Das Demokratie-Schlusslicht
In Deutschland, das sich gern als demokratisches Musterland inszeniert, zeigt sich eine Tendenz zu abhängiger Justiz und Machtkonzentration. Teil 2 von 2
Wir kennen es noch aus dem Sozialkundeunterricht: Eigentlich herrscht in Deutschland Gewaltenteilung, und eine unabhängige Justiz sollte notfalls die Bürger vor einem übergriffigen Staat schützen. Das Bundesverfassungsgericht kann sogar als oberste Instanz demokratiewidrige Gesetze wieder einkassieren. In den Corona-Jahren haben wir aber gesehen, was von den meisten unserer Gerichte zu halten ist, wenn wirklich mal Not am Mann ist, nämlich gar nichts. Wie soll Gewaltenteilung in unserem Land auch Realität werden, wenn immer noch Politiker und ihre Beamten entscheidend über die Karrierechancen von Richtern bestimmen? Diese und andere Missstände der deutschen Demokratie sind inzwischen auch dem Europarat aufgefallen. Schon 2009 hatte dieser Korrekturen angemahnt. Im Gegensatz zur Situation in anderen Ländern, die ebenfalls gerügt wurden, denkt die deutsche Politik-Elite aber gar nicht daran, etwas zu verbessern. Im Gegenteil macht sie alles nur immer schlimmer.
Die in Deutschland von der Exekutiven abhängige Judikative (1. Teil des Beitrages) war, bis auf wenige Ausnahmen, während des konstruierten „Corona-Notstandes“ kein Korrektiv. Diesen dehnten die Herrschenden in der BRD, im Gegensatz zu fast allen Ländern der Welt, auf ganze drei Jahre aus. Selbst die für jede Demokratie zentrale Gewalt, das Parlament, wurde bei dieser „Krise“ auf eine „Not-Legislative“ reduziert. An dieser Bewährungsprobe der Demokratie ist, aus meiner Sicht, Deutschland gescheitert. Ihre „Selbstentmachtung“ hatten die meisten Mandatsträger, wie es die Regierung von ihnen verlangte, „duldsam“ und widerspruchsfrei hingenommen.
Einer der Parlamentarier, der sich dieser Entmachtung durch die Bundesregierung nicht beugen wollte, war der Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann. Doch unmittelbar vor Aufzeichnung eines TV-Interviews mit dem ZDF, bei dem er dem Fernsehpublikum seine Position erläutern wollte, „brach Oppermann plötzlich zusammen — und starb kurz darauf“, so Paul Schreyer. Drei Tage vor seinem Tod bekräftigte der SPD-Politiker in einem Zeitungsinterview:
„Wir brauchen eine Debatte über die genaue gesetzliche Ermächtigung der Exekutive.“
Und damit riss die „Serie“ auffälliger Todesfälle von einflussreichen und zugleich den Sinn und die Verhältnismäßigkeit der beschlossenen „Corona-Maßnahmen“ infrage stellenden „Amtsträger“ und „Funktionäre“ nicht ab. Es starb Mario Ohoven, der langjährige und gutvernetzte Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft. Dieser, wie Schreyer ausführt, „warnte am 22. Oktober öffentlich die Bundesregierung vor einem neuen Lockdown“ und drohte für diesen Fall an, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Er verunglückte tödlich, weil er, wie es hieß, auf der Autobahn die Kontrolle über sein Auto verlor.
„Plötzlich und unerwartet“, starb auch Franz Klein, der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, just nachdem er ankündigt hatte, „Klagen von Gastronomen gegen die Regierung zu unterstützen“. Der multipolar-Herausgeber erinnert in seinem Artikel außerdem an den zum Suizid erklärten Tod des hessischen Finanzministers Thomas Schäfer in der Finanzmetropole Frankfurt am Main am 28. März 2020, „auf dem Höhepunkt des ersten Lockdowns. Keine drei Wochen später, am 16. April, wurde damals ein weiterer ranghoher Mitarbeiter des hessischen Finanzministeriums ‚leblos in seinem Büro aufgefunden‘“(1).
Auch im Ausland war zur gleichen Zeit der überraschende Tod von führenden Politikern und Funktionsträgern zu beklagen. So berichtete Ines Stolz in ihrem Beitrag „Afrika: Todesfälle hochrangiger Politiker in Zeiten von Corona“ über insgesamt sechs schwarzafrikanische Staatsmänner, darunter zwei Präsidenten und zwei Premierminister, die seit Beginn der Pandemie-Kampagne, „in Zusammenhang mit Corona“ gestorben sind (2).
