Das große Etiketten-Kleben
Der „Fall Lederer vs. Jebsen“ wirft ein Schlaglicht auf die Debattenunkultur im Land.
Seit vier Wochen geht der Konflikt um eine Preisverleihung an Ken Jebsen durch die Öffentlichkeit. Eigentlich wollte ich in diesem Artikel die Argumentationsketten beider Konfliktlager vergleichen – ihre jeweiligen Argumente darstellen, überprüfen und miteinander abgleichen. Doch je mehr ich mich in das Thema vertiefte, desto deutlicher wurde, die eine Seite – nämlich die Lederer-Fraktion und ihre medialen Unterstützer – verweigert sich jeglicher ernsthaften Beweisführung. Sie argumentiert nicht und will auch keine Argumente hören. Diese Konfliktpartei wiederholt stattdessen die immer gleichen Scheinargumente und heftet Ken Jebsen mit Hilfe interessierter Medien permanent negative Etiketten an. Eine Diskursstrategie des permanenten Dreckwerfens.
Über den Konflikt um die Preisverleihung an Ken Jebsen wurde in den vergangenen Wochen viel geschrieben. Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Die.Linke) hatte sich auf Facebook vom Berliner Kino „Babylon“ gewünscht, die Preisverleihung abzusagen, was nach einem Anruf seines Kulturstaatssekretärs beim Kinochef dann auch so geschah. Um den Ablauf der Ereignisse bis hin zur doch noch stattfindenden Preisverleihung im „Babylon“ möchte ich mich hier also nicht kümmern. Auch die Argumente der Lederer-Kritiker wurden hier beim Rubikon und an anderen Stellen vielfach dargelegt. Sowohl linke Autoren wie Mathias Bröckers oder Ulrich Mies als auch Politiker der Linken wie Wolfgang Gehrke oder Andrej Hunko und viele andere äußerten sich zu dem Fall.
Stattdessen möchte ich hier einen Blick auf die Seite der Jebsen-Gegner werfen. Wie argumentieren sie eigentlich? Und wie belegen sie ihre Vorwürfe? Da wäre zuerst einmal der Berliner Kultursenator Klaus Lederer. In seinem vielfach zitierten Facebook-Eintrag verteilt er mehrere negative Etiketten an Jebsen und weitere Beteiligte der Preisverleihung. Diese Etiketten ließen sich wie folgt zusammenfassen: Israelhasser, Antisemiten, Verschwörungstheoretiker, Rechtsesoteriker, Verschwörungsgläubige und Aluhüte. Die Veranstaltung bezeichnet er als „Wahnsinn“. In einer Antwort auf die Kritik eines Lesers, klebt Lederer zusätzlich noch das Etikett „Querfront“ an Jebsen und andere Beteiligte.
„Die Belege liefere ich“
Doch wo sind die Belege für seine Behauptungen? Nachweise forderten nicht nur Facebook-Nutzer oder Jebsen-Fans. Nein, das fordert jede zivilisierte Dialogführung. Wer Behauptungen aufstellt, zumal wenn es derart schwerwiegende sind, muss sie mit stichhaltigen und wahrhaftigen Informationen begründen. Man muss argumentieren (1). In einer weiteren Stellungnahme bei Facebook schreibt Lederer: „Na, Moment. Die Belege darüber, wie Jebsen antisemitische Ressentiments bedient, liefere ich.“
Unklar bleibt, ob Lederer dies auf zwei Texte bezog, die er tags zuvor gepostet hatte, oder ob das eine Ankündigung für weitere Belege sein sollte. Doch so oder so, die Nachweise blieb Lederer schuldig. Weder folgten diese nach, noch lieferten die erwähnten zwei Artikel solche Beweise.
Beide Texte stammen von Lederer selbst. Den einen verfasste er gemeinsam mit dem linken Historiker Mario Keßler. In diesem Beitrag kommt Ken Jebsen überhaupt nicht vor, denn es geht darin um innerparteiliche Diskussionen über das Verhältnis der Linken zu Israel und zu Fragen des Antisemitismus. Als Beleg gegen Jebsen taugt der Artikel nicht.
