Das Endspiel
Ukrainekrieg, Demokratiesimulation und die Zerstörung Europas. Teil 5 von 6.
Der Ukrainekrieg wird mit der historischen Niederlage des Westens enden. Die Russische Föderation geht als Sieger vom Platz. Im größten und blutigsten militärischen Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es Hoffnung auf Frieden. Noch wird an einer Frontlinie von mehr als 1.300 Kilometern aber überall heftig gekämpft. Das wahre, grausame Gesicht des Krieges wird den Menschen vorenthalten. Die Glocke der Zensur, die den demokratischen Meinungsbildungsprozess zerstört und damit auch der Demokratie irreversiblen Schaden zugefügt hat, ist Teil des Wahns und der Kriegshysterie, in die uns das herrschende Parteienkartell mit seinen Helfershelfern in den Medien hineingeführt hat. Wer die geopolitische Lage einschätzen will, muss auch einen Blick zurückwerfen. Denn wer die Vergangenheit nicht kennt, kann ihre Folgen für die Zukunft nicht ermessen. Dies ist ein Kernproblem der aktuellen deutschen Politik. Der Journalist und Buchautor Patrik Baab analysiert in diesem 6-teiligen Beitrag die Entstehungsgeschichte des Konflikts, seine Folgen für Europa und mögliche Wege zum Frieden.
Der globale Wirtschaftskrieg
Die USA und ihre europäischen Satrapen glaubten, sie könnten Russland mit Wirtschaftssanktionen in die Knie zwingen. Ich erinnere mich noch an den Satz von Annalena Baerbock: „Diese Sanktionen werden Russland ruinieren!“ Der Westen hat Auslandsanlagen der Russischen Föderation im Wert von fast 300 Milliarden Euro eingefroren; größere russische Banken wurden vom Zahlungssystem SWIFT ausgesperrt; russische Unternehmen können keine High-Tech- oder Dual-Use-Produkte im Westen kaufen; Energieunternehmen wie Shell, BP oder Logistikunternehmen wie Maersk haben Russland verlassen. Diese Sanktionen wurden nicht von den Vereinten Nationen (UN) beschlossen und sind damit allesamt völkerrechtswidrig.
Inzwischen sind diese Leute recht kleinlaut geworden, nachdem auch deutsche Forschungsinstitute festgestellt haben, dass die Sanktionen zum Bumerang geworden sind (1). Die Wirtschaftskampagne gegen Russland hat versagt. Sie führte zu steigenden Energie- und Rohstoff- sowie Nahrungsmittelpreisen im Westen. Die US-Unternehmen haben durch die Sanktionen mehr als 300 Milliarden Dollar verloren — für Trump ist das zu viel (2).
Mit der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline, die der Rechercheur Seymour Hersh Washington zuordnet, ist für Deutschland die Energiefalle zugeschnappt. Dies darf als völkerrechtswidriger Angriff auf die kritische Infrastruktur eines Verbündeten gewertet werden.
Die Wirtschaftskraft Russlands wurde sträflich unterschätzt. Bei der Produktion von Stahl oder Aluminium — beides kriegswichtige Materialien — hat die Russische Föderation Deutschland überholt und ist mit den Vereinigten Staaten gleichgezogen (3). Auch bei den militärischen Fähigkeiten hat Moskau, glaubt man US-Militäranalysten, einen deutlichen Vorsprung (4).
In Deutschland besitzen fast 40 Prozent der Bevölkerung überhaupt kein nennenswertes Vermögen, wodurch sie spätestens in einer Krisensituation wie der COVID-19-Pandemie, der Energiepreisexplosion im Gefolge des Ukrainekrieges und der Inflation unter massiven finanziellen Druck geraten. Andererseits konzentriert sich das Privatvermögen so stark in wenigen Händen, dass die fünf reichsten deutschen Unternehmerfamilien (Albrecht/Heister, Boehringer/von Baumbach, Kühne, Quandt/Klatten und Schwarz) zusammen etwa 250 Milliarden Euro und damit mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Bevölkerung, das heißt weit mehr als 40 Millionen Menschen. Von den etwa 250 Milliardären kommt nur einer aus Ostdeutschland. Dort ist jedoch die Armut immer noch stärker verbreitet und mit rund 30 Prozent ein viel größerer Teil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor tätig als in Westdeutschland (5).
Russlands Wirtschaft ist auf den neuen Märkten Eurasiens und des globalen Südens auf Wachstumskurs. Nur die USA, Kanada, die 27 Mitgliedsstaaten der EU, Japan, Australien, Neuseeland, Norwegen, die Schweiz, die Ukraine, das Vereinigte Königreich, die Bahamas, Südkorea und Taiwan sanktionieren Russland, bei einzelnen Punkten auch die Türkei (6). Das sind nach meiner Rechnung derzeit 40 Staaten. Den Vereinten Nationen gehören 193 Mitgliedsstaaten an. Die restlichen 153 treiben weiter Handel mit Russland.
