Das Karzinom des Kapitalismus
Rudolph Bauer zeigt in seinen Aufsätzen, dass linke Corona-Kritik zwingend ist.
Das Schweigen der Linken zu den vielen Angriffen auf die Demokratie, verbunden auch mit extremen sozialen Verwerfungen, ist ohrenbetäubend. Dass gerade aus dieser politischen Richtung Protest nicht nur notwendig, sondern auch aus der eigenen Ideengeschichte heraus begründbar wäre, zeigt eine neue Buchveröffentlichung. Der Sozialwissenschaftler Rudolph Bauer hat in den letzten eineinhalb Jahren mehrere lesenswerte Aufsätze verfasst, die einen wertvollen Beitrag dazu leisten, das undurchdringbar scheinende „Geflecht Corona“ zu durchschauen und in Teilen zu erklären. Das ist eine erste Voraussetzung, um handlungsfähig zu werden. Nun hat er im PAD-Verlag diese Aufsätze zu einem Band zusammengefügt. Daniel Sandmann hat diesen Band, dessen Attraktivität — nicht in erster Linie, aber auch — in seiner Kürze besteht, gelesen und kann die Lektüre sehr empfehlen. Hier seine Besprechung.
Der PAD-Band „Vernunft in Quarantäne“ von Rudolph Bauer bietet in Form verschiedener kurzer Aufsätze eine kompakte und aufschlussreiche Gesamtsicht auf Corona. Aspekte werden vielschichtig miteinander verschränkt, verschiedenste Fragestellungen abgedeckt. Trotz der Dimension der Thematik bleibt die Sprache dabei immer glasklar und verständlich und so auch die nötige Distanz zum Gegenstand gewährleistet.
Leser und Leserinnen werden in die Lage versetzt, gegenüber dem oft unüberschaubar und unfassbar erscheinenden Gesamtgeflecht Corona selber eine Autorenschaft zu gewinnen. Dieser Rückgewinn eines autonomen (Denk-)Raums ist Voraussetzung dafür, sich aus einer Angststarre zu lösen und wieder handlungsfähig zu werden. Dazu leistet dieser PAD-Band einen erheblichen Beitrag.
„Die globale Pandemie ist eingebettet in eine Weltwirtschaftskrise sondergleichen, die auf nationale Besonderheiten und auf die Eigenschaften des jeweiligen politischen Systems keine Rücksicht nimmt. Unter der Oberfläche der ‚Seuche‘ wuchert die Notwendigkeit einer grundlegenden Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise.“
Das ist eine der evidenten Prämissen, an denen entlang sich der Text erkenntnistheoretisch erhellend abarbeitet. Diesem benannten „Wuchern“ beizukommen mit Denken, das ist sein Ziel.
Kapitalismus als Karzinom
Folgerichtig setzt der Text bei grundsätzlicher — und gerade nicht auf Corona beschränkter — Kapitalismuskritik an und zeigt auf, dass die „Pandemie“ sich nicht von der wirtschafts- und finanzpolitischen Krise trennen lässt, auf die in Etappen oder Schüben hingesteuert worden ist. Mal bewusst, mal fahrlässig.
