Das Dilemma der Linken
Nur eine ethische Migrationspolitik kann Nationalismus zurückdrängen.
Einerseits verpflichten sich die Linken der arbeitenden Bevölkerung in ihrem Umfeld, andererseits müssten sie sich auf Grund ihres humanistisch-internationalistischen Anspruchs gleichzeitig mit den in die Migration gezwungenen Menschen solidarisch zeigen und für eine Politik von offenen Grenzen stehen. Ein moralischer Lösungsansatz für die Linke zeigt, wo sie in ihrem Handeln ansetzen könnte, anstatt sich spalten zu lassen und so nationalistischen Gesinnungen mehr Raum zu geben.
Bei einer realistischen Einschätzung der anhaltenden Perspektivlosigkeit wegen Arbeitslosigkeit, Armut, Hungers, Kriegen und politischer Verfolgung im globalen Süden muss davon ausgegangen werden, dass Migrationsbewegungen in der Welt nicht ab-, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach eher zunehmen werden. Dabei vertreten die Linken in Deutschland — vermutlich auch in Europa und allen anderen westlichen Staaten — keine einheitliche Position.
Einerseits fühlen sich die Linken zu allererst den arbeitenden Menschen in ihrem gewachsenen — und gegenwärtig nationalstaatlich verfassten — sozialen Umfeld verpflichtet; sie müssen eine gezielt von der Kapitalseite geforderte Arbeitsmigration, die einer Verschärfung der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt dient, ablehnen. Andererseits müssten sie gleichzeitig auf Grund ihres humanistisch-internationalistischen Anspruchs mit den in die Migration gezwungenen Menschen solidarisch und der Politik von offenen Grenzen zugewandt sein.
Dieses Dilemma ist meines Erachtens nicht unauflösbar. Dazu bedarf es allerdings ethischer Maßstäbe und eines Diskurses, der sich den Fallen ideologischer Vereinfachungen entzieht, um sich gemeinsam und möglichst umfassend darüber zu verständigen. Andernfalls würde die Spaltung innerhalb der Linken allein den Neoliberalen helfen, ihre Hegemonie weiter zu verfestigen, und — wie man das in Deutschland gegenwärtig beobachten kann — auch den rechtspopulistischen Kräften ermöglichen, Nationalismus und Rassismus in der Gesellschaft salonfähig zu machen.
Dieser Beitrag soll zur Erarbeitung von moralischen Kriterien für die linke Positionsbestimmung gegenüber der Arbeitsmigration — und nur dieser — einen Beitrag leisten (1). Hinsichtlich der offenen Grenzen für Flüchtlinge, die wegen politischer Verfolgung und Krieg ihre Heimat verlassen und in Deutschland oder der EU Asyl suchen, gibt es hoffentlich keinerlei Meinungsverschiedenheit.
Ein Denkmodell
Das liberale Postulat von offenen Grenzen setzt grundsätzlich ein annähernd gleiches Wohlstandsniveau in allen Staaten voraus. Nur unter dieser Bedingung können eine Koexistenz und eine dynamisch stabile Beziehung zwischen Freiheit — dem liberalen Grundwert — und Gleichheit — dem Grundwert der Demokratie — hergestellt werden.
Ich will hier am Beispiel eines Denkmodells von zwei Staaten mit annähernd gleich großem Wohlstandsniveau zunächst diskutieren, warum das Konzept von offenen Grenzen in diesem Modell konfliktfrei funktioniert und dann den Prozess erörtern, wenn das stabile Verhältnis zwischen den beiden Prinzipien, also Freiheit und Gleichheit, aus dem Lot gerät.
Unter den Bedingungen der Stabilität profitieren die Völker beider Staaten auf vielfältige Weise von offenen Grenzen. Und es gibt für eine Migration von Land A in Land B oder umgekehrt im Grunde keine sozialen oder ökonomischen Gründe. Wenn es dennoch zu einer Migration kommt, dann ist sie erstens freier Entscheidung geschuldet und zweitens sind die Motive dafür aller Wahrscheinlichkeit nach nicht materieller Art. Derart motivierte Migration zwischen beiden Ländern gleicht sich mehr oder weniger aus und sie bedarf daher auch keinerlei Reglementierung.