Zufall? Der Versuch, dieser Frage nachzugehen, wäre mindestens mit meinem Wissensstand reine Spekulation. Stattdessen schließe ich diesen Punkt mit der generellen Einschätzung eines weltgewandten und erfahrenen Politikers ab, der solche Zusammenhänge, wenn er denn gewollt hätte, vermutlich klar gesehen und bewerten hätte können.
Das, aus meiner Sicht, passende Zitat stammt von Helmut Schmidt, den 2015 im Alter von 97 Jahren verstorbenen früheren Bundeskanzler (1974 bis 1982) und ab 1983 Mit-Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit . In dem 2007 dort veröffentlichten Interview „Deutscher Herbst — Ich bin in Schuld verstrickt“ mit seinem Chefredakteur Giovanni di Lorenzo sagte Schmidt: In ihrer Menschenverachtung werden alle Terrorismen nur „übertroffen von bestimmten Formen von Staatsterrorismus“. Und: „Ich traue überhaupt keinem Geheimdienst mehr.“ Er „deformiert die Seelen“, weil Geheimdienste im Verborgen arbeiten (3).
Dieses reflektierte „Statement“ und relative „Schuldeingeständnis“ des „elder statesman“ seien Zitate gegenübergestellt von „Oberhäuptern“ der reichsten und mächtigsten Familiendynastien des kapitalistischen Westens, die an Selbstgefälligkeit, Arroganz und Menschenverachtung kaum noch zu überbieten sind. So der inzwischen „legendäre“ Ausspruch des heute 94-jährigen „Investors“ Warren Buffett: „Wir führen Klassenkrieg! Meine reiche Klasse gewinnt.“
Zum „Allgemeingut“, zumindest bei politisch wachen Bürgern, gehört auch die „Ausführung“ des seinerzeit weit an der Spitze stehenden Herrschers aus dem Kreis der 200 Familien, die die USA regieren, so Arend Oetker (4), von dem Bankier David Rockefeller, der 1994 vor dem Wirtschaftsausschuss der Vereinten Nationen äußerte: „Alles, was wir brauchen, ist eine richtig große Krise, und die Nationen werden die neue Weltordnung akzeptieren.“ Rockefeller starb 2015 im Alter von 101 Jahren (5).
Zitiert sei auch die „monströse“ Einschätzung des im Februar 2024 im Alter von 87 Jahren verstorbenen Jacob Rothschild. Dem ihm zugeordneten Ausspruch über die Corona-„Operation“ hatte Uwe Froschauer in seinem Beitrag über Karl Lauterbach „Der leise Tyrann“ aufgegriffen:
„Die universellen Impfprogramme öffnen nicht nur die Tür für die Verhaltenskontrolle durch Genmodifikation und Enhancement, sondern — was für die gegenwärtige Operation noch wichtiger ist — die psychologische Verhaltenskontrolle mit den Impfstoffen ist noch grundlegender. Unabhängig davon, ob die Impfstoffe in Bezug auf das Virus unnötig und nutzlos oder für viele sogar schädlich sind oder nicht, sind sie die einheitlichste und konzertierteste psychologische Waffe, die je zur Kontrolle des menschlichen Verhaltens entwickelt wurde“ (6).
Um so wichtiger ist es, wenn kein Multimilliardär mit seinen privaten Profitinteressen und möglichen Weltherrschafts-Fantasien über die Politik in den einzelnen Ländern bestimmt, sondern dass „alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht“, und zwar — wie es, unter Aufsicht der westalliierten Siegermächte, die Verfassungsväter- und wenigen -mütter im 1949 von ihnen verabschiedeten Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland in Artikel 20, Absatz 2 festgeschrieben hatten —, dass die Staatsgewalt „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ wird.
Vom deutschen Boden geht ständig Krieg aus
Und schon in Artikel 1, Absatz 3 legten die Verfasser des Grundgesetzes die Bundesrepublik nicht nur auf das Grundprinzip der Gewaltenteilung fest, sondern verpflichteten in Artikel 19, Absatz 2 GG alle drei Staatsgewalten auf die Grundrechte als „unmittelbar geltendes Recht“. Unwiderruflich festgeschrieben ist in Artikel 1, Absatz 2 außerdem die Bekenntnis des deutschen Volkes „zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“. Und schon in der Präambel wird das Ziel des Grundgesetzes eigens herausgestrichen, „dem Frieden in der Welt zu dienen“.