„Die Geldwirtschaft des imperialistischen Kapitalismus verlangt in der Krise entweder kriegerische Zerstörung im Außen, d. h. die territoriale Eroberung von Ressourcen und Märkten, sowie Wiederaufbaumaßnahmen im Gefolge der Zerstörungen. In diesem Zusammenhang werden Russland und China von der imperialistischen Nato zu Feindbildern stilisiert. Oder/und das kapitalistische System erzwingt im Inneren eine grundlegende Umwälzung der Produktionsweise. Ziel ist es, die Produktivkräfte im Sinn der industriellen Revolution des ‚Great Reset‘ (Schwab/Malleret 2020) grundlegend umzuschichten und von oben nach unten neu auszutarieren. In diesem Kontext wiederum gilt die Staatsordnung der VR China den westlichen Eliten als Vorbild.“
Die soziokulturellen Implikationen der angepeilten Umwälzungen zwecks „Überwindung“ der systemimmanenten Krise stellt Bauer sodann in einen größeren Zusammenhang:
„Andererseits erfordert die ökonomische Umwälzung neue Technologien, Produkte, Dienstleistungen, Methoden und Geschäftsmodelle. Online-Bestellungen und Lieferdienste haben deshalb Konjunktur. Das Lernen auf Distanz per Laptop, ferner Zoom-Konferenzen und Home Office nisten sich flächendeckend ein. Ordnungs- und Gesundheitsverwaltungen werden digital aufgerüstet.“
Und weiter:
„Die Elemente der neuen Produktionsweise breiten sich aus und wuchern wie ein Karzinom. Diese Krebserkrankung zeigt sich dergestalt, dass die Produzenten ‚reell‘ unter die Oberherrschaft des Kapitals eingegliedert, d. h. im wortwörtlichen Sinne auf ruinöse Weise einverleibt werden. Die Produzierenden werden in ihrer leiblich-biologischen Verfasstheit als körperliches, psychisches und geistig-intelligentes Wesen integraler Bestandteil der Maschinenwelt. Emotionen sind überflüssig, außer um Konsumbedürfnisse zu steigern.“
Die neue Biopolitik als „positiver Rassismus“
Damit hat Bauer die Eckpfeiler herausgestellt, auf denen die Biopolitik des Kapitalismus aufbaut. In differenzierter Abgrenzung von der arischen Rassenhygiene wird das biopolitische Konzept eines „positiven Rassimus“ (Philipp Sarasin, 2003) aufgezeigt. Es ist erkenntnistheoretisch gesehen ein Paradestück, werden doch zentrale Muster, die sich anhand der „Pandemie“ gezeigt haben, transparent aufeinander abgebildet. In leicht gekürzter Fassung möchte ich diese von Bauer herausgestellten Verschränkungen anhand des Originaltextes anführen:
Die neue — so neu ist sie eben gar nicht — Biopolitik „zielt nicht in erster Linie auf die Sozialhygiene des ‚Volkskörpers‘ ab. Dieser sollte nach Maßgabe der NS- und US-Eugenik ‚gesäubert‘ werden von angeblich degenerierten und degenerierenden, das Volkskollektiv von Innen bedrohenden Kräften. Die ‚Reinigung von defekten Individuen‘ durch ‚die eugenischen Projekte der selektiven Reproduktion, Sterilisation, Inhaftierung‘ war bei den faschistischen Rassehygienikern ein wesentlicher Bestandteil ihrer ‚Sorge für das Leben‘ (Rose 2014: 423).
Scheinbar harmlos hingegen gaukelt der biopolitische Rassismus unserer Tage vor, nur das Beste für die Menschen als einzelnes Individuum zu wollen. ‚Die Norm individueller Gesundheit ersetzte die der Bevölkerungsqualität‘ (Rose 2014: 444) — wobei der Gesundheitsbegriff so konzipiert ist, dass er medizinische Kontrollen und Eingriffe legitimiert.
In erster Linie bezweckt Biopolitik, das genetische Material der Individuen zu manipulieren (im Neusprech: zu ‚verbessern‘), um im Rahmen der Fortpflanzung und ihrer Überwachung Fehlbildungen zu vermindern oder sie überhaupt zu vermeiden.
Die Auswirkungen der toxischen Belastungen von Umwelt, Luft und Nahrungsmitteln, aber auch durch Medikamente und Antibiotika spielen dabei keine Rolle. Es vollzieht sich die ‚Medikalisierung der Gesellschaft‘ (Geulen 2005: 96): ‚Es geht darum, das Leben zu erfassen, die biologischen Prozesse der Spezies Mensch‘ (Foucault 1992: 34).“
Gewollte Menschen, ungewollte
„Längst überschreiten sowohl die medizinischen Eingriffe als auch die Selbstmedikation bei weitem die Grenzen der genetischen Korrektur. Als Beispiele zu nennen sind u. a.: Geschlechtsumwandlung, Schönheitsoperationen, Glückspillen, künstliche Befruchtung, Designer-Babys, Leihmutterschaft, Viagra zur Stärkung der männlichen Sexualität.
