Das neokoloniale Projekt
Stoppen wir die Ausbeutung der Dritten Welt! Exklusivabdruck aus „Leistet Widerstand!“.
„Fluchtursachen bekämpfen“? Es wäre schon viel damit gewonnen, wenn die westlichen Industrienationen nicht fortwährend Fluchtursachen erzeugen würden. Der viel gepriesene „Freie Welthandel“ ist eine Ausbeutungsmaschinierie nach dem Gusto des reichen Nordens. Wir zerstören systematisch die Volkswirtschaften im Süden und beklagen uns, wenn Flüchtlinge zu uns kommen, denen nicht die Folter droht, sondern „nur“ der Hungertod. Der Handelsrkrieg gegen die ärmsten Nationen der Welt muss aufhören. Eine andere Politik ist möglich — und sie ist bitter notwendig.
Die Tragödie, die sich Tag für Tag im Mittelmeer abspielt, geht weiter. Über 23.000 Flüchtlinge und Migranten ertranken dort im Verlauf der letzten 15 Jahre, über 5.000 allein im Jahr 2016. Mehr und mehr Afrikaner riskieren ihr Leben, um nach Europa zu kommen und ein besseres Leben zu finden. Sie flüchten, um in ihren Dörfern und Städten der Armut, dem Hunger und der Perspektivlosigkeit zu entkommen.
Mitte Dezember 2015 fand in Valletta, der Hauptstadt Maltas, ein Gipfel zwischen der Europäischen Union (EU) und der Afrikanischen Union statt. Auf der Tagesordnung stand die Problematik der Migranten, die sich von Afrika auf den Weg nach Europa machen. Die EU war bemüht, den Unterschied zu machen zwischen „politischen“ Flüchtlingen, wie denjenigen, die aus Syrien kommen und in Europa willkommen sind und den „wirtschaftlichen“ Flüchtlingen, die man dazu bringen will, so schnell wie möglich nach Afrika zurückzukehren.
Wie ist es zu verstehen, dass jemand, der vor Elend und Hunger flieht, weniger in seiner Existenz bedroht ist als jemand, der versucht, Bürgerkriegen und Diktaturen zu entkommen?
Auf jeden Fall wollte Europa seine zukünftige finanzielle Unterstützung von der Bereitschaft der Afrikaner abhängig machen, bei der Rückführung seiner Migranten mitzuarbeiten. Ein mit 1,9 Milliarden Euro gespeister Spezialfonds wurde geschaffen, um die Afrikaner zu einer solchen Mitarbeit zu bewegen.
Im September 2015 veröffentlichte Le Monde Diplomatique einen Brief von Aminata Traoré, der früheren Kulturministerin Malis, der Einblick in die Katastrophe bietet:
„Zweihundert deiner Mitbürger und ebenso viele von den meinigen sind auf der Liste der 800 Toten des Schiffsuntergangs, der sich am 18. April auf hoher See bei Sizilien ereignete. Von vielen spricht man bereits nicht mehr, von vielen wird niemals gesprochen, sie sind untergegangen in Gemeinschaftsgräben, zu denen die Sahara-Wüste und das Mittelmeer geworden sind.“
In La Valletta wurden Stimmen laut, die die europäischen Politiker aufforderten, sich mit den Ursachen dieser Migration auseinanderzusetzen und die notwendigen Bedingungen zu schaffen, damit die Afrikaner nicht mehr aus ihrer Heimat fliehen müssen. Dabei hat sich Europa sehr oberflächlich, ja sogar recht scheinheilig benommen. Diese Ursachen sind in der Tat vielleicht komplex, sie können aber aufgezeigt werden.
