Das betrogene Volk

Das Schicksal der Palästinenser kann man mit dem nordamerikanischer Indianer vergleichen. Wer nicht vertrieben wurde, blieb als „Unterschicht“ im eigenen Land. Teil 2 von 2.

„Es gibt kein palästinensisches Volk“, sagte die ehemalige israelische Ministerpräsidentin Golda Meir. Der politische Hintergrund dieser Äußerung scheint klar. Dort, wo „niemand“ ist, kann man sich getrost ansiedeln. Und sollten auf dem begehrten Gebiet doch irgendwie Menschen sein, muss man sie nicht so ernst nehmen oder gar als gleichberechtigt anerkennen. Das Bedauern westlicher Länder über die fortdauernde Vertreibung, Unterwerfung und Diskriminierung von Palästinensern durch den „Judenstaat“ hielt sich stets in Grenzen. Tatsächlich kann man bei den Palästinensern alle Merkmale eines eigenen Volkes feststellen: ein eigenes traditionelles Gebiet, eine eigene Kultur und Sprache. In historischen Betrachtungen wird es meist im Doppelpack erwähnt: „Israel/Palästina“. Es wird Zeit, die wechselhafte Geschichte dieses Volkes zu erzählen, bevor immer größere Teile von ihm im Bombenhagel untergehen.

Die Gründungsphase

Aus Teil 1 : Die zionistische Bewegung Theodor Herzl’s entsteht zur gleichen Zeit wie die palästinensische Nationalbewegung und ebenfalls als Reaktion auf die verschiedenen Impulse des 19. Jahrhunderts, eben jene parallelen Nationalstaatsbewegungen in Europa, aber vor allem auf die Verfolgung der Juden im zaristischen Russland seit dem Attentat auf Zar Alexander II im Jahr 1881, an dem auch Juden beteiligt gewesen sein sollen und dem eine brutale Verfolgung der Juden folgt.

Die zionistische Bewegung Theodor Herzl’s reagiert auf die Verfolgung der Juden vor allem in Ost-Europa. Denn gleichzeitig wird ihnen die Emigration nach Europa, vor allem England, zunehmend verwehrt durch den „Aliens Act“, der mehr oder weniger ausdrücklich gegen weitere Einwanderung jüdischer Flüchtlinge aus dem zaristischen Russland gerichtet war und scharfe Einreisebestimmungen gerade für diese nachsichzog. Es ist Lord Balfour, damals Premierminister, der das Gesetz nach mehreren Anläufen 1905 im Parlament durchsetzt (16).

Zionistische Bewegung in Europa — Theodor Herzl

Ende des 19. Jahrhunderts — unter dem Eindruck des zunehmenden Antisemitismus in Ost-Europa und der „Affäre Dreyfuss“ von 1894, verschreibt sich Theodor Herzl, ein erfolgreicher säkularer, jüdischer Journalist und Schriftsteller, Leiter des Feuilletons der international bekannten Wiener Zeitung Neue Freie Presse, der Idee des Zionismus, dessen Ziel es ist, den Juden Europas zu einem eigenen jüdischen Staat zu verhelfen (17).

Theodor Herzl schreibt in seinen Tagebüchern „zur ewig wiederkehrenden Judenfrage“, dass eine Lösung nur durch die Schaffung eines eigenen jüdischen Staates, eine „jüdische Heimstätte“ möglich sei. Seine Vision entwickelt er in „Der Judenstaat“ — eine bahnbrechende Beschreibung mit großer Wirkung, vor allem auf das im Ghetto gedemütigte Ostjudentum (18).

Dass die Juden ein Volk sind, gründet sich auf das Alte Testament, die Weissagungen der Propheten und den Talmud, Auslegungen derselben; aber auch auf ihre lange Geschichte selbst, die Tatsache ihres über Jahrtausende hinweg gehaltenen Zusammenhaltes durch die Kultur dieser Religion. Eine moderne National-Staatsidee lässt sich aus allem nicht ableiten, aber die „Sehnsucht“ danach wohl.

