Das „Drecksloch-Land“
„Ob ein Land ein Drecksloch-Land ist, hängt von Ihrer Perspektive ab“, kontert Chris Hedges US-Präsident Trump, der meint, Ghana, El Salvador und „Afrika“ seien „Shithole Countries“.
Chris Hedges, der fast zwanzig Jahre lang als Auslandskorrespondent, unter anderem in Mittelamerika, tätig war, untersucht in diesem Artikel die Rolle der USA in den politischen Verwerfungen Mittelamerikas. Diese Rolle ist so vielfältig wie die Verbrechen, die von den USA oder ihren Handlangern in Mittelamerika begangen wurden. Da ist zum einen die Unterstützung korrupter und skrupelloser „Herrscher“ und Oligarchen, die es den USA im Gegenzug ermöglichten, eigene wirtschaftliche Interessen ebenso skrupellos durchzusetzen. Zum anderen die Hilfe, die die USA immer wieder bereit waren zu leisten, wenn es um die Niederschlagung von Protesten und friedlichen Demonstrationen der „geschundenen Seelen“ ging, der armen Landarbeiter, der Enteigneten, der „Verdammten der Erde“. Welches Land ein Drecksloch-Land ist, hängt daher entscheidend von der Perspektive ab.
Ich habe fünf Jahre lang über den Krieg in El Salvador berichtet. Dieser Krieg war ein Bauernaufstand der Enteigneten gegen die 14 herrschenden Familien und die Handvoll amerikanischer Unternehmen, die El Salvador regierten, als sei es eine Plantage. Die Hälfte der Bevölkerung besaß kein Land. Arbeiter arbeiteten in entsetzlicher Armut als Leibeigene in den Kaffeeplantagen und auf den Zuckerrohr- und Baumwollfeldern.
Versuche, sich zusammenzuschließen und friedlich zu protestieren, um die riesige soziale Ungleichheit zu bekämpfen, wurden mit Gewalt erwidert — sogar mit Feuer aus Maschinengewehren, die auf Hausdächern im Zentrum San Salvadors aufgebaut worden waren und wahllos in die demonstrierende Menge schossen.
Anführer aus der Bauernriege, aus der Arbeiterschaft, aus Kirchen und Universitäten wurden von Todeskommandos entführt, grausam gefoltert und ermordet. Oft wurden ihre verstümmelten Leichen für alle sichtbar am Wegrand liegen gelassen. Als ich eintraf, wurden monatlich 700 bis 1.000 Menschen von den Todesschwadronen getötet.
Eine Aufständischen-Armee erhob sich, die Farabundo Martí Nationale Befreiungsfront (bekannt unter der spanisch-sprachigen Abkürzung FMLN), benannt nach dem Anführer eines Bauernaufstandes von 1932, der durch das Abschlachten Tausender oder gar Zehntausender niedergeschlagen wurde - viele der Opfer wurden in Massenhinrichtungen getötet.
Die FMLN nahm große Teile des Landes ein, das das korrupte und demoralisierte Militär unter seine Macht gebracht hatte. Im Herbst 1983 waren die Rebellen, von der Sandinisten-Regierung Nicaraguas mit Waffen versorgt, kurz davor, die zweitgrößte Stadt des Landes zu erobern. Zu Beginn habe ich die Armee nicht begleitet; das war zu gefährlich. Viel sicherer war es, mit der FMLN in den Kampf zu gehen. Ohne Einmischung von außen hätten die Rebellen El Salvador innerhalb von Monaten erobert und die Oligarchen vertrieben.
Indes, es gab, weit im Norden, ein Drecksloch-Land, das von einem früheren B-Listen-Schauspieler regiert wurde, der in „Bedtime for Bonzo“ eine Hauptrolle gespielt hatte und sich nun im Frühstadium der Demenz befand. Dieses Drecksloch-Land, das die Welt nur schwarz oder weiß sah, unterteilt in kommunistisch und kapitalistisch, war fest entschlossen, die Ziele der Armen und Landlosen zu vereiteln.
Dieses Drecksloch-Land wollte nicht erlauben, dass die Profite seiner Unternehmen wie United Fruit oder die lokale Macht der fügsamen Oligarchen, die nach seiner Pfeife tanzten, eingeschränkt würden. Es hatte nur Verachtung übrig für die Sehnsüchte der Armen, vor allem der Armen in Lateinamerika oder Afrika, die Verdammten der Erde, wie der Schriftsteller Frantz Fanon sie nannte — Menschen, die sich in den Augen derer, die das Drecksloch-Land regierten, lebenslang für die Oligarchen und die großen, mit diesen verbündeten Unternehmen, elendig schinden sollten.
Lasst doch die armen, braunen und schwarzen Menschen hungern, lasst sie zusehen, wie ihre Kinder ihren Krankheiten erliegen oder ermordet werden. Macht und Wohlstand, so glaubten die, die das Drecksloch-Land regierten, stand ihnen als von Gott gegeben zu. Als die Herren des Drecklochtums waren sie mit besonderen Attributen ausgestattet. Gott segnete Drecksloch-Länder.