Gerät jedoch das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit aus der Balance, gelingt es beispielsweise einer einflussreichen Gruppe in Land A, unter dem Vorwand von mehr Freiheit eine Politik durchzusetzen, die Ungleichheit hervorruft, entsteht eine gesellschaftliche Krise. Die tragenden gesellschaftliche Subjekte, um diese Krise zu überwinden — das heißt die Freiheit zu verteidigen und die Gleichheit wieder herzustellen —, sind zunächst einmal die Benachteiligten im Land A. Sind diese jedoch, aus welchen Gründen auch immer, zu schwach, um aus eigener Kraft die Benachteiligung zu beseitigen, so ist es naheliegend, dass sich die Verfechter von Freiheit und Gleichheit im Land B mit den Benachteiligten im Land A solidarisch zeigen und ihnen zu Hilfe kommen.
Die Menschen im Land B verhalten sich in diesem Falle übrigens instinktiv aus Eigeninteresse solidarisch und weniger aus altruistischen Motiven. Sie wollen nämlich verhindern, dass die Instabilität aus Land A auch auf Land B überschwappt. Eine dauerhafte — das heißt strukturelle — Benachteiligung der Menschen in A kann jedoch durch Solidarität von B nicht behoben werden. Versuche, dennoch Solidarität auszuüben und die Migration der Benachteiligten von A nach B zuzulassen, liefen darauf hinaus, dass auch B instabil wird.
Offene Grenzen zwischen A und B sind also dauerhaft möglich, wenn die tragenden Subjekte beider Länder in der Lage sind, aus eigener Kraft Freiheit und Gleichheit zu verteidigen. Sollte jedoch in diesem Denkmodell - zwei Länder mit annähernd gleichem Wohlstandsniveau und vergleichbarer Wirtschaftskraft — in einem der beiden Länder eine massive Benachteiligung durch umtriebig nur auf eigene Vorteile bedachte Eliten entstehen, so besteht für das jeweils andere Land keine moralische Verpflichtung, die eigenen Grenzen für die Benachteiligten des anderen Landes auf Dauer offen zu halten. Die entstandene Benachteiligung muss aus eigener Kraft überwunden werden. Denn die durch die Subversion egoistischer Kräfte bedrohten Gruppen haben in beiden Ländern grundsätzlich genug damit zu tun, die Subversion gegen Freiheit und Gleichheit gleichermaßen abzuwenden.
In der weltwirtschaftlichen Realität sind die Verhältnisse bekanntlich wesentlich komplizierter als im oben dargestellten einfachen Denkmodell. Folgerichtig ist auch die Antwort auf die Frage nach offenen oder regulierten Grenzen sehr komplex.
Im konkreten Streit und bei den widerstrebenden Auffassungen, wie sich die Linken in Deutschland — und auf einer höheren Ebene auch in Europa — auf die Arbeitsmigration aus den Ländern des Südens nach Deutschland und Europa positionieren sollten, lassen sich einige moralische Prinzipien begründen. Diese können helfen, einen ethisch konsensfähigen Weg zu finden, der erlaubt, jenseits eines emotional geführten Diskurses eine überflüssige politische Spaltung zu vermeiden.
Entweder gelingt es den Linken und Linksliberal-Grünen bei der Frage, wie mit der Arbeitsmigration umgegangen werden kann, einen in die Politik übertragbaren Konsens zu finden. Oder aber eine folgenreiche Spaltung unter ihnen wird den Weg für eine nationalistisch-autoritäre Gesellschaft und eine politische Hegemonie der Rechten ebnen.
Um — ausgehend vom oben dargestellten Denkmodell — der Realität des Verhältnisses vom globalen Norden zum globalen Süden näher zu kommen, beschreibe ich im Folgenden die ökonomischen Kernmerkmale dieses Verhältnisses, die für eine moralisch stringente linke Migrationspolitik wichtig sind. Dies geschieht vereinfachend und stellvertretend am Beispiel des Verhältnisses der EU zum afrikanischen Kontinent.
