Das perfekte Manöver
Das Parteiestablishment der Demokraten vereinigt sich gegen Sanders.
Der „Super Tuesday“ sorgte mit dem Durchmarsch des ehemaligen Vizepräsidenten in neun Bundesstaaten für eine faustdicke Überraschung. Aber wer setzte diese scharfe Wendung der Dynamik im Rennen um das Weiße Haus durch? Es war kein Geringerer als Barack Obama, der die entscheidenden Strippen zog, argumentiert unser Autor.
Vergleiche sind in letzter Zeit viele angestellt worden in den US-Medien zwischen den letzten republikanischen Vorwahlen und den diesmaligen der Demokraten. Trump war seinerzeit ebenfalls als Außenseiter und Rebell ins Rennen gegangen. Er hatte weiteste Teile der Parteimaschine gegen sich gehabt. Gerade das machte aber einen erheblichen Teil seiner Anziehungskraft aus. Denn die Basis war alles andere als zufrieden mit der Parteiführung.
Soweit, so Sanders.
Das vereinigte Zentrum
Einen riesigen Unterschied können wir aber nun erkennen. Denn eine weitere Bedingung für Donald Trumps Vorwahlsieg war die Zersplitterung seiner Gegner, bis zum bitteren Ende. Die gesammelten Vertreter einer eher traditionellen, ans Parteiestablishment angeschlossenen Linie - Ted Cruz und Marco Rubio, Chris Christie, John Kasich, Jeb Bush und Co. - ließen nur widerwillig und im Nachhinein viel zu spät von ihren aussichtslos gewordenen Kandidaturen ab. Dies ermöglichte Trump, zahlreiche Vorwahlsiege einzufahren, obwohl er nur 25 oder 30 Prozent der Stimmen erhielt. Und bei den Republikanern gilt: The Winner takes it all!
Bei den Demokraten im Jahre 2020 sah es nun lange Zeit danach aus, dass exakt dies die deutlichste Parallele zum Trump-Vorwahlkampf 2016 sei. Denn während sich Joe Biden, Pete Buttigieg, Elisabeth Warren und Amy Klobuchar um die hinteren Plätze balgten, konnte Bernie Sanders in Iowa und New Hampshire mit Ergebnissen deutlich unter der 30-Prozent-Marke Platz 1 erringen. Nur in Nevada gelang Bernie ein Kantersieg mit 47 Prozent.
Dann aber kam die Vorwahl in South Carolina, wo Afroamerikaner gut 60 Prozent des demokratischen Vorwahlvolkes stellen. Obamas Vizepräsident Joe Biden fuhr einen Sieg mit satten 30 Prozent Vorsprung ein - und innerhalb von 48 Stunden hatte sich die strategische Gesamtlage radikal verändert - indem nämlich die dritt- und viertstärksten Kandidaten, Pete Buttigieg und Amy Klobuchar, ihre Kandidaturen zurückzogen und sich postwendend für Joe Biden aussprachen. Elisabeth Warren dagegen, die eher Stimmen von Bernie Sanders zieht, blieb jedoch.
Gleichzeitig kam es zu einer ganze Serie von öffentlichen Unterstützungserklärungen für Biden durch prominente Demokraten. Als sei das stille Signal gegeben worden, sich jetzt um Joe Biden als letzte Rettung vor der Sanders-Revolution zu scharen, rollten die guten Nachrichten für ihn ein. Das dem Parteiestablishment in Treue und Korruption verbundene liberale Medienestablishment tat sein Möglichstes, diese Entwicklungen spektakulär in Szene zu setzen - und am Ende gewann Joe Biden am Super Tuesday weitaus mehr Staaten und Stimmen, als ihm irgendeine Umfrage noch vor zwei oder drei Tagen in Aussicht gestellt hatte.
Der Dirigent im Hintergrund
Dieses ganze Manöver war, man muss es so deutlich sagen: brillant! Es war entschlossen ausgeführt und virtuos orchestriert! Da hat alles gepasst - und das bei einem mehr als eng gesteckten Zeitrahmen. In den kaum drei Tagen zwischen South Carolina und dem Super Tuesday die Dynamik des Rennens so grundstürzend zu wenden, erforderte ein Höchstmaß politischer Professionalität, aber auch jemanden, dessen Hebelwirkung innerhalb der Partei stark genug war, einen so entschiedenen Move durchzusetzen.
Wer nun konnte diese Entschlossenheit herstellen und den zuvor recht chaotischen Haufen der „moderaten“ Demokraten in diesem Tempo auf Joe Biden verpflichten? Wer konnte Pete Buttigieg und Amy Klobuchar überzeugen, ihre doch noch nicht ganz aussichtslosen Kandidaturen überraschend hinzuschmeißen, um sich hinter Joe Biden zu werfen? Wer hat zudem den Apparat, das Netzwerk und die mediale Erfahrung, dieses kühne Manöver nicht nur innerhalb der Partei durchzusetzen, sondern auch zu einer wirkungsmächtigen Story in der Öffentlichkeit zu machen?