Am 30. April 2015 brachte das erste deutsche Fernsehprogramm in der Sendung „Monitor“ eine Reportage mit dem Titel: „Wie die EU Fluchtursachen schafft, statt sie zu bekämpfen“. Gezeigt wurde, dass es in Senegal vor der Küste keine Fische mehr gibt für die armen Fischer, die aufgeben müssen und den Fluchtweg nach Europa beschreiten. Deren Lebensgrundlagen werden von mächtigen Fischtrawlern aus aller Welt, auch aus der EU, zerstört. Und wie in Ghana subventioniertes Hühnerfleisch und Milchpulver aus der EU zu so billigen Preisen angeboten werden, dass die lokalen Kleinproduzenten aus dem Markt gedrängt werden. Eine ernsthafte Infragestellung der EU-Handels- und Fischereipolitik. (1)
Die Stellungnahme der Zivilgesellschaft in Europa und in Afrika
In einem Text, mit dem Titel „Migrationen und Entwicklung“, hat die luxemburgische NGO-Plattform ONG 2015 erklärt, „dass diese Migrationsbewegungen durch andere Faktoren verstärkt werden, die auch die Verantwortung der entwickelten Länder aufwerfen, wie die Klimaveränderungen, die oft verheerende Tätigkeit multinationaler Firmen und der Finanzmärkte, die Ausbeutung von Ländereien und Rohstoffen oder das Fehlen jeder Steuergerechtigkeit. Hinzu kommt die schwache Governance einer Anzahl von Ländern im Süden.“
Die Plattform weist vor allem auf die verheerenden Auswirkungen einer neoliberalen Politik hin, die die reichen Länder seit Jahrzehnten den Entwicklungsländern und vor allem den afrikanischen aufgezwungen haben.
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen auch viele Netzwerke der westafrikanischen Zivilgesellschaft, wie zum Beispiel das Netzwerk der Bauernvereinigungen ROPPA und die Vereinigung der Frauen Westafrikas. Gemäß einer gemeinsamen Erklärung, die infolge eines Seminars mit dem Titel „Die globale Allianz für den Widerstand“ im Oktober 2015 in Mailand herausgegeben wurde,
„scheiterte diese Strategie an den negativen Auswirkungen der Freihandelspolitik, insbesondere der strukturellen Anpassungsprogramme, die die öffentlichen Investitionen und die Instrumente der Marktregulierung eingeschränkt haben, was die Importe von Lebensmitteln begünstigte. Das Risiko besteht, dass diese Politik durch die wirtschaftlichen Partnerschaftsabkommen weitergeführt und verschlimmert wird. Der Mangel an Unterstützung für die Landwirtschaft macht die Integration der Jugendlichen in diesem Bereich schwierig und nötigt sie meistens zur Landflucht und, wenn sie es können, zum Exil. Die Armut, der Landraub, die ungerechte Verteilung öffentlicher Güter und der Freihandel sind Übel, die die soziale Krise, die illegale Auswanderung und extremistische Irrwege fördern.“
In Mailand erklärte die afrikanische Zivilgesellschaft, was für die Stabilität und die Entwicklung der Region unabdingbar bleibt: „eine stärkere Berücksichtigung des Klimawandels, die Ansprüche der Frauen und der Jugendlichen, ein in einer Landwirtschaftspolitik integrierter Zugang zu angemessenen finanziellen Mitteln sowie ein stärkerer Marktschutz“. (2)
Die gravierende Migrationsthematik bleibt weiter bestehen.
Werden Europas Regierungen jemals ernsthaft daran interessiert sein, sich mit den wahren Fluchtursachen abzugeben? Ein Dialog mit der Zivilgesellschaft könnte dazu beisteuern.
Ein weiterer Gipfel zwischen der EU und Afrika fand Ende 2017 in Abidjan statt. Er wurde überschattet von dem Skandal des Sklavenhandels mit afrikanischen Flüchtlingen in Libyen. Auch auf diesem Gipfel kam es zu keiner glaubwürdigen Antwort auf die Migrantenfrage und auf die Notwendigkeit der Schaffung von Arbeitsplätzen für die 30 Millionen Jugendlichen, die jedes Jahr in Afrika neu auf den Arbeitsmarkt kommen.