Wie die ‚Gemeinschaftsfremden‘ in der NS-Terminologie unterschieden wurden von den ‚arischen Volksgenossen‘ als den ‚guten, sozialen, gesunden und glücklichen Menschen‘ (Dörner 2002: 80), so orientiert sich das biopolitische Leit- und Menschenbild an der Marketing-Vision von Ästhetik und biologischer (Schein-)Perfektion einerseits und der Gender-Diversität von Lebensentwürfen andererseits. Überwachung bildet die Voraussetzung für biopolitische ‚Verbesserungen‘ und ‚Gefahrenabwehr‘.
Die Kontrolle erfolgt vielschichtig: durch ‚Experten‘, durch amtliche und polizeiliche Kontrollagenten, durch digitale Inspektion und nicht zuletzt auch in Form der Selbstkontrolle. Kontrollinstrumente sind Tests und symbolische Zeichen, wie z. B. das Tragen einer Mund-Nasen-Maske, ferner Tracing Apps sowie künftig beispielsweise Impfbescheinigungen und Plastikgeld.“
Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle
„Bedeutsam ist, dass die biopolitischen ‚Kontrollgesellschaften‘ (Deleuze 2015) bei den historisch vorausgegangenen Disziplinargesellschaften aufsatteln. Sie zeigen sich daher nicht immer in Reinform. In Deutschland — aber nicht nur hier — ist das Kontrollregime ‚infiziert‘ und durchsetzt mit obrigkeitsstaatlichen, autoritären und faschistoiden Spurenelementen des Wilhelminismus, des Militarismus und des Totalitarismus.
Angesichts der biopolitischen Kontroll-Maßnahmen sind diese Spuren vor allem erkennbar im Rahmen der Überwachung. Diese erfolgt sowohl im internationalen Maßstab als auch national und regional. Letzteres durch Polizei, Militärangehörige, die Mitarbeiter der Ordnungs- und Gesundheitsämter sowie in Gestalt der staatlich verordneten Maßnahmen zur Beschneidung der Grund- und Freiheitsrechte mittels Quarantäne, Einschränkungen der Berufsausübung, Versammlungs- und Demonstrationsverboten, Besuchsreglementierungen, Maskenpflicht usw. (siehe Gössner 2020a, 2020b).“
Klassengesellschaft vom Feinsten
Bauer stellt diese Ausführungen in einen klassenspezifischen Kontext. Er hält fest, dass auf der biologischen beziehungsweise molekularen Ebene das Leben nur mittels komplizierter und teurer Apparaturen zu erkennen ist. Wenn diese Apparaturen gleichsam durch die Medikalisierung der Gesellschaft zu Machtinstanzen werden, so ist gleichzeitig gesichert, wer die Macht hat und wer nicht. Macht haben denjenigen, die sich diese teuren Apparaturen leisten können und über sie verfügen. Eine „wissenschaftsbasierte“ Diktatur ist also in sich selbst angelegt.
Die Tabuisierung des Todes
Zum Ende seiner gerafften Erkenntnisreise streicht Bauer das in sich paradoxe Verhältnis einer solchen biopolitischen-kapitalistischen Gesellschaft zum Tod heraus:
„Die gesundheitlich riskanten Folgen (einer auf Profit angelegten Wirtschaft, Anm. DS) haben ihrerseits wieder biopolitische, insbesondere pharmazeutische Forschungen zur Folge und ebenso medizinische, zum Teil operative Eingriffe. Der Kreislauf der Profitsteigerung zwischen Bioökonomie und Digitalwirtschaft erweist sich als endlos.