Der Friedensauftrag an den Souverän, das deutsche Volk, mit seinen drei Staatsgewalten war damit klar formuliert. Wie konnte es dennoch zu dem genauen Gegenteil kommen?
Wie im ersten Teil dieses Beitrages ausgeführt, leitete diese Fehlentwicklung federführend der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik und Antikommunist Konrad Adenauer ein, dies in enger Abstimmung mit den Kommandierenden der Besatzungsmacht USA. Zusammen wollten sie die Bundesrepublik zu einem Bollwerk gegen den Kommunismus gestalten. Die BRD unter der reaktionären Regierung mit der Rückendeckung durch die USA sowie den beiden westalliierten Siegermächten, England und Frankreich, knüpften beim Aufbau des neuen Staates an genau die alten Kräfte des vergangenen Nazi-Reiches an, zu dessen Hauptzielen die Niederwerfung und Ausbeutung Russlands und die Bekämpfung des Kommunismus zählten (7).
Die Jahre zuvor bereits angebahnte „Wiederaufrüstung“ samt des Eintritts der Bundesrepublik in die NATO wurde schließlich im Jahre 1955 vollzogen. In der Folge wurde (West-)Deutschland, mit heute 142 Standorten, mehr und mehr zu einer einzigen Basis des US-amerikanischen Militärs und ihrer NATO-Truppen umgestaltet. Diese nutzten die USA fortan dazu, auch von hieraus ihre ständigen Kriege und Bombardements auf beinahe allen Kontinenten im Auftrag der Herrschenden der USA, den DuPonts, den Morgans, den Rockefellers und weiteren Familiendynastien, und zu deren Gewinn, zu starten und zu koordinieren (8).
Wie bei jedem Krieg, aufgrund einer vorgeschobenen Lüge, hat Deutschland, seinerzeit unter Gerhard Schröder (SPD) als Kanzler und seinem Vize, dem „grünen“ Außenminister „Joschka“ Fischer, angeführt von den USA ,1999 erstmals den „Tabubruch“ begangen, sich an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen, dadurch nun „Ex“-, Jugoslawien zu beteiligen (9). Bei der Teilnahme der Bundeswehr an dem 20-jährigen, von der vom US-Militär geführten NATO und schließlich verlorenen Krieg gegen das Volk von Afghanistan blieben bis heute unter deutschem Kommando verübte Kriegsverbrechen ungesühnt (10).
Mit Ausnahme der Präsidentschaften von Jimmy Carter und Donald Trump verging seit Jahrzehnten, wie es der Oberstleutnant der deutschen Luftwaffe a.D. Jürgen Rose unter anderem in Vorträgen über Fragen von Geostrategien und über den NATO-Imperialismus ausführt (siehe Foto, Grafik zur Kriegsnation USA) kein Jahr, in dem die USA keinen Krieg angezettelt hatten oder in einem Krieg verwickelt waren. Im Durchschnitt führt die Kriegsnation mindestens zwei bis drei, in der „Spitze“ bis zu acht Kriege pro Jahr. Und dies oft von Deutschland, ihrer besetzten „Kolonie“ aus, mit tausenden Drohneneinsätzen von dem US-amerikanischen Militärstützpunkt Ramstein, Rheinland-Pfalz (11).
Auf das Thema der massiven Militarisierung Deutschlands möchte ich an dieser Stelle nicht tiefer „einsteigen“, sondern erst in einem später von mir geplanten Beitrag über Pazifismus.
Für diese Militarisierung prägte bereits Adolf Hitler seinerzeit das Wort der „Zeitenwende“, um für den „Feldzug“ gegen Russland und den Kommunismus aufzurüsten, worauf schon Bertolt Brecht 1939 mit seinem Foto-Epigramm in der „Kriegsfibel“ hinwies (12).
Mindestens sprachlich gibt es Parallelen, wenn der anerkannte Kriegsdienstverweigerer, aber wenig anerkannte Bundeskanzler Olaf Scholz Hitlers Begriff der „Zeitenwende“ geschichtsvergessen wieder hervorhebt, um damit für die heutige massive Aufrüstung Deutschlands — als Front gegen Russland und den Kommunismus — „zu werben“.
