das nicht wolle. Die Folge: Die Bank Lehman Brothers musste Insolvenz anmelden. Die Finanzblase platzte.

Alles hat seinen Preis, insbesondere für Deutschland

Das Dumme für uns Europäer war, dass der größte Teil dieser weitgehend ungesicherten Hypotheken und Kredite — sogenannte Sub-Prime Credits — an europäische Banken weitergegeben worden war, unter anderem an die Deutsche Bank, an die Commerzbank und auch an große irische Banken (12). Deshalb mussten letztlich, aufgrund der nun gewählten Politik in Europa, die europäischen Steuerzahler die faulen Kredite der amerikanischen Banken bezahlen. So hat also Europa letztlich doch zur Finanzierung der amerikanischen Rüstungsindustrie und der Kriegsmaschine zu einem guten Teil beigetragen. Kosten- und Risikoteilung war ja innerhalb der NATO schon immer ein wichtiges Thema.

Parallel dazu kam in Europa plötzlich die Eurokrise auf, durch die sogenannte Staatsschuldenkrise ausgelöst. Schließlich wollten die Banken und deren Eigner und Investoren ihr Geld zurück, wenn möglich mit einer guten Rendite. Die Norm waren die 25 Prozent, welche die Deutsche Bank damals regelmäßig als Ziel ausgab, die aber von den angelsächsischen Banken und Fonds sogar meist weit übertroffen wurde.

Die deutsche Regierung tat, wozu sie aufgefordert war, und finanzierte alle Forderungen, sowohl die der Banken wie auch die der Partnerländer in der EU. Das Parlament, als Vertreter der Wähler und Steuerzahler, stimmte allen Zahlungen ausnahmslos zu. Es gab dazu keine Alternative, so jedenfalls sagte es der damalige Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, und so wiederholten es dann auch die Bundeskanzlerin und die deutsche Regierung.

Was in diesen Jahren der Eurokrise und der sogenannten globalen und auch europäischen Strukturanpassung tatsächlich geschah, auch hinter dem Vorhang, sollte uns dann nicht weiter verwundern. Die Übernahme Europas durch das US-amerikanische Kapital wurde konsequent fort- und umgesetzt. Der letzte Rest von Widerstand wurde gewaltlos überwunden. Für die Amerikaner war es wie ein Märchen, ähnlich wie für die Deutschen der „Fall der Mauer“, weil alles gewaltlos vor sich ging, Europa sozusagen gewaltlos kapitulierte.

Alle waren glücklich. Die Menschen in Europa, dass es nicht noch schlimmer gekommen war, und die US-amerikanischen Investoren, weil sie ohne großen Aufwand Europas Wirtschaft und die Steuerung des Kapitals zu einem mehrheitlichen Teil übernehmen konnten (13). Auch zu diesem Zweck installierte die EU eine ehemalige Führungskraft von Goldman Sachs als Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB). In den USA ist das Finanzministerium unter Robert Rubin spätestens seit der Regierung Bill Clintons fest in der Hand von Goldmann Sachs und anderer Größen der Wallstreet.

Die Krise war in den USA also nur eine Art von Neustart, während sie in Europa zu einer starken und vielleicht endgültigen Verschiebung der Macht- und Finanzverhältnisse führte.

Die angelsächsischen Banken mussten sich nicht speziell hochrappeln, sondern sie waren ja dank ihrer Investmentfonds sofort wieder und immer bereit, die Welt weiter zu finanzieren. Das Geschäft musste schließlich weitergehen — wir alle wollten ja weiter unseren mehr oder weniger bedeutenden Geschäften nachgehen.

Die angelsächsischen Investmentfonds nutzten also diese Zeit, in der in der EU das Geld knapp war und Unternehmen und Banken vor allem in Südeuropa oft am Limit waren. Sie halfen uns in Europa, indem sie eine große Zahl von strategischen Investments tätigten und eine große Zahl von Unternehmen übernahmen, oft direkt, meist aber indem sie über ihre Investmentfonds die Mehrheiten übernahmen. Inzwischen gehören die DAX-Unternehmen zu mehr als 50 Prozent angelsächsischem Kapital (14). Zudem wurden in den Jahren nach 2008 eine große Zahl auch von mittelständischen Unternehmen von amerikanischen Firmen und durch amerikanisches Kapital aufgekauft.

