Das betrogene Volk

Das Schicksal der Palästinenser kann man mit dem nordamerikanischer Indianer vergleichen. Wer nicht vertrieben wurde, blieb als „Unterschicht“ im eigenen Land. Teil 3 von 6.

„Es gibt kein palästinensisches Volk“, sagte die ehemalige israelische Ministerpräsidentin Golda Meir. Der politische Hintergrund dieser Äußerung scheint klar. Dort, wo „niemand“ ist, kann man sich getrost ansiedeln. Und sollten auf dem begehrten Gebiet doch irgendwie Menschen sein, muss man sie nicht so ernst nehmen oder gar als gleichberechtigt anerkennen. Das Bedauern westlicher Länder über die fortdauernde Vertreibung, Unterwerfung und Diskriminierung von Palästinensern durch den „Judenstaat“ hielt sich stets in Grenzen. Tatsächlich kann man bei den Palästinensern alle Merkmale eines eigenen Volkes feststellen: ein eigenes traditionelles Gebiet, eine eigene Kultur und Sprache. In historischen Betrachtungen wird es meist im Doppelpack erwähnt: „Israel/Palästina“. Es wird Zeit, die wechselhafte Geschichte dieses Volkes zu erzählen, bevor immer größere Teile von ihm im Bombenhagel untergehen. In den ersten beiden Folgen dieser Artikelreihe wurde das Schicksal des „Heiligen Landes“ vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Staatsgründung Israels 1948 behandelt. Dieser dritte Teil widmet sich vor allem der „Nakba“, der Ermordung und Vertreibung Tausender von Palästinensern.

„Wir haben sie einfach weggefegt.“

„Wir haben sie einfach weggefegt. Weggefegt, wie mit dem Besen“, sagt ein Veteran aus dem „Israelischen Befreiungskrieg“, der keiner war, im Dokumentarfilm „Route 181“ und lacht dabei herzlich (1).

Tatsache ist, dass zwischen 1947, dem Jahr des UN-Teilungsbeschlusses, bis zur Staatsgründung Israels 1948 und noch bis 1950 etwa 870.000 Palästinenser, mehr als die Hälfte des damals dort seit Jahrhunderten ansässigen Volkes, aus einem Teil seiner Heimat, seinem Grund und Boden, etwa 500 Dörfern und Städten wie Asqalan, Jaffa, Haifa oder Akka, nach lange gehegtem Plan gewaltsam vertrieben wurden, um so viel wie möglich an Boden — und mehr als im UN Teilungsbeschluss „181“ entschieden worden war — „Araber-rein“, also frei von Palästinensern für den erhofften neuen Staat zu sichern (2).

Der vorangegangene Betrug der Großmächte am palästinensischen Volk, damals vor allem England, zu Gunsten der zionistischen Bewegung geschah bereits lange davor im Ersten Weltkrieg zum Ende des Osmanischen Reiches, zu dessen Herrschaftsbereich Palästina seit mehr als 400 Jahren gehört hatte:

  • Im „Sykes-Pikot-Abkommen“ von 1916 zwischen England und Frankreich, in dem bereits die Aufteilung der Kriegsbeute beschlossen worden war, bevor der Krieg zu Ende ging. Palästina sollte an England gehen.
  • In der „Balfour-Deklaration“ von 1917, Englands Versprechen an die zionistische Bewegung, im zukünftigen Palästina die „Jüdische Heimstätte“ zu unterstützen.
  • In der Völkerbund-Erklärung von 1923, das Mandat über Palästina an England zu übergeben, das es seit 1915 militärisch besetzt hielt und dies mit dem ausdrücklichen Auftrag, die obengenannte „Balfour-Deklaration“ mit allen Mitteln umzusetzen.

Die Vertreter des palästinensischen Volkes stritten in jener Zeit — wie alle Völker unter den untergehenden Großreichen Österreich-Ungarn, dem zaristischen Russland und dem Osmanischen Reich — um Unabhängigkeit und Souveränität auf ihrem historisch gewachsenen Boden und konnten diesen Entscheidungen nicht zustimmen. Sie erklärten dies mehrfach und deutlich — gegenüber Theodor Herzl, dem Gründer der zionistischen Bewegung, gegenüber der Besatzungsmacht England und gegenüber dem Völkerbund.