Rettungsboote statt Panzer
Vorerst abschießen möchte ich diesen „Punkt“ hier aber mit längeren Passagen aus dem von mir geschätzten Buch „Ihr habt keinen Plan, darum machen wir einen — 10 Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft“, geschrieben von acht jungen Autorinnen und Autoren und Ende 2019 von der „Jugendrat der Generationen Stiftung“ herausgegeben.
Seinerzeit „promotete“ selbst Bundespräsident Frank Walter Steinmeier diese kritische Analyse über den, inzwischen noch weiter zugespitzten Zustand Deutschlands und der Welt, so bei einem Empfang Mitte November 2019 im Schloss Bellevue in Berlin. Zu der nötigen Entmilitarisierung und der dem deutschen Volk per Grundgesetz auferlegten Friedensförderung stellt das Autorenteam heraus (13, siehe Foto am Ende des Artikels):
„Das Budget des Bundesministeriums für Verteidigung muss ‚radikal gekürzt‘ werden.“
„Maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen der Bundeswehr zur Verfügung stehen. Dieses Geld wird aber in erster Linie nicht für militärische Zwecke, sondern für zivile ausgegeben. (…) Aufrüstung und Frieden sind unvereinbar.“
Statt Gewehre, Panzer und Kampfjets werden „faire Entwicklungszusammenarbeit, gute Bildung und die Förderung erneuerbarer Technologien“ benötigt. „Wir brauchen Rettungsboote statt Panzer.“
Denn:
„Die Zeiten, in denen Deutschland an dem Geschäft mit dem Tod verdient, müssen ein Ende haben. Exporte in Krisen- und Konfliktregionen, Deals mit menschenrechtsverletzenden und Krieg führenden Staaten und die Ausfuhr von Kleinwaffen und Munition müssen generell verboten werden. (…) Dass Firmen mit der Herstellung und dem Verkauf von Tötungsmaschinen Geld verdienen, ist für uns nicht hinnehmbar. Wir wollen keinen Reichtum auf Kosten von Menschenleben und fordern daher den schnellstmöglichen Abbau der Rüstungsindustrie.“
Klar ist auch:
„Friedenssicherung und Atomwaffen passen nicht zusammen (…) Die Atommächte und ihre Kompliz*innen setzen die Existenz der Menschheit jeden Tag aufs Neue aufs Spiel.“
Die Autorinnen und Autoren fordern:
„Deswegen muss Deutschland unverzüglich den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen und ratifizieren — unabhängig von den Entscheidungen der Atommächte. Damit ist die Bundesrepublik gezwungen, die Lagerung der Nuklearwaffen in Büchel aufzukündigen. Das macht den Weg frei zum Abzug beziehungsweise zur Zerstörung der Atomwaffen auf deutschem Boden. (…) Alle bestehenden Atomwaffenarsenale und Produktionsstätten müssen unverzüglich zerstört werden.“
Außerdem kritisieren sie Geschäfte von „Banken wie die Deutsche Bank und die Credit suisse (…, die) lange Zeit Streumunition und Landminen“ finanzierten. Inzwischen, so die Autorinnen und Autoren, „unterstützen viele große Banken mit Anleihen und Krediten die Herstellung von Nuklearwaffen. Kampfmittelbeseitigung und kriegsbedingte Altlasten werden den künftigen Bewohner*innen überlassen“.
An dem Friedensgebot, das die Verfassungsväter und -mütter allen Bundesdeutschen in ihr „Stammbuch“, das Grundgesetz, geschrieben hatten, ist Deutschland gescheitert. Als devoter Gehilfe der Vereinigten Staaten von Amerika und als „Waffenschmiede für die Welt“ — zum Gewinn weniger Profiteure, aber zur Gefährdung des Weltfriedens und zur millionenfachen Tötung von Menschen — geht seit Jahrzehnten ständig Krieg der USA gegen andere Völker und einzelne, zum Feind erklärte Gruppen und Personen besonders auch von deutschem Boden aus (14).
