Das Schweige-Kartell
Die Medien verschweigen die wahren Folgen des Einsatzes von Uranwaffen. Exklusivabdruck aus „Todesstaub — Made in USA: Uranmunition verseucht die Welt“.
Auch wo die Täter sich bereits zurückgezogen haben, leiden die Opfer oft ihr Leben lang. Im Kosovo, in Serbien und im Irak, wo Uranmunition eingesetzt wurde, kam es zu einem statistisch signifikanten Anstieg von Krebs, Säuglings-Missbildungen und Erbkrankheiten. Und — Sie werden erstaunt sein — die westlichen Medien berichteten sogar darüber. Allerdings nur bis 2001. Danach verstanden sich Publikationen wie die ZEIT wieder als dienstbare Geister der NATO-Propaganda und unterstützten deren gezielte Desinformationskampagne. Denn zu Recht fürchteten die Täter, dass tausende tote und verseuchte Menschen in Folge des Einsatzes von radioaktiver Muntion ihr Image in der Öffentlichkeit verdunkeln könnten. Bis heute wiedersetzt sich die NATO einer ehrlichen Aufarbeitung der Vorfälle und einem Verbot der tödlichen Waffen unter dem Vorwand, der kausale Zusammenhang zwischen dem Einsatz der Munition und den Krankheitsfällen sei nicht einwandfrei bewiesen.
Selbst amerikanischen Militärwissenschaftlern ist inzwischen die Tatsache bekannt, dass Uran-Nanopartikelchen eingeatmet oder mit der Nahrung aufgenommen im menschlichen und tierischen Körper überall hinwandern können: in alle Organe, ins Gehirn, in die weiblichen Eizellen und in den männlichen Samen. Und da, wo sich Uran 238 ablagert, kann es zu genetischen Defekten und Missbildungen mit Aborten und Frühgeburten bei Schwangeren kommen, so wie wir es nach den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki und der Tschernobyl-Katastrophe erlebt haben und nach Fukushima jetzt dort leider auch wieder sehen.
Wir wissen von Ärzten aus dem Kosovo, aus Serbien und dem Irak, dass sie inzwischen eine erschreckende Zunahme von Mehrfachkrebs bei solchen Erkrankten festgestellt haben. Um das tatsächliche Ausmaß solcher Erkrankungen zum Beispiel bei den Soldaten der USA und ihren Alliierten festzustellen, hätte das Pentagon längst epidemiologische Studien in Auftrag geben müssen, hat das aber bisher unterlassen.
Es gibt auch kaum Studien, die ermittelt haben, ob sich die Zahl der Krebserkrankungen durch die Anwendung der Uranwaffen erhöht hat. Das Pentagon und die britische Regierung verhindern geradezu Bemühungen, ihre Soldaten auf die einschlägigen Krankheiten hin zu untersuchen und streiten weiterhin kaltblütig jeden Zusammenhang zwischen dem sogenannten Golfkriegssyndrom und den eingesetzten Urangeschossen ab. Erst recht weigern sich das Pentagon und die britische Regierung, die in den verseuchten Gebieten lebende Zivilbevölkerung in einer Studie zu erfassen.
So sollte doch eigentlich gefragt werden: Wie sieht für diese Menschen die Prognose aus? Wie hoch ist ihre Lebenserwartung in so einer kontaminierten Region? Was passiert mit den kommenden Generationen? Hier sind eigentlich die Medien und die Politik gefordert. Fragen wir also zuerst: Was sagt die Politik zum Einsatz von Uranmunition und den daraus resultierenden Folgen hier bei uns in Deutschland?
In der Zeit der zweiten Großen Koalition antwortete die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Agkün bei einer gemeinsamen Diskussion 2008 nach einer Aufführung meines Dokumentarfilms Todesstaub auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum wörtlich:
„In der derzeitigen Regierung sind Uranmunition und ihre Folgen ein ganz und gar ungeliebtes Thema. Mehr wage ich hier nicht zu sagen.“
Und heute? Ich kann dem Leser versichern, dass auch die Koalitionsregierung unter Führung von Angela Merkel weiterhin leugnet, dass es einen ursächlichen Zusammenhang von eingesetzter Uranmunition und an Krebs oder Leukämie erkrankten Menschen gibt.