„Gelehrte“, die Rabbiner der verschiedenen Talmudschulen haben zu dieser existentiellen Frage verschiedene Auffassungen entwickelt und streiten darum bis heute. Der Stadtteil „Mea Shearim“ vor den Toren der Altstadt von Jerusalem ist Ausdruck dieses Streits: Die Mehrheit der dort seit Zeiten streng orthodox lebenden Juden lehnt den Staat Israel ab und hält ihn für einen Fehler Abtrünniger.

Beispielhaft sei die Rolle der Rabbiner-Familie Cook erwähnt, den Sohn und den Vater, der Anfang des 20. Jahrhunderts mit seiner Familie aus Osteuropa nach Palästina kam, zunächst die zionistische Idee verwarf und dann zum Hauptvertreter eines religiös begründeten Zionismus wurde und selbst, wie auch später sein Sohn zu einem der Führer der fanatischen und aggressivsten Siedlerbewegung „Gush Immunim“ in der Westbank wurde. (19).

Zionismus, Judentum und der Nationalstaat

Was die zionistische Nationalstaatsidee von allen anderen in jener Zeit unterscheidet, ist die Tatsache, dass die Juden, „verstreut“ wie sie waren, über kein eigenes Land verfügen, auf dem sie seit Jahrhunderten als ein Volk zusammengelebt hätten. Auch eine lebendige gemeinsame Sprache konnte sich in dieser Verstreutheit nicht entwickeln. In Osteuropa entstand das „Jiddisch“, in Westeuropa das „Ladino“. Hebräisch war die Schriftsprache des Alten Testaments und nur den Rabbinern geläufig. Sie waren die Hüter der jüdischen Kultur, die in den religiösen Festen und religiösen Gewohnheiten ihren gemeinsamen Ausdruck fand und findet. Das moderne israelische Hebräisch musste erst entwickelt werden.

Die Aufklärung und damit verbunden die Vergabe allgemeiner Bürgerrechte, die für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den westeuropäischen Industriestaaten unabdingbar geworden waren, ermöglichten der unter diesen Voraussetzungen entstandenen jüdischen Bourgeoisie in West-Europa den Ausstieg aus dem Ghetto und einen Einstieg in alle Sphären der sie umgebenden Gesellschaft, auch in die geistige und kulturelle Welt ihres jeweils nationalen Umfelds. Sie waren „assimiliert“ und „säkularisiert“. Europa verdankt dieser Entwicklung vor allem im deutschsprachigen Raum den Reichtum an Philosophen, Dichtern, Musikschaffenden, Malern, Architekten, Wissenschaftlern.

Zumindest in der Oberschicht ist man Ende des 19. Jahrhunderts überzeugter jüdischer Deutscher, jüdischer Franzose oder jüdischer Österreicher, aber nicht an erster Stelle Jude. In dieser Schicht macht die Idee eines exklusiven jüdischen Nationalstaates, etwa in Palästina, keinen Sinn und wird eher belächelt oder mit Argwohn betrachtet. Man ist doch endlich Teil seiner umgebenden Gesellschaft geworden und soll sich wieder absondern?

Es sind die „Ost-Juden“ des Ghettos in Polen und Russland, denen dieser Traum wie eine Erlösung aus Elend, Armut und Verfolgung erscheint, Sinn und Ziel werden konnte (20). Erst der faschistische Wahnsinn in Deutschland gab auch in West-Europa dem Gedanken einer Flucht in einen gesonderten eigenen Raum einen dramatischen Sinn. Bis dahin war der Zulauf zum entstehenden jüdischen Staat nicht besonders groß, wie die jüdischen Zuwanderungszahlen aus Europa bis zu den 1930er Jahren belegen. Erst ab 1933 schnellt die Zuwanderung jüdischer Europäer in die Höhe und nimmt bis 1945 dramatisch mit 350.000 Menschen zu, von einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von maximal 6 Prozent von etwa 55.000 vor dem Ersten Weltkrieg bis auf schließlich 35 Prozent der gesamten Bevölkerung, von etwa 450.000 (21).