Diesen Kreislauf ergänzt der Zirkel, der sich zwischen dem Gesundheitswesen und der Pharmaindustrie eingespielt hat: Viele ärztlich verschriebene Medikamente haben Nebenwirkungen mit Krankheitsfolgen, die ihrerseits einer Diagnose in der ärztlichen Praxis und in den medizinischen Laboren bedürfen, um dann wieder medikamentös therapiert zu werden. Das Geschäft mit der Gesundheit endet erst mit dem Tod. Diesen gilt es deshalb so weit wie möglich hinaus zu zögern.(...) Als Tabu gilt daher die Selbstverständlichkeit des Satzes, ‚wo Leben ist, da ist auch Tod‘ (Burnet 1971: 32).“
Der Autor resümiert:
„In der gegenwärtigen Corona-Krise bekommen Digitalisierung und Biopolitik ein Ausmaß und eine Bedeutung mit weitreichenden Folgen. Insbesondere die biopolitischen Konsequenzen übertreffen jene der rassistischen Eugenik faschistischer und US-amerikanischer Provenienz bei weitem (stehen aber in deren Tradition). Erst recht übertreffen die Konsequenzen der Digitalisierung die Auswirkungen der Spitzel- und Überwachungssysteme der Disziplinar-, Kontroll- und Eliminierungsgesellschaften in der jüngsten Geschichte.“
Diese Ausschnitte aus dem Text veranschaulichen die Dichte der Erkenntnis — der Text ist in seinen Bezügen selbstverständlich genauer, als dies eine Stellenauswahl hier abbilden kann. Die Verschränkung von „Corona“ mit Totalüberwachung und am Ende mit faschistischen Konzepten wird nicht postuliert, sie wird aufgezeigt und hergeleitet.
Die noch größere Katastrophe
Als äußerst erhellend erscheint gerade in diesem Kontext auch Bauers Bezug auf Primo Levi. Ausgehend von Levis Aussage „Ich glaube, in den Schrecken des Dritten Reichs ein einzigartiges, exemplarisches, symbolisches Geschehen zu erkennen, dessen Bedeutung allerdings noch nicht erhellt wurde: die Vorankündigung einer noch größeren Katastrophe, die über der ganzen Menschheit schwebt und nur dann abgewendet werden kann, wenn wir alle es wirklich fertig bringen, Vergangenes zu begreifen, Drohendes zu bannen“ unterscheidet Bauer zwischen Vergleich und Gleichsetzung.
Parallelen zum NS-Regime bedeuten eben nicht eine komplette Gleichsetzung, sie zeigen Muster auf.
Konkret:
„Auf der Oberfläche der Erscheinungen und gemäß dem narrativen Selbstverständnis der Bundesrepublik herrschen demokratische Zustände, Transparenz, eine unabhängige Justiz, unabhängige Medien, Freiheit und als oberstes Ziel soziale Gerechtigkeit (zumindest in Sonntagsreden). Dennoch gibt es aber auch Parallelen, zumeist anders verpackt. Bücher werden heute nicht verbrannt, Buchhandlungen jedoch müssen schließen, Beiträge im Internet werden gelöscht, Räume für Lesungen und Vorträge werden nicht zur Verfügung gestellt.
Zwar werden (noch) keine Vereine und politischen Gruppierungen verboten, aber deren Versammlungen und Kundgebungen. Bürgerinnen und Bürger mit abweichender Meinung werden nicht als Kommunist oder als Jude, Zigeuner und Nutte geächtet, aber unter anderem als Verschwörungstheoretiker, Corona-Leugner, geistig beschränkt, Egoist, Impfgegner und Ansteckungsgefahr, im politischen Jargon als Faschist, Nazi oder Reichsbürger. Wer die herrschende Meinung und die Maßnahme-Verordnungen infrage stellt, ist der ‚Minderwertige‘ und ‚Volksschädling‘ von heute.“