Die Bundestagsfraktion der Partei „Die Linke“ hatte schon im Frühjahr 2008, also noch während der damaligen Großen Koalition, eine Kleine Anfrage über die Folgen der Uranmunition an die Bundesregierung gestellt. Diese Fragen hat der damalige Staatsminister Gernot Erler von der SPD im Namen der Bundesregierung beantwortet. Eine der Fragen lautete, ob der Regierung Erkenntnisse über den Einsatz von Uranmunition in Afghanistan seit 2001 vorliegen und ob uns die Alliierten entsprechend informieren?
Der Staatsminister Gernot Erler antwortete wörtlich vor dem Parlament:
„Der Bundesregierung liegen keine eigenen Erkenntnisse zu möglichen Einsatzorten beziehungsweise -zeiten von Munition mit abgereichertem Uran in Afghanistan seit 2001 vor.“
Und:
„Der Bundesregierung wird ein Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran nicht angezeigt. Eine Informationspflicht hierzu besteht nicht.“
Diese Antwort beweist, dass der damalige Staatsminister Gernot Erler dem Parlament, dem Parlamentspräsidenten und dem Volk die Unwahrheit gesagt hat, wenn er meinte, der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zu möglichen Einsatzorten von Uranmunition in Afghanistan seit 2001 vor. Denn der damalige „Leitfaden für Bundeswehrkontingente in Afghanistan“ sagte klar und deutlich auf Seite 25, dass in Afghanistan von den Alliierten Uranwaffen eingesetzt wurden und noch immer für alle dort eingesetzten Soldaten permanent das Risiko einer Kontamination besteht, mit allen möglichen furchtbaren Konsequenzen.
Welche Schlüsse müssen wir also daraus ziehen, dass uns Politiker heute derart belügen und wieso ist das überhaupt so einfach möglich?
Denn die Lügen und das Verschweigen gehen ja ständig weiter, wie es zum Beispiel auch die Kundus-Affäre deutlich gezeigt hat. Wir müssen also fragen: Was tun die großen Tageszeitungen, der Rundfunk, das Fernsehen in Sachen „Uranmunition und die Folgen“? Sie schweigen.
Doch das war nicht immer so.
Wir können eine erschreckende Entwicklung erkennen: Bis zum Januar 2001 haben die meisten großen deutschen Tageszeitungen und entsprechende politische Fernsehmagazine immer wieder über mögliche Gefahren und sogar Missbildungen bei Neugeborenen, hervorgerufen durch die uranhaltige Munition der Alliierten, berichtet.
Magazine wie Monitor und Panorama hatten Beiträge über die Folgen dieser Munition gebracht. Monitor sprach Ende 1999 sogar einmal von „ganzen Landstrichen im Kosovo“, die womöglich verseucht seien. Der SPIEGEL-Redakteur Siegesmund von Ilsemann konnte in der SPIEGEL-Ausgabe 3 und 4 im Januar 2001 unter dem Titel „Tödlicher Staub“ über die Gefahren, die von den Urangeschoßen für Mensch und Natur ausgehen, berichten.
