Das Fest der Wandlung

Wir lernen das Leben erst zu schätzen, wenn wir Frieden mit dem Tod schließen und ihn nicht länger als das Ende betrachten.

In der christlichen Tradition ist die Auferstehung das Symbol für den ewigen Sieg des Lebens über den Tod. Nun ist der Tod aber unser Feindbild schlechthin. Wir wollen bewahren, retten und erhalten — und übersehen dabei oft, dass der Tod und die Vergänglichkeit natürliche Eigenschaften aller Dinge sind. Würden wir den Tod nicht als endgültiges Ende, sondern vielmehr als Teil eines ewigen Wandlungsprozesses sehen, so könnten allein dadurch die gegenwärtigen Krisen entschärft werden.

Ostern ist in der christlichen Tradition das Fest der Wandlung schlechthin. Zu Ostern erfüllt sich das Alte, und der Kreislauf beginnt von Neuem. Es symbolisiert aber nicht nur die Wiederholung des immer Gleichen: nein, vielmehr geht es um die Transformation, um die Umwandlung des rein Irdischen in eine geistige Dimension. Genau darin könnte man das Potential der Gegenwart erkennen.

Der Osterritus beginnt traditionell um Mitternacht. Die symbolische Qualität dieses Zeitpunktes ist offensichtlich, und der Datumswechsel ist unvermeidlicher Teil des Laufes der Dinge. Der Mensch kann ihn nicht verhindern. Wir werden erneuert.

Ach so? Muss das nicht alles geplant und kalkuliert sein?

Immer unbeweglicher ist unsere Gesellschaft in ihren Verstrickungen und „Sachzwängen“ geworden, immer unfreier in ihren Prognosen und ihren Reaktionen. Es wurden globale Abhängigkeiten geschaffen, die die Menschheit weniger vereint als vielmehr verletzlich gemacht haben. Was uns als „Menschheitsfamilie“ wirklich auszeichnet, ist unsere gegenseitige Abhängigkeit vom Handel und dem Ressourcenfluss.

Immer ohnmächtiger scheinen wir derzeit zu werden, immer absurder die Maßnahmen, immer destruktiver jeder Aktionismus. Kein Innehalten, in dem wir uns alle fragen, ob wir das wirklich wollen, ob es wirklich sinnvoll ist, ob es nicht auch viel einfacher ginge, ob die gewohnten Muster aus Angst und Gewalt, die dahinter durchscheinen, nicht längst durchschaut und überflüssig geworden sind.

Metaphorisch gesprochen:

Zeit fragt nicht danach, ob wir bereit sind. Das kann man deutlich an der Geschichte ablesen. Selten war der Mensch schon in Wartestellung, als große Veränderungen eintraten, weil die Veränderungen immer anders aussahen als die ihr vorausgegangenen Erwartungen.

Sie geschahen nicht geplant.

Traditionell ist die Taufe ein fester Bestandteil des katholischen Osterritus. Interessanterweise empfängt der Täufling die Sakramente „ex opere operato“, also „von selbst“, ungeachtet dessen, ob er versteht, was geschieht, oder nicht. Diese intuitive Einsicht, dass kein Mensch durch eigene Anstrengung oder Kraft seines Intellektes oder durch Wissen allein der göttlichen Sphäre teilhaftig werden kann, hat eine gewaltige Aussagekraft: Notwendig für die Taufe ist also nicht die Anhäufung von Wissen, sondern eine Loslösung davon. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ist die Formel, die zukunftsfähig ist, weil sie zulassen kann, weil sie nicht in den Kampf mit der Wirklichkeit geht, und weil sie sich nicht selbst überschätzt und in dieser Selbstüberschätzung Leben planen will.

Doch vor der Auferstehung kommt der Tod. Das, was nicht zukunftsfähig ist, muss sterben. Es ist verhärtet und hat sich auf Dauer als nicht flexibel, als nicht valide genug erwiesen. Es ist nicht „in Tune“ mit den planetaren Ordnungen unserer Heimatwelt, weder biologisch noch geistig. Das Bewusstsein des Momentes des Todes kann nämlich auch befreiend sein: Man hat nichts mehr zu verlieren, denn der Wert aller Dinge liegt dann in der Vergangenheit.

