Das Ende einer Ära

Angela Merkel verlässt die politische Bühne. Gottseidank!

Nach drei Amtsperioden verkündete Angela Merkel, dass sie zum vierten Mal für das Amt der Bundeskanzlerin kandidieren würde. Im Kopf von Torsten Kemme hinterließ diese Information eine große Frage: Warum? Er ging ihr auf die Spur und stieß auf die einzig mögliche Antwort.

„Wenn einer, der mit Mühe kaum
Gekrochen ist auf einen Baum,
Schon meint, daß er ein Vogel wär,
So irrt sich der“
— Wilhelm Busch.

Warum sie Kanzlerin bleiben wollte

Mit ihrer Aussage, sie hätte sich nach reiflicher Überlegung entschieden, zum vierten Mal für das Amt der Bundeskanzlerin zu kandidieren, bin ich seinerzeit nicht zurechtgekommen. Warum tut sie sich das an, habe ich mich gefragt. Warum entscheidet sie sich nicht für ein verdientes Privatleben, jetzt, auf dem Höhepunkt ihrer allgemeinen Beliebtheit? Dreifache Kanzlerschaft erfolgreich gestalten, das muss ihr erst einmal einer nachmachen — von ihrem Vorgänger Kohl mal abgesehen.

Jetzt aber glaube ich zu wissen, warum sie sich für eine weitere Amtsperiode entschieden hat. Den entscheidenden Hinweis gab sie in einem Interview mit Anne Will letztes Jahr vor der Wahl. „Ich bin neugierig und hab noch Energie“, gab sie in etwa als Grund für eine erneute Kanzlerkandidatur an. Also nicht irgendwelche Projekte zu Ende führen oder Probleme lösen wollte sie — zum Beispiel Schaden vom deutschen Volk abwenden –, nein, das war alles nicht wichtig genug für sie.

Jetzt weiß ich, ihr ging es um etwas ganz anderes: Sie wollte ausprobieren, wie es ist, wenn sie ‚Kanzlerin‘ nur schauspielert. Das kann ich gut verstehen. Über viele Jahre war ihre Kanzlerschaft die ernsteste Sache der Welt. Das ist auf die Dauer sehr ermüdend und weckt natürlich den Wunsch, einmal anders daherzukommen: leichtfüßiger, spielerischer, lustiger.

Die Bevölkerung in ihrer verdruckten Politikverdrossenheit mal etwas aufheitern oder sogar zum Lachen bringen, eine völlig neue Sichtweise auf sie als Kanzlerin provozieren, das war dann wohl ihr Wunsch. Und sie selbst konnte endlich ihrer Liebe zum Theater frönen und in der gewählten Rolle als Kanzlerin zeigen, wie lebensecht sie schauspielern kann.

Ihre ersten beiden Aufführungen

Und dann, nach ihren ersten beiden Auftritten — der Regierungsbildung und der Auseinandersetzung mit der CSU in der Asylpolitik — muss ich sagen: Donnerwettstock, das hätte ich ihr nicht zugetraut, das war eine reife schauspielerische Leistung!

Sie hat ihre Kanzlerin-Rolle so gut gespielt, dass niemand auf die Idee gekommen ist, dass das Ganze nur Spaß war und perfekte Unterhaltung. Nur wer genau hinschaute, konnte vielleicht mitbekommen, wie sie bei all dem Theater oft ein leichtes Schmunzeln im Gesicht und offensichtlich viel Freude hatte. Anders wäre diese frohe Laune ja auch gar nicht zu verstehen gewesen.

Ihre Sprüche als Machtwort, einfach Klasse

Allerdings — einiges hätte ich denn doch noch gar zu gerne gewusst. Die Szene mit den zwei Anläufen zur Regierungsbildung zum Beispiel. Einige ihrer Mitspieler müssen eingeweiht gewesen sein, zumindest der Lindner und dann danach der Steinmeier. Wie hat sie das geschafft? Das funktionierte ja fantastisch.

Beim Lindner ist mir aufgefallen, dass er beim Abgang in etwa sagte:

„Besser gar nicht regieren als falsch regieren!“

Toller Spruch. Ist der von ihr? In Sprüchen ist sie ja schon immer gut gewesen. „Wenn der Euro stirbt, stirbt Europa!“ hatte sie seinerzeit in den Bundestag hineingerufen. Das war so überzeugend, dass keiner gemerkt hat, dass viele Länder in der EU auch ohne Euro recht gut leben.