Der amerikanische Historiker Nikolai Petro von der Long Island University hat darauf hingewiesen, dass die Sanktionen aus zwei Gründen ihre Wirkung verfehlen: Erstens hat Russland seit 2014 Erfahrung im Umgang mit Sanktionen und hat die binnenwirtschaftliche Resilienz gestärkt. Zweitens bleiben 153 Länder Partnerstaaten Russlands. So gelingt es, die Sanktionen breit zu umgehen (7). Das müssen sie auch, denn viele Länder Afrikas sind auf russische Getreideimporte angewiesen. Die Sanktionen des Westens gegen Russland haben die Getreidepreise um 30 Prozent verteuert und produzieren so einen Berg afrikanischer Leichen. Nicht Russland ist isoliert, sondern der Westen. Der European Council On Foreign Relations fand dafür die Formulierung: „United West, divided from the rest“ (8).
Ende 2022 war Russland Chinas zweitgrößter Lieferant von Rohöl geworden. Indien ist ebenfalls ein wichtiger Ölkunde. Das Land produziert lediglich 10 Prozent des heimischen Bedarfs. Aber 34 Prozent des verbleibenden Restes des indischen Ölverbrauchs kam 2023 aus Russland. Gleichzeitig werden die östlichen Handelsrouten ausgebaut. In den Werften von St. Petersburg werden neue atomgetriebene Eisbrecher gebaut, die den Transport von Öl und Gas nach China und Indien über die Nordroute das ganze Jahr über möglich machen. Ein Vertrag zwischen der russischen Atomenergiebehörde Rosatom und Chinas Hainan Yangpu Newnew Shipping Co. Ltd. regelt den Bau neuer eisgängiger Containerschiffe. Dort, so Rosatom, werden im Jahr 2024 mehr als 3 Millionen Tonnen Transitgüter verschifft.
Fortschritte macht auch der Ausbau des 7.200 Kilometer langen North-South Transport Corridor (INSTC), der von St. Petersburg zu Häfen im Südiran und weiter nach Mumbai verlaufen wird. Diese Transportrouten umgehen Europa und verkürzen die Standardrouten durch das Mittelmeer und den Suezkanal auf weniger als die Hälfte. Die Transportzeit von Moskau nach Mumbai verkürzt sich damit von 40 bis 60 Tagen auf 25 bis 30 Tage. Die Transportkosten sinken damit um 30 Prozent. Fortschritte auch auf der Westroute durch Aserbaidschan: Dort stiegen die Bahnfrachtraten im Jahr 2023 um 30 Prozent. Im Juni 2024 wurde die Zugverbindung zwischen dem Kaspischen Meer und dem Persischen Golf eröffnet (9). Zur gleichen Zeit werden die Routen von Europa nach Asien durch den Suezkanal gefährlicher. Die Huthi-Rebellen im Jemen bedrohen die Frachtschiffe im Roten Meer, als Antwort auf den Völkermord Israels in Gaza. Im Handelskrieg mit dem Westen hat sich Moskau durchgesetzt.
Allerdings wirken sich die Folgen des Wirtschaftskriegs auf die USA und Europa unterschiedlich aus. Die Ukraine ist der größte Verlierer dieses Krieges, ein ganzes Land, Hunderttausende Menschen werden geopfert auf dem Altar geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen. Der zweite Verlierer ist Deutschland.
Das Münchner Ifo-Institut registriert einen Rückgang des Geschäftsklima-Index in der Autoindustrie im August 2024: Er fiel um 6,2 Prozent auf minus 24,7 Prozent, ein regelrechter „Sturzflug“ der Stimmung, wie Ifo-Expertin Anita Wölfl mitteilte. Es mangele an Aufträgen, insbesondere aus dem Ausland (10). Wegen der hohen Energiepreise beabsichtigen 37 Prozent der Industrieunternehmen, ihre Produktion in andere Länder zu verlagern. Führende Wirtschaftsinstitute warnen, dass Deutschlands Wachstumskräfte schwinden (11).
In einer Studie der Schweizer Hochschule IMD verliert die deutsche Wirtschaft bei fast allen Standortfaktoren (12). Die Auskunftei Creditreform registriert so viele Firmenpleiten wie seit fast zehn Jahren nicht mehr (13). Das Institut der Deutschen Wirtschaft sieht hohe Netto-Abflüsse von Direktinvestitionen aus Deutschland und spricht von Deindustrialisierung (14).
China und die USA emanzipieren sich vom deutschen Exportismus. Die Abkoppelung von der preisgünstigen russischen Energie beeinträchtigt Deutschlands Industrie. Das Leibnitz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Creditreform rechnen im Schließungsreport vor, dass im vergangenen Jahr 176.000 Unternehmen geschlossen wurden. Als Hauptursache sehen sie hohe Energie- und Investitionskosten, unterbrochene Lieferketten, Personalmangel und politische Unsicherheit. Das alles sei für die Wirtschaft ein „toxischer Cocktail“ (15).
Die Eliten des Westens haben sich in eine Sackgasse manövriert, und statt sich zu besinnen, trieben sie die Bevölkerung immer tiefer in den Ukrainekrieg hinein.
