Das letzte Projekt
Gunnar Kaiser wollte sich in einem neuen Buch auch mit dem Sterben auseinandersetzen — der Tod hinderte ihn an der Fertigstellung. Exklusivauszug aus „Habe ich genug getan?“.
„Habe ich genug getan?“ Gunnar Kaiser stellt sich in einem seiner letzten Videovorträge auch diese Frage. Außenstehende, die das Werk des im letzten Herbst verstorbenen Philosophen schätzten, bejahen diese Frage in der Regel. Kaiser war enorm fleißig und erreichte dabei eine außergewöhnliche Dichte und auch Tiefe der Aussage. Für viele war er in den Coronajahren ein Leuchtfeuer. Aber er litt zum Schluss auch an einem für sein Gefühl katastrophalen Missverhältnis von Aufwand und Ertrag. Viele der Beiträge des Kranken wurden zu „selbstreferenziell“, so sein Freund Raymond Unger. Gunnar Kaiser begann, die Möglichkeit anzuzweifeln, überhaupt etwas durch das gesprochene Wort und durch intellektuelle Redlichkeit zu verändern. In einem letzten Buchprojekt wollte er sich mit der „Abschaffung des Menschen“ beschäftigen. Da Kaiser nicht mehr so viel Kraft besaß, entstand sogar der Plan, Unger an dem Buchprojekt zu beteiligen. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Gerade weil das Manuskript viele wunde Punkte berührt hätte, die zu der Krebserkrankung des tapferen Aufklärers beigetragen haben könnten, blieb das finale Werk unvollendet. Was er hinterließ, war sicher nicht „genug“, um die politische Lage im Land zu drehen, reichte aber aus, um viele zu inspirieren und sein Schaffen unvergesslich zu machen.
Nach Analyse seiner persönlichsten Videos komme ich immer mehr zu dem Schluss, dass Gunnars Krankheit nicht zuletzt seiner politischen Ohnmacht geschuldet ist. Kernkonflikt war das vermeintliche Missverhältnis von „Anstrengung und Ertrag“, denn trotz seiner großen Popularität hatte der Aufklärer das Gefühl, recht wenig erreicht zu haben:
„(…) dass wir unseren Einsatz hinterfragen und uns immer wieder fragen müssen und immer wieder auch daran zweifeln müssen: War es genug? Oder war es zu wenig für den Ertrag? Beziehungsweise wird es den Ertrag bringen? Und wenn — man sieht ihn ja nicht. Man sieht ihn nicht bei den politischen und gesellschaftlichen Problemen, die man versucht zu tangieren, bei der Gesundheit auch nicht.“
Nach jahrelangen Videoproduktionen, unzähligen Gesprächen, Artikeln und zwei Bestsellern konstatiert der Philosoph die prinzipielle Sinnlosigkeit intellektueller Aufklärungsarbeit. Zum selben Schluss kam auch der verfemte Autor Rolf Peter Sieferle, nachdem er „Finis Germania“ geschrieben hatte und in den Freitod ging. Das vermeintliche Versagen der Intellektuellen und die Gewissheit eines aufziehenden Totalitarismus in technokratischem Gewand werden zentrale Feststellungen in den letzten Videos. Daran schließt Gunnar die existenzielle Frage an, ob und in welcher Weise man mit diesen Erkenntnissen weiterleben möchte:
„Was, wenn wir eine Gesellschaft nicht mehr ertragen? Was, wenn uns nichts mehr hält in dem, was wir einst ‚Zuhause‘ nannten? Weil ein repressives Klima um sich greift, von dem klar ist, dass es nicht verschwinden wird? Selbst wenn jetzt umfassende Lockerungen kämen, wird es nicht verschwinden. Weil es eben ein Teil unserer Realität, unseres Alltags bereits geworden ist. Was, wenn viele, die derzeit diese Maßnahmen befürworten, die wir einst unsere Freunde nannten, dabei mitmachen, uns ausgrenzen und diffamieren, wenn sie uns nicht mehr verstehen? Genauso wenig wie wir sie. Was, wenn wir das Gefühl haben, dass, selbst wenn sie morgen zu uns kämen, um einzugestehen, dass wir recht hatten, wir dann nicht in einer Gesellschaft leben wollten, die diese Verletzungen zugelassen hat? Wir wissen, dass wir hier rausmüssen, aber wir wissen nicht wohin, und deshalb verharren wir, deshalb bleiben wir da, wo wir sind. Unglücklich, unfähig auszubrechen, auch wenn der Drang danach immer stärker wird (…)“ (1).
Im Fortgang des Beitrags „Sprung ins Ungewisse“ leitet sich Gunnar dann über das Zitieren verschiedener Philosophen ab, dass die gesellschaftliche Freiheit nicht die wichtigste ist — solange der Mensch nur innerpsychisch und mental frei bleibt.