Die Botschaft einer durch den Völkerbund entsandten Untersuchungskommission war eindeutig: Die dortigen Völker, vor allem das palästinensische, waren gegen eine Mandatslösung und lehnten die Balfour-Deklaration ab. Diese Kommission riet sogar, von dem Projekt „Jüdische Heimstätte“ Abstand zu nehmen.

Da aber die palästinensischen Sprecher ohne offizielle Vertretung oder gar als anerkannte Staatsmänner „nur“ gehört wurden und ohne Macht dastanden, sprachen immer wieder andere für das palästinensische Volk.

Mit den gleichen Forderungen nach Souveränität und Eigenstaatlichkeit beanspruchte die zionistische Bewegung im Namen des jüdischen Volkes Palästina seit 1897, ihrem ersten Weltkongress, als „Heimkehr in das biblisch versprochene Land“ — ohne sich auf Gemeinsamkeiten außer der Religion und den darin entstandenen Traditionen, ja nicht einmal auf eine gemeinsame Sprache berufen zu können —, ganz anders als das palästinensische Volk.

Die zionistische Bewegung war seit langem gut organisiert und hatte bald eine im Mandat enthaltene anerkannte Vertretung, die „Jewish Agency“ (JA), mit guten Kontakten vor allem zur englischen Regierung.

Bis 1947 war der Mandats-Auftrags durch England mithilfe von neuem und altem Bodenrecht und englischem Planungsrecht nahezu erfüllt, auch wenn Ende der 30er Jahre die palästinensische Protestbewegung dazu geführt hatte, dass im „Weißbuch“ von 1939 die Reduzierung jüdischer Einwanderung die weitere Politik Englands bestimmen sollte —- gegen heftigen Widerspruch der zionistischen Bewegung, dem mit Terroranschlägen auf englische Einrichtungen nachgeholfen werden sollte.

Während aber jeder Widerstand aus dem palästinensischen Volk brutal zerschlagen und jeglicher Versuch, eine anerkannte Vertretung, Partei oder gar „Regierung“ zu gründen, verhindert worden war, wurde die JA mit Regierungsbefugnissen ausgestattet und war der offizielle Partner, der mit der Mandatsmacht über alle Fragen der Immigration und Kolonisierung verhandelte. Als Antwort auf das Weißbuch von 1939 fasste die „World Zionist Organization“ (WZO) in der Biltmore-Konferenz von 1942 den entscheidenden Beschluss, um jeden Preis einen Staat zu schaffen und die dafür notwendige Einwanderung zu erzwingen (3).

Das entstandene Machtvakuum zwischen 1947 und dem schließlich endgültigen Abzug Englands aus Palästina am 14. Mai1948 wusste nur die zionistische Bewegung für sich zu nutzen.

Vom Ende des englischen Mandats über Palästina bis zur Staatsgründung Israels: Krieg

Der Krieg war 1947 nachweislich von den illegal operierenden zionistischen Milizen und para-militärischen, von England trainierten Streitkräften wie Haganah oder Irgun begonnen worden. Absicht war nach einem schon 1937 von David Ben-Gurion, seit 1935 Vorsitzender der JA, in Auftrag gegebenen Plan „D“, Palästina als zukünftigen jüdischen Staat „Araber-rein“ zu bekommen und einen möglichst großen Anteil des Mandatsgebietes zu erkämpfen. Der Geheimdienst Shai der Haganah hatte bereits seit 1943 mit einem umfassenden Überblick über alle Dörfer, den sogenannten „village files“, eine nutzbringende Informationsquelle über jedes palästinensische Dorf, seine politische, soziale und wirtschaftliche Lage erstellt, und die zionistische Bewegung war damit für die gezielten Militäreinsätze gut vorbereitet (4).