Die wiederholten Chancen für Deutschland, konsequent zur Förderung eines dauerhaften Friedens umzuschwenken, blieben von den jeweiligen politischen „Eliten“, die eigentlich stellvertretend und im Interesse des Souveräns Verantwortung tragen sollten, bislang ungenutzt.
Wie aber sieht es mit dem zweiten, durch das Grundgesetz, Artikel 1, Absatz 2 und 3, festgeschriebenen Gebot für das deutsche Volk und seine drei Staatsgewalten aus: dem Bekenntnis zu „der Gerechtigkeit in der Welt“?
Deutschland ist das ungerechteste Land der Welt.
Nicht zuletzt als Folge des im Bundesgebiet auf ganze drei Jahre ausgedehnten „Corona-Notstandes“ und der damit nochmals beschleunigten Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von „arm“ nach „reich“ ist Deutschland heute das ungerechteste Land der Welt. Fakt ist, der Unterschied zwischen „unmenschlichem Reichtum“ und „unmenschlicher Armut“, so die Terminologie von Hannah Arendt, (15) treibt mittlerweile nirgendwo weiter auseinander als in Deutschland. So schreibt der Ossietzky-Autor Günter Rexilius, der sich auf Angaben von Oxfam stützt, in seinem Beitrag „Demonstrationen gegen rechts“ am 10. Februar 2024:
„In keinem anderen europäischen Land — und nur in einem über die europäischen Grenzen hinaus — sind die Unterschiede zwischen reichen und armen Menschen (…) größer und beschleunigen sich schneller als in Deutschland“ (16).
Im Jahr 2022 galten fast 21 Prozent der Bevölkerung in Deutschland als von Armut bedroht. Dieser „Trend“ zeichnete sich allerdings schon früher ab. So stieg, wie Maurice Forgeng in seinem Beitrag in The Epoch Times vom 25. März 2024 „Armut in Deutschland, Europarat sieht viele Mängel bei den Menschenrechten im Land“ zwischen 2010 und 2019 „der Anteil der sehr armen Menschen, die weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, um 40 Prozent an“.
Parallel zum Anstieg „der Lebensmittelkosten um 15 Prozent seit 2022 hat sich die Zahl der Empfänger an den Tafeln in den vergangenen zwei Jahren fast verdoppelt — von 1,1 Millionen im Jahr 2020 auf zwei Millionen im Jahr 2022. 28 Prozent davon sind Kinder und Jugendliche, und fast ein Viertel sind ältere Menschen“, fasst der Autor das Elend in Deutschland in pure Zahlen. Währenddessen klettern die Profite der Lebensmittel-Konzerne und „Supermarkt“-Ketten auf Rekord-Niveau (17).
Anlass über die weltweit krasseste Vermögensspreizung mit ihren negativen gesellschaftlichen und sozialen Folgen zu berichten — um das sich nicht einmal die Mainstream- und Milliardärs-Presse gänzlich drücken konnte (18) — war der für Deutschland beschämende Länder-Bericht der Kommissarin für Menschenrechte des Europarates Dunja Mijatović aus Bosnien-Herzegowina, den sie Mitte März 2024 in Straßburg, dem Sitz des Rates, vorgestellte hatte. Turnusgemäß, nach sechsjähriger Amtszeit, ist sie seit April 2024 von dieser Aufgabe abgelöst durch den dafür neu gewählten Iren Michael O’Flaherty.
„Das hohe Ausmaß an Armut und sozialer Benachteiligung stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes und es bedürfe größerer Anstrengung bei der Bekämpfung von Armut, Wohnungslosigkeit und Ausgrenzung“ fasst Ulf Immelt für die kommunistische Zeitung UZ (Unsere Zeit) die Kernaussagen der Kritik der Menschenrechtskommissarin an den sozialen Verhältnissen in Deutschland zusammen.
In seinem Beitrag „Jeder Euro für den Krieg — Europarat kritisiert Armut in Deutschland. Bevölkerung zahlt für die Profite des militärisch-industriellen Komplexes“ geht der Autor besonders auf die Deutschland inzwischen kennzeichnende Obdachlosigkeit ein, denn diese ist eine direkte Folge der Armut. „Zuletzt ist die Zahl der Obdachlosen in Deutschland stark angestiegen. Im Verlauf des Jahres 2022 gab es zeitweise 607.000 wohnungslose Menschen“ berichtet der Autor:
„Ein Jahr davor hatten nur rund 383.000 Menschen kein Obdach — ein Anstieg von 58,5 Prozent.“
Indessen werden im Bundesgebiet „soziale Rechte“, zu denen die Menschenrechtskommissarin „das Recht auf angemessenen Lebensstandard, das Recht auf Bildung ebenso wie das Recht auf Wohnen“ zählt, noch nicht als Grund- und Menschenrechte angesehen. Bei der Bereitstellung von Sozialwohnungen rangiere die Bundesrepublik im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern weit abgeschlagen (19).