Im zweiten Beitrag geht es dann unter anderem auch um Jebsen. Doch auch in diesem Text finden sich keine Belege für Jebsens vermeintlichen „Israelhass“ außer Behauptungen Lederers á la: „Jebsen ist für seine Gleichsetzungen der Besatzungspolitik des Staates Israel mit dem Holocaust bekannt“ (2). Stattdessen werden auch hier von Lederer wieder fleißig Etiketten verteilt. Die Rede ist von „esoterischen Erklärungsmustern“, von „kommunikativen Codes“, die an antisemitische Narrative wie das der „jüdischen Weltverschwörung“ anknüpfen, von fehlender Scheu gegenüber rechten Milieus und die Rede ist auch wieder von der Querfront.
Lederer liefert Link
In der Kommentarspalte unter dem Artikel immerhin gibt es eine Wortmeldung offenbar von Lederer selbst, in der er einen YouTube-Link scheinbar als Beleg für Jebsens Verbreitung „antisemitischer Stereotypen“ eingestellt hat. Dabei handelt es sich um einen Ausschnitt eines Wortbeitrages Jebsens in dem dieser das US-Wirtschaftsmagazin Forbes zitiert. Dieses habe behauptet, 25 bis 30 Prozent der reichsten US-Familien hätten jüdische Wurzeln, sagt Jebsen. Unter allen US-Amerikanern hätten hingegen nur zwei bis drei Prozent „jüdische Roots“.
Da es sich um Lederers einzigen Beleg in der Angelegenheit handelt, wollen wir genauer darauf blicken. Die erste Frage: Stimmen die Zahlen, die Jebsen aus Forbes zitiert? Laut dem US-Forschungsinstitut PEW haben tatsächlich 2,2 Prozent aller US-Amerikaner jüdische Wurzeln in ganz verschiedener Form.
Zu den Superreichen: Es ist unklar auf welchen Forbes-Beitrag sich Jebsen konkret bezieht. Doch das Magazin erstellt regelmäßig Ranglisten der Superreichen. Diese kann man nach Religionszugehörigkeit aufschlüsseln und etwa die Juden unter den Superreichen benennen. Wie sinnvoll das ist, sei dahingestellt, doch tun genau das auch israelische Zeitungen.
So berichtete etwa die Jerusalem Post schon in Bezug auf die Forbes-Liste über „Die reichsten Juden der Welt“. So etwa 2010 und 2013. In der Times of Israel stand 2015 zu lesen: „Wie in den vergangenen Jahren sind die Juden in der Rangliste der Reichsten der Welt mit 10 Juden unter den Top 50 überproportional vertreten.“ In der großen liberalen Tageszeitung Haaretz hieß es beispielsweise 2016: „Elf der 50 reichsten Menschen auf der Welt sind jüdisch“.
Nun geht es in Jebsens Zitat aber nur um die USA. Man kann sich die Liste der 400 reichsten US-Amerikaner vornehmen und für jeden einzelnen dessen Religionszugehörigkeit und Familienbande abklopfen. Da Jebsen nur von „den reichsten Familien des Landes“ spricht, bleibt die konkrete quantitative Bezugsgröße jedoch unklar. Beschränkt man sich auf die 25 reichsten US-Amerikaner, zählt man unter ihnen elf Personen, die (auch) „jüdische Wurzeln“ haben. Also 44 Prozent. Berücksichtigt man die Verwandtschaftsverhältnisse unter diesen 25 Personen (also die reichen Familien) erhöht sich die Quote sogar nochmal, da die Familien Koch, Walton und Mars je mehrere Vertreter unter die Top 25 entsenden.
Mir persönlich ist diese Zählerei zuwider, ist ihre Aussagekraft doch sehr gering und zudem irreführend. Man könnte an dieser Stelle auch nach „christlichen Wurzeln“ oder ganz anderen Merkmalen fragen, die in dieser kleinen Gesamtmenge verzerrte Ergebnisse liefern würden. Zudem haben die meisten dieser Personen weitaus mehr als nur eine jüdische Identität. Aber darum geht es an dieser Stelle nicht. Festzuhalten bleibt, die von Jebsen zitierten Zahlen stimmen – setzt man die Grenze wie oben dargestellt, sind sie sogar eher zu niedrig.