Die Streitkräfte der gerade erst unabhängig gewordenen arabischen Nachbarländer eilten im Mai 1948 schlecht organisiert zur Verteidigung der Palästinenser und ihrer durch die UN „garantierten“ Regionen herbei: Irak, Syrien, Libanon und Ägypten. Sie hatten den UN-Teilungsbeschluss in der UNO abgelehnt. England hatte sich enthalten und seitdem jede Verantwortung von sich geschoben. Erneut vertraten andere die palästinensischen Interessen in deren Namen (5).

An einem unabhängigen palästinensischen Staat schien keines dieser Länder ernsthaft interessiert zu sein. Vor allem Jordanien wollte nachweislich liebend gern die West-Jordan-Seite mit seiner entwickelten Landwirtschaft in den eigenen Herrschaftsbereich eingliedern, denn die Ost-Seite war größtenteils Wüstengebiet, von mächtigen Beduinenstämmen beherrscht und wirtschaftlich wenig entwickelt.

Die führenden, teilweise aus Krieg und Verbannung zurückkehrenden Männer des ehemaligen aus dem 36er-Streik entstandenen palästinensischen Führungsgremiums waren uneinig darüber, mit wem und welchem Ziel man sich verbünden sollte (6).

Palästina geriet zwischen die Fronten — auch des folgenden Ost-West-Konflikts.

Ergebnisse des Krieges

Der Krieg endete nicht mit den Waffenstillstandsabkommen zwischen Libanon, Jordanien/Irak, Syrien und Ägypten von März bis Oktober 1949.

Aber ausdrücklich waren seitdem die neuen Grenzen über den UN-Beschluss 181 hinaus als „Waffenstillstandslinien“ bezeichnet worden, bewusst nicht als Staatsgrenzen Israels. Die UN und auch der Internationale Gerichtshof gehen inzwischen sogar stillschweigend von diesen Waffenstillstandslinien als den heutigen Grenzen aus, wenn über eine Zweistaatenlösung gesprochen wird.

Von etwa 6 bis 7 Prozent echtem Bodenbesitz hatten die UN im Beschluss 181 dem jüdischen Staat völlig unverhältnismäßig 56 Prozent zugesprochen, und nun hatte Israel mehr als 70 Prozent des ehemaligen Mandatsgebietes Palästina unter seiner militärischen und politischen Gewalt. Ägypten behielt und besetzte den Gazastreifen, ohne die Menschen als Ägypter anzuerkennen, sie gelten als „staatenlos“. Jordanien besetzte die sogenannte „Westbank“ einschließlich Ost-Jerusalems mit der historischen Altstadt, die dort lebenden Menschen erhielten jordanische Staatsbürgerschaft und entsprechende Ausweise.

Erst 1988 tritt Jordanien die Westbank offiziell an die Palästinensische Befreiungs- Bewegung (PLO) als Vertreterin des palästinensischen Staates ab. Die PLO hatte 1988 den palästinensischen Staat proklamiert (siehe folgender Teil 4).

Das palästinensische Volk war also an den Verhandlungen nicht beteiligt worden und kein „Partner“ des Waffenstillstands oder gar eines Friedensvertrages. Es wurde nicht einmal namentlich erwähnt.

Das Ende dieses dramatischen Akts des Landraubs gegen den Willen des palästinensischen Volkes, gegen internationales Recht und gegen die gültigen internationalen Beschlüsse zeigt bereits, wie seitdem sowohl von Seiten Israels als auch von den arabischen „Brüdern“ und den Mächtigen der Welt verfahren wird: Von einem palästinensischen Volk ist nicht die Rede, andere reden und entscheiden an seiner Stelle, ein grundlegender Betrug.

Die BODEN-Frage — noch ungelöst

Die etwa 6,7 Prozent des von der JA während der Mandatszeit erworbenen palästinensischen Bodens lagen in strategisch wichtigen Gebieten: an der Küste, im Raum Jerusalem, in der fruchtbaren Ebene Marj Ibn Amer, heute Yizreel-Ebene, sowie im Nord-Negev. Durch den Krieg, Plan D, die „Aktion Besen“, ist das wasserreiche Hula-Gebiet im Nord-Osten hinzugekommen. Die im Krieg eroberten Dörfer des Süd-Libanon mit den begehrten Wassern des Litani-Flusses musste Israel räumen, was nicht bedeutete, dass Israel die Begehrlichkeit darauf aus den Augen verloren hätte (7).