Die neokoloniale Politik wird fortgesetzt
Am 23. Juni 2000 wurde das Cotonou-Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der EU und der Gruppe der AKP-Staaten in Cotonou, der Hauptstadt Benins, unterzeichnet. Auf der Grundlage dieses Abkommens führte die EU seit 2002 Verhandlungen mit diesen Staaten über sogenannte Wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen (WPA). Erst 2014 kam es zum Abschluss dieser Verhandlungen mit Afrika in fünf verschiedenen Regionen. Die Abkommen wurden dem Europäischen Parlament sofort zur Ratifizierung unterbreitet. Danach sollten sie auch von den Parlamenten der 28 Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Da aber einige Staaten, wie Nigeria, das Abkommen noch nicht unterzeichnet hatten, musste die Ratifizierung durch das Europaparlament mehrere Male verschoben werden.
Um dieses Verfahren weiterzubringen, griff die Europäische Kommission zu einem neuen Druckmittel: Sie verschickte im Juni 2016 einen Brief an alle afrikanischen Staaten mit der Aufforderung, die WPA bis Anfang Oktober 2016 zu unterschreiben. Sollte dies nicht geschehen, so würde sich die Kommission genötigt sehen, den Vorzugszugang zum europäischen Markt für die Staaten zu stoppen, die ihre Unterschrift weiter verweigern.
Ein unglaublicher Vorgang, bei dem die EU ihre wirtschaftliche Vormachtstellung gegenüber den afrikanischen Staaten arrogant ausspielte. Daraufhin ließen die luxemburgischen NGOs über ihre Plattform Präsident Juncker einen Brief zukommen, in dem sie ihm ihre Bestürzung mitteilten, die dieses für ein Partnerschaftsabkommen unwürdige Ultimatum bei ihnen ausgelöst habe. Der Brief legt weiter die Gründe dar, warum die Zivilgesellschaft sowohl in Afrika wie in Europa die WPA ablehnt, die nicht zur Entwicklung afrikanischer Gesellschaften beitragen. Die WPA riskierten auch, die Migrationswelle von Afrika nach Europa über Lampedusa zu vergrößern. Der Brief schließt ab mit Vorschlägen zu einer neuen europäischen Handels- und Entwicklungspolitik.
Der Brief erhielt eine weite Verbreitung. Eine Abschrift wurde an unsere sechs luxemburgischen Mitglieder im Europaparlament verschickt, an die Presse und an CONCORD, die Plattform der europäischen Entwicklungsorganisationen, mit der Einladung, sich an der Kampagne gegen eine WPA-Ratifizierung zu beteiligen.
Die EU drohte bereits 2014 verschiedenen Ländern wie Ghana und der Elfenbeinküste (3) mit der Beendigung des freien Zugangs zum europäischen Markt und mit der Anwendung des „Allgemeinen Präferenzsystems“, sollten sie nicht bereit sein zu unterzeichnen. Dies hätte zur Erhebung von Zöllen auf die Exporte in die EU für die Produkte dieser Länder geführt.
Nigeria, eines der größten Länder Afrikas, hat dem Druck der EU nicht nachgegeben. Es weigert sich weiterhin, das mit Westafrika abgeschlossene WPA zu unterzeichnen, und verlangt die Aushandlung eines neuen Abkommens. Nigerias Präsident Muhammadu Buhari unterstrich 2016 in einer Rede vor dem Europaparlament seine Sorge, die WPA-Regeln würden den Zielen der Industrialisierung seines Landes zuwiderlaufen. Tansania hat sich aus dem mit Ostafrika abgeschlossenen WPA aus ähnlichen Gründen zurückgezogen.
Das südliche Afrika ist die einzige der fünf afrikanischen Regionen, mit denen WPA abgeschlossen wurden und das vom Europaparlament im September 2016 ratifiziert werden konnte. Die Handelsbeziehungen zwischen Europa und Afrika bleiben weiterhin angespannt. Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien verstärken unterdessen ihre Präsenz in Afrika und erlauben es diesem Kontinent, seine früher einseitige Abhängigkeit von Europa zu verringern.