Oder „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht!“ Ein unglaublich gescheiter Spruch, hochanständig. Und das aus dem Mund der höchsten Kontroll-Instanz aller Sicherheits- und Geheimdienste. Da ist ihre Beliebtheit in der Bevölkerung sicher gleich um weitere 10 Punkte nach oben gerutscht. Deshalb weiß auch bis heute niemand, dass sie über alles Bescheid wusste. Oder „Asylrecht kennt keine Obergrenze!“ Wow! Irre! Einmalig! Und schon gerät jede Überlegung über die Leistungs- und Aufnahmefähigkeit eines Landes ins Abseits.

Steinmeier, ihr treuer Gefolgsmann

Der Steinmeier hat ja dann auch ganze Arbeit geleistet, in ihrem Sinne. Also wie der den Schulz bearbeitet hat — Wahnsinn! Da wäre ich gern dabei gewesen.

Vermutlich hatte sie den Bundespräsidenten noch beruhigen müssen, weil er sich nicht traute, so massiv auf die Meinungsbildung einer Partei Einfluss zu nehmen, denn: Seine Zuständigkeit als Bundespräsident hatte er damit ja eindeutig überzogen. Dabei ist der Steinmeier ja so korrekt. Aber immerhin war er von ihr quasi parteiübergreifend gewählt worden und so in sein Amt gekommen. Da hatte sie wohl noch was gut bei ihm.

Es war ihr Drehbuch, ganz sicher

Also wenn ich mir das so überlege, hat sie nicht nur die Hauptrolle gespielt, sondern sicher auch noch das Drehbuch geschrieben, mit allen Einzelheiten. Die zweite Szene, der Streit mit der CSU – also mein Kompliment, da muss man erstmal darauf kommen. Das hat sie wunderbar hingekriegt. Obwohl, wer genauer hingeschaut hätte, hätte bemerken können, dass sie nur Theater spielt.

Sie hatte nämlich von vornherein auf Ihre Kanzler-Macht verzichtet; das war schon ungewöhnlich, riskant. Aber sie hatte sich ja vorher mit Seehofer abgesprochen, sein Ultimatum gab dem Ganzen etwas Komödiantisch-Bukolisches, quasi verkehrte Rollen, einfach herrlich! Das war ihre Handschrift, ihr Drehbuch, ganz ohne Zweifel. Weil es auch ihrer Neigung entgegenkam, jede Art von Führungsverantwortung für ein Team zu vermeiden, alle demokratischen Institutionen mit ihrer Diskutier-Sucht zu ignorieren und die Dinge lieber im Alleingang zu regeln.

Vertane Chancen?

Was ich allerdings nicht verstehe: Warum hat sie nicht auch jemanden von der AfD fürs Drehbuchschreiben hinzugenommen? Zum Beispiel Beate von Storch. Dann wäre noch der Schießbefehl an der deutschen Grenze gegenüber Flüchtlingen ein wichtiges Thema geworden. Und das hätte dem Ganzen dann doch mehr Pep gegeben. Und ihr geliebter Busenfreund, der Menschenfreund Netanjahu, hätte mit seinen Gaza-Grenzzaun-Erfahrungen ruhig auch noch seinen Beitrag zu dieser Aufführung geben können. Dann wäre sie perfekt gewesen.

Na ja, wenn ich es recht bedenke, vielleicht war es doch ganz gut, dass sie nicht alle Register gezogen hat. Denn sie will natürlich nicht den Eindruck erwecken, dass sie nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht. Und sie möchte uns Bürgern sicherlich nicht unbedingt nahelegen zu glauben, dass sie Flüchtlinge und Palästinenser nicht als Menschen im Sinne unseres Grundgesetzes betrachtet; das wäre doch echt kontraproduktiv. Ihr Freund Netanjahu hat da ja ohne Grundgesetz ganz andere Möglichkeiten als sie, sich seine Realität zurecht zu fantasieren; aber als glaubwürdiger Politiker hätte er vielleicht auch nicht so richtig in diesen Kontext gepasst.

