Das Comeback der Demokratie
Eine Online-Plattform bietet eine praktische wie einfache Lösung zur Rettung der Demokratie.
Die meisten Menschen haben den Glauben an die Demokratie verloren. Die Politiker versprechen das Blaue vom Himmel und am Ende ändert sich doch nie etwas zum Wohle der Bevölkerung. Lobbys geben den Ton an und wir müssen tatenlos zusehen — so zumindest empfinden es viele Bürgerinnen und Bürger. Magnus Rembold wollte sich damit nicht abfinden und entwickelte eine Plattform, die der Demokratie wieder auf die Beine helfen könnte. Ein Interview mit dem Entwickler der GREMIEN-Software und der Plattform „teilt-mit.de“ für die Entscheidungsfindung mit demokratischen Methoden.
Offener Zugang zur demokratischen Mitbestimmung — dieses Ziel hat die Online-Plattform GREMIEN. Mit der Software, derzeit zu finden unter teilt-mit.de, soll unter anderem die Mitwirkung an politischen Gremien, wie zum Beispiel in Gemeinde- oder Stadträten, aber auch dem Bundestag, vereinfacht und für Bürgerinnen und Bürger transparent gestaltet werden.
Das Konzept ist denkbar einfach: Themen können auf der Plattform vorgestellt und mittels Pro-und-Contra-Abstimmung diskutiert werden, ähnlich wie es auch auf der Diskussionsseite „Kialo“ geschieht. Zudem finden sich sämtliche Vorhaben des Bundestags tagesaktuell auf der Plattform, zur Mitwirkung bereit. Entwickelt wurde die Software von Magnus Rembold, der mit diesem Werkzeug mehr demokratisches Engagement ermöglichen möchte.
Rubikon: Wie sind Sie auf die Idee für dieses Projekt gekommen?
Magnus Rembold: Ich habe 15 Jahre als Dozent in der Schweiz gearbeitet, da bleibt es nicht aus, dass man durch Kolleginnen, Nachrichten oder zum Beispiel die Schweizer Kostenlos-Zeitungen in der Straßenbahn mit den anstehenden Volksabstimmungen konfrontiert wird. Und Demokratie war mir schon immer wichtig. In den frühen 90ern habe ich eine Zeit lang den Verein „Mehr Demokratie e.V.“ unterstützt, um den bundesweiten Volksentscheid einzuführen. Das hat ja leider bis heute nicht geklappt.
Schließlich hat mich Marianne Grimmensteins CETA-Klage darauf aufmerksam gemacht, dass man nur 200 Unterstützungsunterschriften braucht, um in einem Wahlkreis zum Bundestag anzutreten. Und da war es geschehen: ich war wieder politisch engagiert.
Wie setzen Sie dieses politische Engagement jetzt um?
Das einzige, was ich nebenher machen kann, ist meine sowieso vorhandenen Kompetenzen einzubringen … Ich wollte bewusst in keine Partei gehen — und dann bleibt eigentlich nur eine parteilose Kandidatur. Das ist absolut unrealistisch. Ist auch seit 1949 nie wieder passiert, dass jemand Abgeordneter wurde, der nicht auf einem Partei-Ticket reitet.
Von daher war mein erster Gedanke: Wenn doch wieder Menschen versuchen sollten, wirklich parteiunabhängig in die Politik einzusteigen, direkt in den Bundestag, dann brauchen diese eine Plattform. Und siehe da, ich bin zufälligerweise Entwickler für Web-Plattformen! Ich wollte diese Kenntnisse also einbringen. Daraus ist dann die Bürgerkandidaten-Initiative geworden.
Welches Werkzeug wollten Sie den Bürgerkandidatinnen und -kandidaten damit an die Hand geben?
Zu Beginn war das eigentlich nur eine Art erweiterter Blog, auf dessen Seite sich zudem alle, die wirklich zur Wahl antraten, persönlich vorstellen konnten. Bei der Wahl 2017 hat sich dann gezeigt, dass das nicht so richtig gut funktioniert hat.
27 oder 28 Kandidatinnen und Kandidaten waren auf den Wahlzetteln für ihre Wahlkreise vertreten, zwischen 0,5 und 10 Prozent haben sie bekommen. Niemand hat es geschafft. Leider. Aber da ist der Samen für die GREMIEN-Software gelegt worden.
Mit GREMIEN möchten Sie demokratische Vorgänge für eine Mitwirkung durch die Bevölkerung öffnen. Wie sieht das in der Praxis aus?