Wer sind die Nutznießer der WPA?
„Wer profitiert von dem mit Westafrika abgeschlossenen Wirtschaftlichen Partnerschaftsabkommen?“, ist ein 2015 veröffentlichter Bericht übertitelt, den CONCORD, die Plattform der europäischen NGOs, dieser Frage im Rahmen der Politikkohärenz gewidmet hat. (4) Dieses Abkommen sehe eine weitgreifende Handelsliberalisierung zwischen den beiden Regionen vor, die, gemäß der EU, 75 Prozent aller Tariflinien abdeckt. Tatsächlich seien aber 82 Prozent des Wertes der europäischen Exportwaren betroffen. Sie wird in drei Etappen und in einem Zeitraum von 20 Jahren erfolgen, wobei der größere Teil sich in 15 Jahren abwickelt.
In dem Bericht wird daran erinnert, dass in der Vergangenheit die Abkommen, die die EU mit den AKP-Staaten abschloss, auf dem Prinzip der Nicht-Gegenseitigkeit beruhten:
Die EU sicherte den Exporten Westafrikas einen fast völlig ungehinderten Zugang zum europäischen Markt zu, während sie die Staaten Westafrikas nicht dazu verpflichtete, der EU ähnliche Vorteile auf ihren Märkten anzubieten.
Nun aber sollen die Spielregeln der WTO, die eine gegenseitige Handelsliberalisierung vorsehen, maßgeblich sein. Im Bericht wird die Frage aufgeworfen, warum die EU keine Ausnahme zu diesen Regeln bei der WTO angefragt hat, wie das etwa im Falle Moldawiens geschehen ist. Für die EU ist Moldawien „das ärmste Land des europäischen Kontinents und hat nicht die genügende Wettbewerbsfähigkeit, um gegenseitige Verpflichtungen in einem Freihandelsabkommen mit der EU einzugehen“ (5). Die EU weigert sich, auch Westafrika gewisse Privilegien einzuräumen, obwohl es noch ärmer als Moldawien ist.
Dieter Frisch, von 1982 bis 1993 Generaldirektor für Entwicklung der Europäischen Kommission, erklärte im Jahr 2008:
„Die Annahme, dass diese Öffnung der Märkte durch die strukturschwachen Partner einer Freihandelszone deren Entwicklung befördern würde, ist mehr als umstritten. Es ist kein einziges historisches Beispiel bekannt, in dem ein Staat, der ganz am Anfang seiner wirtschaftlichen Entwicklung stand, sich tatsächlich entwickelt hätte, indem er seine Wirtschaft ungeschützt dem internationalen Wettbewerb aussetzte. Vielmehr verlangte diese Entwicklung immer einen gewissen Schutz, den man dann allmählich abbauen konnte, wenn die heimische Wirtschaft stark genug war, um sich der ausländischen Konkurrenz stellen zu können.“ (6)
CONCORD schlussfolgert in ihrem Bericht: „Die EU nimmt somit mit einer Hand das zurück, was sie mit der anderen gibt, was eine klare Inkohärenz des WPA-Abkommens mit den Entwicklungszielen in Westafrika darstellt.“ (7) Es geht um eine Verletzung der Politikkohärenz, wie sie der Vertrag von Lissabon, Artikel 208, einfordert: „Bei der Durchführung politischer Maßnahmen, die sich auf die Entwicklungsländer auswirken können, trägt die Union den Zielen der Entwicklungszusammenarbeit Rechnung.“
Genau das hat die EU nicht getan. Wo bleibt die Logik, Westafrika das Umgekehrte abzuverlangen, fragen sich die Autoren des CONCORD-Berichts, um dann zu bedauern, dass
„die EU, als erste Weltwirtschaftszone übertriebene Handelszugeständnisse von einer der ärmsten Regionen der Welt zu erreichen versucht. Mit dem WPA-Abkommen verliert Westafrika größere wirtschaftliche Instrumente, um die Lebensbedingungen seiner Einwohner zu verbessern. Darüber hinaus, hat sich die EU in keinerlei formeller Weise dazu engagiert, größere und langfristige finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, um Westafrika zu erlauben, gegenüber der Konkurrenz der europäischen Produkte bestehen zu können und um den Verlust an Steuereinnahmen zu kompensieren. Wer profitiert vom WPA-Abkommen? Es handelt sich vor allem um ein Abkommen im Interesse der Europäer.“ (8)
Der zu erwartende Verlust an Steuereinnahmen wird die Lage der Regierungen bei der Lösung ihrer Gesundheits-, Erziehungs- und Ernährungsprobleme verschlechtern. Zugleich stellt das Bevölkerungswachstum Westafrika vor bedeutende Herausforderungen. Letztlich werden vor allem internationale Konzerne von dem Abkommen profitieren, und das auf Kosten der Bevölkerung in Afrika.