Israel hatte nun mit über 70 Prozent zwar die Kontrolle über große Teile des ehemaligen Mandatsgebiet Palästina, aber Judäa und Samaria, Regionen der zentralen jüdischen Königreiche nach dem Alten Testament, und Ost-Jerusalem mit der historischen Altstadt — und dem „Allerheiligsten“, nach jüdischer Auffassung und Endzeit-Visionen, dem Tempel-Berg — waren noch unter jordanischer Kontrolle und palästinensisch.

Das zentrale Problem aber war, dass sich der größte Teil des Bodens noch in palästinensischem Besitz befand — privat oder kollektiv —, oder er gehörte den religiösen Institutionen.

Die BEVÖLKERUNGS-Frage — bereits entschieden?

Bei der Bevölkerungszusammensetzung sah es anders aus: Die faschistische Verfolgung und der tausendfache Mord an den Juden Europas hatten das Blatt entschieden gewendet. In nur kurzer Zeit nach 1933 wuchs die jüdische Neu- Bevölkerung von etwa140.000 um 1930 auf etwa 500.000 Menschen bis 1945 an und bildete nach der Vertreibung eines Großteils der Palästinenser eine klare Mehrheit. Dazu führte auch das Ha’avara-Abkommen zwischen der WZO mit der Hitler-Regierung von 1933, das wohlhabenden Juden die Ausreise im Freikauf ermöglichte (8).

Der größte Teil der etwa 250.000 nach dem Krieg in Europa durch die alliierten Siegermächte als „Displaced Persons“ registrierten Holocaust Überlebenden, die ohne Pass oder Nachweis einer staatlichen Identität in neu errichteten oder gar den ehemaligen Todeslagern kaserniert worden waren, hatten kaum eine andere Wahl als nach Palästina zu gehen. Die erschreckenden Bilder aus den Konzentrationslagern erhöhten den Druck auf die internationale Gemeinschaft, den Juden zu Hilfe zu kommen, die zunächst gemäß ihrer bisherigen Immigrationspolitik keine größeren Kontingente aufnehmen wollten. Die Vertreter der WZO favorisierten die Ausreise nach Palästina und warben in den Camps dafür, und so kamen bis 1950 etwa weitere 140.000 von ihnen nach Israel (9).

Reichte das dem neuen Staat? Nein!

1941, noch vor der Staatsgründung, forcierte David Ben-Gurion die Entwicklung eines „Immigration Master Plans“, und ein entsprechendes Komitee wurde damit beauftragt, die Bedingungen dafür zu klären. Es wurde daraus der „Eine-Million-Plan“ zur Schaffung einer entschiedenen jüdischen Mehrheit im eroberten Gebiet.

Neben den Flüchtlingen aus Europa wurden dazu gezielt jüdische Bürger aus den arabischen Staaten angeworben und insgesamt — seit 1948 — etwa 800.000 von ihnen bis in die 1950er Jahre zur Ausreise nach Israel bewogen. Obwohl die arabischen Juden im Großen und Ganzen in ihren Ländern akzeptierte Bürger waren und es unter ihnen nur wenige Anhänger des Zionismus gab, änderte sich das im Zuge des Krieges gegen die palästinensische Bevölkerung in Palästina. Es gab vermehrt Angriffe auf jüdische Gemeinden, wie in Bagdad und anderswo.

Ein Aspekt des „Eine-Million-Plans“ war die Entsendung zionistischer Aktivisten in diese Länder der „Unentschlossenen“. Finanziert werden sollte diese gesamte Aktion nach Ben-Gurions Vorstellung durch England, die USA und die „Wiedergutmachung“ Deutschlands (10).

Berühmt wurde die einzigartige Aktion „Fliegender Teppich“, bei der etwa 50.000 Juden aus dem Jemen nach Israel ausgeflogen wurden. Ebenso kamen tausende aus Libyen und Marokko.