Der chilenische Poet Pablo Neruda verstand, wie die Regierenden des Dreckslochlandes die Verdammten der Erde betrachteten. Er schrieb:
Als die Trompete erschallte, war
alles vorbereitet auf der Erde,
und Jehova teilte die Erde auf
an Coca Cola, Inc., Anaconda,
Ford Motors und andere Institutionen:
Die Fruit Company, Inc.
reservierte für sich selbst das Saftigste,
die zentrale Küste meines Landes,
die zarte Taille Amerikas.
Es taufte sein Land um
in „Bananenrepubliken“,
und über den schlafenden Toten,
über den ruhelosen Helden,
die die Größe gebracht hatten,
die Freiheit und die Fahnen,
errichtete es eine Komische Oper:
es brachte die Willkür zurück,
verschenkte Kronen des Cäsar,
holte den Neid wieder zurück, und zog
die Diktatur der Fliegen an…
Die Diktatur der Fliegen hatte ihre Schattenseiten. Es hob die Schwachsinnigen und Unfähigen auf ein Podest. Männer, deren Hauptattribute Brutalität, Verlogenheit und Diebstahl waren. Das waren durchweg unangenehme Kreaturen. Anastasio „Tachito“ Somoza in Nicaragua. Die Duvaliers in Haiti. Augusto Pinochet in Chile. Efraín Ríos Montt in Guatemala.
Diese Fliegen tanzten nach der Pfeife des Drecksloch-Landes. Sie waren bereit, ihre eigenen Leute ohne Bedenken zu ermorden und den Unternehmen gegen große Bestechungssummen Ausbeutung und Plünderung zu gestatten. Sicher, sie waren exzentrisch. Das sind die Verkommenen häufig. General Maximiliano Hernández Martínez, der durch einen Militärputsch an die Macht kam, stand der Regierung in El Salvador vor, die die Massaker von 1932 durchführte, die als „La Matanza“ (Die Schlächterei, A. d. Ü.) bekannt wurden.
Der General, der zurückgezogen lebte und sich nur selten in der Öffentlichkeit zeigte, war ein Anhänger des Okkulten und hielt Séancen in der präsidialen Residenz ab. Er war eines der Vorbilder für Gabriel García Marquez´ Porträt eines südamerikanischen Tyrannen in „Der Herbst des Patriarchen“. Martínez ahmte den Stil des italienischen faschistischen Diktators Benito Mussolini nach. Er verbot die Einwanderung von Arabern, Hindus, Chinesen und Schwarzen. Einst erklärte er:
„Es ist gut, dass Kinder barfuß gehen. Auf diese Weise können sie besser die wohltuenden Ausdünstungen, die Vibrationen der Erde aufnehmen. Pflanzen und Tiere tragen keine Schuhe“.
Und er sagte, es sei ein größeres Verbrechen, eine Ameise zu töten als ein menschliches Wesen, „weil ein Mensch, der stirbt, reinkarniert wird, während die Ameise für immer tot ist“. Sein Lösungsansatz für eine Masern-Epidemie war es, die Straßenlaternen mit Zellophan zu umhüllen, um die Luft zu reinigen. Er glaubte daran, dass gefärbtes Wasser die meisten Krankheiten heilen könne.
Wie überrascht die Regierenden des Drecksloch-Landes wären, wenn sie von den Dichtern, den Schriftstellern und den Künstlern wüssten, von den Intellektuellen und den Männern und Frauen großer moralischer Integrität wie zum Beispiel dem Erzbischof von San Salvador, Óscar Arnulfo Romero y Galdámez, der 1980 von einer Kugel getötet wurde, die den Killern aus dem Drecksloch-Land zugeschickt wurde.
Die Regierenden des Drecksloch-Landes betrachten die Menschen aus Lateinamerika oder Afrika nicht als vollwertige menschliche Wesen. Aber sie sind ja auch keine großen Leser, vor allem nicht von Gedichten der minderwertigen Spezies dieser Erde. Sie haben nicht die Wahrheit gehört, die der salvadorianische Dichter Roque Dalton verkündete:
Pass auf, Du bist Dein Gewicht in Gold wert.
Im Kapitalismus nämlich sind nur die Besitzer
von Gold ihr Gewicht in Gold wert.
Das Drecksloch-Land ließ eine Million US-Dollar täglich für Entwicklungshilfe und Waffen in das Land fließen. Sie schickten ihre skrupellosesten Killer dorthin, einschließlich Félix Rodríguez, den CIA-Agenten und Bay of Pigs-Veteran, der die Aufsicht über die Jagd auf Che Guevara in Bolivien innegehabt hatte, dessen Exekution vorstand und stolz die Armbanduhr trug, die er der Leiche des gemarterten Revolutionskämpfers abgenommen hatte.