Levi sagt es deutlich: Das Aufzeigen dieser Muster ist wesentlich. Es ist das Erhellen und Begreifen, das vonnöten wäre, um die noch größere Katastrophe zu verhindern. Dass in dem, was 2020 geschehen ist und weiterhin geschieht, diese noch größere Katastrophe zu erkennen wäre, wäre nicht jede Erkenntnistheorie massenmedial zerstört worden, ist offensichtlich. Bauer schreibt:
„Wer Primo Levis beängstigende Gedanken ernst und sich zu Herzen nimmt, darf sich der erkenntnisleitenden Hypothese nicht generell verschließen, dass im Verlauf der sogenannten Corona-Krise nicht nur der Bevölkerung in Ländern wie Deutschland, sondern weltweit der gesamten Menschheit eine Entwicklung droht, für die das Nazi-Regime lediglich eine Vorankündigung gewesen ist. Die Katastrophe, die es sowohl im Sinne des Nazi-Opfers Primo Levi als auch in moralischer Verpflichtung gegenüber all den ermordeten Menschen zu bannen gilt, weist mehrere Dimensionen auf. Diese lassen sich vor dem Hintergrund vergangener Schrecken begreifen und besser verstehen.“
Weiter führt Bauer aus:
„Die Art des staatlichen Vorgehens zur Ausrottung des Virus erinnert an den Zivilisationsbruch und die Rolle der totalitären Medizin-Fundamentalisten des ärztlichen Standes im Nazifaschismus.“
Einer der Aufsätze im Band widmet sich gänzlich diesem Vergleich und weist Parallelen aus, welche diese noch größere Katastrophe mit aller Deutlichkeit herausstellen. Neben dem erkenntnistheoretischen Gehalt leuchtet zuweilen auch Appellcharakter auf. Bauer versucht da und dort politischen Widerstand anzustoßen, wobei er diesen auch historisch einbettet und gleichzeitig Unterschiede zu früheren Konstellationen unterstreicht, indem er schwerpunktmäßig die digitale Dimension heutiger Machtverhältnisse betont. Der Digitalisierung und der Lobby-mäßigen Durchsetzung der dahinter stehenden Industrie — ein absolutes zentrales Element bei der Pandemie-Ausrollung — widmet er ebenfalls einen eigenen Aufsatz.
Welt als Intrigenfeld
Einen besonderen Hinweis verdient das von Bauer vorgeschlagene Intrigenmodell als Erklärungsraster für Handlungen im globalen Maßstab und damit auch für die Implementierung der Corona-Pandemie. Dem Modell vorgelagert stellt Bauer klar:
„Die Gleichzeitigkeit und Überlagerung der genannten Phänomene, Entwicklungen, Entscheidungen, Schäden, Hilfsprogramme und Krisenauswege führen zu einer unübersichtlichen Situation. Deren Komplexität löst verschiedene Reaktionen aus. Zum einen Panik, die sich auf unterschiedliche Weise zeigt: etwa durch Verdrängen, Anpassung, Ab- und Ausgrenzung, Vereinfachung — kurz durch Formen der Bereitschaft zum Gehorsam. Zum anderen durch das Gegenteil: die Bereitschaft zum Ungehorsam in Form von Kritik, Zweifeln, Opposition, Fragen, Protesten, Kundgebungen und Widerstand. Eine dritte Reaktionsform resultiert aus der gesellschaftlichen Spaltung. Die einen bekämpfen die anderen: Die mit den politischen Entscheidungen und Maßnahmen Einverstandenen bekriegen die Oppositionellen. Diese wiederum stellen die Sichtweise der Regierungsanhänger in Frage.“
Weiter verweist Bauer auf den Begriff der Verschwörungstheorie, mit der scheinbar Wirklichkeit abgebildet wird. Allerdings versagt diese nach Bauer, weil sie zu wenig komplex aufgebaut ist, dagegen setzt er eben das Modell der Intrige:
„Realitätsangemessener als die Annahme einer Verschwörung ist das Paradigma der Intrige (...) Im Unterschied zur Hypothese einer mächtigen Geheimverschwörung zweier Parteien X und Y gegenüber einer schwachen dritten Partei Z, geht das heuristische Modell der Intrige von einer dreipoligen Machtbalance aus.
