Das Elend einer Mitgliederbefragung
Die österreichischen Sozialdemokraten, unfähig, die wirklichen Probleme zu lösen, lassen drei blasse Kandidaten gegeneinander um den Vorsitz antreten.
Während 400 Kilometer östlich von Wien entfernt Munitionsdepots in die Luft fliegen, Kiew, Lwiw, Odessa, Charkiw und andere ukrainische Städte mit „Kinschal“-Raketen beschossen werden und die ukrainische Armee auch nicht verträumt im Gras liegt; während weiter im Osten an der über 1.000 Kilometer langen Front täglich Hunderte ukrainische und russische Soldaten ums Leben kommen, weil täglich bis zu 20.000 Präzisionsraketen ihre Ziele nicht verfehlen — in dieser Situation gibt sich die „Sozialdemokratische Partei Österreichs“, im Volksmund „SPÖ“ genannt, einer denkbar kläglichen „Mitgliederbefragung“ hin.
Zur überalterten Kleinpartei geschrumpft
Diese Mitgliederbefragung enthüllt unfreiwilliger Weise, als ob man sich ins eigene Knie schießt, mehrere betrübliche Sachverhalte. Der Aufruf zur Befragung richtet sich an circa 160.000 Mitglieder im Durchschnittsalter von 60 Jahren. Viele junge, das Zukunftspotenzial darstellende Menschen sind nicht in dieser „Partei“. Die Befragung zerreißt die Partei noch mehr, denn die zwei männlichen Kandidaten und die eine weibliche Kandidatin haben völlig unterschiedliche Mentalitäten und sprechen daher völlig verschiedene Parteikreise an.
Weiter haben die anderen Parteien, die mit der „SPÖ“ im demokratischen Wettstreit liegen, sich eine Hetz gemacht und Leute ausgeschickt, rasch „SPÖ“-Mitglied zu werden, um an der Befragung teilnehmen und sie ad absurdum führen zu können. Wenigstens das hat nicht funktioniert. Aber die Narrenkappe hat die Partei aufbehalten.
Die drei Kandidaten
Gewünscht hat sich das Spektakel einer Mitgliederbefragung Hans Peter Doskozil in seiner derzeitigen Funktion als alleinherrschender Landeshauptmann des Burgenlands, dem ärmsten Bundesland Österreichs. Vor seiner Karriere als Politiker übte er den Beruf eines Polizisten aus und schaffte es bis ins Amt eines Landespolizeidirektors des Burgenlands.
„Von 21. Dezember 2017 bis 28. Februar 2019 war er burgenländischer Landesrat für Kultur, Infrastruktur und Finanzen in der Landesregierung Niessl IV. Von 26. Jänner 2016 bis 18. Dezember 2017 war er Bundesminister für Landesverteidigung und Sport in den Bundesregierungen Faymann II und Kern“, so Wikipedia. Niessl IV, Faymann II, Kern – Kürzel für unbedeutende SPÖ-geführte Koalitionsregierungs-Intermezzi, die hier nicht von Interesse sind.
Die weibliche Kandidatin heißt Rendi Wagner und ist rein äußerlich betrachtet das herzeigbarste Gesicht der Partei. Über das Äußere hinaus ist ihr allerdings als Vorsitzende der „SPÖ“, die seinerzeit durch die Koalitionsregierungsübereinkunft zwischen Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache Ende 2017 in die Opposition gedrängt wurde, nicht viel gelungen. Rendi Wagner, die, nachdem „Kern“ kein Regierungsleiberl mehr hatte und hinschmiss, zum Parteivorsitz kam wie die Jungfrau zum Kind, ist in ihrem bürgerlichen Beruf Ärztin und soweit ich es beurteilen kann, hat sie in der Mitgliederbefragung als Kandidatin mit den wenigsten Stimmen das Schicksal ereilt, in ihren Beruf zurückkehren zu müssen. Das mag für sie bitter sein, ist aber gerecht.
Und nun der dritte Kandidat, der wie der Phönix aus der Asche kam, der Jungstar, der Hoffnungsträger, von dem merkwürdigerweise gesagt wird, er habe eine „marxistisch-leninistische Vergangenheit“: Andreas Babler.