Die hohe Kunst der Schauspielerei

Politik ist die hohe Kunst der Schauspielerei. Kein Wunder, dass Schauspieler wie Reagan und Schwarzenegger problemlos in ihr neues Metier überwechseln konnten. Für mich und auch für die meisten Bürger in Deutschland ist unsere Bundeskanzlerin deshalb eine begnadete Politikerin.

Allerdings kenne ich einige Politiker, die ihr fast ebenbürtig sind. Dazu gehört zum Beispiel der ehemalige US-Präsident Bush junior mit den von ihm behaupteten Massenvernichtungswaffen im Irak — für Frau Merkel mit Recht seinerzeit ein Grund, sich, und damit Deutschland, an seiner Seite zu sehen.

Oder Präsident Erdogan, der uns glaubwürdig vermittelt, dass nahezu die Hälfte der türkischen Bevölkerung in den Putsch gegen ihn verwickelt war und deshalb ins Gefängnis gehört. Oder Ministerpräsident Netanjahu, der uns immer wieder glaubhaft darlegt, dass sich sein Land gegen kleine Kinder, Mütter und alte Menschen verteidigen müsse und dass die gefährlichen Umtriebe dieser Menschen eigentlich nur mit einer Intervention im Gaza-Streifen unterbunden werden könnten. Putin gehört letztlich auch dazu, mit seinem Märchen, die Krim sei in Wirklichkeit russisches Gebiet. Allerdings ist ihm, im Gegensatz zu den anderen Politikern, der Überzeugungsakt doch nicht ganz gelungen.

Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. Immer geht es darum, uns Bürgern mit großer Überzeugungskraft und schauspielerischem Talent Fake News gezielt als wahre Wirklichkeit zu verkaufen — und die daraufhin folgenden Aktionen als einzig mögliche Option. Und diese Option ist dann oft für viele Menschen eine Katastrophe. Aber das ist dann nun mal so und lässt sich nicht immer vermeiden.

Sie jedoch, unsere verehrte Frau Bundeskanzlerin, ist den anderen letztlich doch einen großen Schritt voraus. Denn sie macht es genau umgekehrt. Während etliche Politiker mit der Feststellung, sie würden sich große Sorgen machen, nur signalisieren, dass sie nicht schauspielern können und sich deshalb ziemlich hilflos vorkommen, geht sie konsequent ihren Weg: Sie schafft es, reale Vorgänge als Fake News darzustellen, mit der Folge, sie nicht weiter beachten zu müssen. Das ist nun wirklich genial. Damit erreicht sie auf Anhieb, Schaden vom deutschen Volk abzuwehren, wie es so treffend in ihrem Amtseid heißt. Das Thema ‚Sorgen‘ kommt damit gar nicht erst ins Spiel.

Mir fallen da etliche Beispiele ein. Da ist die NSA-Affäre, der sie locker mit ein paar Statements den Garaus gemacht hat. Oder die Griechenlandkrise, die sie als erfolgreich abgeschlossen verkündete. Oder die Flüchtlingskrise, von der sie zum Schluss mit einigen Nebenkriegsschauplätzen — Stichwort „Obergrenze“ — gekonnt abgelenkt hat. Oder die permanenten Menschenrechtsverletzungen durch die israelische Regierung, denen sie auf unglaublich überzeugende Art durch permanentes Schweigen jegliche Beachtung verweigert.

Uns Bürger schützt sie so davor, als glühende Verehrer unseres Grundgesetzes in eine gefährliche Orientierungslosigkeit zu stürzen. Alles Beispiele dafür, dass sie sich darum kümmert, dass es uns gut geht und wir uns keine überflüssigen Gedanken machen müssen über den Zustand der Welt, in der wir leben. Ihre schauspielerische Fähigkeit, selbst die schwerwiegendsten Vorgänge mit einem Lächeln oder einigen einfachen Worten, denen jeder folgen kann, aus der Welt zu schaffen, zahlt sich hier als großer Segen für unser Land aus. Dafür kann man ihr gar nicht genug danken.

Aufführungen von der feinsten Art

Apropos Putin: Ich kann mir gut vorstellen, dass sie sich mit ihm besonders gut versteht. Allein weil sie auch russisch sprechen kann; wer kann das schon? Das verbindet. Diese Vertrautheit konnte sie jetzt im Sommer ja gut nutzen.