Stellen Sie sich mal vor, Sie sind die Bundestagsabgeordnete in Ihrem Wahlkreis. Und stellen Sie sich weiter vor, dass Sie eigentlich nicht so viel Ahnung von speziellen Themenbereichen haben, aber überzeugte Demokratin sind. Sie wollen also nicht einfach nach Ihrem Gusto entscheiden, sondern Sie interessiert, was Ihre Wählerinnen und Wähler denken. Wie finden Sie das heraus?
Klar — indem man die Bevölkerung befragt. Fehlt Ihnen das denn im politischen Alltag?
Die AfD spricht ja immer vom Volkswillen und meint, den ganz genau zu kennen und die einzige Vertreterin davon zu sein. Wenn man sich das aber genau überlegt, ist das ziemlicher Quatsch.
Aber provokant gefragt, was machen Sie denn besser als die AfD? Und wie?
Demokratie heißt ja, dass die Menschen entscheiden. Ich versuche den Begriff „das Volk“ zu vermeiden, weil ich die Menschen nicht als eine homogene Masse sehe. In Deutschland leben viele einzelne Menschen und die haben immer unterschiedliche Meinungen. Also muss man ganz konkret an ein Thema, eine Lösung herangehen.
So macht die Bundespolitik das auch. Da heißt es ja nicht einfach so: „Also wir Parteien brauchen mehr Geld“, sondern die machen einen Gesetzentwurf. „Anpassung der finanziellen Förderung der Parteien …“ oder so ähnlich.
Was mir in der Bundespolitik allerdings fehlt, ist der ernsthafte und offene Austausch zwischen den Menschen und den Politikerinnen und Politikern, auch zwischen den Parteien im Plenum. Wer einmal Bundestagsfernsehen einschaltet, begreift schnell, dass das ein Schaukampf ist.
Ich habe noch Schwierigkeiten mir vorzustellen, wie das auf der Plattform abläuft. Können Sie das näher erklären?
Um beim Beispiel Bundestag zu bleiben: Auf GREMIEN gibt es für jedes Bundestagsvorhaben automatisch ein Mitwirkungsforum. In drei Spalten können Argumente gesammelt werden: Pro, Contra und neutral. Jede und jeder kann sich daran beteiligen. Sie oder ich oder auch die Abgeordneten oder sonstige politisch aktive Menschen. Die schreiben einfach ihre Argumente hinein. Ein bisschen so, wie bei Twitter, nur dass man sich eben auf eine Sache fokussiert, zum Beispiel „Abschaffung der Zeitumstellung“, und versucht, klare Aussagen dafür und dagegen zu finden.
Und so, wie Sie in Twitter die Timeline haben, also den zeitlichen Ablauf aller geschriebenen Nachrichten hintereinander, so gibt es in den Mitwirkungsforen dann eine geordnete Liste der Argumente.
Das Ganze geschieht anonym, auch die Moderation. Was ist Ihrer Meinung nach der Vorteil davon?
In den üblichen sogenannten sozialen Netzwerken, Twitter, Facebook und was es sonst so gibt, werden immer wieder Leute persönlich übel angegriffen oder in ausufernde Kommentar-Kriege um nebensächliche Kleinigkeiten verstrickt. Für das Mitwirken an einem konkreten Vorhaben ist das absolut nicht sinnvoll. Das bremst, das schreckt ernsthafte Nutzerinnen und Nutzer ab.
Also haben wir beschlossen, dass es nicht ersichtlich sein soll, wer ein bestimmtes Argument verfasst hat. Man sieht nur den Text, keinen Bezug zu irgendeinem Profil. Dann kann ich auch nicht die Person mit diesem Profil beschimpfen, sondern muss mich auf den Inhalt der Aussagen beziehen. Wir erlauben auch keine Unterkommentare, damit es keine lange Auseinandersetzung geben kann. Entweder eine Person bezieht sich direkt auf ein Argument, oder sie lässt es sein.
Zudem hat die Plattform eine Crowd-Moderation. Das heißt, ein Beitrag wird erst dann aufgenommen, wenn eine Handvoll zufällig ausgewählter Moderatorinnen per Mehrheitsentscheid gesagt haben: Ja, das ist weder Spam, noch Hetze, noch beleidigend, es ist verständlich genug, das können wir in unserer sachlichen Debatte so veröffentlichen.
Noch läuft GREMIEN ja in sehr begrenztem Rahmen. Mal ganz groß gedacht: Könnte auch die Bundesregierung von einer solchen Plattform profitieren und wenn ja, wie?