Trotzdem werde ich bei seinen Ausführungen das Gefühl nicht los, dass er darum kämpft, sich dies auch selbst zu glauben.
Mit seiner großen Desillusion, die letztendlich seine Krankheit fördert, ist Gunnar Kaiser nicht allein. Vielen Freidenkern, die sich in den dunklen Jahren der Repression verausgabt hatten, geht es ebenso — mich eingeschlossen. Das von Gunnar schmerzlich festgestellte Missverhältnis von „Anstrengung und Ertrag“ lässt sich vielleicht besser nachvollziehen, wenn man den enormen Einsatz vieler Freidenker betrachtet.
Auch für mich kann sagen, dass die Arbeit der letzten Jahre nicht spurlos an meiner Gesundheit vorbeigegangen ist. Meine Trilogie im Europa Verlag, nebst Impfbuch, umfasst zusammen circa 1.800 Buchseiten, die in relativ kurzer Zeit geschrieben wurden. Ich verstehe Gunnars Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit bezüglich derartiger Kraftakte. Auf den ersten Blick haben die Aufklärer gesamtgesellschaftlich betrachtet wenig bewirkt. Natürlich gab es Zuspruch und Schulterklopfen. Aber eben nur von jenen, die ohnehin schon alles wussten. Der Löwenanteil der Mitbürger lässt sich weder aufwecken noch erreichen. Viele der diffamierten Aufklärer wurden krank oder zogen sich zurück. Erst kürzlich gestand ein weiterer Star der freien Medien, Boris Reitschuster, dass es vielleicht sinnvoller wäre, Straßenkatzen zu retten, als sich weiterhin mit journalistischer Aufklärungsarbeit aufzureiben:
„Man spürt eine furchtbare Machtlosigkeit (bezüglich des Elends der Straßenkatzen), und das Tier ist mir wirklich ans Herz gewachsen, und ich hoffe jetzt, dass ich es morgen früh finde; ich muss aber morgen früh fliegen und versuche jetzt was zu organisieren, um dieses Kätzchen zu retten, und ja, es erfüllt einen mit Demut und macht einen so traurig, und ich denke mir, ja, ich mach so viel Politik, aber mit dem Hintern kann man keine Wellen brechen. Vielleicht wäre es Zeit, was ganz anderes zu machen. Vielleicht wäre es Zeit, das alles aufzugeben und etwas zu machen, was wirklich großen Sinn hat und für Katzen hier was auf den Weg zu bringen (…)“ (2).
Was sich nach einer lustigen Anekdote anhört, wirkt anders, wenn man die Emotionalität Reitschusters gesehen hat, mit der er diese Worte ausspricht. Auch er wurde im Zuge seiner Selbstausbeutung schwer krank und wäre an einer verschleppten Blinddarmentzündung beinahe gestorben, wie er in einem anderen Video bekennt. Vielleicht liegt die tiefe Frustration vieler Aufklärer auch in der natürlichen Grenzerfahrung des menschlichen Willens: Wo endet die eigene Einflusssphäre und wo ist Kapitulation vor etwas Größerem angezeigt? Diesbezüglich habe ich an anderer Stelle bereits das sogenannte Gelassenheitsgebet zitiert:
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“ (3).
Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund des Gelassenheitsgebetes merkt Wikipedia an:
„Gleich im ersten Satz seines Handbüchleins der Moral unterscheidet der Stoiker Epiktet: ‚Das eine steht in unserer Macht, das andere nicht. In unserer Macht stehen: Annehmen und Auffassen, Handelnwollen, Begehren und Ablehnen — alles, was wir selbst in Gang setzen und zu verantworten haben. Nicht in unserer Macht stehen: unser Körper, unser Besitz, unser gesellschaftliches Ansehen, unsere Stellung — kurz: alles, was wir selbst nicht in Gang setzen und zu verantworten haben.‘“
Unbedingt würde ich Gunnar Kaiser, Clemens G. Arvay, Boris Reitschuster und vielen weiteren Aufklärern sagen, dass ihre Arbeit wertvoll und voller Frucht war. Man mache sich einmal Folgendes klar: Was wäre gewesen, wenn es ausschließlich die vereinheitlichte Meinung der Massenmedien gegeben hätte?
Wenn allein die Stimmen von Angela Merkel, Markus Söder, Karl Lauterbach, Christian Drosten, Lothar Wieler, Bill Gates und Ursula von der Leyen maßgebend gewesen wären? Die Massenbildung wäre eine noch totalere gewesen, und aufgrund einer Impfpflicht läge die Impfquote bei nahezu 100 Prozent. Dass es überhaupt etwa 22 Prozent „Impfverweigerer“ gegeben hatte, die heute zum Abgleich mit den Impfschäden unbedingt gebraucht werden, wäre ausgeblieben. Man sollte den Mut dieser Menschen nicht kleinreden. Zur Erinnerung noch einmal die allgegenwärtige Drohung in den Massenmedien:
„Klar ist aber, dass die meisten Ungeimpften von heute (August 2021) bis dahin (Frühjahr 2022) entweder geimpft, genesen oder leider verstorben sind (…)“ (4).