Sie ist in Länder gereist, die sie nicht so ohne weiteres besuchen kann, wenn sie sich erstmal entschieden hat, sich ganz auf das Schauspielen auf der Bühne einzulassen. Da standen dann Aserbaidschan, Armenien und Georgien auf dem Reiseplan, alles Länder, die aus russischer Sicht im Putin’schen Einflussbereich liegen. Sie hat ihren Gastgebern Hoffnungen auf eine mögliche EU-Mitgliedschaft gemacht — das sah ganz schön mutig aus und war wieder mal extrem witzig.

Und sie hat wichtige Gespräche geführt; das glauben wir ihr unbesehen, obwohl niemand jemals etwas über die Inhalte dieser Gespräche und ihre Bedeutung erfährt. Vielleicht war es immer eine fröhliche Runde, die sie mit ihren Gastgebern verbringen konnte. Was kann man da viel erzählen, eigentlich gar nichts. Mit ihrer souveränen Art schafft sie es aber immer wieder, einen großartigen Eindruck zu hinterlassen und uns ganz nebenbei davon zu überzeugen, dass auch unser sehr kompetenter und kommunikationsstarker Außenminister Maas, was die Gestaltung dieser Gespräche anbelangt, ihr nicht das Wasser reichen kann.

Und Putin war sicher eingeweiht — irgendwann in diesen Tagen hat sie sich dann heimlich mit ihm getroffen, und beide haben sich schlapp gelacht über die verblüfften und ängstlichen Gesichter der europäischen Politiker.

Sie hat eben Sinn für einen unverfälschten skurrilen Humor und viel Spaß in ihrem Job.

Diesen sehr erfrischenden Zeitvertreib hat sie dann kurz darauf durch ihren Besuch einiger afrikanischer Länder, der sogenannten Flüchtlingsherkunftsländer, wiederholt. Auch hier wieder: Außer dass sie ihren Gesprächspartnern etwas Entwicklungshilfe zum Aufbau ihres Landes versprochen hat, war es vor allem jeweils ein geselliges Zusammensein mit ihren Gastgebern. Diese Pausen braucht man einfach zum Atemholen in diesem knallharten Bundeskanzler-Job. Sie hätte diesen Abstecher nach Afrika natürlich auch ihrem Entwicklungshilfeminister Müller allein überlassen können, aber dann hätte sie ja diesen Spaß verpasst.

Und außerdem, wie das Leben so spielt, wäre sie — zur falschen Zeit am falschen Ort — direkt in das Schlammassel von Chemnitz hineingeraten. Man stelle sich das mal vor. Also ein Super-Timing von ihr, mein großes Kompliment. Dieses Instinktive, das hat sie einfach drauf.

Zweierlei Maß – das könnte gefährlich werden

Ich muss schon sagen, sie lässt nichts aus, wenn es darum geht, sich schauspielerisch in Szene zu setzen. Und wenn es darum geht, sich auch an Extremsituationen auszuprobieren, bevor sie endgültig das Metier wechselt.

Das Treffen mit Erdogan, das war sicher eine echte Herausforderung. Gottseidank hatte sie wieder ihren treuen Freund Steinmeier an ihrer Seite. Denn Erdogan war wohl in diesem Fall nicht eingeweiht; wahrscheinlich hat er sich mit seiner Dickköpfigkeit richtig bockig gezeigt. Aber auch diese Situation hat unsere Kanzlerin herausragend gut gemeistert. Uns Bürger hat sie jedenfalls mit ihrer überzeugenden Gradlinigkeit schwer beeindruckt. Es tut gut, wenn man weiß, dass unsere obersten Politiker unser Grundgesetz ernst nehmen. Das ist dann wahre vorgelebte Demokratie.

Allerdings könnte man ihr eines nicht ganz fernen Tages doch auf die Schliche kommen, dass alles nur geschauspielert war. Dann nämlich, wenn man vergleicht, wie sie sich gegenüber Erdogan einerseits und Netanjahu andererseits verhält: Denn ihr erklärter Busenfreund hat eine ganze Menge mehr auf dem Kerbholz. Sie weiß das natürlich. Aber ihm schenkt sie U-Boote, während sie Erdogan nicht einmal mit einem Lächeln bedenkt. Das fällt natürlich auf. Und es könnte nachdenkliche Bürger in unserem Land zu der Frage verleiten: Handelt unsere Bundeskanzlerin immer im Sinne unseres Grundgesetzes? Also da müsste sie etwas aufpassen.