Danach las man kaum noch etwas über das Golfkriegs- oder Balkansyndrom oder die Folgen der Uranmunition. Die ZEIT hatte nämlich durch ihren Wissenschaftsjournalisten Gero von Randow unter dem Titel Das Golfkriegssyndrom im Januar 2001 die Wende eingeläutet. Auf fast einer ganzen Seite durfte von Randow seine Sicht der Dinge, und was er von den Berichten der Konkurrenz zu diesem Thema hielt, darlegen. Schon im Untertitel konnte man lesen, wohin das führen würde. Er schrieb dort: „Die Politik reagiert lau, die Medien schüren Angst und Fakten spielen keine Rolle“. Und dann legte er los, der Wissenschaftsjournalist von Randow, dessen Ergüsse man heute übertiteln könnte: „Wie Die ZEIT von der Zeit eingeholt wurde“. Er schrieb:
„Die Politik sendet (in Sachen Uranmunition) nur spärliche Signale in diesen Tagen. Dafür geriet die ‚vierte Gewalt‘, die Presse, außer Rand und Band. ‚NATO vergiftet Kosovo‘, titelte so die taz. Doch was hatten die Experten der UN-Umweltorganisation UNEP im Kosovo tatsächlich entdeckt? ‚Leicht erhöhte Radioaktivität, keine größeren kontaminierten Flächen gefunden.‘
Gleichwohl, selbst die Süddeutsche Zeitung geißelt einen Verstoß gegen die Genfer Konventionen (mit) ‚grausamen Waffen‘. Sogar im Deutschlandfunk war zwischendurch von Plutonium-Geschossen die Rede, und wer sich die Mühe machte, die Regionalzeitungen zu durchstöbern, entdeckte die abenteuerlichsten Vermutungen, zum Beispiel diese: Heimlich habe die NATO im Kosovo neuartige Verseuchungswaffen getestet — in Wahrheit wird die Munition seit beinahe 30 Jahren verschossen. Jeder wollte, jeder musste ausgefallene Ware bieten. Die WELT enthüllte, dass auch in Deutschland mit Uran auf Truppenübungsplätzen herumgeballert werde.“
Und dann ging er auf die Recherchen der Kollegen ein, und schrieb, dass gute Recherche Zeit kostet und dass man aber auch eine Geschichte „kaputt recherchieren“ könnte und fuhr dann fort:
„Der STERN beispielsweise hatte seine Irak-Reportage, die in der vergangenen Woche erschien, mitnichten kaputt recherchiert. Grausige Bilder missgebildeter Kinder und anderer kranker Menschen wurden mit der unbelegten Behauptung kommentiert, die US-Munition sei schuld und nicht etwa Saddams Chemiewaffen, der Zusammenbruch der medizinischen Versorgung, die Umweltschäden oder andere Missstände im Irak.“
Zu dieser sarkastischen Bemerkung von Randows möchte ich hier fragen, warum er selbst nicht ein wenig besser recherchiert hat? Hätte er dann womöglich herausgefunden, dass die britische Atomenergiebehörde schon im April 1991, also einen Monat nach Ende der „Operation Wüstensturm“, in einem damals noch geheimen Bericht das britische Verteidigungsministerium eindringlich warnte, dass schon der Einsatz von 40 Tonnen Urangeschoßen in bewohnten Regionen über 500.000 Todesopfer durch Krebs und Leukämie fordern könnte?
In Wirklichkeit, und das wusste auch von Randow damals, wurden über 320 Tonnen im Irakkrieg 1991 verschossen. Die Rechnung der britischen Atomenergiebehörde zugrundegelegt, müsste man dann mit erschreckenden 4.000.000 Todesopfern im Irak rechnen. Und da sind wir dann nicht weit von den Zahlen entfernt, die die kanadische Geophysikerin Leuren Moret und andere neutrale Wissenschaftler für den Irak in den nächsten 15 Jahren befürchten: nämlich fünf bis sieben Millionen Tote als Folge des Einsatzes der Uranwaffen.
Wenn nun jemand auf die Idee gekommen wäre, die damaligen Umstände in der ZEIT zu recherchieren, so wäre bald deutlich geworden, wie es um die journalistische Unabhängigkeit des damaligen Wissenschaftsjournalisten Gero von Randow bestellt war: Ende 1999 war ein gewisser Dr. Theo Sommer von Verteidigungsminister Rudolf Scharping als Sonderbeauftragter zur Untersuchung über Urangeschosse und Folgen in eine entsprechende Kommission berufen worden. Warum gerade Theo Sommer?
Nun, Sommer hatte 30 Jahre zuvor im Verteidigungsministerium als Leiter des Planungsstabs gedient und war außerdem einst Mitglied der Wehrstrukturkommission der damaligen Bundesregierung gewesen. Laut Impressum der ZEIT war Theo Sommer damals im Beirat dieser Zeitung und Chefredakteur Gero von Randow Redakteur.
