Das Humanitäts-Dilemma
Wer Flüchtlingen wirklich helfen möchte, sollte dafür sorgen, dass sie in eine friedliche Heimat zurückkehren können.
In naher Zukunft dürften wieder mehr Flüchtlinge bei uns ankommen. Die Grenzöffnung des türkischen Präsidenten Erdogan und unhaltbare Zustände in den Lagern Griechenlands und anderer Mittelmeerländer werden Deutschland vielleicht dazu zwingen, wieder mehr Menschen aufzunehmen. Das könnte Wasser auf die Mühlen fremdenfeindlicher Parteien sein. Unter „alternativ Denkenden“ gibt es diesbezüglich beileibe nicht nur eine Meinung. Migrationsskeptiker, die eher die negativen Folgen von Fluchbewegungen in den Ursprungs- und Gastgeberländern betonen, stehen Anhängern einer radikal humanitären Willkommenskultur gegenüber. Lasst uns nicht erneut mit innerer Spaltung reagieren! Das lässt sich vermeiden, wenn wir die richtigen Forderungen ins Zentrum stellen und darum kämpfen, dass diese von den Regierenden auch umgesetzt werden!
Am 2. März 2020 hat der Sender Ö1 des österreichischen Rundfunks berichtet (1), dass — wenn die Politik so weiter geht wie bisher — es wohl nicht lange dauern wird, bis auf Flüchtlinge geschossen werden wird (2).
Das lernen wir daraus: Das Ergebnis des „bedingungslosen Einsatzes für Menschenrechte“ und folglich für Regime Change ist letztlich, dass ganz im Sinne dieser „Menschenrechte“ auf Flüchtlinge geschossen wird oder sie sonst wie krepieren mögen. Dieser Zynismus kann kaum übertroffen werden.
Die richtigen Forderungen sollten sein:
- Ende der Sanktionen gegen Syrien (3)
- Bedingungslose Anerkennung des souveränen (4) syrischen Staates (5)
- Massive Unterstützung für Syrien, damit möglichst viele Menschen dorthin zurückkehren können! (6)
Es geht um ein Eingeständnis des historischen Fehlers der massiven Einmischung des Westens! Europa soll endlich einen eigenen Weg einschlagen. Spätestens jetzt sollte jedem klar werden, dass es nie um Menschenrechte gegangen ist.
Wenn man einen Beginn festlegen will — hat es mit dem Verbrechen begonnen, den Irak 2003 zu überfallen. Ein Verbrechen, das von den US-NeoCons (7) geplant war (8) und vordringlich vom „Sozialdemokraten“ à la Tony Blair (9) unterstützt wurde. Nach dem Tod von 1,46 Millionen Menschen (10) etablierten die USA mit ihrer Besatzung eine Willkürherrschaft, die hunderttausende Iraker in den Untergrund trieb (11). Unter den Namen al-Qaida, al-Nusra-Front, Islamischer Staat, Daesch und aktuell Hayat Tahrir al-Scham (HTS) tauchten diese Menschen wieder auf, als der Westen sein Feuer des Regime Change (12) in Syrien anzündete. Der Krieg gegen den souveränen Staat Syrien kostete in der Folge erneut ein bis zwei Millionen Menschen das Leben (13) und viele Millionen Menschen mussten flüchten.
Die (Wieder)-Anerkennung der Souveränität Syriens durch den Westen ist die Lösung!
Der Westen muss eingestehen, dass er alles tat — mit eingeschlossen die Unterstützung von beliebigen Gruppierungen, die sämtliche Menschenrechte missachteten — um in Syrien Einfluss zu gewinnen. Und es muss das Eingeständnis geben, dass das falsch war. Ja es war nicht einfach falsch, es war ein Menschenrechtsverbrechen, ein Kriegsverbrechen.
Dieses Eingeständnis ist die Grundlage der Lösung der heutigen „Flüchtlingskatastrophe“. Syrien muss sofort unterstützt werden — finanziell und mit vielen Maßnahmen für den Wiederaufbau vor Ort! Diese Unterstützung hilft den Menschen, die heute flüchten müssen, langfristig am meisten. Wenn wir Syrien selbst unterstützen, dann geht es auch nicht um einen Kuhhandel mit der Türkei.
Solange das nicht geschieht und andere Maßnahmen nicht helfen, ist es selbstverständlich klar, dass wir gepeinigte, vertriebene Menschen auch hier in Europa aufnehmen und unterstützen müssen. Wer ernsthaft befürwortet, „Menschenrechtspolitik“ mit Schüssen auf Flüchtlinge durchzusetzen, der hat bereits alles an Menschsein aufgegeben, er braucht keine Werte mehr!
