Das Kolonialismus-Revival
In Mali will Frankreich verlorenes Terrain zurückgewinnen — durch ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.
Europa spürt: es war schon mal begehrter. Dem ehemaligen Kolonialherren Frankreich entgleitet Mali zunehmend als Wirtschaftspartner. China bot seinen afrikanischen Partnern einfach das attraktivere Entwicklungsmodell. Das damals von François Hollande regierte europäische Land wollte seine gewohnte Missionarsstellung aber nicht kampflos dem neuen Konkurrenten aus dem Osten überlassen. So inszenierte es „Ausbildungs-“ und „Stabilisierungsmissionen“ in Mali, dabei kräftig unterstützt von seinen deutschen Verbündeten. Es waren nichts als Tarnbegriffe für neokolonialistische Interventionspolitik. Ergebnis ist eine neue Spirale der Gewalt.
Djihadismus — Anstoß zum roll back
Der französische Imperialismus sah sich mit der Herausforderung konfrontiert, auf dem afrikanischen Kontinent eine Trendwende zu erzwingen und seine Dominanz (wieder) zur Geltung zu bringen. Grund dafür waren die zurückgegangenen französischen Investitionen und das massiv gesunkene Handelsvolumen auf der einen Seite sowie auf der anderen Seite die beachtlichen Infrastrukturinvestitionen Chinas, des seit 2011 größten Handelspartners des afrikanischen Kontinents. Der beispiellose Weg der Volksrepublik China aus Armut, Abhängigkeit und Unterentwicklung gilt in Westafrika als Entwicklungsmodell, noch vor dem „american way of life“ und dem „Black Empowerment“ Südafrikas.
In Mali und Niger sahen das — für Europäer unvorstellbare — 80 Prozent der Bevölkerung, in Nigeria sogar 83 Prozent. Das war für Frankreich eine geostrategische Herausforderung ersten Ranges. Schließlich läuft die West-Ost-Trasse in dem Afrikanische Union-China-Projekt zur Verbindung aller Hauptstädte des Kontinents durch Mali. Das Land verband mit der Volksrepublik China eine bis dato enge freundschaftliche Partnerschaft. Von den Maßnahmen, die im letzten Jahr abgewickelt wurden, seien nur erwähnt die Universität von Kabala und die Inbetriebnahme einer pharmazeutischen Fabrik in Snankoroba.
Die panafrikanische Führungsmacht Libyen war kaum zerstört, da gaben drei Ereignisse in Mali dem französischen Präsidenten François Hollande die Chance, der amtierenden Regierung „zuhilfe“ zu kommen: ein Militärputsch 2012 in der Hauptstadt Bamako, der gleichzeitige sezessionistische Aufstand der Tuaregs im Norden und die Invasion djihadistischer Gruppen aus Libyen. Also startete er die Militärmission „Serval“, in der Chronologie seit 1960 die Nr. 47. Diese war eine Modifizierung der 1968er Blaupause, mit dem Präsident Mobido Keita gestürzt worden war. Wie der Senegalese Demba Moussa Dembele, der Vize-Präsident des renommierten internationalen Netzwerks Frantz Fanon schrieb, führe „der französische Staat unter dem Deckmantel des Antiterror-Kampfes eine Offensive zur Rekolonisierung von Mali“.
Um sich ihren eigenen Anteil zu sichern, sprang Deutschland mit der Bundeswehr über die Europäische Union mit den „Ausbildungsmissionen“ EUTEM und EUCAP ein. Militärische Ausbildung, das neokoloniale Paradigma des alten kolonialen zivilisatorischen Missionsgeistes für Askaris. Diesen Namen erhielten vor allem in Afrika einheimische Soldaten oder Polizisten in den Kolonialtruppen europäischer Mächte.