Zählt man nun eins und eins zusammen, so liegt der Verdacht nahe, dass Gero von Randows Beitrag in der ZEIT in Abstimmung mit seinem Chefredakteur und nicht zufällig erfolgte, konnten doch so zwei Dinge gleichzeitig gelöst werden: Theo Sommer erwies sich als höchst zuverlässig im Sinne seines Auftraggebers, des Verteidigungsministers Scharping, und Die ZEIT outete sich als Regierungssprachrohr, indem der Redakteur Gero von Randow Journalistenschelte gegenüber der Konkurrenz betreiben konnte.
Theo Sommer bekam übrigens wenig später von Minister Scharping das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold überreicht, und während in den folgenden Kriegen in Afghanistan und Irak weiter Uranmunition verschossen wurde, herrschte an der Medienfront weitgehend Ruhe. Meinen Film Todesstaub habe ich später dem SPIEGEL-Redakteur Siegesmund von Ilsemann gezeigt, der selbst 2001 zum letzten Mal über Uranmunition und die Folgen schrieb, und ich habe ihn gefragt: Warum schreibt niemand mehr über dieses inzwischen bewiesene Kriegsverbrechen? Und ich bekam von diesem Mann eine Antwort, die ich so von einem Redakteur des SPIEGEL nie erwartet hätte. Er sagte mir:
„Es gibt in der BRD seit einiger Zeit bestimmte Themen, die tabu sind. Und zu diesen Themen gehört auch das ‚Tabu-Thema Uranmunition‘ und Sie, Herr Wagner, werden heute auch mit ihrem Fachwissen in keiner der großen Tageszeitungen oder dem Fernsehen einen kritischen Hintergrundbericht über Uranmunition und die Folgen unterbringen.“
Er sollte leider recht behalten. Als im Kosovo dann die ersten portugiesischen KFOR-Soldaten an höchst aggressiven Krebstumoren und Leukämien starben, geriet in der Bundesrepublik Deutschland Verteidigungsminister Rudolf Scharping durch diese Meldungen in der Presse zum Neujahr 2001 heftig unter Druck, weil viele Ehefrauen und Angehörige von deutschen Soldaten im Kosovo ihn fragten: Welche Gefahren bestehen durch den Einsatz der Uranmunition für unsere Soldaten, unsere Brüder, Männer und Väter?
Deshalb war man sich im Pentagon und in der NATO schnell einig: Das Thema Uranmunition musste raus aus den Medien! Und dazu hat man sich in Deutschland der Wochenzeitung Die ZEIT bedient.
Stützen konnte sich der Redakteur Gero von Randow vorab auf die Ergebnisse der sogenannten „Theo-Sommer-Studie“. Das Ergebnis der Studie war, knapp zusammengefasst, folgendes: Die im Kosovo eingesetzte Uranmunition ist für unsere dort stationierten Soldaten vollkommen ungefährlich. Dabei stützte sich die Studie auf Untersuchungen der UNEP und der WHO und auch auf eine Studie, die das Institut für Strahlenschutz Neuherberg bei München im Auftrag des Verteidigungsministeriums unter Scharping veranlasst hatte.
All diese Studien gelten heute aber bei neutralen Wissenschaftlern als höchst umstritten oder völlig überholt. Nach Aussage des früheren WHO-Wissenschaftlers Keith Baverstock im Hörfunk von Bayern 2 am 4. Dezember 2008 liegen allein im „Giftschrank“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) inzwischen 16 Studien beziehungsweise Faktensammlungen zu dem Thema „Uranmunition und gesundheitliche Folgen“, die alle beweisen, dass gerade die beiden Komponenten hohe Giftigkeit und Radioaktivität dieser Waffe sich gegenseitig kulminierend unterstützen und so die hoch aggressiven Krebserkrankungen hervorrufen.
16 Faktensammlungen, die bisher nicht veröffentlicht wurden — es ist unfassbar! Und warum werden diese nicht veröffentlicht? Die Erklärung lieferte am 16. Februar 01 der Journalist Robert James Parsons in Le Monde diplomatique. Parsons hatte herausgefunden und lieferte das Dokument gleich mit, dass die WHO schon im Mai 1959 mit der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) auf Druck der USA einen Vertrag geschlossen hatte, indem sich die WHO verpflichtet, niemals Erkenntnisse über Radioaktivität und gesundheitliche Folgen zu veröffentlichen, wenn die IAEO dem nicht zustimmt. Und weil die IAEO bis heute solchen kritischen Veröffentlichungen nicht zustimmt, bleiben solche Untersuchungen und Literaturstudien der WHO im „Giftschrank“ dieser Organisation.