„Er galt als Vertreter des linken Flügels der Sozialistischen Jugend und unterstützte das Konzept des Staatsmonopolistischen Kapitalismus“, heißt es in der Wikipedia. Schön für ihn. An wen erinnert mich das? Richtig! An Kevin Kühnert, einst leidenschaftlich dem JUSO-Netzwerk Linkes Zentrum verbunden, heute gern gesehener Gast in Hetz-Talkshows, als Generalsekretär der SPD die Kriegstreiberei von Kanzler Scholz verbal abzumildern.
Damit bin ich beim Thema. Entweder habe ich es überhört oder Anderas Babler hat im Zuge seiner Kampagne tatsächlich kein Sterbenswörtchen über die Kriegstreiberei in der EU verloren. Wenn der eine „marxistisch-leninistische Vergangenheit“ hat, dann haben alle eine „marxistisch-leninistische Vergangenheit“.
Die letzten Tage der Menschheit 2.0
Die Mitgliederbefragung dieses Häufchen Elends namens „SPÖ“ interessiert mich einen feuchten Kehricht! Was mich wirklich auf die Palme bringt, ist das Sittenbild meines Landes, das durch dieses abwegige Spektakel ans grellste, Schmerzen auslösende Licht gebracht wird.
Als der Habsburgische Vielvölker-Moloch irgendwo auf weit entfernten Gebieten der Monarchie seine letzten Schlachten ausfocht, schaute Karl Kraus in Wien dem Volk und seinen staatlichen und militärischen Repräsentanten aufs Maul und schrieb das Unglaubliche, das er zu hören bekam, auf. Entstanden ist ein Schauerstück über den Untergang einer Zivilisation, die sich — schon in ihren letzten Zuckungen — einbildet, über dem Krieg zu stehen, ihn nicht an sich heranlassen zu müssen, so tut, als gäb’s ihn nicht und dennoch ständig Öl ins Feuer gießt. Genau dieses degenerierte Verhalten hat ihren Untergang beschleunigt.
Karl Kraus konnte dieses Werk in der Form nur verfassen, weil das Kriegsgeschehen, die Fronten, die Hauptstadt Wien nicht berührten und seine Bevölkerung daher glaubte, heil davon zu kommen. Das böse Erwachen kam, als die Monarchie den Krieg verlor und sich das Jahrhunderte lang existierende Habsburger-Reich in Luft auflöste.
Der Volksschauspieler Helmut Qualtinger hat seinerzeit auf vier wohlfeilen Vinyl-Schallplatten Passagen aus den „Letzten Tagen der Menschheit“ gelesen. Diese Scheiben haben sich in meiner Jugend Tag und Nacht auf dem Plattenteller gedreht. Ich habe ganze Passagen auswendig gekonnt. Was haben wir gelacht, als ich die Sketsche in durchzechten Nächten zum Vortrag brachte. Dass mich eine solche Realität, wie sie Karl Kraus abbildete, jemals einholen würde, war unvorstellbar. Es ist geschehen.
Die Journalisten
Bedeutende Rollen spielen bei Kraus die Journalisten, über deren blödsinnigen Sermon er sich auf bissigste Weise lustig macht. Er hat weder die Personen, noch ihre Einlassungen erfunden, sondern einfach in die bunte Blätterlandschaft seiner Zeit geschaut und aus dem ganzen Holler das für ihn Brauchbare herausgefiltert.
Und heute? Heute ist das Fernsehen die Botschaft. Und dort hocken sie, die Journalisten und Journalistinnen, schminktechnisch hergerichtet, und sondern ihre hochnotpeinlichen Kommentare ab. Wer wird das Rennen machen? Kommt es zur Kampfabstimmung zwischen Doskozil und Babler? Was wird die Wagner Rendi machen? Und wo bleibt das Parteiprogramm? Wofür steht die „SPÖ“?
Das kann ich leicht beantworten. Sie steht für nichts anderes, als die verkehrte Welt der EU. Und wofür diese steht, für Krieg, Waffenlieferungen, Antidiplomatie, daran will weder die Journaille noch die „SPÖ“ Kritik üben. Die Medien weiden sich lieber am Unglück einer einst halbwegs integeren Partei, die für mich lange Zeit das berühmte „kleinere Übel“ dargestellt hat. Mit der „Mitgliederbefragung“ und den drei in jeder Hinsicht, rechts, mittig, links, oben, zwischengeschossig, unten, seichten Kandidaten ist aus dem kleineren ein großes Übel geworden. Diese Partei wird, wer immer ihr Vorsitzender oder ihre Vorsitzende sein wird, keinen Beitrag leisten, das Unheil, auf das die Welt zusteuert, abzuwenden.