Die Vereinten Nationen engagierten sich mit der Stabilisierungsmission MINUSMA. Zwei Jahre brauchte es, bis die von Präsident Hollande ins Auge gefasste Unabhängigkeit Azawads vorläufig zu den Akten gelegt wurde: 2015 wurde in Algier mit aufständischen Tuareg-Gruppen ein Friedensvertrag geschlossen, auf dass der politische status quo gewahrt bleibe. Laut Deutschlandfunk vom 20. Juni 2015 „aufs lose Prinzip Hoffnung“ gestützt. Die Ausarbeitung eines Entwicklungsplans für die Regionen im aufsässigen Norden ließ weitere zwei Jahre auf sich warten, bis 3,35 Milliarden Euro für die folgenden 10 bis 15 Jahre versprochen werden konnten.
Welchen Feind bekämpfen?
Die Grenzen zwischen Bündnispartnern, Djihadisten und afrikanischer Mafia sind fließend, alle werden mit Dollars geschmiert. In Zentralmali vermischt sich Djihadismus mit sozialer Revolte wie bei Boko Haram in Nigeria. Zum einen haben die blutigen Streitigkeiten um Land und Bodennutzung zwischen nomadisierenden Rinderzüchtern, Fulani und Peul, und ansässigen Ackerbauern, Dogon, aber auch innerethnische Konflikte, im Jahr 2018 zu 500 der eintausend gezählten Toten geführt (1).
Es entstand eine sich weiter aufschaukelnde Spirale der Gewalt.
Zum anderen dienen traditionell handwerklich in Mali hergestellte Gewehre nicht nur dörflichen Heimwehren, sondern auch kriminellen Banden und Milizen, die sich mit Überfällen und Entführungen ihre Existenz sichern. Noch hinzu kommen Drogenschmuggler — perfekt getarnt unter Migranten und Djihadisten — professionell organisierte, gut vernetzte Parasiten im Migrantenzug bis Marokko:
Entlang der Migrationsrouten über Mali und Algerien bis Tripolis wird in einer Kette von Drogen-Clans der Tuaregs, zum Teil in djihadistische Kampfverbände integriert, das aus Lateinamerika stammende Kokain nach Europa geschmuggelt. Nach dem Bericht der UNO aus dem Jahr 2018 wurden in Marokko 2016 1,6 Tonnen Kokain beschlagnahmt und 803 Schmuggler verhaftet, 2017 waren es bereits 2,8 Tonnen Kokain und 1.053 Verhaftete.
Sich ausbreitende Unsicherheit — objektiv
Die Ergebnisse der Studie „Viel Militär, weniger Sicherheit“ von Charlotte Wiedemann (2) ist eine deutliche Kritik der militärischen Interventionspolitik. „Die Zonen der Unsicherheit breiten sich im Land immer weiter aus.“
Und trotz des Friedensvertrages von 2015 hat sich der bewaffnete Aufruhr immer weiter ausgebreitet. Geschätzte 3.000 Mann starke djihadistische Gruppen stehen circa 15.000 malische, 3.000 französische, 3.000 europäische und 12.000 UNO-Soldaten gegenüber. Der djihadistische Mordbrand zieht sich mittlerweile vom Norden bis in den Süden Malis durch, wie die US-UK-EU-gesponsorte ACLED-Datenbank dokumentiert. Er hat sogar auf die Nachbarstaaten Niger und Burkina-Faso übergegriffen.
Die djihadistischen Attacken stiegen von 124 im Jahr 2017 um 50 Prozent auf 192 im Jahr 2018, laut UNO sogar auf 237. Dabei hat sich die Zahl der zu beklagenden Todesopfer 2017 im Vergleich zu den Vorjahren mit über 900 mehr als verdoppelt und ist im Jahr 2018 auf über 1000 gestiegen. Und die tödlichen Auseinandersetzungen haben sich vom Norden, Gao, mehr ins Zentrum, Mopti, verlagert.