Hierbei handelt es sich um zwei Blöcke mit gravierend unterschiedlichem Pro-Kopf-Einkommen und ebenso unterschiedlicher Wirtschaftskraft. Die strukturelle Ungleichheit zwischen Afrika und der EU erzeugt, selbst wenn man die aktuellen zusätzlichen Ursachen der Migration wie Kriege und Hunger ausblenden würde, schon an sich eine Sogwirkung für Migrationsbewegungen von Afrika in die EU. Doch hält sich eine Migration, deren Triebkraft allein die Verbesserung des Lebensstandards und die Inanspruchnahme besserer sozialer Versorgungssysteme ist, wegen kultureller Hindernisse in Grenzen.
Die Migration beginnt allerdings zu einer Herausforderung für die Zielländer zu werden, wenn Millionen Menschen wegen existenzieller Not und Perspektivlosigkeit in ihren Heimatländern für sich keinen anderen Ausweg sehen, als ihre Heimat zu verlassen und dabei zahlreiche Risiken der Flucht und der kulturellen Anpassung in den Zielländern auf sich zu nehmen.
Um jedoch moralische Prinzipien für den Umgang mit Arbeitsmigrations-Flüchtlingen zu formulieren, müssen zunächst Akteure, die für die Fluchtursachen verantwortlich sind, identifiziert werden. Zu diesen gehören jedoch nicht nur die Eliten in Afrika, die sich auf Kosten der Mehrheit bereichern und eine Entwicklung zur Demokratie und zu mehr Chancengleichheit verhindern. Dazu gehören auch Deutschland und die EU, die historisch und auch gegenwärtig für die Migration moralisch mitverantwortlich sind:
Erstens haben Deutschland beziehungsweise Europa durch die kolonialistische Intervention in Afrika, das heißt durch Plünderung afrikanischer Reichtümer, durch Zerstörung von Sozialstrukturen und teilweise auch durch Genozit, zur Armut und Unterentwicklung in Afrika beigetragen und vor allem dadurch dort auch eine sich selbst tragende Entwicklung blockiert.
Zweitens setzt die EU auch gegenwärtig ihre kolonialistische Politik durch eine egozentristische Handelspolitik vor allem im Agrarbereich fort und ist mit dafür verantwortlich, dass Afrika ökonomisch und sozial auf der Stelle tritt. Mehrere hundert Millionen afrikanische Bauern und Handwerker sind vom Hungertod bedroht; sie sehen keine Perspektive für ein würdevolles Leben und sehen sich daher gezwungen, ihre angestammte Heimat Richtung Europa zu verlassen und dabei viele unkalkulierbare Risiken auf sich zu nehmen.
Drittens sind die Länder der EU auf mannigfache Art, durch Waffenexporte und durch direkte geopolitisch motivierte Interventionen in Kriege in Afrika verwickelt. Kriege gehören zu den maßgeblichen Fluchtursachen.
Gewinner und Verlierer der Migration
Die Diskussion über die Schlepperbanden als Nutznießer und Verursacher der Migration lenkt davon ab, dass die eigentlichen Profiteure der Arbeitsmigration die reichen Eliten in der EU sind, deren Handeln sich nicht an moralischen Kriterien, sondern vor allem an ihren kurzfristigen ökonomischen Interessen orientiert. Diesen geht es in allererster Linie darum, die Migration für die Verschärfung der Konkurrenz und die Senkung des Lohnniveaus in den eigenen Binnenmärkten zu instrumentalisieren.
Damit schließt sich der Kreis eines dreifachen Gewinns für die EU-Eliten: erstens ökonomische Vorteile höheren Ausmaßes durch ihre unfaire Handelspolitik gegenüber Afrika, zweitens durch sinkende Löhne auf den eigenen EU-Binnenmärkten. Und drittens werden Investitionskosten zur Ausbildung von eigenen Fachkräften vermieden, indem Fachkräfte aus anderen Ländern gezielt abgeworben werden.