Ziele der Zionistischen Bewegung in Palästina,— Täuschung und Betrug

Herzl’s „Programm“ für den 1. Zionistischen Weltkongress in Basel, an dem 204 Abgeordnete die Mehrheit aus dem bedrohten Ost-Europa teilnehmen, definiert folgende Ziele:

„Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich und rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina. Zur Erreichung dieses Ziels nimmt der Kongress folgende Mittel in Aussicht:

Die zweckdienliche Förderung der Besiedlung Palästinas mit jüdischen Ackerbauern, Handwerkern und Erwerbstreibenden.

Die Gliederung und Zusammenfassung der gesamten Judenschaft durch geeignete lokale und allgemeine Veranstaltungen nach den Landesgesetzen. Die Stärkung des jüdischen Volksgefühls und Volksbewusstseins. Vorbereitende Schritte zur Erlangung der Regierungszustimmung, die nötig sind, um das Ziel des Zionismus zu erreichen.“ (22)

Warum Palästina und nicht etwa Argentinien, das in eben der Zeit um Siedler aus Europa buhlte? „Die Macht der Geschichte“ war Herzl‘s Einwurf.

Die Tatsache, dass in Palästina ein autochthones Volk lebte, wurde nicht übersehen. Herzl und andere Vertreter hatten für sie bereits Vorschläge. Herzl schreibt in seinen Tagebuchaufzeichnungen vom 12. Juni 1895:

„Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihr in den Durchzugsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem eigenen Lande jederlei Arbeit verweigern. (...) Das Expropriationswerk muß — ebenso wie die Fortschaffung der Armen — mit Zartheit und Behutsamkeit erfolgen.“

Und was den Kauf von Land angeht heißt es:„ .. zurückverkauft wird ihnen nichts!“ (23).

Auf allen folgenden Kongressen werden die weiteren Schritte beschlossen: die Gründung der „Zionistische Agentur“ als politische Vertretung in Palästina, Banken, Kredit-Anstalten, Landerwerbs-Behörden, Forschungsgruppen und mehr. Zur konkreten Planung der Kolonisierung stellt Franz Oppenheimer aus Deutschland auf dem 5. Kongress 1903 den folgenden Plan vor:

„Nun, meine Freunde, wir wollen ein Netz von Bauernkolonien über das Land spannen, das wir erwerben wollen. Wenn man ein Netz spannen will, so schlägt man zuerst an den Stellen die Haken ein, zwischen denen das Netz entstehen soll. Dann spannt man zwischen den Stricken stärkere Fäden und stellt derart ein grobes Maschenwerk her, das man dann nach Bedarf durch das Dazwischenwirken feinerer Fäden zu immer feineren Maschen ausgestaltet. Genauso haben wir, meine ich, vorzugehen. Wir haben, soweit wie der dafür verfügbare Teil unserer Mittel reicht, in allen Teilen des Landes große Grundflächen zu erwerben.“ (24)

1921 versucht Martin Buber, Philosoph und „biblischer Zionist“, mit seiner Gruppe eine Resolution für ein einvernehmliches Zusammenleben mit den „Arabern“ einzubringen. Aber umsonst, die Falken setzen sich durch, die Vorbereitung auf mögliche bewaffnete Auseinandersetzungen hat bereits begonnen (25).

Es wird das Land Palästina beansprucht, das seit Jahrhunderten von Autochthonen bewohnt und besiedelt ist, das in den Welthandel einbezogen ist und dessen Bevölkerung, die damals noch mehr als 90 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachte und nicht gefragt wurde und sich gerade erst im Aufbruch zur eigenen Nation befindet.