Gute Frage, sehr gute Frage. Die Regierung selbst ist ja im Gesetzgebungsprozess nur mittelbar beteiligt. Aber natürlich können die Abgeordneten ganz konkret profitieren!
Die Debatte wird reicher, es kommen mehr und vielfältigere Argumente von außen dazu. Die Wahrscheinlichkeit, dass man bestimmte Punkte unter den Tisch fallen lässt, wird viel kleiner, weil alle Menschen etwas beitragen können. Die Abgeordneten sehen, wie überzeugend einzelne Argumente sind, weil die Menschen diese bewerten können.
Ihr Tool könnte also Abgeordneten auch im politischen Alltag helfen?
Sicher. Sie können das System nutzen, um sich auf ihre Sitzungen vorzubereiten. Vor allem in der Phase vor einer Empfehlung durch einen Ausschuss gibt es für die Abgeordneten nur die Argumentation aus dem Parteiprogramm oder der Parteiführung. Durch die Debatte zum Vorhaben in GREMIEN haben sie schon viel früher die Möglichkeit, das Thema auch schon mal intern zu diskutieren.
Und eine bessere Kommunikation mit ihren Wählerinnen und Wählern ist möglich, indem die Abgeordneten ihre eigene Position zu einem Vorhaben zum Beispiel eingebettet auf ihrer Website veröffentlichen, beispielsweise nur die Argumente veröffentlichen, die sie selbst gut finden und für relevant halten.
Ihr Projekt ist noch ganz jung und steht am Anfang. Was wünschen Sie sich für die Zukunft — nicht nur für GREMIEN, sondern auch für die demokratische Landschaft in Deutschland?
Ganz klar, einen viel stärkeren Fokus auf die Sachpolitik. Das ist zwar vielleicht nicht gut für die Medien — Artikel über Personen, Streit und Intrigen lesen sich eben einfacher.
Aber mal ganz ehrlich: Uns geht es zwar gut, aber wir haben extreme Herausforderungen in der Zukunft vor uns. Es gibt inzwischen auch einige Lösungsansätze, aber leider wenige Politikerinnen und Politiker, die das sinnvoll umsetzen können. Die machen oftmals eben das, was ihnen die Lobby-Leute einflüstern.
Es wäre also aus meiner Sicht viel besser, wenn diese konkreten Probleme und die Lösungen dazu von allen Menschen besprochen werden könnten. Ich bin fest davon überzeugt, dabei käme eine bessere Politik heraus.
Was hat Ihnen denn bisher in der Bundespolitik gefehlt?
Wenn Sie Ihre Wahlentscheidung der letzten Jahre überdenken: waren Sie wirklich hundertprozentig von der Partei überzeugt, die Sie gewählt haben? Ich nicht! Von keiner.
Viele Parteien haben für mich für einen konkreten Bereich eine gute Lösung, aber nicht für alle. Deswegen will ich über Themen abstimmen, nicht über die Gesichter auf den Wahlplakaten. Dieser Fokus ist mir abhandengekommen — und er ist heute in der Flut der Informationen und Fake-News wichtiger denn je.
Zum Schluss: Was haben Sie jetzt vor mit Ihrem Projekt?
Leider gibt es darauf keine einfache Antwort. Die Förderung ist ausgelaufen. Die Plattform kann genutzt werden, aber sie ist bisher ein Prototyp.
Ich arbeite im Augenblick ehrenamtlich an zwei Strängen: Zum einen versuche ich immer noch, eine Anschlussfinanzierung zur Weiterentwicklung eines stabilen Systems zu finden. Sei es über Stiftungen oder eventuell über ein Crowdfunding.
Auf der anderen Seite stelle ich das Projekt gerade überall vor, wo ich kann, um Gremien zu finden, die es wirklich einsetzen wollen. Der Gemeinderat in meiner Heimatstadt will das zum Beispiel tun. Und am Wochenende habe ich einen Mitmach-Workshop auf einem Barcamp angeboten. Das Publikum war fasziniert und hat mitgearbeitet und ausprobiert.
Was mich besonders gefreut hat: ein Teilnehmer hat ganz viele und sehr konkrete Fragen gestellt. Fünf Minuten vor Schluss musste er gehen, ließ mir seine Visitenkarte da, und als ich sie später genauer anschaute, stellte ich fest, dass er tatsächlich ein Bundestagsabgeordneter war.
Quellen und Anmerkungen:
Fragen können gestellt werden an mmr@teilt-mit.de. Mehr Informationen über die Entwicklung der Plattform sind im Blog sowie im Info-Video zu finden.