Die Türkei hat — unabhängig davon, wie sehr man ihre Politik zu Recht verurteilen mag (14) — 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen (15). Bei einer Einwohnerzahl von circa 83 Millionen ist das 4,5 Prozent gemessen an der Bevölkerung. 2018 hatte der Libanon auf einem Staatsgebiet so groß wie Oberösterreich 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen und hat selbst nur eine Bevölkerung von 4 Millionen (16), das ist 37,5 Prozent gemessen an der Bevölkerung. Europa hat in den Jahren 2015 und 2016 (17) 2,56 Millionen Flüchtlinge aufgenommen und selbst eine Bevölkerungsanzahl von 746 Millionen Menschen (18). Die 2,56 Millionen Menschen, die nach Europa flüchteten, machten also in den beiden „Katastrophenjahren“ 0,34 Prozent aus. In Europa gibt es viel Reichtum, der Libanon ist arm.
Meine Überzeugung ist: Die Zukunft wird mit Klimakatastrophen, Kriegen, die nicht abnehmen — und sonstigen vom Menschen verursachten Katastrophen — leider weiterhin viele Menschen zum Flüchten zwingen. Niemand flüchtet freiwillig. Wir werden es — bei Strafe unseres eigenen Untergangs in Folge von Zerrissenheit — wieder lernen müssen, was die Menschen immer schon konnten: sich gegenseitig zu unterstützen.
Aber jetzt sollten wir vor allem damit beginnen zu fordern, dass die Sanktionen gegen Syrien sofort aufgehoben werden und dass Syrien mit großen Hilfsprogrammen wieder aufgebaut wird.
Quellen und Anmerkungen:
(1) ORF 2. März 2020 https://oe1.orf.at/player/20200302/591163/1583128944000
(2) Siehe auch zum Beispiel die Berichterstattung von RT-Deutsch: https://deutsch.rt.com/europa/98727-tuerkisch-griechische-grenze-traenengas-gegen/?utm_source=browser&utm_medium=push_notifications&utm_campaign=push_notifications
(3) Heise.de: https://www.heise.de/tp/features/Wie-die-syrische-Zivilbevoelkerung-unter-den-EU-Sanktionen-leidet-3695626.html?seite=all;
(4) https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/un-generalsekretaer-uno-syrien-verfassung
(5) Das Gegenteil fordert nach wie vor die Transatlantik-Fraktion, wie man in diesem zynischen Artikel der Süddeutschen Zeitung nachlesen kann: https://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-syrien-sanktionen-1.4824782
(6) Karin Leukefeld: https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/un-generalsekretaer-uno-syrien-verfassung und siehe zum Beispiel auch: https://www.swissinfo.ch/ger/politik/humanitaere-krise_krieg-in-syrien---die-schweiz-muss-mehr-tun-/44926920
(7) zum Beispiel: https://www.heise.de/tp/features/Die-Machtergreifung-der-Neocons-in-Washington-3430819.html; https://nzzas.nzz.ch/international/neocons-die-wegbereiter-des-irakkriegs-kehren-zurueck-ld.1482868?reduced=true
(8) Wesley Clark, zum Beispiel: https://www.youtube.com/watch?v=FOBLWGASHhk
(9) Der Spiegel klagt sie an: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/tony-blair-und-george-w-bush-sollten-angeklagt-werden-a-1102230.html
(10) Ullrich Mies (Hg): „Der tiefe Staat schlägt zu“, ProMedia Verlag 2019, Seite 136
(11) Michael Lüders: „Wer den Wind sät“, C.H.Beck Verlag 2015, Seite 53
(12) Karin Leukefeld https://www.rubikon.news/artikel/die-letzte-schlacht-2
(13) Ullrich Mies, ebenda Seite 149
(14) Was aber der Transatlantik-Westen gar nicht tut, wie eben in diesem Propaganda-Artikel der SZ wieder klar gesagt wird: https://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-syrien-sanktionen-1.4824782
(15) ORF https://orf.at/stories/3155976/
(16) ORF https://oe1.orf.at/artikel/649921/Syrische-Fluechtlinge-im-Libanon
(17) Wikipedia, 2. März 2020 https://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%BCchtlingskrise_in_Europa_ab_2015
(18) https://de.wikipedia.org/wiki/Europa