Widerstand

Nicht allen in Palästina war die Bedrohung durch den Zionismus so klar wie Yusuf Diya al-Din Pascha al Khalidi, islamischer Gelehrter mit einer in Europa und Istanbul erworbenen modernen Ausbildung, der Europa kannte, Deutsch, Englisch und Französisch sprach, bis 1906 über zehn Jahre Bürgermeister von Jerusalem war und die Schriften Herzl’s genau gelesen hatte. In einem siebenseitigen Brief an Theodor Herzl warnte er diesen eindringlich vor dem Projekt einer „Heimstätte in Palästina“. Bei aller Bewunderung für Herzl und Respekt gegenüber den Juden und dem Judentum — „Für uns sind Sie Vettern“ — und bei allem Verständnis für die Beweggründe des Zionismus, nämlich „die beklagenswerte Verfolgung der Juden in Europa“, würde die zionistische Idee Zwietracht unter Christen, Muslimen und Juden säen und die Stellung der Juden im Osmanischen Reich gefährden, die dort immer Sicherheit genossen hätten — und — „was schwerer wiegt — (Palästina wird) von anderen als den Israeliten bewohnt . (...) man möge anderswo für die unglückliche aber deswegen nicht weniger gerechte jüdische Nation einen Platz suchen (...) aber um Gottes Willen, man soll Palästina in Ruhe lassen!“ Herzl geht in seiner Antwort auf nichts ein und behauptet: „Wir werden niemanden vertreiben“ (26). Dreiste Lüge!

Der nationale palästinensische Widerstand hat mächtige Gegner:

  • Die Osmanische Regierung, die keine Abspaltung zulässt und verbietet.
  • Die Imperialen Mächte, die am Nahen Osten und dem Erbe des Osmanischen Reiches interessiert sind.
  • Die Zionistische Bewegung, die modern ist, über direkten Einfluss auch in England verfügt und finanziell von der gesamten jüdischen Welt unterstützt wird.

Was weltweit nicht beachtet wird, ist, dass der Erste Weltkrieg auch auf der entfernten „Ostfront“ im Raum des ehemaligen Osmanischen Reiches hohe Opfer an Soldaten und Zivilisten gefordert hat. Palästinas Bevölkerungsverlust beträgt in dieser Zeit um die 6 Prozent, erheblich mehr als in den europäischen am Krieg beteiligten Ländern.

Hunger und Entbehrung schwächen die Gesellschaft zusätzlich wirtschaftlich, sozial und politisch nachhaltig (28).

Ende des Ersten Weltkrieges

Die Folgen des Ersten Weltkrieges — Friedensverhandlungen und internationale Abkommen —lösen die Fragen der Nationalbewegungen und das Problem nationaler Minderheiten nicht. Es bleibt der grundlegende Betrug an den Völkern, auch dem palästinensischen, im Interesse der europäischen Mächte.

Der Völkerbund und die Auflösung des Osmanischen Reiches

Der Erste Weltkrieg, die Pariser Friedenskonferenz danach, sowie die darauf folgenden Mandatsregelungen in San Remo und Lausanne lösen — trotz Warnungen und Alternativvorschlägen — viele dieser Bestrebungen nationaler Bewegungen ehemaliger Minderheiten und trotz mancherlei Versprechungen der verschiedenen Mächte nicht ein (29). Eine generelle Neuordnung Europas nach dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker sollte langfristigen Frieden wahren. Dazu wird 1920 der „Völkerbund“ als Teil des Versailler Vertrages gegründet. Aber die Interessen der alten Mächte bleiben im Vordergrund. Willkürliche Grenzziehungen vereiteln vielfach die Bildung neuer Nationalstaaten wie im stets unruhigen Balkan und schaffen somit schließlich die Basis für neue Konflikte.

Das wird in besonderem Maße an den Mandatsregelungen für die ehemaligen Osmanischen Gebiete deutlich (30).