Eine andere Politik im Interesse Europas und Afrikas
Gemäß den Empfehlungen des CONCORD-Berichtes geht unsere NGO-Plattform davon aus, dass Artikel 208 des Lissabonner Vertrages über Politikkohärenz besser angewendet werden muss und dass sich Luxemburg und die EU dazu verpflichten sollten, sich für eine andere Handels- Landwirtschafts- und Entwicklungszusammenarbeitspolitik einzusetzen. Eine solche Politik müsste
- „in den Entwicklungsländern, besonders in Afrika, Produktionskapazitäten in allen wirtschaftlichen Sektoren fördern, besonders in der Landwirtschaft und der Industrie, so dass ein Maximum von Arbeitsplätzen geschaffen und ein würdiges Einkommen für die Bevölkerung ermöglicht werden;
- dringend die EU-Politik in all diesen Bereichen neu gestalten, dabei die enormen Entwicklungs- und Produktivitätsunter-schiede berücksichtigen und die Handelsbeziehungen auf dem Grundsatz der Nicht-Gegenseitigkeit und einer angemessener Regulierung der Märkte aufbauen;
- die Ratifizierung der EPA-Abkommen aussetzen und eine Impaktstudie eines solchen Abkommens über Entwicklung und Menschenrechte vornehmen und das mit der Beteiligung aller Betroffenen;
- in der Politik der Entwicklungszusammenarbeit eine größere Priorität den ärmsten Bevölkerungen, also der Landwirtschaft und den Familienbetrieben, einräumen angesichts der Tatsache, dass 70 Prozent derjenigen, die an Hunger leiden, eine landwirtschaftliche Aktivität ausüben.“
Handel ist Krieg
Yash Tandon ist indischen Ursprungs und wurde in Uganda geboren. Er hat langjährige Erfahrung mit Handelsverhandlungen, die von der WTO und von der EU geführt wurden. Von 2004 bis 2008 war er Exekutivdirektor des South Centre, einem Forschungs- und Studienzentrum für Entwicklungsländer in Genf, und forscht heute in Oxford. Er gründete SEATINI, das „Southern and Eastern African Trade Information and Negotiations Institute“, ein in verschiedenen, ostafrikanischen Ländern aufgebautes Netzwerk, das sich mit internationalen Handelsfragen und Verhandlungsführung beschäftigt.
Im April 2015 gab Yash Tandon eine Konferenz in Luxemburg zu seinem neuen Buch Handel ist Krieg. (9) Dort stellt er das Konzept in Frage, gemäß dem „Freihandel“ wirtschaftliche Entwicklung fördere, und postuliert, dass er im Gegenteil Gewalt und die Verarmung von Bevölkerungen verursache. Für Yash Tandon haben weder die EU noch die USA ein wirkliches Interesse an der Entwicklung Afrikas.
Die WTO ist eine Kriegswaffe. Ein Krieg um Ressourcen, der sich vor allem in Afrika und in der Ukraine abspiele.