Zuvor schon, im November 2023, hatte der UN-Menschenrechtsrat Deutschland zur Einhaltung der Menschenrechte ermahnt. So sei der teilweise institutionelle Rassismus im Land zu bekämpfen. Beanstandet hat der Rat, wie es der Ossietzky-Autor Georg Rammer in seinem Beitrag „Erkämpft das Menschenrecht“ festhält, außerdem „das Verbot pro-palästinensischer Demonstrationen und die mangelnde Umsetzung der Konvention zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“.
Weitere Kritikpunkte aus der Außenperspektive auf den Zustand der Bundesrepublik, die ihren eigenen Ansprüchen zuwiderhandelt, kamen auch von Menschenrechtsorganisationen, so „bei der Behandlung von Flüchtlingen, der rasant steigenden Armut, dem Schutz der Versammlungsfreiheit, bei Polizeigewalt, Racial Profiling und einigen anderen ‚Sicherheits‘-Maßnahmen“ (20).
Jasmin Kalarickal, die für die taz schreibt, geht in ihrem Beitrag „Zu hohe Armutsquoten“ über die Kritik der Menschenrechtskommissarin des Europarats besonders auch auf die „Wohnungsnot“ in Deutschland ein, gegen die zu wenig getan werde: Laut OECD, so die Autorin, „lag der Bestand an Sozialwohnungen hierzulande 2020 bei 2,7 Prozent aller Wohnungen, also deutlich unter dem durchschnittlichen OECD-Wert von 6,9 Prozent, heißt es im Bericht“. Beklagt werde auch „der extreme Rückgang von Sozialwohnungen in den letzten 25 Jahren, von einst 3 Millionen Wohnungen auf 1 Million“, so die Journalistin. „Damit schneide Deutschland im Vergleich sehr schlecht ab“ (21).
Ein Drittel der Mieten fließt als Dividende zu BlackRock & Co.
Das reihenweise „Verscherbeln“ des „Tafelsilbers“ Wohnungen lief ab den 1990er Jahren wie geschmiert. Im neoliberal-enthemmten „Verkaufsrausch“ wechselte das frühere Gemeinschaftseigentum der ehemaligen DDR, aber auch große, ehemals kommunale Wohnungsbaugesellschaften der alten BRD, in die Vermögensmasse von Privatinvestoren, um am Ende „blühende Landschaften“ in Delaware und bei „Vermögensverwaltern“ wie BlackRock zu errichten.
Karsten Rohwedder (1932 bis 1991), der frühere Präsident der Treuhandgesellschaft, der sich bei dem letztlich „Ausverkauf der DDR“ eher für eine „bewahrende und erhaltende Politik für die ostdeutschen Betreibe“ einsetzte, fiel einem Attentat zum Opfer, wie Wolfgang Effenberger in seinem „Versuch einer Analyse: Deutsche Wiedervereinigung — Vier Attentate — Viele offene Fragen“ darlegt. Die Mordwaffe war ein Präzisionsgewehr, aus dem aus der Distanz ein gezielter Schuss abgefeuert wurde, ein zweiter Schuss verletzte Rohwedders Ehefrau. Trotzdem wurde versucht, die Tat, die nie aufgeklärt wurde, der „3. Generation der RAF“ (Rote Armee Fraktion) anzulasten (22).
Welche Profite aus dem „Wirtschaftsgut“ Wohnungen erzielt werden, macht der Ökonom Christian Kreiß mit seinen Manova-Beiträgen vom August 2023 und Juni 2022 deutlich: „Wohnen nur für Reiche — In deutschen Großstädten steigen die Mieten rasant, weil Boden und Grundstücke sehr ungleich verteilt sind“ und „Unerschwinglich Mieten — Die explodierenden Mietkosten könnten deutlich geringer sein, würde ein erheblicher Teil nicht an die leistungslosen Anteilseigner der großen Wohnkonzerne fließen“.