Der Transfer von äußerst beachtlichen Immobilienwerten in Deutschland und ganz Europa an diese globalen Investmentfonds entspricht in weiten Teilen ebenfalls einer Übernahme.

Was in früheren Zeiten mehrheitlich Kommunen, gewerkschaftlichen Verbänden oder staatlichen Einrichtungen gehörte, ist heute oft an die globalen Investmentfonds gegangen, die sich im Sinne der Nähe zum Bürger mit deutschen oder europäischen Namen schmücken, um sich als nette, deutsche und europäische Unternehmen zu präsentieren (15).

Dabei waren wir ja alle so glücklich, dass die deutsche Wirtschaft wieder brummte. Wir sollten uns alle darüber freuen. Auch wenn inzwischen eine große Menge von zeitlich begrenzten Beschäftigungen eingeführt wurden, die in der Folge zunehmend zu prekären Lebensbedingungen und drohender Altersarmut führen. Selbst die Angestellten der Justizvollzugsanstalten in Bayern sind inzwischen gezwungen, zusätzlichen Erwerbsaktivitäten nachzugehen, um ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können (16). Über die schlechte Situation der meisten Beschäftigten in den „Pflegeberufen“ berichten die Medien täglich. Wir sollten uns also alle freuen, dass es genügend Arbeit für alle gibt, die uns täglich Anlass zu großen Glücksgefühlen vermittelt.

Europa: Brücke zwischen Ost und West oder Vorposten der US-Hegemonie (17)

Als die EU Anfang des 21. Jahrhunderts den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) schuf, sollte dieser ein „Dienst für Frieden, Sicherheit und Konfliktlösung“ werden. Wie aber kommt es, dass Europa immer mehr von Krisen betroffen und von Kriegen bedroht und in sie direkt verwickelt ist, wie in Syrien, Libyen, Irak, Afghanistan, Sudan? Wird es uns helfen, die Weiterentwicklung der Europäischen Union in den Status einer weltpolitischen „Macht“ zu betreiben, um als „Subjekt der Weltpolitik der Zukunft auftreten“ zu können, so wie es von der EU und unter der Führung von Frankreich und Deutschland zusammen mit weiteren Staaten angestrebt wird?

Zur Beantwortung dieser Fragen müssen wir von der Wahrnehmung der Symptome zum Verständnis der Wirklichkeit vordringen. Diese verbirgt sich hinter dem Schleier der Symptome, die uns einen Schein der Wirklichkeit zeigen. Wir wissen, die Wirklichkeit ist komplex, aber das sollte uns nicht daran hindern, zu versuchen sie zu verstehen (18). Wie aber soll und kann das gehen? Das wichtigste Instrument, um zum Verstehen zu gelangen, wird das Denken sein, und die wichtigste Voraussetzung die Furchtlosigkeit, um den oft schrecklichen von uns Menschen verantworteten Wahrheiten ins Gesicht zu sehen (19).

Für den, der sich der Wirklichkeit stellen will, der der Wirklichkeit ins Gesicht sehen will, sind die Tatsachen nicht so schwer zu verstehen. Freilich, man muss gewillt sein, sich nicht blenden lassen, sich nicht mit dem „farbigen Abglanz“, den die Medien und unsere Führungskräfte allenthalben verbreiten, zufrieden zu geben.

Bei intelligenten und ehrlichen Analytikern wie etwa Noam Chomsky kann man es seit Jahrzehnten nachlesen. In einem Interview in der New Left Review (Nummer 57 September/Oktober 1969), das als Anhang zu dem Buch „Sprache und Geist“ auch in Deutschland veröffentlicht wurde, sagte Chomsky:

„Das Ziel, eine vom amerikanischen Kapital beherrschte, integrierte Weltwirtschaft zu schaffen, rangiert für die Besitz-Elite, die die Vereinigten Staaten lenkt, an erster Stelle. Es geht nicht allein darum, sichere Gebiete für amerikanische Investitionen, Märkte und die Kontrolle über Rohstoffe zu haben, so wichtig sie auch sein mögen. Es ist ebenso notwendig, die Verteidigungsausgaben, das heißt letztlich die Kriegskosten auf einem hohen Stand zu halten. Das ist der wichtigste Keynes’sche Mechanismus zur Erhaltung dessen, was man eine gesunde Wirtschaft nennt“.