In der Dokumentation „Route 181“ erzählt eine jüngere Frau, wie sie und andere junge jüdische Marokkaner und Marokkanerinnen in geheimer Mission nach 1948 von zionistischen Instrukteuren dafür ausgebildet wurden, ihre Familien zur Ausreise nach Israel zu bewegen — obwohl diese als anerkannte Geschäftsleute eigentlich keine antijüdische Bedrohung erlebt oder zu befürchten hatten (11).

Ähnlich war im Irak verfahren worden. Nach den Berichten meiner kurdischen Kollegen an der Universität Duhok und aus den Kontakten zur Landbevölkerung in unserem deutsch-irakischen Studienprojekt über die Zukunft der unter Saddam Hussein umgesiedelten Dörfer erfuhren wir, dass nach den antijüdischen Überfällen in Bagdad ebenso zionistische Aktivisten aus Israel in die Dörfer mit hauptsächlich jüdischer Bevölkerung kamen und in den Synagogen für die Ausreise nach Israel warben. So im Dorf Sindor zum Beispiel, in dem unsere irakisch-deutsche Projektgruppe Interviews durchgeführt hatte. Die meisten Juden verließen daraufhin ihre Felder und Werkstätten, gaben sie in die Obhut ihrer kurdischen Nachbarn und wanderten in Israel ein (12).

Und was geschah mit der palästinensischen Bevölkerung? Die Folgen der Naqbe

1948 liegt das palästinensische Volk am Boden, zu Hunderttausenden werden die Menschen zu Flüchtlingen — in Israel, Gaza, der Westbank und in den Nachbarländern. Von den etwa 160.000 in Israel Verbliebenen werden 81.000 zu Flüchtlingen im eigenen Land, wie auch die etwa 280.000 Menschen in der Westbank und die 180.000 im Gazastreifen. Darüber hinaus flüchten etwa 250.000 Palästinenser in die Nachbarländer Libanon, Syrien und Jordanien, die Mehrheit in den Libanon (13).

Eigens für die Palästina-Flüchtlinge werden am 8. Dezember 1949 durch die Vereinten Nationen (UN) die „United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East“ (UNWRA) sowie 1951 der „United Nation High Commissioner for Refugees“ (UNHCR) gegründet.

Heute leben noch immer fast 6 Millionen Menschen in den 58 anerkannten Flüchtlingslagern der UNWRA in Jordanien, Libanon, Syrien, Westbank, Ost-Jerusalem und im Gazastreifen. Das ist ein Drittel aller als Flüchtlinge inklusive ihrer Nachkommen registrierten und als solche anerkannten Palästinenser und Palästinenserinnen (14).

Die UN-Resolution 194, die das Rückkehrrecht der im Krieg geflüchteten Palästinenser anerkennt und Israel auffordert, deren Rückkehr zu ermöglichen, wird, wie auch spätere UN-Resolutionen, von Israel ignoriert. Es werden neue Gesetze durch das Parlament, die Knesset, erlassen, die das Recht auf ihre Rückkehr vereiteln (siehe folgender Teil 4)).

Für viele Palästinenser — inzwischen etwa die Hälfte des Volkes — bedeutet das Geschehen dauerhafte Entfremdung und Ausschluss von ihrer Heimat bis heute.

Ein Trauma, das auch die Zerstörung eigener sozialer, politischer und kultureller Identität umfasst; wie zum Beispiel für Ali, den Mann meiner Kollegin im Wohnungsministerium in Ramallah, der mir 2012 in Aqaba erzählte:

„(…) Ich bin in Haifa geboren, mein Vater hatte dort Arbeit. Ursprünglich waren wir aus dem kleinen Dorf Alyammon bei Jenin. Als der Krieg Haifa einholte, ging die ganze Familie in Eile dorthin zurück, um in Sicherheit zu sein. Die vereinten arabischen Armeen waren zu Hilfe gekommen, alle hofften auf Rettung. Aber die Milizen kamen bis zu uns, und die Flucht nach Jordanien begann. Das Massaker an allen Zivilisten im Dorf Deir Yassin am 10. April 1948 hatte größte Angst verbreitet.