Die djihadistische Guerilla greift mittlerweile nicht nur die Truppen der UN-Mission an. Bei einem Anschlag auf die französische Botschaft und das Hauptquartier der malischen Armee im März 2018 starben 16 Personen. Und am 23. Februar 2019 griff ein Pick-up nachts einen Kontrollposten in Koulikoro, 60 km nördlich von Bamako, an. Koulikoro ist der Sitz von EUTM, der vom deutschen Brigadegeneral Peter Miro befehligten, aus 600 Soldaten bestehenden EU-Trainingsmission. Und neun malische Soldaten des G5-Sahel-Kontingents kamen am 1. März im Zentrum des Landes durch eine Mine ums Leben wie sechs ihrer Kameraden am 12. März. Und ein Ende ist nicht abzusehen ...
… und subjektiv
Wahlen, zwar verschoben, fanden im August 2018 statt. Von den 23 Kandidaten, die es sich leisten konnten, aus den Reihen der etwa 200 Parteien anzutreten, setzte sich der Präsident Ibrahim Bubakar Keita durch und wurde wiedergewählt. Die Hälfte der Kandidaten-Kaution von 38.000 Euro wird bei über 5 Prozent Stimmenanteil zurückerstattet. IBK trat mit dem Versprechen an, den Friedensvertrag mit dem aufrührerischen Norden mit Leben zu füllen.
Gibt die Präsenz ausländischen Militärs, also auch die Bundeswehr, der Bevölkerung das Gefühl der Sicherheit? Das wurden unter anderem in dreijähriger Forschungsarbeit Vertreter von Jugendorganisationen, Frauenverbänden und lokaler Behörden in allen Provinzen Malis (1) gefragt. Als Ergebnis stellte Präsident Ibrahim Boubakar Keita am 31. Januar das „Weißbuch der Zivilgesellschaft für Frieden und Sicherheit in Mali“ vor. Erarbeitet wurde die Studie von dem renommierten Stockholmer Friedensinstitut SIPRI und Conascipal, der malischen „Nationalen Koalition für Frieden und gegen den Handel mit Handfeuerwaffen“.
In den drei Nordprovinzen Timbouctou, Gao und Kidal fühlten sich nur 15 Prozent sicherer, während 85 Prozent die Frage verneinten. Auch in den Zentralprovinzen Mopti und Segou verneinten dies noch 60 Prozent. Nur in den bislang relativ sicheren Südprovinzen um die Hauptstadt Bamako fühlten sich die Bürger mit den ausländischen Truppen sicherer.
Die Fortsetzung des beobachtenden UN-Mandats MINUSMA ist politisch infrage gestellt. Nicht nur der 191 eigenen Todesopfer wegen. Die G5-Sahel-Truppe soll sie ersetzen, sobald die Finanzierung läuft. Zu erwarten sind 50 Millionen Euro von der EU, 50 Millionen von den 5 Sahel-Staaten, 60 Millionen aus den USA, 100 Millionen aus Saudi-Arabien und 30 Millionen aus der Vereinigten Arabischen Republik, der VAR. Das Hauptquartier in Sévaré — im Zentrum bei Mopti — wurde in Juni durch ein Attentat zerstört und in die Hauptstadt verlegt.
Mit einem Budget von 1,3 Milliarden Euro versucht das Militär, das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zurückzugewinnen, indem es wie das französische Militär in der Zentralafrikanischen Republik Infrastruktur-Projekte realisiert, zum Beispiel Schulen baut und Krankenstationen einrichtet. Innenpolitisch steigt der Druck, so forderte auch der gewerkschaftliche Dachverband UNTM den Abzug des Militärs.
„Die UN-Mission Minusma und die Dominanz internationaler Akteure bei Entscheidungen über malische Belange werden als Belastung gesehen … Den Dialog mit Djihadisten zu tabuisieren, wird als Diktat der europäischen Partner empfunden und trägt zum Gefühl der Entmündigung bei“, so Charlotte Wiedemann in ihrer Zusammenfassung (2).