Man kann also folgern: Bis zum Jahr 2001 haben die europäischen Medien eigentlich gute Aufklärungsarbeit in Sachen Uranwaffen geleistet. Die Alliierten, besonders die USA und die britische Regierung, liefen aber Gefahr, dass man früher oder später aus ethisch-moralischen Gründen mit dem Finger auf sie zeigen würde.
In den USA hatten zudem einige Rechtsanwälte Sammelklagen gegen die amerikanische Regierung eingereicht, in der etwa 600 Golfkriegsteilnehmer, die heute schwer missgebildete Kinder haben, für diese um Wiedergutmachungszahlungen in Milliardenhöhe klagen.
Den Verantwortlichen im Pentagon ist also klar geworden, dass es hier nicht, wie bei der Klimakatastrophe, um ein Problem geht, das alle Industrieländer der Erde verursacht haben, sondern dass für die Folgen, die der Welt und den Menschen durch die Anwendung der Uranwaffen drohen, in erster Linie nur sie mit ihrem Verbündeten Großbritannien verantwortlich sind. So musste das Thema „Uranwaffen“ und „Todesstaub — Made in USA“ aus den Medien verschwinden. Dass sich auch unsere Presse dem so beugt, hätte ich noch vor 15 Jahren nicht für möglich gehalten.
Wir müssen heute erkennen, dass die Medien Meinungsmache für die Herrschenden und Mächtigen betreiben. Auf den Punkt brachte das schon vor Jahren der amerikanische Linguist und USA-Kritiker Noam Chomsky in seinem Essay „Der Mythos der freien Medien oder Warum die Mainstreammedien Mainstream sind“. Er sagt darin:
„Die Massenmedien im eigentlichen Sinn haben im Wesentlichen die Funktion, die Leute von Wichtigerem fernzuhalten. Sollen die Leute sich doch mit etwas anderem beschäftigen, Hauptsache, sie stören uns nicht, wobei ‚Wir‘ die Leute sind, die das Heft in der Hand halten. Wenn sie sich zum Beispiel für den Profisport interessieren, ist das in Ordnung. Wenn jemand Sport oder Sexskandale oder die Prominenten und ihre Probleme unglaublich wichtig findet, ist das okay. Es ist egal, wofür die Leute sich interessieren, solange es nichts Wichtiges ist.“
Inzwischen ist es auch so, dass missliebige Journalisten und Filmemacher von ihren Arbeitgebern keine Aufträge mehr erhalten. Drei mir namentlich bekannte Kollegen haben inzwischen quasi Hausverbot bei öffentlich-rechtlichen Sendern. Darunter ist einer, der 30 Jahre auch für diese Sender gearbeitet hat. Das heißt, man drängt solche Journalisten ins Abseits und versucht, sie mundtot zu machen, um so ein kritisches Thema aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen. Und wie macht man das?
Man wirft diesen Leuten vor, sie hätten in ihren Beiträgen einseitig tendenziös gearbeitet oder wichtige Sachen verschwiegen, und deshalb sei ihre Arbeit nicht sendefähig beziehungsweise nicht zu veröffentlichen.
Da muss ich fragen: Stempelt die Wahrheitstendenz eines Beitrages diesen tatsächlich als tendenziös ab — und ist das Bestreben, einen solchen Beitrag zu deformieren und kaputt zu reden, nicht erst recht tendenziös?
Der einzige Weg, dieser Falle des Totschweigens zu entkommen, besteht darin, die Umstände, die Mechanismen und die Funktionsweise solcher Handlungen immer wieder und unermüdlich aufzuzeigen. Das Recht steht doch über der Macht. Das Recht der Haager und Genfer Konvention, der Nürnberger Dekrete und die UN-Charta müssen der Macht den Weg weisen und ihr den Respekt vor den Grundwerten lehren. Auf Armut und Unterdrückung, Krieg und Bomben, verstümmelten, missgebildeten und getöteten Frauen und Kindern lässt sich kein Frieden bauen — nicht im Irak, nicht in Afghanistan — nirgendwo.