Um jedoch die eigenen Sozialsysteme nicht zu belasten und die Arbeitsmigration bei der eigenen Bevölkerung politisch akzeptanzfähig zu machen, wollen Deutschland und die EU die Migration auf Fachkräfte begrenzen. Das „Fachkräftemangel-Einwanderungsgesetz“, das die deutsche Bundesregierung noch 2018 durch den Bundestag verabschieden lassen will, dient genau diesem Zweck. Der UN-Migrationspakt, der „die Arbeitsmigration als Quelle des Wohlstands“ hochstilisiert, liefert im Grunde die moralische Legitimation für den gesetzlich geregelten Süd-Nord-Ressourcentransfer. So ist auch die Zustimmung zu erklären, die die neoliberalen Parteien und die Wirtschaft diesem UN-Pakt beinahe enthusiastisch zuteil werden lassen.
Während also die EU ein mehrfacher Gewinner der Arbeitsmigration ist, verliert Afrika systematisch seine menschliche Entwicklungsressource, was zusätzlich die bestehende Ungleichheit vertieft.
Moralische Herausforderungen für die Linken
Im Gegensatz zu den Eliten in der EU stehen die Linken bei ihrer Positionierung zur Migrationsfrage angesichts ihres eigenen humanistischen, liberalistisch-universalistischen und sozialen, egalitaristischen Anspruchs vor mehrfachen Herausforderungen:
Erstens fühlen sich die Linken gegenüber den Benachteiligten im eigenen Land, also den Lohn- und Gehaltsabhängigen, den Arbeitslosen, den diskriminierten Frauen und Minderheiten, moralisch verantwortlich. Dementsprechend müssen sie jegliche Form der Benachteiligung wie Lohndrückerei, Sozialabbau und soziale Spaltung bekämpfen und eine auf Emanzipation orientierte Politik gegen die herrschende Elite durchsetzen. Dieser Kampf schließt auch die Ablehnung einer gezielten Arbeitsmigration ein, deren Hauptzweck darin besteht, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zu verschärfen.
Hier sind die Linken auf besondere Weise gefordert, aufmerksam und entschlossen zu handeln, da die Eliten und ihre Medien keinen Versuch unterlassen werden, ihre Politik der sozialen Spaltung in ein humanistisches Gewand zu verpacken und den Widerstand der Gewerkschaften und der Linken propagandistisch zu neutralisieren.
Vernachlässigen die Linken ihre Verantwortung gegenüber den Benachteiligten in den eigenen Heimatländern selektiv zu Gunsten einer humanistisch internationalistischen Pflicht, so riskieren sie unweigerlich, dass die Rechten den frei gewordenen politischen Raum zum Schutz der Benachteiligten in den eigenen Staaten nationalistisch besetzen.
Zweitens sind die Linken in der EU gemäß ihrem humanistisch internationalistischen Anspruch auch gegenüber der Benachteiligung und Unterdrückung der Sozialschwachen in Afrika — im weitesten Sinne auch im globalen Süden — moralisch zur Solidarität verpflichtet. Sie können jedoch ihrer Verpflichtung nicht durch direkte Intervention gegen die herrschende Elite in den jeweiligen Ländern Rechnung tragen, solange die Gesellschaften nationalstaatlich verfasst sind.
Allerdings sind für die Benachteiligungen der Menschen in Afrika nicht nur die lokalen Eliten verantwortlich, die sich bereichern und die afrikanischen Regierungen stellen. Auch Deutschland und die EU sind — wie oben bereits dargelegt — historisch durch Kolonialismus und gegenwärtig durch ihre neokolonialistische Handelspolitik für die grauenvolle Misere der überwältigenden Mehrheit der dortigen Bevölkerungen, für die Armut, Arbeitslosigkeit, Kindersterblichkeit, Hunger und letztlich auch die Migration mitverantwortlich. Insofern muss sich die moralische Verpflichtung der Linken in der EU gegenüber diesen Menschen in Afrika ganz entschieden gegen die neokolonialistische Afrikapolitik der eigenen Regierungen richten.