Jebsen kritisiert Ideologie statt Herkunft
Sein Verweis auf den überproportionalen Anteil jüdischer US-Amerikaner an der US-Oberschicht klingt unappetitlich, wenn man damit alte Vorurteile bedienen möchte, dass Juden überdurchschnittlich oft reich sind. Doch tatsächlich tut Jebsen das in dem kurzen Ausschnitt gar nicht, sondern kritisiert die Tatsache, dass reiche jüdische US-Amerikaner viel von diesem Geld in aggressive nationalistische PR für Israel stecken.
Oligarchen und Spekulanten, Lobbyismus der Superreichen und Unterstützung für nationalistische Politik? Dagegen müsste doch auch Klaus Lederer etwas haben. Doch dieser sieht in den Aussagen Jebsens Unterstützung für das Narrativ einer „jüdischen Weltverschwörung“ belegt und schreibt: „Was braucht es noch mehr, um antisemitische Stereotypen zu bedienen?“.
Nun ja, stichhaltige Belege möchte man antworten.
Mit viel gutem Willen für Lederer ließe sich noch argumentieren, Jebsen stelle hier nebenbei einen stereotypen Zusammenhang her. Tatsächlich hätte er auf die implizite Unterstellung des überdurchschnittlichen jüdischen Wohlstandes verzichten können. Spielt sie doch für seine Argumentation gar keine Rolle. Doch daraus nun den Beweis – tatsächlich ist es bestenfalls ein Indiz und zudem das einzige – abzuleiten, Jebsen sei Antisemit oder Israelhasser erscheint doch sehr gewagt (3).
Linke in der Zeit: „Schluss mit der Querfront!“
Doch Lederer wurde von Parteifreunden trotz der Dürftigkeit seiner Nachweiser unterstützt. Die Berliner Linken-Politikerin und langjährige Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak ließ in ihrem Gastbeitrag für die Zeit von Beginn an keinen Zweifel an ihrer Haltung. „Schluss mit der Querfront!“ war ihr Beitrag überschrieben. Im Vorspann ist von Verschwörungstheoretikern und Sektierern die Rede. Und auch im Text geht das muntere Etikettenkleben weiter: Von Rechtspopulisten, Nationalisten und Antisemiten ist hier die Rede.
Dann erklärt die Autorin, was aus ihrer Sicht die „Querfront“ ausmacht. Verstehen die meisten Menschen unter diesem Begriff eine politische Zusammenarbeit linker und rechter Gruppen gegen „die Mitte“, so liefert Wawzyniak folgende definitorische Begriffssammlung dazu ab:
„Die Querfront, das ist ein Sammelbegriff für antidemokratische, antisemitische, verschwörungstheoretische, rechtspopulistische oder rassistische Positionen.“
Anschließend schaut sie sich vier vermeintliche Vorurteile der so definierten Querfrontler näher an, die sie in Jebsens Videos ausgemacht haben will. Wawzyniak geht etwas geschickter vor als Lederer. Sie liefert immerhin vordergründig Argumente, die sich bei näherer Betrachtung jedoch als heiße Luft herausstellen.
Sie wirft Querfrontlern beispielsweise „antidemokratische Positionen“ vor und verlinkt ein Video in dem Jebsen die repräsentative Demokratie, kritisiert. Aber was ist gleich nochmal ein Anti-Demokrat? Doch wohl jemand, der alle Formen von Demokratie ablehnt und der die Diktatur fordert. Wie kann aber ein Anti-Demokrat einen Aufruf „Für Demokratie und Meinungsfreiheit!“ veröffentlichen? Wie kann er im verlinkten Video sagen „Demokratie? Das finde ich super, wenn tatsächlich das Volk herrschen könnte und wenn tatsächlich der Wille des Volkes umgesetzt würde.“
Lügt Jebsen denn? Nein, er kritisiert gar nicht pauschal die Demokratie sondern das repräsentative, parlamentarische System. Dieses fördere Kriege und schütze Banken und Großkonzerne, da es die politische Macht der Wähler an Politiker umleite, die den Wählerwillen ungestraft missachteten. Jebsen fordert am Ende des Videos explizit direkte Demokratie und dezentrale Selbstverwaltung. Er empfiehlt als Alternativen die bayrische Räterepublik, das anarchistische Katalonien von 1936 bis 1939 oder das heutige demokratische Rojava. Hört sich das rechts und anti-demokratisch an?