Jede der drei Parteien verfügt über eine Vetomacht, um die jeweils anderen beiden in Schach zu halten. Die einzige Möglichkeit einer der Parteien, sich gegenüber einer anderen einen Vorteil zu verschaffen, besteht darin, der anderen mittels einer dritten durch eine Intrige oder ein Intrigenbündel zu schaden. Übertragen auf die Makroebene gesamtgesellschaftlich handelnder Gruppen und deren Interessen lassen sich als Intrigentriade unterscheiden: 1. die große Mehrheit der Bevölkerung, 2. der Staat aus Regierung und Volksvertretern und 3. die Wirtschaft.“
Im Rahmen dieses Modells zeigt Bauer unter anderem die Rolle von künstlicher Intelligenz (KI) und der bereits besprochenen Biopolitik, aber ebenso von Medien auf, und erklärt auch die Tatsache, dass ein fast toter beziehungsweise von der globalen Finanzwirtschaft vollkommen usurpierter Staat nun im Rahmen von Corona wieder zu altem Glanz gekommen ist und seine Machtgelüste offen zeigen kann, ein wahrlich nicht zu übersehendes Begleitphänomen der ganzen Veranstaltung.
Alles ist Maske
Weiter beschäftigt Bauer die Maske, als Symbol, als Motiv, als Instrument. Den ganzen Coronakomplex rollt er in einem eigenen Aufsatz mit Fokus auf die Maske auf und legt dabei neue Facetten und Schichten frei, die es zu verstehen gilt, will man die Krise denkerisch durchdringen. Ausgehend vom vermuteten arabischen Ursprung des Wortes leitet er verschiedene kulturelle Bezüge her und landet dabei unter anderem bei Ernst Bloch:
„Der Philosoph Ernst Bloch (1959: 402) schrieb: ‚Die Maske ist zunächst Larve, als solche verbirgt, ja verneint sie das bisherige, das im bisherigen Leben dargestellte Ich.‘ Er geht noch einen Gedankenschritt weiter: Der mit der Maske Vermummte, der nach eigenen Vorstellungen sich Maskierende, sei in der Anonymität der Verkleidung in der Lage, eine Rolle einzunehmen, die er ‚im Leben spielen möchte. Er ist als Henker, Lustmörder, Prinz gar nicht nur maskiert. Der gut Verkleidete hat sich entkleidet, so sieht er inwendig aus.‘ (A. a. O.: 402) Die Maske offenbart das verborgene Selbstbild ihres Trägers, ihrer Trägerin. Damit verkehrt sich die Bedeutung von Vermummung.“
Diese Erkenntnis im Hintergrund wendet Bauer — ausgehend vom Mund als einem Organ des Genusses — die Maskenkonstruktion ein weiteres Mal und stellt fest:
„Die Mund-Nasen-Bedeckung mit Maske ist so gesehen ein masochistisches Lusthemmnis, eine Genussbarriere. Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit bezeichnete den ‚Kampf gegen alles, was Lust, was Genuss ist‘ als ‚das Kernstück der faschistischen Propaganda‘ (1980: 12). So gesehen versendet die Auflehnung gegen die Maskenpflicht auf untergründige Weise ein doppeltes politisches Signal: Sie wendet sich zum einen gegen die ‚gekrönte‘ (und ‚ungekrönte‘) Corona-Obrigkeit, gegen Herrschaft und Unterdrückung.
Zum anderen leistet sie Widerstand gegen eine bestimmte Denkweise, die dem Philosophen und Sozialtheoretiker Theodor W. Adorno aus dem Nazi-Faschismus bekannt war. Die formalen Merkmale der von Adorno analysierten Denkweise, so schreibt er, lebten auch nach Beendigung der Nazi-Diktatur bis auf die Gegenwart fort, und zwar in weit höherem Maße als die Nazi-Doktrinen selbst (1963: 29 ff.). Zu den formalen Besonderheiten des faschistischen Denkens rechnet er ‚beflissene Anpassung ans je Geltende, zweiwertige Aufteilung nach Schafen und Böcken, Mangel an unmittelbaren, spontanen Beziehungen zu Menschen, Dingen, Ideen, zwanghafter Konventionalismus, Glaube an Bestehendes um jeden Preis‘ (A. a. O.: 41).“
Am Ende des Aufsatzes resümiert Bauer, dass unsere Gesellschaft zur Gänze zu einer Gesellschaft der Maske geworden ist. Das unterstreichend verweist er auf euphemistische Bezeichnungen für politische Machtinstanzen und Interessensgruppen: Tarnungen, Masken, die das Wesentliche verschleiern. Weiter führt er aus:
„Nicht unähnlich tarnen sich Lehrer und Professorinnen, Virologen, Wissenschaftler und Forscherinnen, Talkshows, Think-Tanks und Leitmedien mit Exzellenzrhetorik, Uni-Bluff, Expertenstatus, neuesten Forschungsergebnissen und aktuellen Umfragewerten. Ein ebenso zweifelsfreier Hort der symbolischen Selbstinszenierung sind zivilgesellschaftliche Nichtregierungsorganisationen, etwa Wohlfahrtsverbände und Stiftungen wie die von Melinda und Bill Gates.