Darin weist der Autor nach, dass die Mieten von Wohnungen im Besitz der Immobilienunternehmen um ein Drittel gesenkt werden könnten, wenn „die Dividenden, statt sie an die anonymen großen Kapitaleigentümer auszuschütten, den Mietern zurückgeben (würden), woher sie ja stammen“.
In einer nicht gewinnorientierten Genossenschaft, bei der die Erwerbssteuer entfällt, wären die Mieten sogar um etwa 40 Prozent reduziert. Ein Hauptfaktor für Armut und Obdachlosigkeit in Deutschland wäre damit beseitigt. Bei dem vorherrschenden, „asozialen“ System, so Kreiß, findet hingegen „tagtäglich für das Grundlebensbedürfnis Wohnen ein Transfer von den Armen zu den Reichen“ statt. Denn gezahlt würde allein dafür, „dass jemand im Grundbuch steht oder Aktien von Wohngesellschaften hält — ohne irgendetwas dafür zu arbeiten oder zu leisten“ (23).
Letztlich, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler, „liegt hier eine strukturelle Übervorteilung der weniger wohlhabenden Menschen vor zugunsten einer kleinen, sehr wohlhabenden Oberschicht, die dieses System durch geschickte und gut bezahlte Lobbyarbeit politisch und durch starken Kapitaleinfluss auf die großen Medienhäuser auch medial zu stabilisieren weiß“. So fließen die Dividenden „zu 96 Prozent an Großanleger, die zu 89,8 Prozent im Ausland sind, und die vermutlich nicht so genau wissen, wo sich ihre vielen Hunderttausend Wohnungen eigentlich befinden“ (24).
Reiche, die „ihre“ 30 Prozent Dividende „arbeitslos“ von den Armen, die teils bis zur Hälfte ihrer Einkünfte für die Miete aufbringen müssen, um ein Leben mit Obdach und in Würde führen zu können, lassen ihr Vermögen oftmals von „Finanzunternehmen“ wie BlackRock verwalten und vermehren. Diese und weitere „Finanzkraken“ sind mittlerweile die führenden Eigentümer der größten Wohnungskonzerne in Deutschland, führt Werner Rügemer in seinem Buch „BlackRock & Co. enteignen! Auf den Spuren einer unbekannten Weltmacht“ weiter aus (25).
Und so ermahnte Dunja Mijatović, die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Deutschland denn auch: Es müsse eine auf „Menschenrechten basierende Wohnungsstrategie“ entwickeln und den „Nationalen Aktionsplan zur Überwindung von Obdachlosigkeit“ zügig verabschieden (26).
Immelt, für die UZ, stellt die Kritik aus dem Europarat in einen noch größeren Rahmen, macht sich aber gleichzeitig für die notwendige Entschärfung des „Wohnungsproblems“ bei der gegenwärtigen „Ampel“-Koalition mit ihrer verfehlten Schwerpunktsetzung keine Illusionen, denn für deren politische Ausrichtung gilt:
„Jeder Euro, der in Soziales, Gesundheit und Bildung investiert wird, fehlt für Aufrüstung und Stellvertreterkrieg. Jeder Cent, der in den Sozialstaat fließt, schmälert die Profite von Rheinmetall und anderen Rüstungskonzernen und damit auch die Dividenden derjenigen, die an den Börsen auf die Fortsetzung des Mordens in der Ukraine, in Palästina und anderen Kriegsschauplätzen wetten.“
Schließlich, so Immelts Einschätzung von der gegenwärtigen Ampel-„Politik“, „erweisen sich Aufrüstung und Stellvertreterkrieg als äußerst wirksame Instrumente zur Umverteilung von unten nach oben. Während der militärisch-industrielle Komplex mit Milliardensummen subventioniert wird, bezahlen die arbeitenden Menschen hierzulande mit längerer Lebensarbeitszeit, geringeren Renten und schlechterer Absicherung von Arbeitslosigkeit und Armut — und die Menschen in den Kriegsgebieten häufig mit dem Leben“ (27).
Und so bleibt auch mir kaum ein anderes Fazit, als zu erkennen, dass die Verfassungsrealität in Deutschland durch die jahrzehntelange falsche Politik eine völlige Umkehrung dessen erfahren hat, was sich die Verfassungsväter und -mütter für den Souverän, das deutsche Volk, vorgestellt und ihm gewünscht hatten: sich zu Frieden und Gerechtigkeit in der Welt zu bekennen und dafür einzusetzen.