Tatsächlich wurde bekannt, dass Obama mit Pete Buttigieg telefoniert hat, bevor Letzterer seine Kampagne beendete und in Bidens Boot umstieg. Auch mit Joe Biden hat Obama telefoniert. Und während der Ex-Präsident sich offiziell zurückhält im Vorwahlkampf, wurde dafür gesorgt, dass diese Informationen durchsickerten.
Existenzkampf
Obamas grünes Licht für Biden und sein Signal an alle „Moderaten“, sich um ihn zu scharen, war freilich eingebettet in einen allgemeinen Abwehrkampf der Parteimaschine gegen Bernie Sanders. Seit Wochen hatte dieser Kampf teilweise panische Züge angenommen. Egal wer, Hauptsache nicht Bernie, lautete die Devise. Und so setzte der Mainstream in Medien und Partei nach den ersten zwei Vorwahlen auf Pete Buttigieg, dann auch ein bisschen auf Amy Klobuchar, zwischendrin auf Michael Bloomberg, bis der sich in einer Kandidatendebatte unmöglich machte und 20 Prozent nach unten rauschte in seinen Beliebtheitswerten. Jetzt also endgültig: Biden!
Allerdings ist auch bekannt, dass Obama seinem ehemaligen Vize nicht zugeraten hat, zu kandidieren – „You don’t have to do this, Joe…“ – und dessen Chancen gegenüber Trump im November eher skeptisch gegenübersteht. Und das ist auch kein Wunder. Biden bietet Trump riesige Angriffsflächen. Biden hat alle jener verheerenden „Freihandelsabkommen“ wie NAFTA unterstützt, die zu den wirtschaftlichen Verheerungen im Mittleren Westen und zu Trumps Wahlsiegen dort geführt haben. Biden hat den Irakkrieg 2003 enthusiastisch unterstützt. Biden hat erkennbar kognitive Probleme und immer wieder große Schwierigkeiten, sinnvolle Sätze zu formulieren. Dazu kommt der Korruptionsskandal um seinen Sohn Hunter Biden in der Ukraine, den Trump schon jetzt mit Freude ausschlachtet.
Wie können die Demokraten glauben, dieser Joe Biden sei besser geeignet, Trump im Herbst zu schlagen als Bernie Sanders mit seiner formidablen Organisation, seinen Hunderttausenden enthusiastischen Unterstützern, seiner blütenweißen Weste und seinen dominierenden Umfragewerten im direkten Vergleich mit Trump?
Nun – selbst diejenigen, die sich jetzt um Biden sammeln, glauben das womöglich gar nicht.
Aber Biden ist eben einer von ihnen. Er gehört zu ihren Netzwerken, ist ein Mann der Kreditkartenindustrie, Establishment durch und durch. Er wird die Futtertröge nicht antasten, an denen nicht nur die Senatoren und Kongressabgeordneten der Demokraten sich nähren, sondern auch Armeen von Beratern, Mitarbeitern, Lobbyisten und Medienleuten.
Gewönne Trump ein zweites Mal, wäre das eine große Gefahr für die Demokratie, sagen die Demokraten. Gewänne aber Sanders, wäre es eine Gefahr für den wirtschaftlichen Selbstbedienungsladen in Washington. Das sagen sie zwar nicht so offen. Aber das ist der alles entscheidende Punkt.
Jetzt heißt es also: Biden gegen Bernie. Die Aussichten für Bernie haben sich dabei außerordentlich verschlechtert. Dabei lebt Biden fast ausschließlich von dem Wind, den liberale Medien und Parteiestablishment für ihn entfachen. Dieser Wind schien nicht auszureichen in den vergangenen Wochen. Alles deutete auf einen großen Sanders-Sieg am Super Tuesday hin.
Das Establishment war deshalb gezwungen, mit einem Mal alle verbliebenen Trümpfe für Biden auf den Tisch zu werfen. Dieses Manöver war brillant orchestriert und hat gewirkt. Und es könnte reichen, Biden durchzusetzen, wie wir am Dienstag gesehen haben.
Die Schwächen von Bidens Kandidatur allerdings bleiben so sehr ein Faktor wie die Stärken von Bernies Massenkampagne, etwa: Bidens Organisation ist hundsmiserabel - Bernies Organisation dagegen exzellent. Entschieden ist darum noch nichts. Wir haben schon einige scharfe Wendungen erlebt in diesem Wahlkampf. Aber Bernie rennt jetzt die Zeit weg.