Ein malischer General a. D., beschrieb in „Le Monde Diplomatique“ vom 12. April 2018 ein mögliches Szenario nach einem Abzug ausländischer Truppen so:
„Dann würden wir mit den Dschihadisten verhandeln, und wenn sie islamisches Recht einführen wollen, werden wir sehen, was genau das sein soll. Vielleicht ist es ja nicht schlecht. Die Dschihadisten wollen eine saubere Gerichtsbarkeit und haben in manchen Fragen Recht.“
Ob und wie verhandelt werden könne und wie groß die Chance auf Erfolg sei, könne niemand vorhersagen. Aber die Bevölkerung erwarte immer dringender eine Lösung. „Man kann nicht alle Dschihadisten töten. Es gibt auch in Mali keine Alternative zu Verhandlungen“, sagte auch die Leiterin des Berliner Zentrums für internationale Friedenseinsätze, Almut Wieland-Karimi. Dass dies zuallererst eine Entscheidung der Malier sei, meine nun immerhin auch das Auswärtige Amt.
failed state …
Der Generalsekretär der UNO António Guterres zeigte sich beunruhigt über das zähe Tempo der Umsetzung des Friedensvertrags. Die Installierung der staatlichen „Übergangsverwaltung“ in den nördlichen Regionen Kidal, Menaka,Tombouctou und Taoudenni verläuft zögerlich, wenngleich die Gouverneure ihre Arbeit aufgenommen haben. In 34 Prozent der Lokalitäten, in einem Drittel des Nordens, ist nunmehr die staatliche Verwaltung präsent, wenngleich schwach und gefährdet. Das sind 3 Prozent mehr als 2018. Das heißt, dass im überwiegenden Teil der riesigen Provinzen die traditionellen religiösen Stammesführer, wenn nicht die Djihadisten, die staatliche Autorität ausüben. Von staatlicher Souveränität kann kaum die Rede sein.
Der Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der Aufständischen ist über die Testphase kaum hinausgekommen: Nur 1.600 Kämpfer von den 8.000 Registrierten nehmen an dem Wiedereingliederungs-Programm teil. Die Ex-Rebellen der CMA suspendierten ihre Mitarbeit an der „Concertation“ mit der Regierung, damit ihre Kämpfer schneller in die regulären Streitkräfte integriert werden.
Ministerin Ursula von der Leyen nahm bei ihrem Besuch im November „Malis Regierung in die Pflicht“. Nicht nur, weil im Februar „versehentlich“ ein deutscher Konvoi beschossen und im Januar 10 MINUSMA-Soldaten getötet worden waren.
Nur Steinchen im großen Mosaik imperialistischer Abhängigkeit sind die Projekte der Kreditanstalt für Wiederaufbau im Umfang von 285 Millionen Euro. Und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit koordiniert die Fortbildungs-Initiative der deutschen Großindustrie, das „fellowship programme 2019 — 1921“ „Afrika kommt“, auch für malische Führungskräfte. Die beiden deutschen Investitionsfonds „AfricaConnect“ für deutsche und europäische Unternehmen und „AfricaGrow“ für afrikanische Start-ups — versprochen für 2019 — stehen noch auf dem Papier.
… am Tropf
2013 sprach das anvisierte Budget von 750 Millionen Euro, zur Hälfte mit Krediten finanziert, eine klare Sprache: 31 Prozent fürs Militär, 31 Prozent für den Staatsapparat, die Hälfte davon für die im nächsten Monat vorgesehenen Wahlen und den gleichen Betrag zur Ankurbelung der Privatwirtschaft. Aber nur 1 Prozent für humanitäre Zwecke, zum Beispiel für Flüchtlinge und Kriegsopfer, und 8 Prozent für die Bildung (3).