Letztlich aber, davon bin ich überzeugt, kriegt sie das hin; sie ist jederzeit in der Lage, im Handumdrehen alle Bedenken zu zerstreuen. Als Schauspielerin muss man sich eben in verschiedenen Rollen wie zu Hause fühlen.

Vorfreude auf die weitere Regierungszeit

Also insgesamt, wie uns unsere sehr geehrte, liebe Frau Bundeskanzlerin durch alle Widrigkeiten führt, so leicht, so einfach, so beruhigend, das ist schon eine reife Leistung. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie uns die nächste Zeit noch so einiges an schauspielerischen Leckerbissen bieten wird. Vielleicht beim Brexit in der Endphase. Ein Thema, das sich ja geradezu anbietet, auf hohem Niveau bespielt zu werden.

Blöd ist natürlich nur, dass viele Bundesbürger immer noch nicht gemerkt haben, dass Frau Merkel ihre Kanzlerschaft als Schauspielerei betrachtet. Sie nehmen ihr deshalb bisweilen einen angeblichen Realitätsverlust übel. Deshalb gingen wohl auch ihre Beliebtheitswerte nach unten. Richtig schade.

Möge sie ihrer Berufung folgen!

Aber jetzt hat unsere Kanzlerin ja einen ersten Rückzug angekündigt und zelebriert. Wieder ein fantastisches Timing. Gerade noch rechtzeitig, bevor ihre eigenen Anhänger zu stöhnen anfangen „Was muss eigentlich noch alles passieren, damit sie endlich mal an sich selbst denkt?“

Sie wird also nicht wieder für das Amt der CDU-Parteivorsitzenden kandidieren. Aber sie bleibt weiterhin unsere Kanzlerin. Angeblich bis 2021. Dann zelebriert sie den zweiten historischen Auftritt. Aus eins mach zwei. Einfach Klasse. Was für eine kluge Frau.

So kann sie zweimal als Hauptdarstellerin den glanzvollen Moment eines epochalen Ereignisses genießen. Sie ist eben ein echtes Schauspiel-Talent und weiß ihre Situation voll auszureizen. Außerdem: Von Dezember an kann sie sich dann fast zwei Jahre lang ganz auf ihre Rolle als Kanzlerin konzentrieren, welch eine Chance für ihre herausragende Schauspielkunst!

Natürlich hätte sie jetzt gleichzeitig auch ihren Rücktritt als Kanzlerin ankündigen können — zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen. Weil sie einfach keine Lust mehr hat, weiterhin diesem sperrigen Deutschland zu dienen. Dafür hätte jeder Verständnis gehabt. Der Zeitpunkt war günstig. Dann hätte sie bereits im nächsten Jahr ihrer Berufung folgen und Schauspielerin an einem Theater werden können, etwa am Wiener Burgtheater oder, wenn ihr das zu ambitioniert erschienen wäre, am Millowitsch-Theater in Köln. Mit ihrer Rolle als Bundeskanzlerin hätte sie auf jeden Fall einen fulminanten Erfolg.

Für uns Bundesbürger wäre das natürlich besonders vorteilhaft gewesen: Dann hätten wir tatsächlich in Kürze die Chance auf einen männlichen oder weiblichen Kanzler bekommen, der sich ernsthaft darum kümmern würde, die für uns wichtigen Probleme endlich anzugehen und gelöst zu bekommen.

Aber sie hat es jetzt anders gemacht, eben in zwei Schritten. Mit dem besonderen Vorteil: Jetzt kann sie ihrem Schauspielerkollegen Seehofer, der ja nicht immer nett zu ihr gewesen ist, als amtierende Bundeskanzlerin in aller Seelenruhe den Laufpass geben. Im Grunde könnte sie das auch bis zum Jahresende schaffen. Dann könnte sie sich, sicher überraschend für alle Auguren, noch in diesem Jahr von ihrer Rolle als Kanzlerin verabschieden.

Sie wäre dann einfach nicht mehr da und würde auch nicht mehr wiederkommen. Ich glaube, das könnte jeder wohlwollend nachvollziehen — und würde sie aufs Angenehmste in liebevoller Erinnerung behalten.