Abschließend möchte ich Ferdinand Lassalle (1825 bis 1864) zitieren, der schon seinerzeit herausstellte, dass zwischen Verfassungs-Anspruch und -Wirklichkeit große Lücken klaffen können. In seiner 1862 gehaltenen Rede über „Das Verfassungswesen“ sagte der ein Jahr später zum ersten Präsidenten des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ (ADAV), ein Vorläufer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), gewählte Politiker und Philosoph:
„Was auf das Blatt geschrieben wird, ist ganz gleichgültig, wenn es der realen Lage der Dinge, den tatsächlichen Machtverhältnissen widerspricht“ (28).
Das stelle ich auch im Zusammenhang mit den Demos „gegen rechts“ fest, zu denen die Herrschenden und Privilegierten „ihre Untertanen“ zum sie Bejubeln aufriefen, auf das sich in dem ungerechtesten Land der Welt und damit der schlechtesten Bundesrepublik, die es je gab, nichts umkehre, schon gar nicht in Richtung Demokratie und Umverteilung von Vermögen und Macht von „oben“ nach „unten“. Umgekehrt wusste seinerzeit Rosa Luxemburg (1871 bis 1919): „Die ‚wissenschaftlichen‘ Verteidiger der besten Welten, in der wir leben (…, ) erklärten den kapitalistischen Reichtum durch eine ganze Reihe mehr oder minder plausibler Rechtfertigungsgründe und schlauer Manipulationen (…). Den Reichtum der einen, also auch die Armut der anderen“ stellen sie als „etwas ‚Gerechtes‘, mithin Unabänderliches“ hin (29).
Lassalle sah voraus:
„Sooft Sie, gleichviel wo und wann, sehen, daß eine Partei auftritt, welche zu ihrem Feldgeschrei den Angstruf macht, ‚sich um die Verfassung zu scharen‘ — was werden Sie hieraus schließen können? (…) Sie werden sich, ohne Propheten zu sein, in einem solchen Falle immer mit größter Sicherheit sagen können: Diese Verfassung liegt in ihren letzten Zügen; sie ist schon so gut wie tot, einige Jahre noch, und sie existiert nicht mehr.“
Stabil hingegen ist eine Verfassung dann, wenn „was auf dem Papier steht“, sich mit den tatsächlichen Machtverhältnissen deckt (30).
Steinmeier doch kein Kriegstreiber? Noch im November 2019 präsentierte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier den inzwischen zum Spiegel-Bestseller avancierten Titel „Ihr habt keinen Plan“. Foto-Arrangement: Ulrich Falke.
„Russland-Versteher“ Helmut Schmidt: Zitat von Helmut Schmidt, das zeigt, dass der frühere Bundeskanzler (1974 bis 1982)dazu fähig war, das Sicherheitsbedürfnis eines anderen Landes, in diesem Fall Russland, zu erkennen und sich in die Lage der „Männer“ zu versetzen, die für diese Sicherheit ihres Landes Verantwortung tragen.
Kriegsbeteiligungen der USA Mit im Durchschnitt zwei bis drei Kriegen pro Jahr überziehen die USA seit vielen Jahren Länder auf fast allen Kontinenten dieser Welt. Die „Bilanz des Mordens und Zerstörens“ der „Supermacht“ mit ihrem „Abo auf Kriege“ wurde hier grafisch per Balkendiagramm und Zeitschiene „aufgearbeitet“. Dieses Foto und die folgenden sind Bilder von an die Wand projizierten Folien von Jürgen Rose, Oberstleutnant der Luftwaffe a.D., bei seinem in Berlin am 23. Mai 2023 gehaltenen Vortrag. Fotos: Ulrich Falke.
Waffen-Lieferungen aus Deutschland an Nazis in der Ukraine? Nationalistisches Gedankengut ist in der westlichen Ukraine nach wie vor stark ausgeprägt und verbreitet. Darauf weist der frühere Oberstleutnant der Luftwaffe Jürgen Rose in seinem Vortrag hin. Nicht ausgeschlossen sei, dass Waffen aus Deutschland auch an Nazi-Truppen der Asow-Armee geliefert würden.