Im verlinkten Video bezeichnet Jebsen auch die AfD-Politiker als „Schauspieler“. Er bezeichnet das aktuelle System als „kapitalistisch-faschistisch“, fordert Hilfe für Flüchtlinge und kritisiert die Sozialdemokratie und Linke dafür, die sozio-ökonomischen Interessen der Arbeiter zu ignorieren. Warum tut er das alles, wenn er als Querfrontler doch Rechtspopulist und Rassist sein soll?
Autorin widerlegt sich selbst
Auch die im Artikel folgenden Argumente Wawzyniaks sind von ähnlicher „Qualität“. Obwohl Jebsen in den verlinkten und zahlreichen anderen Videos immer wieder betont, dass die Herrschenden das Problem seien (eine klassisch linke Position), behauptet die Autorin, dass „die Bedrohung“ laut Jebsen von außen komme (eine klassisch rechte Position).
Nur um all diese Behauptungen der Autorin zu entlarven, muss man sich Jebsen anschauen und zuhören, was er tatsächlich zu sagen hat. Wawzyniaks vermeintliche Belege widerlegen sie selbst. Sie kann nur darauf hoffen, dass sich Leser die Videos nicht wirklich anschauen, und Wawzyniaks Behauptungen für bare Münze nehmen.
Dazu kommt, dass die Autorin den tatsächlichen Grund für die Kritik an Lederer falsch darstellt. Nicht seine Äußerung gegen die Preisverleihung im „Babylon“ war es, die als Zensur wahrgenommen wurde, wie Wawzyniak behauptet. Sondern Lederers administrativer Druck (der Anruf seines Kulturstaatssekretärs), der das Kino Babylon vermutlich zur vorläufigen Absage der Preisverleihung bewegte.
Genau an dieser Differenzierungsleistung scheiterte aber auch Linkenpolitiker Stefan Liebich.
„Empörend, Zensur, das Gegenteil der „Freiheit der Andersdenkenden (Luxemburg)? Wenn @klauslederer seine Kritik an einer Preisverleihung an Ken Jebsen („Ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat“) formuliert, dann hat er meine Unterstützung, denn er hat damit einfach Recht.“, schrieb er auf Twitter.
Liebich liefert in seiner Stellungnahme zudem ebenfalls ein Scheinargument: ein Zitat Jebsens zum Holocaust. Tatsächlich sagt Jebsen, er habe nie den Holocaust geleugnet, sondern mit dem Satz gemeint, die judenfeindliche Propagandakampagne Goebbels‘ die zum Holocaust führte, gehe in ihren Methoden auf den US-Propagandaexperten Edward Bernays zurück. Man müsse nur die Sätze vor und nach dem zitierten Einzelsatz lesen, dann werde der Zusammenhang klar. Dies hat Jebsen schon mehrfach öffentlich erläutert. Den Sachverhalt kann man in Blogs nachlesen oder in einem Buch. Das hätte auch Stefan Liebich wissen können.
Die belegfrei verbreiteten Behauptungen gegen Jebsen hatten aber bereits bei zahlreichen weiteren Politikern der Linken verfangen. In diesem Tagesspiegel-Beitrag werden mehrere von ihren empört zitiert.
Argumentativ noch dünner: Die Medien
Doch neben der sogenannten Reformer-Fraktion der Berliner Linken beteiligten sich auch mehrere Journalisten mit ihren Artikeln unverblümt meinungsstark an der Debatte um die Preisverleihung. Wer nun vermutet, dass die professionellen Journalisten der Debatte argumentative Tiefe verliehen hätten, liegt falsch. Im Gegenteil es wurde noch dünner als bislang schon.