In Kenia hat das „Kenia Small Scale Farmers Forum“ (KSSFF) eine Klage vor dem Hohen Gerichtshof gegen die Regierung eingebracht, als diese sich anschickte, ein WPA zu unterzeichnen, ohne vorher die Zivilgesellschaft konsultiert zu haben. Der Gerichtshof verurteilte die Regierung dazu, das WPA nur dann zu unterzeichnen, nachdem sie die Zivilgesellschaft, inklusive die Bauernorganisationen, konsultiert hat.
Ein Land wie Uganda besitzt praktisch nichts. 95 Prozent der Kaffeeeinnahmen werden von den Unternehmen abgeschöpft. Das Land ist eigentlich nicht unabhängig. Nationale Fragen bleiben ungelöst. Der Handel tötet oft mehr als Bomben. „Er hat unsere Wirtschaften total zerstört, so die Aussage Yash Tandons während seiner Konferenz.“ So hat Uganda seine acht Baumwollfabriken verloren. In den Geschäften Kampalas finden sie Geflügelfleisch aus Belgien.
All dies zwinge zahlreiche Afrikaner dazu, wegzugehen und ihr Leben auf der Flucht nach Europa zu riskieren, folgert Yash Tandon. Eine eigene Landwirtschaft gebe es überhaupt nicht mehr. Der Handel sei aber nicht immer so gewesen. Davon zeugten etwa die Handelsbeziehungen, die Indien während Jahrhunderten mit Afrika pflegte. „Die Geschichte hat uns den Sklavenhandel, dann die Unabhängigkeitskriege gebracht. In der Mitte des 18. Jahrhunderts haben die Kolonialmächte China den Opiumkrieg aufgedrängt.“
In Bezug auf die WPA wies Yash Tandon auf den großen Mangel an Informationen zu diesen Abkommen und ihre Implikationen sowohl für die afrikanischen Staaten wie für die Europäer hin. In Brüssel seien allein die großen Unternehmen gut vertreten, die afrikanischen Botschafter sind Bürokraten, die vor allem besorgt sind, ihre Tagesspesen einzukassieren. Yash Tandon äußerte sich sehr kritisch gegenüber der finanziellen Abhängigkeit Afrikas von Europa. So werde etwa das Sekretariat Ostafrikas in Arusha zu 60 Prozent von der EU finanziert.
Was als „Hilfe“ dargestellt wird, sei eine reine Erfindung, ein Mythos. Yash Tandon sprach sich auch gegen die Privatisierung des Wissens und des geistigen Eigentums aus: Das, was eigentlich zum Patrimonium der Menschheit gehöre, habe der Westen zu einer Handelsware gemacht. Eine kritische und weitsichtige Stimme, wie man sie zu selten hört.
Mehr zum Buch unter: https://www.westendverlag.de/buch/leistet-widerstand/.
Quellen und Anmerkungen:
(1) ARD, Monitor vom 30.04.2015: „Flüchtlingsdrama im Mittelmeer: Wie die EU Fluchtursachen schafft, statt sie zu bekämpfen“, online unter: http://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/fluechtlingsdramaim-mittelmeer-100.html 1.12.2017 Gemeinsame Erklärung der Zivilgesellschaft Westafrikas, Oktober 2015, Mailand
(3) Diese beiden Länder gehören nicht zu der Gruppe der am wenigsten entwickelten Staaten und können deshalb nicht in den Genuss des Handelsregimes „Alles außer Waffen“ kommen, der einen freien Zugang zum EU-Markt gewährleistet.
(4) CONCORD 2015: „A qui profite l’Accord departenariat économique entre l’Afrique de l’Ouest et l’Union européenne?“, online unter: https://www.alcid.org/qui-profite-accord-partenariat-economique-entre-afrique-ouestunion-europeenne.html 1.12.2017 CONCORD 2015, S. 1
(6) Ebd., S. 4
(7) Ebd., S. 7
(8) Ebd., S.7
(9) Yash Tandon : Trade Is War. The West’s War Against the World, New York 2015