Die malischen Militärausgaben sind seit 2014 mit 181,1 Millionen US-Dollar exponentiell auf das Zweieinhalbfache angestiegen, auf 455,8 Millionen US-Dollar im Jahr 2017 (4). Das Militär verbraucht damit bereits 3,05 Prozent des Bruttosozialprodukts. Wirtschaftsminister Boubou Cissé selbst bestätigte in Interview mit Jeune Afrique am 19. März 2019, dass bis zum Jahr 2015 80 Prozent des Staatshaushalts fürs „Funktionieren“ gebraucht wurden, allerdings nunmehr 40 Prozent für Investitionen in die Infrastruktur, Häfen und Landwirtschaft bestimmt seien.
Dabei ist die öffentliche Verschuldung nach dem Bertelsmann Transformations-Index, BTI, von 26,4 Prozent des BSP 2014 auf fast 40 Prozent 2017 gestiegen (5). Das jährliche Budgetdefizit ist von 18 Prozent im Jahr 2018 um 7,5 Millionen Euro auf 573,6 Millionen Euro gestiegen und wird „durch ausländische Budgethilfen finanziert“, wie ganz offen die „Le Nouveau Reveil“ am 28. Septempber 2018 berichtete.
Der französische Premierminister Edouard Philippe, begleitet von Armeeministerin Florence Parly und Außenminister Jean-Yves Le Drian, brachte am 23. Februar mit 35 Millionen Euro eine Tranche zur Stabilisierung des malischen Haushalts mit. Was die deutsche Bundesregierung an „Budgethilfe“ beisteuert, wäre noch zu eruieren. Die im Schlepptau mitgereisten französischen Wirtschaftsbosse werden sich — wie üblich — ihren Teil davon und von den 85 Millionen Euro französischer Kredite zu sichern wissen, siehe auch weiter unten.
Zivilgesellschaft — zum ersten Mal gefragt
Wo der Schuh wirklich drückt, zeigt das bereits angeführte „Weißbuch für Frieden und Sicherheit in Mali“ (1). Nicht der Mangel an Sicherheit wird in allen drei Zonen Malis als Hauptproblem genannt. Die Arbeitslosigkeit ist das größte Problem für die Menschen im Norden, gefolgt von der unsicheren Lage durch bewaffnete Gruppierungen, danach kommt Armut, kein Zugang zu Strom oder Wasser und das „kriminelle“ Banditentum.
Auch im Süden um die Hauptstadt ist die Arbeitslosigkeit das drängendste Problem, gefolgt von Armut, erst an dritter Stelle kommt der Mangel an Sicherheit durch den Konflikt im Norden, danach die Konflikte zwischen den Gemeinschaften, zum Beispiel zwischen Rinder züchtenden Nomaden und Ackerbauern, und die Unsicherheit, die kriminellen Aktivitäten oder dem Schmuggel von Drogen durch Migranten geschuldet ist. In den beiden Zentralprovinzen Mopti und Segou werden Infrastrukturmängel als Hauptproblem genannt, dann Schulen und Gesundheitseinrichtungen. An dritter Stelle der Zugang zu Wasser und Strom, dann das Auftreten von Krankheiten. Erst an letzter Stelle wird der Konflikt im Norden oder bewaffnete Gruppen aufgeführt.
Den Djihadisten ist mit militärischen Mitteln allein nicht beizukommen, das wird immer offensichtlicher. Und daran wird auch die 10.000 Mann starke G5-Sahel-Truppe nichts ändern.
Das hat die nigerianische Regierung, die sich an G5-Sahel nicht beteiligt, erkannt. Was gebraucht wird, sind Investitionen in die sozioökonomische Entwicklung — eine Perspektive für die junge Bevölkerung. Eine Woche vor der Präsidentschaftswahl kündigte Finanzminister Bobou Cissé eine „Entwicklungsstrategie für die Nordregionen“ an: über 10 Jahre sollen 3,35 Milliarden Euro in die öffentliche Verwaltung, öffentliche Dienstleistungen und die Infrastruktur investiert werden, 10 Prozent seien schon gesichert. Quod erat demonstrandum…
His masters voice
Das Jahr 2019 soll die Lösung aller Probleme bringen: die Dominanz von Franceafrique soll nachhaltig gesichert werden. Die größte Herausforderung wird die wirtschaftliche Entwicklung sein, Arbeitsplätze für die rapide wachsende junge Bevölkerung zu schaffen. Wenn diese nicht den Herrschenden einen Strich durch ihre Rechnung macht …
Siegesmeldungen sorgen für beruhigenden Optimismus: Die französische Militärministerin Florence Parly verkündete am 1. März im TV-Sender afrique360, dass seit 2015 600 Terroristen getötet worden seien. Das schreckliche Massaker an 154 Dorfbewohnern im März 2019 konnte man den Djihadisten nicht anlasten.