Die philanthropischen Player ‚sind geneigt, ihre Status- und Geldinteressen in einen Mythos zu übersetzen, der z. B. ihr Verhalten als Dienst am Gemeinwohl definiert‘, schreibt Edelmann (1976: 108). Mit der Maske der ‚Objektivität‘, der ‚Authentizität‘ und ‚Originalität‘ einerseits, der ‚Freiheit‘ (Pressefreiheit, Meinungsfreiheit) andererseits arbeiten viele Medien. Sie täuschen Ausschnitte der Wirklichkeit als die gesamte Realität vor. Sie simulieren Welt und Weltanschauung. Sie fungieren als ‚Bildermaschine für den Krieg‘ (Peter Bürger). Sportberichterstattung ersetzt Anleitung zur Körperertüchtigung, Kriminalfilme suggerieren Spannung, Unterhaltung tarnt Not, die Dokumentation des Elends die Massenarmut.“
Einer der Masken, dem Label „antifaschistisch“, widmet Bauer sodann seinen zweitletzten Aufsatz. Seine Demaskierung baut auf einen kurzen historischen Abriss des NS-Faschismus. Es wird deutlich, dass dieser wesentlich an institutionelle Träger geknüpft war, die ihn sowohl konzipiert, verbreitet wie auch kontrolliert haben. Eine dieser Institutionen war damals schon das RKI — und so ist es auch heute wieder...
Naturgemäß kann eine Besprechung von „Vernunft in Quarantäne“ nicht alle Aspekte, nicht alle Verschränkungen, die Bauer diskutiert, anführen. Deutlich geworden sein sollte aber das weite Spektrum der thematischen Verschränkung, das Bauer auf relativ wenigen Seiten herausarbeitet. Der Hauptfokus dabei ist ein kulturell-soziologischer. Die ideologisch-politische Seite des Virus steht im Zentrum, nicht die medizinische Diskussion als solche. Dass dieser kritische Blick auf Corona beziehungsweise die Maßnahmen ein linker Blick ist, versteht sich. „Coronakritik“ leitet sich nahtlos aus Kapitalismuskritik ab, geht in diese über beziehungsweise ist Kapitalismuskritik und nichts anderes.
Bauer setzt sich also nicht nur deutlich vom Schweigen vieler Linker oder gar von der aktiven und aggressiven Teilnahme dieser am Gehorsam ab, er zeigt vielmehr auf, dass eine genuin linke Sicht Widerstand anmelden muss.
Dass er diesen Widerstand insgesamt besehen völlig unaufgeregt, mit erkenntnistheoretischer Schärfe und sprachlich souverän aufzeigt, ist aus meiner Sicht besonders zu betonen. Weiter fällt auf, dass der Band trotz seiner thematisch weitgehenden Verschränkung schlank bleibt. Das macht ihn für Leser und Leserinnen, die einen eigenständigen Denkansatz am Werk sehen und dabei auch ihr eigenes Denken bedienen, trainieren oder gar rückgewinnen möchten, besonders attraktiv. Raum für selbstständiges Weiterdenken ist gegeben. Für Emanzipation.
Rudolph Bauer: Vernunft in Quarantäne. Der Lockdown als Zivilisationsbruch und Politikversagen, ca. 80 Seiten, 6.- Euro, pad-verlag, Am Schlehdorn 6, 59192 Bergkamen
Der PAD-Band ist hier zu bestellen.