Die Ostersymbolik erinnert aber auch daran, dass Tod und Auferstehung nie weit auseinanderliegen. „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten.“ An dieser Stelle verlassen im Osterritus Priester und das Volk in einer Prozession die Kirche, brennende Kerzen tragend, was sie daran erinnert, dass jeder Einzelne ein Lichtträger ist. Sie umschreiten das Gebäude und betreten es wieder durch das Hauptportal. Ein „Great Reset“, allerdings einer, der zukunftsoffen ist. Ein neuer Zyklus der Erfahrung, des Mensch-spezifischen Lebens beginnt.

Sind wir schon an diesem Punkt?

Tod und Auferstehung versinnbildlichen immer die Dualität von Verzweiflung und Hoffnung. Nicht die Hoffnung gebiert die Verzweiflung, sondern umgekehrt.

Wir müssen anscheinend immer wieder verzweifeln, um Neues erschaffen zu können, um ganz andere Perspektiven zu entdecken und um der menschlichen Hybris Herr werden zu können. Der Größenwahn muss sterben, um erkannt und gebannt zu werden.

Das ist die Funktion jeder Verzweiflung: Ich weiß nicht weiter, aber dennoch geht es weiter! Wir werden „vom Leben gelebt“, wenn wir das zulassen können und die Kontrolle aufgeben, die wir sowieso nicht haben.

Die Verzweiflung müssen wir zulassen, denn erst dann eröffnet sich ihr Sinn völlig: Der Blick zurück, unter dem wir uns fragen dürfen: Wie seicht, wie „normal“ eben, aber wie unbewusst habe ich gelebt?

Und es wird klar, dass es gerade die Krise, die Verzweiflung war, die mich wirklich hat wachsen lassen, die mich stark und reif hat werden lassen, die mich in der Tiefe sensibel gemacht hat für das, was wirklich zählt.

Dann erleben wir die Auferstehung des Menschen. Wir erleben vielleicht die Transformation der zerstörerischen Kräfte, die uns hierhergebracht haben. Es sind dieselben schöpferischen Kräfte, mit denen wir zukünftig auch Frieden und Überfluss erschaffen können. Es geht dann nicht mehr um formale „Gerechtigkeit“, die immer auch Verlierer erzeugt, sondern um authentische Empfindung der eigenen Existenz ohne die unmündige Bevormundung durch ein System, welches das Gefängnis unseres Verständnisses von „wahr“ und „falsch“ definiert. Es geht dann um die natürliche Rolle meiner Identität, die ihre Größe nicht aus Gehorsam, Angepasstheit, Unangepasstheit oder aus Wissen bezieht, sondern aus der vollen Kraft meiner freien Persönlichkeit.

Die Auferstehung ist eine Befreiung aus den eigenen Verstrickungen der Angst und aus den Verstrickungen der Erwartungen an mich. Diese freie Persönlichkeit identifiziert sich weniger mit ihrer Biographie als mit ihrem vollen Empfinden der eigenen Lebendigkeit mit all ihren wunderbaren und furchtbaren Gefühlen.

Sie ist ganz in der Gegenwart verankert, nicht in der Vergangenheit. Ihre Verantwortung gilt nicht einer bestimmte Lehre oder Überzeugung, sondern trans-normativen Werten der Menschlichkeit wie Ehrlichkeit, Mitgefühl, Nähe, Wärme und Vertrauen, und sie gibt aus der Fülle der Natur ihre Talente.

Die christliche Erlösung ist eine freie Gabe — und das ist eine passende Metapher für die Lebenswirklichkeit an sich. Das Leben hat bisher immer gewonnen. Der Überdruss, die Erschöpfung, die Trauer — all das braucht kein Kampf gegen das Unausweichliche zu sein. Auferstehung ist Erneuerung. Jeder Widerstand dagegen muss also gehen, er muss sterben, damit das Leben — und die Hingabe an das Leben — aufs Neue auferstehen kann.


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