„Der Westen versinkt täglich immer tiefer im Sumpf der eigenen Politik. Nicht ein einziges Mal in den letzten 200 Jahren hat ein muslimisches Land den Westen angegriffen. Die europäischen Großmächte und die USA waren immer die Aggressoren. Nicht die Gewalttätigkeit der Muslime, sondern die Gewalttätigkeit des Westens ist das Problem unserer Zeit“, schreibt Jürgen Todenhöfer, der 18 Jahre lang Bundestagsabgeordneter der CDU war, in seinem Buch Warum tötest Du, Zaid?.
In dieser Hinsicht hat sich auch unter US-Präsident Barack Obama leider nichts geändert. Denn der hat ja offensichtlich gelogen, als er bei der Nobelpreisverleihung im November 2009 sagte, dass er Amerikas Verpflichtung bestätigt, sich an die Genfer Konventionen zu halten. Die USA haben allein in den letzten sechs Jahrzehnten die Genfer Konventionen immer wieder und immer wieder gebrochen und mit Füßen getreten — besonders in den letzten 35 bis 40 Jahren in Sachen Uranmunition. Ich möchte hier aus der Rede von Harold Pinter zitieren, die er am 7. Dezember 2005 anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises an ihn hielt, weil seine Aussagen auch heute hoch aktuell sind:
„Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterstützten die Vereinigten Staaten jede rechtsgerichtete Militärdiktatur auf der Welt, und in vielen Fällen brachten sie sie erst hervor. Ich verweise auf Indonesien, Griechenland, Uruguay, Brasilien, Paraguay, Haiti, die Türkei, die Philippinen, Guatemala, El Salvador und natürlich Chile. Die Schrecken, die Amerika Chile 1973 zufügte, können nie gesühnt und nie verziehen werden. In diesen Ländern hat es Hunderttausende von Toten gegeben. Hat es sie wirklich gegeben? Und sind sie wirklich alle der US-Außenpolitik zuzuschreiben?
Die Antwort lautet ja, es hat sie gegeben, und sie sind der amerikanischen Außenpolitik zuzuschreiben. Aber davon weiß man natürlich nichts. Es ist nie passiert. Nichts ist jemals passiert. Sogar als es passierte, passierte es nicht. Es spielte keine Rolle. Es interessierte niemand.
Die Verbrechen der Vereinigten Staaten waren systematisch, konstant, infam, unbarmherzig, aber nur sehr wenige Menschen haben wirklich darüber gesprochen. Das muss man Amerika lassen. Es hat weltweit eine ziemlich kühl operierende Machtmanipulation betrieben und sich dabei als Streiter für das universelle Gute gebärdet. Ein glänzender, sogar geistreicher, äußerst erfolgreicher Hypnoseakt. Ich behaupte, die Vereinigten Staaten ziehen die größte Show der Welt ab, ganz ohne Zweifel. Brutal, gleichgültig, verächtlich und skrupellos, aber auch ausgesprochen clever. (…)
Den Vereinigten Staaten liegt nichts mehr am low intensity conflict. Sie sehen keine weitere Notwendigkeit, sich Zurückhaltung aufzuerlegen, oder gar auf Umwegen ans Ziel zu kommen. Sie legen ihre Karten ganz ungeniert auf den Tisch. Sie scheren sich einen Dreck um die Vereinten Nationen, das Völkerrecht oder kritischen Dissens, den sie als machtlos und irrelevant betrachten. Sie haben sogar ein kleines, blökendes Lämmchen, das ihnen an einer Leine hinterher trottet, das erbärmliche und abgeschlaffte Großbritannien.
Was ist aus unserem sittlichen Empfinden geworden? Hatten wir je eines? Was bedeuten diese Worte? Stehen sie für einen heutzutage äußerst selten gebrauchten Begriff — Gewissen? Ein Gewissen nicht nur hinsichtlich unseres eigenen Tuns, sondern auch hinsichtlich unserer gemeinsamen Verantwortung für das Tun anderer? Ist all das tot?