Die ebenfalls verschobenen Parlamentswahlen werden voraussichtlich im Juni stattfinden. Sie mit einem Referendum zu verbinden, wie sie Macron gegen die Gelbwesten-Bewegung ins Auge gefasst hatte, ist eine ausgeklügelte Taktik der externen Berater, auch um die muslimische Opposition zu integrieren. Die Regierung könnte im Referendum die Einrichtung eines 2-Kammer-Systems nach US-Vorbild und die geplante Neuzerschneidung des Staatsgebietes in Wahlkreisen absegnen lassen.
Dazu sucht Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keïta die Unterstützung der Oppositionsparteien, das heißt der angestammten Eliten, aber nicht den Dialog mit der Bevölkerung — auch der muslimischen —, wie es im „Weißbuch der Zivilgesellschaft für Frieden und Sicherheit“ mit einem „neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Regierung und Bevölkerung“ (1) gefordert wird.
SADI, die 60.000 Mitglieder starke marxistisch-leninistische Partei der „Solidarité africaine pour la démocratie et l’indépendence“ — im Land mit 5 Parlamentsabgeordneten, 15 Bürgermeistern und 267 Stadt- und Gemeinderäten verankert — protestierte und boykottiert bis auf weiteres die Parlamentsarbeit. Dem Boykott hat sich neben anderem das Oppositionsparteienbündnis Codem angeschlossen. Der frühere Premierminister Moussa Mara kritisiert die Territorial-Reform im Interview mit „Jeune Afrique“ am 20. März 2019, damit werde „der Karren vor die Ochsen gespannt“.
Die malische Regierung bringt das hörbare soziale Rumoren in Bewegung, 71,4 Prozent der 18 Millionen Einwohner lebt unter der Armutsgrenze. Um einer Protestwelle wie in Frankreich oder im Sudan zuvorzukommen, stellt sie ein als „gigantisch“ gelobtes Programm der wirtschaftlichen Infrastruktur auf: Bei leeren Kassen sollen über 10 Jahre verteilt 22,8 Millionen Euro in die Infrastruktur investiert werden, um die Wirtschaft von Gold, 75 Prozent des Exports, und Baumwolle weniger abhängig zu machen. 13 industrielle Goldminen beschäftigen 11.000 Arbeiter — auf 350 Goldfeldern schürfen 500.000 handwerkelnde Kleinstunternehmer.
Diese für das Vorhaben äußerst bescheidene Summe soll offensichtlich als Anschubfinanzierung für private Partnerschaften, PPP, dienen. Der Internationale Währungsfonds gibt jedenfalls grünes Licht „die ökonomische Performance Malis ... im ganzen positiv“ und die Weltbank Kredite: für den Notplan über 30 Millionen US-Dollar und für die Sanierung der neu aufgestellten Eisenbahnlinie Dakar-Bamako 1 Milliarde US-Dollar — und weitere 27,8 Millionen US-Dollar für die Rehabilitierung des Flusses Niger. In 10 Jahren sollen 8.700 km Straßen und Autobahnen repariert und konstruiert, sechs neue Brücken, darunter die vierte in Bamako gegen Mautgebühr, drei Binnenhäfen, eine Wirtschaftszone und im Norden eine neue Stadt entstehen.