So gesehen, müsste eine linke Migrationspolitik zwei in Teilen gegenläufig moralische Ansprüche in Einklang bringen. Vernachlässigen die Linken eine der beiden moralischen Pflichten, laufen sie zwangsläufig Gefahr, gegen die eine oder andere betroffene Seite instrumentalisiert zu werden.
Um es klar und eindeutig zu unterstreichen: Wer die Interessen der Benachteiligten im eigenen Land ignoriert und diese zu Gunsten der humanistischen Forderung nach offenen Grenzen opfert, macht sich an der Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen der abhängig Beschäftigten in der EU mitschuldig und gießt ungewollt Wasser auf die Mühlen der neoliberalen Eliten.
Um die Parteinahme für die Benachteiligten in der EU mit dem humanistischen Anspruch und der internationalen Solidarität in Einklang zu bringen, müssten sich die Linken zum einen jeder Form von Arbeitsmigration und damit offenen Grenzen entgegenstellen, und zum anderen müssten sie sich konsequent und glaubwürdig für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in Afrika und gegen die vielfältigen Fluchtursachen, wie unten näher dargelegt wird, einsetzen. In diesem Sinne ist die Abschiebung der abgelehnten Asylbewerber nur dann moralisch hinnehmbar, wenn die EU in Kooperation mit den Heimatstaaten konkrete Entwicklungsprojekte initiiert, in denen die rückgeführten Menschen eine Beschäftigungsperspektive erhalten.
Politische Handlungsstrategien zur Bekämpfung von Fluchtursachen
1) Alle politischen Strömungen innerhalb der Linken in Deutschland und der EU müssten ihren Streit „Offene Grenzen versus Abschottung“ beenden und die linke Migrationspolitik mit Hilfe von moralisch einwandfreien Kriterien definieren. Nur so lässt sich auch erfolgreich verhindern, dass die neoliberalen Eliten die liberalen, humanistisch-internationalistischen Positionen einerseits und die sozial egalitaristischen Tendenzen andererseits gegeneinander ausspielen.
Es ist dem Wirtschaftsliberalismus seit den 1980er Jahren unter dem Vorwand von mehr Freiheit und Liberalität gelungen, die radikale Marktfreiheit ideologisch durchzusetzen. Nun gilt es zu verhindern, dass die soziale Spaltung der Gesellschaft durch gezielte Arbeitsmigration fortgesetzt und verschärft wird.
Fachkräftemangel ist die Folge der eigenen Politik der sinkenden Löhne und Vernachlässigung von Investitionen in die Ausbildung von Fachkräften. Daher muss dieses Problem durch Ausbildung und höhere Löhne in den eigenen Ländern gelöst werden. Migration zur Beseitigung des Fachkräftemangels dient lediglich der Profitsteigerung der Unternehmer, spaltet aber die Gesellschaften der Herkunfts- wie der Zielländer gleichermaßen.
2) Die Linken in Deutschland und der EU müssten gegen Aufrüstung, Rüstungsexporte und Kriege im globalen Süden entschlossen und radikal aufstehen. Über die gegenwärtig laufenden Aktionen in diesem Jahr muss es möglich gemacht werden, dass die Friedensbewegung zusammen mit der linken Sammlungsbewegung #aufstehen und der Initiative #Unteilbar für 2019 eine oder mehrere zentrale Demonstrationen organisiert sowie viele dezentrale Aktionen, darunter auch Akte des zivilen Ungehorsams, in Anlehnung an die Aktion im Hambacher Forst.
3) Zur Bekämpfung ökonomischer Fluchtursachen müssten sich die Linken mit aller Kraft für einen Politikwechsel ihrer Länder und der EU gegenüber Afrika — im weitesten Sinne selbstverständlich auch gegenüber dem globalen Süden insgesamt — einsetzen.