Die Völker Bund Satzung Artikel 22 für die ehemaligen Osmanischen Gebiete hat es in sich. In Artikel 22 der Satzung heißt es:

„Die Art des Mandats muß nach der Entwicklungsstufe des Volkes (...) verschieden sein. (...) Gewisse Gemeinwesen, die ehemals zum Türkischen Reiche gehörten, haben eine solche Entwicklungsstufe erreicht, daß sie in ihrem Dasein als unabhängige Nationen vorläufig anerkannt werden können, (...) bis zu dem Zeitpunkt (...), wo sie imstande sein werden, sich selbst zu leiten. Bei der Wahl des Mandatars sind in erster Linie die Wünsche jener Gemeinwesen zu berücksichtigen.“ (31)

Das hätte auch für das Palästinensische Gemeinwesen gelten müssen. Tatsache ist, dass solche „Wünsche“ unberücksichtigt blieben.

Der neue Player im Weltgeschehen, die USA, als Mitglied der „Peace Conference Interallied Commission on Mandates in Turkey“ wird 1919 mit einer „Fact Finding Commission“, der „King-Crane-Kommission“, beauftragt, um Vertreter der ehemaligen arabischen Provinzen inklusive zionistischer Vertreter über ihre Zukunftsvorstellungen zu befragen. Etwa 15.000 Petitionen sind zu berücksichtigen und tausende von Befragten. Optionen sind

  • Bildung eines Vereinten Groß-Syriens unter dem Sherifen und Emir von Mekka Faisal bin Husseini, in einem parlamentarischen Königreich, das alle ehemals arabischen Teile des Osmanischen Reiches umfassen sollte (32),
  • Bildung einzelner Nationalstaaten oder
  • Mandatsstatus, unter englischer, französischer oder amerikanischer „Obhut“.

Die Empfehlungen der King-Crane-Kommission

Herausragendes Ergebnis ist, dass etwa 90 Prozent der arabischen Befragten und 72 Prozent aller Befragten jede weitere zionistische Siedlungstätigkeit und einen jüdischen Staat ablehnen und die allergrößte Mehrheit sich gegen eine Mandatslösung und für Unabhängigkeit ausspricht. Obwohl der Bericht mit großem Nachdruck auf die Prinzipien des Völkerbundes und die Berücksichtigung der Meinung der betreffenden Völker hinweist, heißt es dort kompromisshaft zusammengefasst:

Die Einheit Groß-Syriens sei zu wahren, Mandatsregierungen seien einzusetzen ohne koloniale oder imperiale Aspirationen, die mit Bildung und politischen Reformen den Weg in moderne demokratische Staaten ebnen und fördern sollen, am besten sei Amerika geeignet.

Besondere Empfehlungen betreffen die zionistische Bewegung.

„Die Friedenskonferenz darf nicht die Augen vor dem antizionistischen Gefühl in Palästina und Syrien verschließen. (...) Der Meinung der Vertreter des Zionismus, sie hätten ein ’Recht’ auf eine Besetzung des Gebietes von vor 2000 Jahren, kann kaum ernsthaft zugestimmt werden. (...) Unter Berücksichtigung all dieser Faktoren — bei aller Sympathie für die jüdische Frage — muss die Kommission empfehlen, (...) die jüdische Einwanderung muss definitiv reduziert werden, und das Projekt, Palästina zu einem jüdischen Commonwealth zu bestimmen, muss aufgegeben werden.“ (33)

Es überrascht, dass zwei Dokumente, die die Zukunft Palästinas schon im Vorfeld beeinflussen, in dem Bericht unerwähnt bleiben: das Syke-Picot Abkommen von 1916 und die Balfour-Erklärung von 1917.

Syke-Picot — Balfour Erklärung — Britisches Mandat

England und Frankreich einigen sich bereits 1916 auf eine Aufteilung ihres zukünftigen Einflusses im Nahen Osten. Danach sollte Frankreich Syrien und den Libanon übernehmen, England Palästina, Trans-Jordanien, also das heutige Jordanien, sowie den Irak.