Zuerst berichtete die TAZ von der Absage an Jebsen. Auch in diesem Text ist wieder die Rede von Verschwörungstheorie, Querfront, Antisemitismusverdacht und diesmal auch von Anti-Amerikanismus. Der preisverleihende Blog „Neue Rheinische Zeitung“ bediene „trotz linker Rhetorik“ ein vor allem „rechtes bis antisemitisches Publikum“, heißt es. Nach Belegen für all diese Behauptungen sucht man im Artikel allerdings vergeblich.
Autor Erik Peter formulierte wenige Tage später einen Kommentar zum Thema, der sich vom nachrichtlichen Artikel zuvor lediglich dadurch unterschied, dass er noch mehr unbelegte Behauptungen und Beleidigungen enthielt. „Jebsen etwa bietet in seinen Sendungen diversen neurechten Szenegrößen in stundenlangen Interviews Raum für ihre kruden Thesen“, schrieb Peter. Vor lauter Vorwürfen vergaß er aber noch die Namen dieser „neurechten Szenegrößen“ zu ergänzen, die dort so präsent sein sollen.
Dann schauen wir mal selbst: Zum Zeitpunkt als Peters den Kommentar schrieb, waren auf KenFM.de als aktuellste stundenlange Interviews gerade Gespräche mit dem Hirnforscher Manfred Spitzer, mit dem NDR-Journalisten Patrick Baab, mit Julian Aicher, dem Neffen der Hitler-Gegner Hans und Sophie Scholl und mit Kilian Kleinschmidt einem langjährigen Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerks zu sehen. Dahinter folgten Interviews mit Maria Janssen, einer gebürtigen Donezkerin, die einen humanitären Hilfstransport in ihre Heimatstadt organisierte, mit der linken Publizistin Daniela Dahn und mit dem linken Schriftsteller Wolfgang Bittner. Die Liste ließe sich fortsetzen und klingt irgendwie so gar nicht nach neurechtem Szenetreff.
Während Peters TAZ-Kollegin Anna Lehmann Jebsen immerhin als „linken Kapitalismuskritiker“ bezeichnet, versucht Peter den Angegriffenen zwanghaft in die rechtsextreme Ecke zu stellen. Immerhin hat die TAZ auch einen gegenläufigen Kommentar veröffentlicht, der zeigt, dass man solche Meinungsbeiträge auch auf einem Niveau oberhalb der Gürtellinie verfassen kann.
Das große Verleumdungs-ABC
Da sich die anderen berichtenden Qualitätsmedien in Ton und Argumentationsniveau nicht nennenswert von der TAZ unterschieden, sollen diese der Vollständigkeit halber hier nur knapp erwähnt werden:
- Die BZ hatte in ihrem sehr kurzen Artikel quasi die höchste Dichte an negativen Etiketten zu verzeichnen. In gerade mal 164 Wörtern brachte sie noch die Begriffe Israel-Hasser und Antisemit (2x) unter, und fand dabei sogar noch Raum, den linken Politikern Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke Hetze vorzuwerfen.
- Die Frankfurter Rundschau berichtete ebenfalls knapp über den Fall mit dem üblichen unbelegten Geraune über Verschwörungstheoretiker. Bemerkenswert an dem Artikel ist jedoch die Überschrift, in der Lederer als „der zu antifaschistische Linke“ und Jebsen damit indirekt als Faschist bezeichnet wird.
- Beim Tagesspiegel brachte der ehemalige dpa-Mann Matthias Meisner bereits in der Überschrift die Worte „Antisemiten und Aluhüte“ unter, in der Unterzeile dann neben Antisemiten noch „Querfront-Aktivisten“. Im Artikel gibt es immerhin den bereits bekannten Pseudobeleg. Meisner zitiert denselben Satz, den bereits Stefan Liebich brachte. Der Autor ergänzt sogar, dass Jebsen sich mit dem verkürzten Zitat aus dem Zusammenhang gerissen sieht. Die bereits oben bei Stefan Liebich zitierten Quellen zur Richtigstellung ließ jedoch auch Matthias Meisner weg.