Berücksichtigt man die Tatsache, dass China, gemessen an der großen Bevölkerungszahl, ein flächenmäßig vergleichsweise kleines Land und dazu relativ rohstoffarm ist, dann wird die Stoßrichtung der USA, mit der NATO als Transmissionsriemen, schnell ersichtlich — wenn man denn verstehen will.

Die Aneignung der Rohstoffe Russlands ist die Voraussetzung für die Macht über China

Die USA werden alles tun, um sich die Rohstoffe Russlands, über den Umweg Europa, einzuverleiben. Unter Jelzin haben sie sich schon ganz nahe dran gesehen. Sie wollten Russland mit ihrem Kapital überschwemmen, das Land aufkaufen und „friedlich“ übernehmen (20). Russland hätte zwar politisch unabhängig bleiben können, so wie Deutschland. Die das Land dominierende Wirtschaft und die Geldwirtschaft aber wären im Besitz amerikanischen und internationalen Kapitals gewesen und von diesem nach dessen Gesetzen betrieben worden.

Der Rest hätte die USA nicht geschert. Kultur war in den USA schon seit langem von „Medien“ getrieben. Auf lange Frist hätten auch die Russen und ihre Verbündeten hauptsächlich Filme aus Hollywood geschaut und über die Social-Media-Kanäle amerikanischer Firmen kommuniziert.

Damit wäre der Weg für China versperrt gewesen, das heißt der Zugang zu Rohstoffen (21). China hätte dann langfristig nicht die Chance gehabt, dem amerikanischen Hegemon gleichzukommen — denn darum geht es den USA im globalen Schachspiel, wie es von Zbigniew Brzeziński, dem Berater mehrerer amerikanischer Präsidenten, aufgezeigt worden ist (22). Das ist „des Pudels Kern“, darum geht die große globale Auseinandersetzung spätestens seit 1989. Das ist der Einsatz aller Kriege, die aktuell von den USA geführt werden, von Afghanistan, als wichtigem Nachbarn Pakistans, über den Irak und Syrien bis in den Jemen als Wächter am südlichen Zugang zum Roten Meer und zum Suezkanal.

Das also ist der Einsatz, um den es auf dem Schachbrett der amerikanischen Industrie und des Kapitals geht: der freie Zugang zu Rohstoffen und Märkten nach den Regeln der USA, dies ist das große strategische Element. Dem afrikanischen Kontinent als grossem Rohstoffreservoir kommt insgesamt eine ähnliche Rolle zu wie die Russlands. Allerdings ist der Handlungsdruck dort geostrategisch noch nicht so groß.

Für die USA ist China der große Konkurrent, den sie über Europa und den Besitz der Rohstoffe Russlands in Grenzen halten oder besser gesagt „dominieren“ wollten und wohl auch könnten.

Die industriellen Produktionskapazitäten Deutschlands spielen dabei sicher auch eine wichtige Rolle und sind natürlich auch für uns in Deutschland ein wichtiges Pfand. Unser Land verfügt noch über exzellente technische und technologische Anlagen, die jedoch schon weitgehend amerikanischen Eigentümern gehören, die darüber, wenn es denn wirklich darauf ankommen würde, weitgehend frei verfügen können.

Im Kriegsfall, wie es auch schon jetzt schon ansatzweise geschieht, wird Deutschland seine gesamten Produktionskapazitäten in den Dienst der NATO, und also in den Dienst der amerikanischen Geo-Strategie stellen.

Daran hat noch keine deutsche Regierung wirklich Zweifel gelassen. Selbst der grüne Außenminister Joschka Fischer war sehr beflissen und geschickt, um den USA und der NATO ideologisch den Weg nach Südeuropa und zur Einverleibung Serbiens zu ebnen. Eine der größten Militärbasen der USA in Europa liegt heute im Kosovo — das zwar noch keine Nation ist, aber heute schon ein wichtiger Brückenpfeiler und in naher Zukunft wohl auch ein volles Mitglied von EU und NATO.

Nur einen kleinen Schritt konsequent weitergedacht kommt man zu folgender Aussage: Die EU und die NATO sind die Brückenpfeiler der USA in östlicher, atlantischer Richtung im Kampf um die globale Hegemonie. In westlicher, also pazifischer Richtung ist es Japan, das die Rolle des US-Brückenpfeilers übernehmen musste.