Nachts konnte man die Killer sehen, die das Drecksloch-Land nach El Salvador geschickt hatte - meist hatten sie ihre vietnamesischen Ehefrauen bei sich und saßen am Pool des Sheraton Hotels. Sie hatten die schwarzen Künste des Infiltrierens, Folterns, Verhörens, Verschwindenlassens und Mordens zur Perfektion gebracht — geübt hatten sie am vietnamesischen Volk während des Vietnamkriegs.
Sie konnten einem beibringen, jemanden mit einer Klaviersaite zu strangulieren, so dass das Opfer lautlos erstickte. Sie brachten viele dieser Fertigkeiten mit nach Mittelamerika.
Sie dirigierten die Todesschwadronen, die die Widerstands-Anführer, die Priester und Nonnen, die in armen Gemeinden arbeiteten, die Lehrer, Journalisten, Vertreter der Arbeiterschaft, Studentenführer, Professoren und Intellektuelle, die die Barbarei anprangerten, auslöschen sollten. Sie trainierten und rüsteten neue Soldaten für die Oligarchen aus.
Sie bildeten Söldnereinheiten mit hunderten von Soldaten, die in Honduras, Venezuela und Chile rekrutiert wurden. Sie nannten diese geheimen militärischen Einheiten Unilateral Kontrollierte Latino-Posten.
Sie setzten diese zur Bekämpfung der FMLN ein, weil das salvadorianische Militär so unzuverlässig war.
Sie stellten ganze Hubschrauberflotten zur Verfügung, um die Aufständischen aus der Luft zu jagen. Es war eine Militarismus-Orgie.
Als das Drecksloch-Land fertig war, hatte es 4 Milliarden US-Dollar ausgegeben, um den Aufstand niederzuschlagen. Und während es das Blutbad in El Salvador arrangierte, versorgte es die Verbrecher und Killer, die als Contras bekannt waren, mit 1 Milliarde US-Dollar in Nicaragua, wo 50.000 Menschen getötet wurden.
Und es unterstützte auch stillschweigend die Mörder in Guatemala, wo 200.000 abgeschlachtet wurden. Die armen Bauern hatten keine Chance. Der mittelamerikanische Isthmus ist mit Massengräbern übersät, ein Zeugnis ihres Treibens.
Dalton schrieb:
Die Toten sind frecher als je zuvor.
Einst war es einfach:
wir gaben ihnen einen gestärkten Kragen, eine Blume
wir setzten ihre Namen auf eine Ehrenliste:
die Länge und Breite unseres Landes
die erhabenen Schatten des letzten Jahres
die monströse Statue.
Der Kadaver unterschrieb auf der gepunkteten Linie der Erinnerung
trat dem Fußvolk nochmals bei
und marschierte zum Takt unserer ausgeleierten Musik
Aber was soll man machen
die Toten
sind nicht das, was sie mal waren.
Dieser Tage werden sie ironisch
stellen Fragen
Es scheint mir, als würde ihnen so langsam klar,
dass sie die Mehrheit sind.
Die Regierenden des Drecksloch-Landes überwachten den Mord an 80.000 Menschen und 8.000 Menschen verschwanden in El Salvador. Geheimdienstmitarbeiter des Drecksloch-Landes waren, so scheint es, an der Ermordung des Erzbischofs Romero 1980 beteiligt, die von einem früheren Offizier der Armee von El Salvador, Roberto D´Aubuisson, organisiert wurde. Letzterer hatte den Spitznamen „Gasbrenner-Bob“ und war einer der Lieblingskiller des Drecksloch-Landes.
Das Drecksloch-Land beschützte diejenigen, die im Dezember 1980 den Mord und die Vergewaltigung von vier amerikanischen Frauen im Dienst der Kirche befohlen hatten. Es beschützte die Offiziere der Atlacatl Brigade - die 1981 mehr als 700 Zivilisten in El Mozote massakriert hatte -, als sie 1989 sechs spanische Jesuitenpriester niedermähten, von denen einer der Rektor der Universität von Mittelamerika war.
Dieser Mord auf dem Universitäts-Campus forderte auch das Leben ihrer Haushälterin und deren Tochter. Die salvadorianischen Offiziere, die diese Massaker befahlen, sowie unzählige andere waren in der U.S. Army School of the Americas des Drecksloch-Landes ausgewählt und trainiert worden. Der Krieg zerstörte große Teile der Infrastruktur, El Salvador erholte sich nie. Es ertrinkt in Waffen. Alle eineinhalb Stunden geschieht ein Mord. Lasst das Blut fließen, sagten die Regierenden des Drecksloch-Landes. Das Blut von braunen und schwarzen Menschen ist nicht wichtig.
Ob ein Land ein Drecksloch-Land ist, hängt von Ihrer Perspektive ab.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „You Don’t Need a Telescope to Find a Shithole Country“. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.