- Welt-Autor Martin Niewendick, der Jebsen konsequent als „Moustafa Kashefi“ bezeichnet, schreibt: „In seiner Online-Sendung geben sich die Ikonen der Verschwörungstheoretiker-Szene die Klinke in die Hand.“ In dieser selektiven Beurteilung sind sich Springer-Presse und TAZ also weitgehend einig. Unnötig zu erwähnen, das Niewendick keinen Nachweis für seine Behauptung bringt. Der Satz vom „Holocaust als PR“ darf natürlich nicht fehlen – aus dem Kontext gerissen, versteht sich.
Keiner argumentiert heute mehr
All das zeigt, wie weit entfernt sich Politiker und vor allem Journalisten, die sich selbst sicher als liberal oder sogar links, als tolerant, gebildet und vernünftig bezeichnen würden, bereits von einem rationalen, sachlichen Umgang mit ihren selbst erwählten Gegnern entfernt haben. Es scheint eine Art Argumentations- und Belegverbot zu herrschen. Nach dem Motto: Wenn man die richtige Meinung hat muss man weder recherchieren noch argumentieren. Etiketten-Kleben genügt.
Das wichtigste scheint dann zu sein, bei den Kollegen abzuschauen, dass man in seinem eigenen Text ja keine Verleumdungsvokabel zwischen Antisemit und Verschwörungstheoretiker vergisst. Über die Korrektheit dieser Vokabeln an sich muss man schon gar nicht mehr nachdenken. Die Kollegen haben es doch schließlich auch geschrieben.
Lassen wir zum Abschluss Ken Jebsen selbst zu Wort kommen, der hier im Interview mit Manfred Spitzer zu einem ganz anderen Thema spricht, damit aber genau die richtige Diagnose zum Zustand der heutigen Debattenkultur in Politik und Medien-Mainstream liefert:
„Diese Ahnungslosigkeit in Maßanzügen, die wir in Talkshows sehen, die sehe ich ja in meiner Branche auch, im Journalismus, wo eben – dann steht das überall und dann stimmt das auch! Dass es da eben auch so ist. Ich stelle fest im Journalismus, dass man sich gar keine Zeit mehr nimmt, sondern sobald eine Meldung raus ist, kommt sofort eine Zwangsreaktion, ein Statement. Es ist nie nachgedacht, nie überlegt, nie analysiert.“
Jetzt gilt's! Auf zur Demo nach Berlin: Für Demokratie und Meinungsfreiheit!
Quellen und Anmerkungen:
(1) Laut Duden Fremdwörterbuch ist ein Argument ein „Rechtfertigungsgrund, [stichhaltiger, plausibler] Beweisgrund, Punkt einer Beweisführung“. Laut Wahrig Fremdwörterlexikon eine „stichhaltige Entgegnung, Beweis, Beweisgrund. Bei Wikipedia heißt es, unter Argument verstehe man allgemeinsprachlich eine „Aussage(n) (…), die zur Begründung einer oder mehrerer anderer Aussage(n) dient/dienen“.
(2) Diese Behauptung ist zwar übertrieben, aber tatsächlich hat Jebsen schon die israelische Besatzungspolitik mit dem Begriff „Endlösung“ beschrieben. Wer das erwähnt, sollte allerdings auch hinzufügen, dass Jebsen sich dafür entschuldigt hat. In einem Gespräch mit Pedram Shahyar sagte Jebsen: „Das was Israel mit den Palästinensern tut oder andere Länder mit anderen Minderheiten tun, das mit der Sprache des Holocaust zu beschreiben ist falsch. (…) Der Holocaust ist in seiner Brutalität und Planung einmalig. Und ich hoffe er bleibt es.“ Als Jebsen Israel für die „Endlösung“ an den Palästinensern kritisierte, sei dies ein absichtlicher gezielter Tiefschlag, eine Provokation gewesen, erläutert er. Doch eine Diskussion entstehe daraus nicht. „Entschuldigung. Ich würde das heute nicht mehr so machen.“
(3) Jebsen äußerte sich auch selbst schon mehrfach zum Antisemitismusvorwurf gegen ihn. Etwa 2013 in einem Interview mit Tilo Jung. „Ich bin kein Antisemit, weil ich kein Anti-Typ bin. Ich habe Probleme mit Ideologien.“