Die USA betreiben in Europa keine industrielle Standortpolitik, sondern sie schaffen geostrategische Fakten zur Durchsetzung der eigenen Interessen im Sinne einer Hegemonie des US-Kapitals (23).

Europa ist also nicht mehr Konkurrent der USA, sondern integrierter Teil einer globalen Strategie um die Weltherrschaft. Schon in den Schriften von Brzeziński werden die europäischen Staaten dann auch folgerichtig „Vasallen“ genannt.

Die Menschheitsgeschichte läuft nicht wie ein mechanisches Konstrukt ab, dazu ist die Welt zu komplex. Und dennoch werden eine gewisse Richtung und Konsequenz in der historischen Entwicklung sichtbar. Bestimmte Entscheidungen, die 1919 von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges getroffen wurden, haben zu einer Neuordnung der Welt geführt. Die Prinzipien der Gestaltung von Macht und Herrschaft, die den damaligen Entscheidungen zugrundelagen, müssen wir kennen, um nachfolgende und heutige Ereignisse und Handlungen politischer Entscheider einordnen zu können. Nur so kann es gelingen, im vermeintlichen Chaos um uns herum eine Struktur zu erkennen.

Dies fordert uns auf, heute genau hinzuschauen, wenn politische Entscheidungen getroffen werden. Die Folgen müssen nicht nur von uns, sondern viel mehr noch von den künftigen Bewohnern dieses Planeten getragen werden.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Arnold Toynbee: Die Einigung der Menschheit und ihre weltpolitische Zukunft, in: Ausblick auf die Zukunft, Sammelband, Gütersloh, 1968.
(2) Vasco da Gama, Graf von Vidigueira (* um 1469 in Sines, Portugal; †24. Dezember 1524, in Cochin, Indien) war ein portugiesischer Seefahrer und Entdecker des Seewegs um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien, sowie der 2. Vizekönig Portugiesisch-Indiens.
(3) Max Born: Der Mensch und das Atom, in: Ausblick auf die Zukunft, Sammelband, Gütersloh, 1968. Der Physiknobelpreisträger Max Born war unter anderem Mitunterzeichner des Göttinger Manifests von 1957, in dem sich 18 namhafte bundesdeutsche Atomforscher gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr einsetzten.
(4) Mit den im 14-Punkte-Programm des damaligen Präsidenten Wilson von 1918 zusammengefassten Argumenten hatte dieser schon den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg vor dem US-Kongress und der amerikanischen Öffentlichkeit begründet. Vergleiche auch den Sammelband von Jens Heisterkamp (Hg.), Die Jahrhundertillusion. Wilsons Selbstbestimmungsrecht der Völker, Steiners Kritik und die Frage der nationalen Minderheiten von heute, Frankfurt/Main 2002. Dieser Sammelband wurde sehr kompetent besprochen in der Zeitschrift Perseus, der Europäer, Jg. 6 Nr. 8, Juni 2002, von Andreas Bracher, unter dem Titel „Völkische Selbstbestimmung und Dreigliederung“.
(5) Vergleiche hierzu unter anderem den britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der damals im Auftrag der britischen Regierung den Verhandlungen beiwohnte und den Unsinn der damaligen französischen Verhandlungsposition von Clemenceau schon klar benannte.
Eine wichtige Quelle ist auch der Aufsatz „Von Versailles zur Kybernetik“ von Gregory Bateson, veröffentlicht in: Ökologie des Geistes, Suhrkamp Wissenschaft 571, Frankfurt 1985, der leider nie bekannt wurde, aber wichtige Einsichten in diesen Prozess der Versailler Verhandlungen vermittelt. Wichtige Punkte hier für uns: (a) Der Versailler Vertrag, auch manchmal das Diktat von Versailles genannt, war der Ausgangspunkt für den Zweiten Weltkrieg, der Europa, inklusive der Sowjetunion, unter den von Hitler geleiteten Nationalsozialisten und Faschisten in eine erneute Katastrophe führte.
