Das innere Ökosystem
Die Sorge um „die Welt da draußen“ offenbart einen schweren Denkfehler, da das „Außen“ bei uns Menschen regelhaft ein Spiegelbild des „Inneren“ ist.
Über verschiedene Wege zum Umweltschutz wird gestritten, der Begriff „Umwelt“ selbst wird jedoch nur in den seltensten Fällen angezweifelt. Er verortet das, was es zu schützen gilt, außerhalb von uns selbst, stellt den Menschen willkürlich in den Mittelpunkt des Ökoystems und ist somit ein ideologischer Begriff. „Mitwelt“ wäre treffender. Vor allem aber müssen wir unseren Blick zurück richten auf uns selbst: auf unsere Innenwelt. Denn auch sie ist, wenn man so will, verseucht — durch Traumata, mit denen wir uns und andere belasten. Innenweltheilung wäre eine unbedingte Voraussetzung für wirksamen Mitweltschutz. Andernfalls stellt der Einsatz für die „Umwelt“ nicht mehr als Symptombekämpfung dar, die nur darauf abzielt, das Überleben traumatisierter, weil konkurrenzfixierter Gesellschaften in die nächste Runde zu retten, um das grundsätzliche Zerstörungswerk fortsetzen zu können. Hilfreich und zutreffend zugleich ist vielmehr, was Albert Schweitzer auf den Punkt brachte, als er formulierte: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Erst aus dieser Einsicht heraus vermögen wir uns als auch unserer Mitwelt Gutes zu tun.
Ob eine Diskussion in die richtige Richtung geht, zur Klärung von Sachverhalten und Interessen beiträgt oder von vornherein in die Irre läuft und von Ideologien beherrscht wird, hängt meines Erachtens von den verwendeten Grundbegriffen ab.
„Um-Welt“ — bereits dieser Begriff enthält meiner Ansicht nach eine Anmaßung, weil ich mich als Mensch in den Mittelpunkt der „Welt“ setze. Um mich soll diese sich dann drehen. Wobei auch der Begriff „Welt“ schon so umfassend ist, dass er alles und nichts bedeuten kann. Er ist viel zu unkonkret und auch hier täte Bescheidenheit not.
Als Mensch kann ich vielleicht noch über die Erde und die Erdkugel sprechen, aber auch das hat schon eine Dimension, welche für die meisten von uns jenseits aller Vorstellungskraft liegt und von der wir nur Millionstel Bruchteile an gesichertem Wissen zur Verfügung haben.
Wenn ich hingegen von mir und meiner Mit-Welt spreche, wechsle ich immerhin die Perspektive und sehe mich als Teil einer „Welt“, die mir das Leben ermöglicht und in der ich umgeben bin von Lebendigem, mit dem ich im Zusammenhang lebe.
Mein Leben ist dann gleichwertig zu anderem Leben, das ebenso die zur Verfügung stehenden Elemente dieser Erde verwendet, um zu entstehen, zu wachsen, sich zu vermehren und wieder zu vergehen. Mein Leben steht dann nicht grundsätzlich über diesem anderen Leben, auch nicht darunter. Das Wort Symbiose setzt sich zusammen aus „sym“ (zusammen) und „biose“ (leben).
Symbiose ist das Urprinzip des Lebendigen. Leben bringt Leben hervor. Mir ist dann als einzelner Mensch auch bewusst, dass ich wie jedes andere Lebewesen nur dieses eine Leben habe.
Wenn ich für mein eigenes Leben anderes Leben zerstören muss, mache ich das mit Respekt vor diesem. Ich bin mir bewusst, dass auch anderes Leben mich zerstören kann und wird, um selbst zu leben.
Um-Welt ist auch der nach außen gerichtete Blick, entweder indem ich voller Angst auf die Natur und die Mitlebewesen blicke, oder voller Begehrlichkeit abscanne, was ich davon brauchen könnte an Nahrungsmitteln, Bodenschätzen und Lebensräumen.
Wie ein Mensch allerdings nach außen blickt, ob gestresst, mit Angst und Wut, oder gelassen, voller Liebe und Mitgefühl, ist nur zu verstehen, wenn wir seine Innen-Welt mit in Betracht ziehen.
Und nach meinen Erfahrungen behandeln Menschen ihre Mit-Welt gut und mit Achtung, wenn auch ihre Innen-Welt, ihre „Psyche“ in Ordnung ist.
Das ist in der Regel dann der Fall, wenn sie als Kinder von ihren Eltern gut behandelt wurden. Werden Menschen jedoch von früh an schlecht behandelt, sind sie nicht gewollt, werden abgelehnt, vernachlässigt, nicht geliebt, alleine gelassen, geschlagen oder gedemütigt, dann wird ihre Innen-Welt in Chaos versetzt, werden ihre Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken, Erinnerungen fragmentiert, und sie sind nicht mehr in der Lage, sich ein stimmiges Bild von ihrer Mit-Welt zu machen.