Man könnte meinen, der malische Präsident kommt gerade von einer Peking-Reise zurück. Doch weit gefehlt, Wirtschaftsminister Cisse wendet sich ausschließlich an Privatunternehmen und kündigt ihnen Steuersenkungen an, und Abdoulaye Pona, der Chef der mächtigen Bergwerks-Kammer, mit dem deutschen BDI vergleichbar, schließt eine chinesische Beteiligung aus. Wie viel die neue US-Agentur, nach Präsident Trump ein mit 60 Milliarden Dollar gefüllter Topf, an Krediten zuschießt, ist noch nicht öffentlich, ebenso wenig zu welchen Konditionen. Politische Bedingungen dürften überflüssig sein, die externen neoliberalen Berater haben in der letzten Legislaturperiode ganze Arbeit geleistet.
Jedenfalls, was die Eisenbahn betrifft, wurden die Weichen neu gestellt und die Chinesen ausgebootet — was eine filmreife Story bietet: Die den Chinesen 2014 /2015 übertragenen Milliarden-Aufträge sind annulliert dank des Kollateralschadens, den die zwei Attentäter 2015 im Radison Blue Hotel verursachten. Sie ermordeten die beiden für Afrika verantwortlichen Topmanager der chinesischen Staatsunternehmen für Straßen-, Brücken- und Eisenbahnbau. Nachdem Wochen zuvor 5 chinesische Eisenbahnarbeiter getötet worden waren, wurden Sicherheitsgarantien verlangt. Dadurch verzögerte sich auch die Einrichtung eines Confucius Instituts an der Universität in Bamako, das erst am 30. Juni 2018 eingeweiht werden konnte.
Im Gefolge diplomatischer Verwicklungen zwischen Senegal und Mali wurde die gemeinsame Eisenbahngesellschaft Transrail im letzten Jahr liquidiert und eine neue Dakar-Bamako Ferroviaire, die DBF, mit neuem Management gegründet. Die seit 12 Monaten streikenden Eisenbahner sollen mit zwei beziehungsweise drei Monatsgehältern abgespeist werden. Wirtschaftsminister Boubou Cisse spricht von 4.740 km neuer Bahnstrecke, davon 3.240 km in Mali: Die Hauptverbindung soll von Dakar im Senegal bis Bamako, von dort nach Süden zum zweitgrößten Tiefseehafen von Cote d’Ivoire San Pedro führen, unterstützt von der westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion UEMOA. Die dritte Achse in Richtung Westen soll Bamako mit dem Tiefseehafen von Conacry in Guinea verbinden, die vierte Nordmali erschließen von Bamako nach Kidal über Mopti, Timbouctou und Gao.
Es versteht sich, dass die anvisierten Häfen unter der Kontrolle des französischen Medienmoguls Bollore stehen. 14 Milliarden Dollar soll das ambitionierte Projekt kosten. Der Chef des mächtigen Unternehmerverbandes favorisiert französische Unternehmen, aber geht mit dem Chef des US-Multis Railnet International in Begleitung des malischen international tätigen Ingenieurbüro CIRA SA zum Regierungschef, Premierminister Soumeylou Boubeye Maiga. CIRA SA wurde von Railnet und der malischen Bergbaukammer mit der Durchführbarkeitsstudie beauftragt.
Quellen und Anmerkungen:
(1) SIPRI 31. Jan. 2019: „Livre Blanc de la société civile pour la paix et la securité au Mali“, https://reliefweb.int/report/mali/livre-blanc-de-la-soci-t-civile-pour-la-paix-et-la-s-curit-au-mali
(2) Charlotte Wiedemann: „Viel Militär, weniger Sicherheit. Mali — fünf Jahre nach Beginn der Intervention“ Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) Januar 2018, 27 Seiten
(3) Plan_du_Relance_Durabable_du_8_avrl_2013.pdf.
(4) https://tradingeconomics.com/mali/militaryexpenditure
(5) BTI 2018 Country Report Mali. BTI_2018_Mali.pdf