Das Mörder-Kartell
Offiziere der Navy SEALS versuchten, Beweise für Kriegsverbrechen der USA zu vertuschen.
Dass die USA Kriegsverbrechen begehen und diese vertuscht werden, ist nichts Neues. Im von Josh Varlin beschriebenen Fall Edward Gallagher ist jedoch bedeutsam, dass es Kollegen gab, die nicht lockerließen und eine Instanz nach der anderen durchliefen, um ihren Vorgesetzten vor ein Kriegsgericht zu bringen. Denn damit setzten sie ihre eigenen Karrieren aufs Spiel und sich selbst Verleumdungen aus. Sie mögen keine „Waffenbrüder“ sein — Brüder im Sinne einer Menschheitsfamilie sind sie jedoch allemal.
von Josh Varlin
Wie die New York Times offenlegte, enthüllt ein Untersuchungsbericht der Marine, dass Sondereinsatzleiter Edward Gallagher — ein US Navy SEAL, der sich bald wegen Kriegsverbrechen vor einem Militärgericht zu verantworten hat — ein Jahr lang systematisch von seinen SEAL-Vorgesetzten geschützt wurde. (Die SEALs sind eine Spezialeinheit der US-Marine, die als Elitetruppe in den USA hohes Ansehen genießt; Anmerkung der Übersetzerin).
Gallaghers Prozess wegen vorsätzlicher Tötung, Strafvereitelung und anderer Straftaten im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen im Irak beginnt am 28. Mai. Zudem laufen parallel Ermittlungen wegen ähnlicher Vorfälle in Afghanistan.
Die Kriegsverbrechen, die in dem 439-seitigen Bericht beschrieben werden sowie die Vertuschung von Seiten der Vorgesetzten Gallaghers beleuchten die Duldung und Förderung (geistes-)gestörter und faschistischer Elemente innerhalb des Militärs.
Die SEALs — ein Akronym für Teams zu Wasser, zu Land und in der Luft (Sea, Air, Land) — sind die Spezialstreitkräfte der US-Marine. Sie haben enge Verbindungen zur CIA, die seit SEAL-CIA-Aktivitäten während des Vietnam-Krieges bestehen und auch heute noch durch die Rekrutierung von SEALs durch die CIA existieren.
„Er gehört mir!“
Der Hauptanklagepunkt gegen Gallagher, dessen Spitzname „Klinge“ ist, ist die Ermordung eines irakischen Teenagers in Gefangenschaft während eines Einsatzes in Mosul. SEALs sagten gegenüber Ermittlern aus, dass Gallagher am 4. Mai 2017 gehört hätte, dass ein IS-Kämpfer verwundet worden sei und sich in Gewahrsam befinde. Der Times zufolge „antwortete Anführer Gallagher über Funk sinngemäß mit ‚Er gehört mir‘.“
„Ein Sanitäter war gerade dabei, den Jugendlichen auf dem Boden zu behandeln, als Gallagher ohne Worte hinzutrat und mit seinem Jagdmesser auf den verwundeten Jugendlichen einstach — mehrmals in den Hals und einmal in die Brust — und ihn damit ermordete, sagten zwei SEAL-Zeugen.“
Schaurig und geschmacklos
Gallagher versammelte daraufhin SEALs für eine schaurige „Reenlistment Ceremony“ (dies ist normalerweise ein feierlicher Akt, mit dem Angehörige der US Army für eine neue Dienstzeit verpflichtet werden; Anmerkung der Übersetzerin) bei der Leiche des Jugendlichen — komplett mit US-Flagge und Fotos.
Noch in derselben Nacht oder am nächsten Tag zeigten SEALs den Vorfall Gallaghers unmittelbarem Vorgesetzten, einem Truppenführer, sowie dem Zugkommandanten Leutnant Jacob Portier an. Portier wurde für die mutmaßliche Vertuschung des Erstechens gesondert angeklagt, weil er seinen eigenen Vorgesetzten, Korvettenkapitän Robert Breisch, angelogen hatte. Breisch hatte ihn gefragt, ob mit der Reenlistment Ceremony „etwas Kriminelles“ zusammenhänge.
Gallagher — ein psychopathischer Killer?
Mitglieder der SEALs beschreiben auch, dass Gallagher sein Präzisionsgewehr „etwa zehnmal so oft“ abfeuerte wie andere Scharfschützen — hierzu gehörte die Erschießung eines jungen Mädchens und eines unbewaffneten alten Mannes; für beide Fälle gibt es Zeugen. Eine Botschaft in einem Scharfschützenunterschlupf in Mosul lautete:
„Eddie G puts the laughter in manslaughter.“ (Wortspiel im Englischen, übersetzt etwa: „Bei Eddie G. gehört das Lachen zum Totschlag“)
Die Times beschreibt, wie „eine Führungspersönlichkeit der SEALs“ behauptet, dass Gallagher „regelmäßig seinen gepanzerten Truck auf einer Brücke über den Tigris abgestellt und das schwere Maschinengewehr dieses Trucks wahllos auf Wohngebiete jenseits des Flusses gerichtet und leergeschossen hat.“
Ein SEAL erzählte den Ermittlern, andere Scharfschützen „hätten begonnen, Warnschüsse auf Zivilisten im Kampfgebiet abzufeuern, um ihnen die Gelegenheit zur Flucht zu geben, damit (Gallagher) sie nicht töten konnte“.