Sie konstruieren sich dann Schein-Welten in ihrem Kopf und verwenden Begriffe, die mit der Realität nur noch wenig zu tun haben und die sie der Realität mit Gewalt überstülpen. Ihre eigene Psyche befindet sich außerhalb ihrer bewussten Kontrolle. Statt ihr eigenes Leben zu leben, überleben sie nur. Sie zerstören dabei anderes Leben und die eigenen Lebensgrundlagen in einem Ausmaß, das jenseits des für ein gutes Leben Notwendigen ist.
Daher traumatisieren vorwiegend solche Menschen ihre Mit-Welt, deren Innen-Welt traumatisiert ist.
Sie stellen wie taub und blind das Chaos in ihrem Inneren in ihrer Außenwelt her. Sie haben den gefühlten Bezug zu ihrem Körper und seinen Lebensbedürfnissen, vor allem zu ihrem Ich verloren. Sie leben in einem grundsätzlichen emotionalen Kontakt- und Liebesmangel.
Sie versuchen, mit ihren Trauma-Überlebensstrategien ihren emotionalen Mangel, ihre emotionalen Blockaden und Sackgassen mit materiellen Dingen und abstrakten Vorstellungen wie Geld, Gewinn, Profit und Erfolg zu kompensieren.
Und auch die Schäden, die sie damit in ihrer Mit-Welt anrichten, versuchen sie mit den gleichen untauglichen Mitteln — Geld, Steuern, rein technische Lösungen — abzuwenden.
Das eine Symptom zieht das andere nach sich und alle sind dann in der Symptombekämpfung gefangen und unendlich beschäftigt. Auch wieder eine gute Ablenkung vom Chaos der eigenen Innen-Welt.
Weil sich traumatisierte Menschen ihrer Innen-Welt gegenüber machtlos fühlen, versuchen sie, über ihre Außen-Welt mit viel Gewalt Macht und Kontrolle zu bekommen.
Weil sie sich selbst innerlich wie tot fühlen und oft Anteile in sich haben, die gar nicht wirklich leben wollen, die das Leben ohnehin nur als Last und Zumutung erleben, haben sie auch wenig bis kein Mitgefühl für die Zerstörung, die sie ihrer Mit-Welt antun.
„Umweltzerstörung“ ist daher Ausdruck ihrer Destruktivität auch sich selbst gegenüber infolge der Täter-Opfer-Dynamiken, die in ihrem eigenen Innern toben.
Die Sorge um „die Um-Welt“ hat ihre Wurzeln oft auch in kindlichen Erfahrungen, sich um seine traumatisierten Eltern kümmern zu müssen. Ich muss etwas für die Um-Welt, also meine Eltern tun, damit ich ihr Leiden lindere und sie mir nicht böse sind und mir nichts antun. Ich muss um der Um-Welt, also meiner Eltern willen auf meine Bedürfnisse und mein eigenes Leben verzichten. Die Denk- und Sprachlogik ist identisch.
Der Ausstieg aus der Mit-Welt-Zerstörung kann meines Erachtens daher nur durch den Einstieg in die Innen-Welt-Heilung geschehen.
Wir müssen als Menschen damit aufhören, uns selbst gegenseitig zu traumatisieren, auf allen Ebenen:
- in der Politik (Nationenkonkurrenz, Natur- und Menschenzerstörung durch Krieg),
- in der Ökonomie (Konkurrenzwirtschaft, Ausbeutung, Naturzerstörung wegen des Profits),
- in der Mann-Frau-Beziehung (Gewalt in nahen Beziehungen, Ideologie der Überlegenheit eines Geschlechts) und
- in den Eltern-Kind-Beziehungen (systematische Traumatisierung der heranwachsenden Generation durch traumatisierte Eltern, Gewalt bei Geburtsprozessen, Kinderkrippen, konkurrenzfixierte Schulen und Bildungssysteme).
Jeder Mensch, der sich jedoch selbst findet und inneren Frieden schließt, ist ein Segen für seine Mit-Welt. Er muss sie nicht mehr zerstören oder sich übermäßig Sorgen um sie machen.
Zu seinen inneren Kraftquellen findet, wem es gelingt, seinen kindlichen Ur-Schmerz in Mitgefühl für sich selbst und andere zu verwandeln.
Dann leben wir nicht mehr im Mangel, das Dasein ist kein täglicher Überlebenskampf mehr. Wir werden zu Überfluss-Wesen, die sich gegenseitig in ihrem Wachstum fördern. Wir zerstören Leben nicht mehr, sondern bringen es zum Blühen.