Auch dies hat wirtschaftliche Gründe. Beim Besuch in Kiew hat US-Senator Lindsey Graham am 6. September 2024 deutlich gemacht: Die Ukraine sitze auf Rohstoffen im Wert von Billionen US-Dollar, die „für die US-Wirtschaft gut“ seien, und dass die Ukraine kämpfe, damit die USA nicht kämpfen müssen (16). Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter:
„Wenn Europa die Energiewende vollziehen will, braucht es eigene Lithium-Vorkommen. Die größten Lithium-Vorkommen in Europa liegen im Donezk-Lugansk-Gebiet (…). Also haben wir hier auch ganz andere Ziele noch im Hintergrund“ (17).
Allerdings wird US-Präsident Trump mit seiner Initiative, sich ukrainische Bodenschätze im Wert von 500 Milliarden Dollar zu sichern, dem Groß-Strategen Kiesewetter einen Strich durch die Rechnung machten. Die USA waren wieder einmal schneller (18).
Der stellvertretende Leiter des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Dimitri Medwedew, postete am 30. August 2024 auf Telegram:
„Nach frei zugänglichen Daten wird der Gesamtwert der ehemaligen ukrainischen Bodenschätze auf fast 14,8 Billionen Dollar geschätzt, aber 7,3 Billionen Dollar davon befinden sich jetzt in den Volksrepubliken Luhansk und Donezk. Das bedeutet, dass sich fast die Hälfte des nationalen Reichtums der ehemaligen Ukraine im Donbass befindet! Die Ressourcen der Regionen Krim, Saporoshje und Cherson, die ebenfalls an Russland zurückgefallen sind, werden auf weitere 821 Milliarden Dollar geschätzt. All dies entspricht fast 63 Prozent der Kohlevorkommen der ehemaligen Ukraine, 42 Prozent der Metallvorkommen und 33 Prozent der Seltenen Erden und anderer wichtiger Materialien, einschließlich Lithium. Um an die begehrten Bodenschätze zu gelangen, verlangen die westlichen Parasiten schamlos, dass ihre Schützlinge bis zum letzten Ukrainer Krieg führen.“
Aber es geht nicht nur um jene Ressourcen, die den tendenziellen Fall der Profitrate in den westlichen Industrienationen aufhalten und die Strategie der Dekarbonisierung stützen können (19).
Es geht um den Fortbestand der Dollarwirtschaft. Genau deshalb werden die USA weiter versuchen, Russland einzudämmen.
Der Dollar gilt als Weltreservewährung. Deshalb kann die US-Notenbank unbegrenzt Dollars emittieren. Denn jede Nation benötigt Dollar und muss Dollarreserven vorhalten, um zu handeln und vor allem Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas zu erwerben. Deshalb können die USA ihre Inflation exportieren: Die gesamte Welt funktioniert wie ein Schwamm, der diese Inflation aufsaugt und der US-Regierung ermöglicht, riesige Defizite aufzubauen, einen astronomischen Militäretat zu finanzieren und der einem winzigen Teil der Bevölkerung erlaubt, sich maßlos zu bereichern. Wer aus der Dollarwirtschaft ausscheren will, erleidet das Schicksal von Libyen, Irak, Iran oder Venezuela. Hier kommt Russland ins Spiel: Denn Russland ist eine Bedrohung für die Proliferation des US-Dollars. Russland ist in den vergangenen 20 Jahren erstaunlich resilient geworden und kann nicht einfach durch eine militärische Intervention in die Knie gezwungen werden. Russland reduziert die Größe des Dollar-Schwamms. Je kleiner aber der Schwamm, desto schwieriger wird es für die USA, ihr Defizit zu finanzieren und ihre wirtschaftliche Hegemonie aufrechtzuerhalten (20).
Hier werden – aus unterschiedlichen Perspektiven — die eigentlichen Kriegsgründe erkennbar. Emmanuel Todd geht davon aus, dass in dieser Hinsicht der dritte Weltkrieg bereits begonnen habe. Diese weltweite Auseinandersetzung verlaufe aber anders, als der Westen sich das wünscht. Er nennt zehn große Überraschungen dieses Krieges in der Ukraine:
„Die zehnte und letzte Überraschung materialisiert sich gerade. Es ist die Niederlage des Westens. Man mag sich über eine solche Aussage wundern, wenn der Krieg noch nicht vorbei ist. Aber diese Niederlage ist sicher, denn der Westen zerstört sich eher selbst, als dass er von Russland angegriffen wird“ (21).
Dem weiteren wirtschaftlichen Sturzflug werden sich die Vereinigten Staaten entgegenstemmen — auch auf Kosten ihrer Vasallen. Im Ukrainekrieg sind sie gegen Russland militärisch nicht durchgekommen. Deshalb hat Trump mit Putin auch über die Dollarwirtschaft gesprochen — und deshalb zielt er verstärkt ab auf Kooperation statt auf Konfrontation. Dass dabei die Europäer dumm dastehen, ist ein durchaus erwünschter Kollateralschaden.