Dazu gehört die Forderung nach Abbau sämtlicher Agrarsubventionen und sonstiger Subventionen, die den EU-Landwirtschaften auf den afrikanischen Märkten Wettbewerbsvorteile verschaffen. Dazu gehört auch der Abbau sämtlicher Zölle gegen Exporte aus Afrika. Hierzu müssten alle Benachteiligungen, die durch Warenimporte aus der EU auf den afrikanischen Märkten und durch die Warenexporte aus Afrika in die EU für Afrikaner entstehen, identifiziert und die eigenen Regierungen zu deren Überwindung gedrängt werden.
Zu einem Politikwechsel gehört auch die Aufhebung sämtlicher Freihandelsverträge der EU mit den afrikanischen Staaten, zum Beispiel im Rahmen von sogenannten Partnerschaftsabkommen, die die EU mit 30 Staaten aus Afrika und der Karibik geschlossen hat. Ein Freihandel bringt allen Beteiligten nur dann Vorteile, wenn er zwischen Staaten mit annähernd gleicher Produktivität stattfindet.
Afrikanische Länder verfügen jedoch nahezu in kaum einem Sektor über hinreichend ökonomische, technische und kulturelle Potentiale, um im Freihandel flächendeckend bestehen und Vorteile erzielen zu können. Vielmehr führt der Freihandel mit Afrika mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Ruin der afrikanischen Bauern und der inländischen Konsumgüterproduktion, zu steigender Massenarbeitslosigkeit, zu sinkender Kaufkraft und verstärkt schließlich auch die Fluchtbewegungen.
Denkbar wäre hier allerdings, dass Afrika bei fortschreitender Digitalisierung im Dienstleistungsbereich, wie zum Beispiel Indien das schon praktiziert, rasch wettbewerbsfähige Potentiale mobilisieren kann.
Grundsätzlich müssten afrikanische Regierungen ihre Märkte — anstelle von Freihandel — protektionistisch schützen und gleichzeitig ausländischen Investoren hinreichende Investitionsanreize zu Investitionen in produktive Bereiche anbieten. Denn die Kombination von beiden Strategien ermöglicht zwei sich ergänzende Entwicklungsprozesse: Der Protektionismus schützt die eigenen nationalen Agrar- und Konsumgütermärkte vor einem schleichenden Untergang und erhöht die inländische Binnenkaufkraft. Und Auslandsinvestitionen, vor allem in Konsumgütersektoren, erhöhen den internen Wettbewerb, substituieren Importe, schaffen neue Arbeitsplätze und können, wie in Südkorea, in Malaysia, in der Türkei und nicht zuletzt in China, die Grundlagen für eine sich selbst tragende Industrialisierung hervorbringen.
4) Solidarität der Linken mit verarmten Menschen in Afrika bedeutet auch eine intensive Kooperation mit Gewerkschaften, Bauernverbänden und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen in afrikanischen Ländern, um gemeinsam Konzepte für die Verbesserung des Lebensstandards der dortigen Bevölkerungen zu entwickeln. Hierzu gehören beispielsweise auch gemeinsam mit den Zivilgesellschaften afrikanischer Länder entwickelte Programme zur Mobilisierung freiwilliger Tätigkeiten deutscher und europäischer Fachkräfte in Afrika.
Arbeitsmigration innerhalb der EU
Vor einem ähnlichen Dilemma wie bei den Arbeitsmigrations-Flüchtlingen stehen die Linken auch bei der Arbeitsmigration innerhalb der EU. Die Ungleichheit des Lebensstandards zwischen Nord- und Westeuropa einerseits und Süd- und Osteuropa andererseits hat dieselbe Sogwirkung für Menschen in den ärmeren EU-Ländern wie Rumänien, Bulgarien, Polen et cetera, zeitweise oder ganz nach Deutschland, Frankreich, den skandinavischen Ländern und Großbritannien zu emigrieren, so wie das bei den Arbeitsmigranten aus dem globalen Süden der Fall ist.
Inzwischen sind zum Beispiel in Deutschland im Bausektor, im gesamten Gesundheitssektor — insbesondere im Bereich Pflege — und in der Landwirtschaft zur Erntezeit Arbeitsmigranten aus Süd- und Osteuropa voll präsent.