Eine unabhängige Untersuchung durch den NCIS (Naval Criminal Investigative Service — die Strafverfolgungsbehörde der US-Marine; Anmerkung der Übersetzerin) ermittelt gerade in einem Fall, bei dem Gallagher 2010 einen Ziegenhirten in Afghanistan ermordet haben soll.
Die Brutalität der SEALs
Gallaghers mutmaßliche Verbrechen — von denen die meisten in der Presse veröffentlicht und von vielen Zeugen bestätigt sowie mit Foto- oder Videomaterial dokumentiert wurden — sind eine Anklageschrift gegen das US-Militär. Die SEALs sind derart für ihre Brutalität — auch in den eigenen Reihen — bekannt, dass Konteradmiral Collin Green, Oberkommandeur der SEALs, „eine 90-tägige Überprüfung der inneren Kultur und des Trainings dieser Streitkräfte angeordnet hat“, wie die Times berichtet.
Obwohl diese Überprüfung bereits im Januar begann, wurden noch keine Ergebnisse daraus veröffentlicht.
Vertuschungsversuche
Es geht hier sowieso um weit mehr als nur um einen Kriegsverbrecher. Als SEALs versuchten, Gallaghers Taten anzuzeigen, wurden sie gewarnt. Breisch und Oberbootsmann-Kapitän Brian Alazzawi trafen sich im März 2018 mit sieben SEALs. Dabei äußerte Breisch laut der Times den SEALs gegenüber,
„dass es den SEALs natürlich freigestellt sei, die Tötungen anzuzeigen, dass die Marine es aber nicht gerne sehe, wenn Mannschaftsmitglieder unterer Ränge ihren Chef anschwärzten. Ihre Karrieren könnten davon Schaden nehmen (…)“.
Alazzawi, der vielleicht mehr sagte als geplant, warnte die SEALs, dass ihre Vorwürfe „große Wellen schlagen könnten“ und möglicherweise viele andere SEALs mit hineinziehen würden. Für einen der sieben SEALs der unteren Ränge, der bei diesem Treffen anwesend war, lautete die Botschaft von Breisch und Alazzawi im Klartext: „Sprecht nicht mehr davon.“
Wenige Tage nach diesem Treffen wurde Gallagher eine Medaille für seine Führung im Irak verliehen.
Es bedurfte eines weiteren Monats, bis die SEALs ihre Kommandeure dazu drängen konnten, dem NCIS Gallaghers Kriegsverbrechen — darunter das Erstechen des Jugendlichen und die Erschießung zweier unbewaffneter Zivilisten — anzuzeigen. Die SEALs hatten damit gedroht, „nach ganz oben“ oder direkt zur Presse zu gehen.
Gallagher schießt zurück
Gallagher erfuhr entweder durch Breisch oder Alazzawi oder auf anderem Wege von dem Treffen im März 2018 und begann damit, andere SEALs gegen jene SEALs aufzuhetzen, die den Offizieren von seinen Verbrechen erzählt hatten. Er schickte einem anderen SEAL-Anführer eine Textnachricht: „Ich habe gerade gehört, dass diese Jungs sich bei der falschen Person ausgeheult haben.“ Einem anderen SEAL schrieb er:
„Das Einzige, was wir als gute Team-Mitglieder tun können, ist, anderen von diesen Verrätern zu erzählen. Sie sind überhaupt keine Brüder.“
„Der Held Gallagher“
Nachdem die interne Vertuschung gescheitert war, tauchten viele Reaktionäre auf, die Gallagher verteidigten. Fox News stellte Gallaghers Ehefrau und seinem Bruder viel Sendezeit zur Verfügung und vierzig republikanische Kongressmitglieder unterzeichneten einen Brief mit der Forderung, Gallagher noch während des Verfahrens in die Freiheit zu entlassen.
Präsident Donald Trump twitterte mit der klaren Absicht, faschistische Elemente an seiner Basis zu mobilisieren:
„In Anbetracht seiner bisherigen Leistungen für unser Land werden die Haftbedingungen für Navy SEAL Eddie Gallagher bis zu seinem Gerichtstermin bald erleichtert. Der Prozess sollte nicht lange dauern!“
Die individuellen Verbrechen, die als Teil der Kriege und Besetzungen des US-Imperialismus begangen wurden, sind das Ergebnis des grundlegenderen Verbrechens, diese Kriege überhaupt erst begonnen zu haben. Die Architekten dieser Kriege, darunter auch George W. Bush und Barack Obama, blieben ungestraft, obwohl sie aggressive militärische Aktionen befohlen haben, die gegen das Völkerrecht und die Nürnberger Prinzipien verstießen. Der Einzige, der in Zusammenhang mit den Vorwürfen wegen der Foltermaßnahmen der CIA angeklagt wurde, war der Whistleblower John Kiriakou.
Josh Varlin schreibt unter anderem regelmäßig für die World Socialist Website wsws.org.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „US Navy SEAL Officers Attempted to Cover Up Evidence of War Crimes“. Er wurde von Gabriele Herb aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.