Klar ist, dass über 19 Millionen ungeimpfte Bundesbürger heute immer noch leben — und dies oftmals besser als viele Geimpfte, die sich nicht selten mit Nebenwirkungen herumplagen. Trotz unerhörter Todesdrohungen und täglicher Repressalien haben die Ungeimpften bewiesen, dass sie ein Freiheits-Gen in sich tragen, das bezüglich kommender Agenden noch dringend gebraucht wird.
Wer den Aufstieg Gunnars über einen längeren Zeitraum verfolgt hat, wird feststellen, dass es einen Gunnar Kaiser vor der Diagnosestellung Krebs gab und einen danach. Insbesondere nach dem Winter 22/23, als Gunnar sich im Frühjahr 2023 noch einmal leidlich erholte, wird er nie wieder zur alten Form zurückfinden. Die wenigen noch publizierten Videos per Webcam sind entweder zu selbstreferenziell, oder sie drehen sich um seichtere Themen mit eher unbekannten Gästen. Gab es zur Hochzeit des Kanals Zuschauerzahlen um die 100.000 pro Video, erreichen die letzten Beiträge allenfalls noch 10.000 bis 20.000. Gunnars Stern sank, gesundheitlich wie beruflich.
Vielleicht bin ich ausgewichen, ihm offen und ehrlich zu sagen, dass er im Begriff war, sein Denkmal vom Sockel zu stoßen. Womöglich wäre es besser gewesen, sich vollends zurückzuziehen, anstatt sich mit letzter Kraft noch ein „Hallo und herzlich willkommen bei Kaiser TV!“ abzutrotzen; ich weiß es nicht. Der letzte Schlussstein, den ich Gunnar gegönnt hätte, wäre unser letztes, gemeinsames Buchprojekt gewesen, für das ich das Konzept geschrieben hatte. Gunnar war über mich in den Europa Verlag gewechselt, und dessen Verleger hatte gleich zwei Buchverträge mit ihm abgeschlossen: „Die Ethik des Impfens“, das sofort realisiert wurde und aus dem Stand zum Bestseller avancierte, sowie „Die Abschaffung des Menschen“, das kurz darauf erscheinen sollte.
Dann kam der Winter 2022/2023, und Gunnars Leben hing am seidenen Faden. Der Erscheinungstermin des zweiten Werkes wurde von Quartal zu Quartal verschoben, und im März 2023 zeichnete sich ab, dass Gunnar das Werk allein vermutlich nicht mehr fertigstellen wird.
In langen Telefonaten erkläre er mir, dass es zunehmend schwierig für ihn sei, das Teilmanuskript zu vollenden, auch weil er damit erneut in eben jene toxischen Themen einsteigen müsse, die ihn so krank gemacht hatten.
Ich schlug unserem Verleger meine Co-Autorschaft sowie eine Neukonzeption des Werkes vor, was dieser auch wohlwollend aufnahm. Gunnar sagte ebenfalls zu, und alle Beteiligten waren sich einig, dass das neue Buch zwar den alten Titel behalten könnte, inhaltlich aber auch sehr persönliche Züge tragen würde, da wir den Sterbeprozess Gunnars dokumentieren und begleiten wollten. Geplant waren zwei oder drei persönliche Gespräche, die wir mit einem Digitalrecorder mitschneiden wollten, den ich eigens dafür gekauft hatte.
Im April/Mai 2023 ging es Gunnar inzwischen wieder etwas besser, sodass er das verabredete Projekt ein ums andere Mal verschob. Anstatt an seinem letzten Vermächtnis zu arbeiten, ging er auf Reisen, erst in die Schweiz, dann nach Holland und zuletzt in die USA. Der Rest ist bekannt. Nach der USA-Reise verschlechterte sich Gunnars Gesundheitszustand derart, dass auch unser „letztes Projekt“ nicht mehr realisiert werden konnte.
Tatsächlich habe ich größtes Verständnis für seine finale Ausweichbewegung. Im Grunde wäre es fast übermenschlich gewesen, sich derart öffentlich und bewusst mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Außerdem bin ich mir selbst nicht sicher, ob ich überhaupt in der Lage gewesen wäre, diesen Prozess würdig und angemessen zu begleiten — zumal meine eigene Gesundheit ebenfalls angeschlagen war.
Hier können Sie das Buch bestellen: „Habe ich genug getan? In memoriam Gunnar Kaiser“