Der zeitgleich ins Leben gerufene Wilsonianismus war der Beginn der Pax Americana, also des Anspruchs der Amerikaner, unter ihrer Führung der Welt „den Frieden und die Demokratie“ zu bringen.
(6) In den Medien, auch gehobenen Niveaus, werden wir darüber informiert, dass seitdem stetig die „Staatsquote“ steigt. Das deutet auf zunehmende Zentralisierung und die Stärkung des Einheitsstaates hin.
(7) Diese geopolitische Gemengelage ist auch Anlass für die „Achberger Friedens-Initiative“, wie sie von Herbert Schliffka und assoziierten Freunden in Konsequenz des „Achberger Impulses für Freiheit, Direkte Demokratie und globale Solidarität im Wirtschaftsleben“ (http://www.kulturzentrum-achberg.de/) in die Wege geleitet wurde. Den Rahmen dazu stellt Schliffka sehr gut in dem Aufsatz „Geopolitische Strategien: Gefahren für ein selbstbestimmtes Europa? — Achberger Beiträge für ein „gemeinsames Haus Europa“ im 21. Jahrhundert als eigenständige Mitte zwischen West und Ost“ dar.
(8) In seinen Vorträgen von 1919 zur Symptomatologie der Geschichte fordert Rudolf Steiner uns auf, hinter den Symptomen die Wirklichkeit, die Wahrheit hinter den Vorgängen zu sehen.
(9) Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Hanser, München 1995, ISBN 3-446-16021-3; dtv, München 1998, ISBN 3-423-30657-2.
(10) Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass diese Politik der Hegemonie von den USA zunächst einmal nicht umgesetzt wurde, da innenpolitisch die Tendenz dazu ging, sich auf die amerikanische Hemisphäre zu beschränken. Der hegemoniale Anspruch der USA war schließlich eine Konsequenz des 2. Weltkriegs und wurde erst vom damaligen Präsidenten Roosevelt endgültig eingeleitet.
(11) So ließe sich damit etwa der Einmarsch der Türkei in Syrien von 2017 bis 2018 rechtfertigen.
(12) Nebenbei hat das auch zum Abstieg der Deutschen Bank und der Commerzbank beigetragen, die, im internationalen Vergleich gesehen, heute nur noch unbedeutend sind.
(13) Die Investmentfonds sind inzwischen Mehrheitseigner ganzer Branchen im Dax. Dies heißt, dass sie nicht nur Mehrheiten an einzelnen Unternehmen, auch Banken besitzen. Vielmehr sind sie im Mehrheitsbesitz ganzer Branchen, die sie dann also mehr oder weniger beliebig steuern können. Nicht mehr das einzelne Unternehmen oder die einzelne Bank bestimmen über ihre Politik, Preise und Löhne. Die unternehmenspolitischen und damit auch die gesellschaftlich relevanten Entscheidungen werden von den Investmentfonds getroffen. Diese nähern sich hier also der Kapazität zu wirtschaftlicher GESAMTSTEUERUNG. Vielleicht besitzen sie diese Kapazität auch schon für die wichtigsten Schlüsselindustrien — in Deutschland der Maschinen- und Fahrzeugbau, inklusive Robotik und andere Hochtechnologien, Chemie — und die Banken, die inzwischen „operativ“ bedeutungslos geworden sind und nicht mehr selbständig operieren. Vergleiche hierzu: Alles schon gelaufen? Focus Magazin Nr. 8, 2009, Wem gehört Deutschland?
(14) FAZ, Viele amerikanische Investoren, Der Dax ist fest in ausländischer Hand, von Daniel Mohr, 26.01.2017. — In diesen Statistiken sind Cross-Ownerships nicht eingerechnet, d. h. wenn die Deutsche Bank einen Anteil an einem Unternehmen besitzt, dann wird dies der Deutschen Bank zugerechnet. Derweil die Deutsche Bank heute schon mehrheitlich im ausländischen Besitz ist.
(15) Die Politik der USA dient also nicht „der Abwehr der EU-Konkurrenz“ an den Weltmärkten (also der Standort-Politik der USA), sondern die Politik der USA ist die Politik der Einverleibung Europas und seiner Staaten als Vasallen, s. a. a. O. Brzeziński.
(16) FAZ, vom 02.01.2018, Bayern, Erst das Gefängnis, dann der Nebenjob.