Ich war gerade acht Jahre alt. Wir packten in großer Panik das Nötigste, überall um uns herum war Panik. Wir waren acht Kinder, das kleinste trug die Mutter in Decken gehüllt auf dem Arm. Der Weg ins Exil begann mit hunderten Nachbarn, darunter vielen Kindern. Als wir schon eine Weile unterwegs waren, schrie plötzlich unsere Mutter: ‚Wo ist Khaled?’ Tatsächlich war er in dem Wirrwarr im Dorf vergessen worden. Ich sollte zurück und ihn holen. Voller Furcht bin ich zurückgelaufen. Ich fand ihn unter dem Feigenbaum, ruhig spielend, er hatte alles um sich herum vergessen. Schnell sind wir zurück zur Familie gelaufen und waren glücklich wieder vereint — aber diesen Schrecken werde ich in meinem Leben nie vergessen.

Wir sind später in einem Flüchtlingslager untergekommen. Ich ging dort zur Schule, studierte später in den USA, wurde Ingenieur und Experte für Wasserfragen und bin in vielen Projekten der arabischen Länder, zuletzt in Bagdad, tätig gewesen. Ich habe mein Dorf nie wiedersehen können, es war zerstört worden. Ich bin Fremder, allenfalls ein Gast oder Tourist in meinem eigenen Land geworden.

Für eine Konferenz an der Birzeit Universität in Ramallah in der Westbank zu Wasserfragen bekam ich ein Einreisevisum. An der israelischen Grenzkontrolle schaute die junge Frau auf meinen Pass und fragte ungläubig: ‚Geboren in Haifa???’ Sie wollte mich nicht durchlassen, hielt mich für einen Agenten oder weiß ich was. Sie rief aufgeregt den Chef. Der erklärte ihr: ‚Ja, es gibt sie, die bei uns geboren sind. Er ist hier Gast. Da wollen wir ihn höflich als Gast behandeln, und er darf durch.‘ Ich bin nur Gast???“ (15)

Die UNWRA bemühte sich neben der Sicherung von minimaler Behausung vor allem um die Förderung von Ausbildung. Das war nicht nur für Ali ein Glück. Tatsächlich aber waren die allgemeinen Lebensumstände in den Lagern mehr als hoffnungslos: enge Gassen, wenig Raum, Wellblechdächer, Wasser und WC draußen in kleinen Höfen, kaum mehr als zum Überleben notwendig.

Ich habe während meines Arbeitsaufenthaltes im Gebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde von 1998 bis 2000 mehrere dieser Lager in der Westbank, in Gaza und in Jerusalem gesehen. Ganz besonders erschreckend und trostlos für mich war das Lager in Rafah nahe der Grenze zu Ägypten: Der Sandboden am Eingang wimmelte von Kakerlaken-Larven, die Behausungen waren überfüllt, niedrig, dunkel, stickig und klein; viele Menschen lebten mit Sauerstoffgeräten, Asthma war verbreitet — ein Alptraum.

Die Vertreibung fast der Hälfte des palästinensischen Volkes von fast 70 Prozent ihres Landes bedeutete nicht das Ende. Seit jener Zeit, der „Naqbe“, der Katastrophe, wie sie die Palästinenser nennen, wiederholt sich der Kreislauf von der Negation und Entwürdigung des palästinensischen Volkes: über (auch militärischen) Widerstand, zu darauffolgender „Bestrafung“, auch durch Massaker — wie am 29. Oktober 1956 in Kufr Qassim —, zu erneuter Niederlage und Erniedrigung, und so fort; mit immer blutigerem Ausmaß.

„Selbst wenn wir nur 1.000 oder 10.000 Dunam erwerben, sind wir schon hocherfreut. Es soll uns nicht wehtun, dass wir dadurch noch nicht im Besitz des ganzen Landes sind. Denn diese Vermehrung des Besitzes ist nicht nur für sich selbst von Bedeutung, sondern weil wir dadurch unsere Macht vermehren, und jede Vermehrung unserer Macht trägt dazu bei, das Land als Ganzes zu besitzen. Die Errichtung eines Staates, und sei es auch nur auf einem Teil des Landes, bedeutet die größtmögliche Nutzung unserer gegenwärtigen Macht und ist schon ein mächtiger Impuls für unsere zukünftigen Bemühungen um die Befreiung des gesamten Landes.“ (16)