Das monatliche Durchschnittseinkommen eines Arztes in Rumänien beträgt 400 Euro, in Deutschland jedoch 4.000 Euro. Diese gravierende Einkommensungleichheit erklärt, dass viele in Rumänien ausgebildete Ärzte unter dem Strich einen höheren Wohlstand in Deutschland hätten.
Auf diese Weise wird in Rumänien eine Versorgungslücke in den Gesundheitssektor gerissen, in Deutschland jedoch die Versorgung billiger gemacht. Der deutsche Staat spart dabei nicht nur die Ausbildungskosten für Mediziner, sondern er betreibt auch durch die Verschärfung der Konkurrenz Lohndrückerei in Deutschland. Diese Lohndumping-Politik hat im Bereich Pflege zu einem gravierenden Mangel an Pflegekräften geführt, den man versucht, durch noch mehr Pflegekräfte aus Osteuropa zu bekämpfen.
Die ungleiche Wohlstandsentwicklung innerhalb der EU ist das Ergebnis der neoliberalen EU-Austeritätspolitik und der Deindustrialisierung von produktivitätsschwachen Staaten durch Exportüberschüsse von starken Staaten wie Deutschland. Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass die gegenwärtig asymmetrische Arbeitsmigration innerhalb der EU auch in Zukunft bestehen bleiben wird, und dass die Regierungen und die Wirtschaft der starken Staaten in der EU diesen Sachverhalt gezielt als Hebel für die doppelte Ausbeutung der Bevölkerungen einsetzt, sowohl in den ökonomisch schwachen EU-Staaten wie auch durch Lohndumping in den eigenen Ländern.
Die Arbeitsmigration innerhalb der EU ist allerdings als Recht der EU-Bürger durch das Freizügigkeitsgesetz geregelt. Doch das soziale Europa und damit entsprechende Ausgleichsmechanismen für den offensichtlichen Ressourcenabzug aus den ärmeren EU-Staaten sind aufgrund von Politikstrategien, die die Reichen reicher und die Armen ärmer machen, bisher vollständig ausgeblieben. Daher wird das Regelwerk für die Freizügigkeit der EU-Bürger de facto im Dienst der Reichtumskonzentration in den reichen EU-Staaten instrumentalisiert. Das EU-Entsendegesetz verhindert nur in Teilbereichen die verheerenden sozialen Folgen des Freizügigkeitsgesetzes.
Der UN-Migrationspakt, in dem die neoliberale Handschrift klar erkennbar ist, soll auch diesen folgenreichen Ressourcentransfer und das Ausbluten ärmerer EU-Staaten ideologisch sanktionieren. Das erklärt auch die Euphorie der großen Koalition und der FDP für ihre Zustimmung zu diesem Pakt (2).
Die Linke steht auch hier, wie gegenüber der Arbeitsmigration aus dem globalen Süden, vor einer besonderen Herausforderung. Sie muss einerseits das Migrationsrecht der EU-Bürger respektieren und andererseits aber auch eine Politik des Lohndumpings im Interesse der abhängig Beschäftigten im eigenen Land mit aller Kraft bekämpfen.
Dieser Widerspruch ist kaum vollständig lösbar, er kann meines Erachtens jedoch moralisch akzeptanzfähig gemacht werden, indem die Linke erstens vehementer als bisher für die Einführung des sozialen Europas eintritt und zweitens mit dafür sorgt, dass jeder Fachkräfteabzug aus Ost- und Südeuropa mit einem adäquaten Finanzausgleich kompensiert wird.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Dank an Michael Brie für seine konstruktiven Anregungen zu diesem Text.
(2) Hannes Hofbauer hat sich mit dem UN-Migrationspakt in seinem Beitrag „Der neokoloniale Pakt“ in Rubikon vom 21. November 2018 (https://www.rubikon.news/artikel/der-neokoloniale-pakt) ausführlich kritisch auseinander gesetzt.