(17) Wir zitieren hier Gerd Weidenhausen in Die Drei, Nr. 5., aus einer Besprechung von Wolfgang Bittner, Die Eroberung Europas durch die USA, Mainz 2015, um zu illustrieren, wie die europäische Intelligenz immer noch auf die eigene Angst hereinfällt, und die Angelegenheit so darstellen will, als hätte die EU noch ein Wahl, als wolle sie noch ein Wahl haben. Es gilt anzuerkennen: „Der Eigennutzen der EU ist der Nutzen der USA“.
Nach unserem Verständnis ist dies jedoch „vorbei“. Es ist vollbracht! Die europäische, insbesondere die deutsche Intelligenz (die französische ist da oft noch mutiger) anstatt „anzuerkennen was ist“, verliert sich aus Angst immer noch in Konjunktiven. Um es klar zu sagen: die EU betreibt keine eigenständige Politik mehr, das könnte uns jeder deutsche Bundeskanzler und Außenminister bestätigen, wenn er denn ehrlich sein wollte.
Hier also das typische Zitat, in dem so getan wird, als hatte die EU noch alle Optionen: „der Hang zur Beschwichtigung der Rolle der EU-Politik, die sich eben nicht nur im Schlepptau der US-Politik bewegte: Diese wurde in ihren angeblich so hehren Demokratisierungsambitionen im Rahmen ihrer seit längerem praktizierten „östlichen Nachbarschaftspolitik“ nicht nur von gezielten US-Interventionen konterkariert oder gar hintergangen, vielmehr verfolgte sie von Anfang an ganz eigennützige wirtschaftliche und politische Interessen, die sie vergessen ließen, bei den Verhandlungen um das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine Russland mit ins Boot zu holen. Der Schlamassel, der im Gefolge dieses eklatanten Versäumnisses um sich griff, war also zu einem guten Teil eigenverschuldet. Bei aller Konkurrenz um Einfluss und Macht verfolgen EU-Europa und die USA eine Politik der Arbeitsteilung mit vorab verteilten Rollen …“.
(18) „alles kann der Edle leisten, der versteht, und rasch ergreift“, so lässt Goethe den Chor im Faust II sprechen. Also, verstehen ist wichtig und geht dem Handeln voraus, sollte dem Wollen also die Richtung vorgeben.
(19) So hat sich schon C. G. Jung in seiner Biographie ausgedrückt, als er im Rückblick auf den Nationalsozialismus und seine Folgen für Europa und die Welt, bemerkte: „hätten die Menschen den Mut gehabt, dem Bösen ins Angesicht zu sehen und es beim Namen zu nennen, so hätte es verhindert werden können“.
(20) Das war eine Art von „Rockefeller“-Kapitalismus, den die USA umsetzen wollten, ohne Rücksicht auf Verluste und mit klarem Ziel. In dieser Zeit sind dann die großen privaten Konglomerate der Oligarchen entstanden. Einen Teil davon, die wichtigsten zu Steuerung der russischen Volkswirtschaft, also Öl- und Gasunternehmen, sowie die Banken, hat Russland dann wieder unter nationale Aufsicht gestellt. Der Prozess gegen Chodorkowski war der bisher letzte aufsehenerregende Akt in diesem Vorgang.
(21) Oft wird über die Investitionen von China auf dem afrikanischen Kontinent geredet. Es dürfte aus dieser Perspektive klar sein, dass es dabei auch in erster Linie um Rohstoffe und Absatzmärkte geht. Von dieser Seite her ist auch die Bedeutung Australiens für China zu verstehen. Australien hat eine relativ geringe Bevölkerung, ist aber im Besitz großer Rohstoffvorkommen auf seinem Kontinent.
(22) The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives, von Zbigniew Brzezinski.
(23) Zur engen Beziehung zwischen Kapital und Krieg siehe die Bücher von Niall Ferguson, zum Beispiel: The Cash Nexus. Money and Power in the Modern World, 1700–2000, London: Allen Lane/Penguin Press, 2001; oder auch: War of the World. History’s Age of Hatred, 1914–1989, Allen Lane, 2006. Niall Ferguson ist sicher kein „Revolutionär“, aber er ist mutig und äußerst intelligent, ein Historiker also, der uns behilflich sein kann, wenn wir die Wirklichkeit hinter den Symptomen sehen wollen. Sein Spezialgebiet ist die Geld- und Finanzwirtschaft.