Nehmen wir Guantanamo Bay. Hunderte von Menschen, seit Jahren ohne Anklage in Haft, ohne gesetzliche Vertretung oder ordentlichen Prozess, im Prinzip für immer inhaftiert. Diese absolut rechtswidrige Situation existiert trotz der Genfer Konvention weiter. Die sogenannte ‚internationale Gemeinschaft‘ toleriert sie nicht nur, sondern verschwendet auch so gut wie keinen Gedanken daran.
Diese kriminelle Ungeheuerlichkeit begeht ein Land, das sich selbst zum ‚Anführer der freien Welt‘ erklärt. Denken wir an die Menschen in Guantanamo Bay? Was berichten die Medien über sie? Sie tauchen gelegentlich auf — eine kleine Notiz auf Seite sechs. Sie wurden in ein Niemandsland geschickt, aus dem sie womöglich nie mehr zurückkehren. Gegenwärtig sind viele im Hungerstreik, werden zwangsernährt, darunter auch britische Bürger. Zwangsernährung ist kein schöner Vorgang. Weder Beruhigungsmittel noch Betäubung. Man bekommt durch die Nase einen Schlauch in den Hals gesteckt. Man spuckt Blut. Das ist Folter.
Was hat der britische Außenminister dazu gesagt? Nichts. Was hat der britische Premierminister dazu gesagt? Nichts. Warum nicht? Weil die Vereinigten Staaten gesagt haben: Kritik an unserem Vorgehen in Guantanamo Bay stellt einen feindseligen Akt dar. Ihr seid entweder für uns oder gegen uns.
Die Invasion des Irak war ein Banditenakt, ein Akt von unverhohlenem Staatsterrorismus, der die absolute Verachtung des Prinzips von internationalem Recht demonstrierte. Die Invasion war ein willkürlicher Militäreinsatz, ausgelöst durch einen ganzen Berg von Lügen und die üble Manipulation der Medien und somit der Öffentlichkeit; ein Akt zur Konsolidierung der militärischen und ökonomischen Kontrolle Amerikas im Mittleren Osten unter der Maske der Befreiung, letztes Mittel, nachdem alle anderen Rechtfertigungen sich nicht hatten rechtfertigen lassen.
Eine beeindruckende Demonstration einer Militärmacht, die für den Tod und die Verstümmelung abertausender Unschuldiger verantwortlich ist. Wir haben dem irakischen Volk Folter, Splitterbomben, abgereichertes Uran, zahllose, willkürliche Mordtaten, Elend, Erniedrigung und Tod gebracht und nennen es ‚dem Mittleren Osten Freiheit und Demokratie bringen‘.“
Das internationale Recht sieht vor: Für die Beseitigung von Kriegsmaterial, vergifteten Böden und Wasser sind die Verursacher verantwortlich. Für zivile Opfer müssten sie sich sogar vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten. Klar ist aber auch, dass mächtige Institutionen und Regierungen kein Interesse an einer Diskussion des Themas „Uranwaffen und die Folgen“ haben.
Wir wissen inzwischen, dass es zwei sich ergänzende Strategien gibt, wie US-Führung und NATO versuchen, der Verantwortung für den Einsatz radioaktiver Massenvernichtungswaffen zu entgehen. Und das ist im Wesentlichen eine „gezielte Desinformationskampagne“. Der erste Teil dieser Strategie ist die Forderung nach einem monokausalen Beweis für einen Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von abgereichertem Uran und den Erkrankungen. Der zweite Teil ist eine Forderung nach Ächtung der Waffen, wie sie etwa in Europa von der „International Coalition to Ban Uranium Weapons“ (ICBUW) erhoben wird, nur dann zuzulassen, wenn die Langzeitfolgen dieser Munition zweifelsfrei bewiesen sind.
Die Forderung der ICBUW setzt aber — meiner Meinung nach — niedriger an als bereits geltendes Recht: Laut Menschen- und Völkerrecht, der Genfer und Haager Konvention sind solche Waffen illegal, die über konkrete Kampfhandlungen hinaus, ohne Ansehen der Person, Menschenleben kosten.