Ein weiteres Ereignis, die Balfour-Erklärung von 1917, ist schicksalhaft. Für die englische Regierung sichert Lord Balfour, inzwischen Außenminister, in einem Brief an Lord Rothschild, einen Führer der englisch-jüdischen Gemeinde, die Unterstützung seiner Regierung für die Errichtung einer „jüdischen Heimstätte in Palästina“ zu, Heimstätte und nicht Staat. Es ist derselbe Lord Balfour, der als Premierminister 1905 im englischen Parlament den „Aliens Act“ durchgedrückt hatte, der mehr oder weniger ausdrücklich gegen weitere Einwanderung jüdischer Flüchtlinge aus dem zaristischen Russland gerichtet war (34).

Der Völkerbund entschied sich gegen die Empfehlungen der King-Crane-Kommission, für eine Mandatsregelung und folgte dem Syke-Picot—Abkommen.

1923 bekam England offiziell das Mandat über Palästina und Transjordanien übertragen, das es seit 1917 bereits militärisch verwaltete. Trans-Jordanien wurde bald darauf von Palästina getrennt und zu einem Emirat Jordanien unter dem Haschemiten Abdullah Ibn Hussein als Quasi-König erklärt.

Palästina wird nach dem Ersten Weltkrieg somit mehrfach betrogen:

  • gegen seinen Willen wird es Mandatsgebiet,
  • gegen seinen Willen wird es von England verwaltet,
  • gegen seinen Willen wird das Land einem anderen Volk versprochen.

Das alles trotz mehrfacher Petitionen, Vorstellungen und Proteste der Vertreter Palästinas gegenüber dem Völkerbund und England.

Der entscheidende Verrat

England wird vom Völkerbund beauftragt, die „jüdische Heimstätte“ gemäß der Balfour-Erklärung zügig umzusetzen, „wobei hierdurch die historische Beziehung des jüdischen Volkes zu Palästina und die Gründe für die Wiederherstellung ihrer nationalen Heimstätte anerkannt werden;“

Das alles ist eindeutig: Von einem palästinensischen Volk ist nicht die Rede, von seiner historischen Verbundenheit mit Palästina ebenso wenig.

Sämtliche Artikel des Mandatsbeschlusses ermöglichen und befördern nun das, was die zionistische Bewegung erträumt und geplant hatte.

Zusammengefasst ermöglicht der Mandatsauftrag für die kommenden mehr als 20 Jahre das Werk in politischer, sozialer, wirtschaftlicher und auch rechtlicher Hinsicht zu fördern. Ein Schlüssel dazu wird die Bodengesetzgebung und die Einführung englischen Planungsrechts (35).

Eine Parallelwelt entsteht

Die zionistische Bewegung richtet sich ein, kauft Land an strategischen Stellen, wo die Bedingungen es ermöglichen, organisiert sich wie ein Staat im Staate, bereitet sich auf zukünftige Konflikte auch militärisch vor und arbeitet eng mit der Mandatsmacht zusammen; sie wird mit großen Geldsummen aus aller Welt unterstützt.

Die palästinensische Nationalbewegung formiert sich nur schwer, eine eigenständige nationale Vertretung und Verwaltung wird trotz wiederholter Forderung nicht genehmigt, politische Organisierung verboten, so das 1920 gegründete Exekutivkommitee und das 1936 gegründete „Arabische Hohe Komitee“. Die Mandatsmacht arbeitet vorzugsweise nur mit den religiösen Vertretern, voran mit dem von ihr eingesetzten Mufti von Jerusalem Sheich Husseini und dem Obersten Islamischen Rat; Parteigründungen werden verhindert oder nicht genehmigt; es fehlt auch an finanziellem Ressourcen (36).

Aufstand und Nakbe

Die ab 1933 einsetzenden Einwanderungsschübe machen deutlich, wovor schon Isa-al-Isa gewarnt hatte: Schlag auf Schlag verändern sich die Verhältnisse zugunsten des zionistischen Projektes, wirtschaftlich und demografisch. Allerdings nicht beim Bodenkauf. Bis 1945 gelingt es, nur 6 Prozent zu erwerben, dafür aber strategisch gut gelegene Landstriche: die Küste, die Umgebung von Jerusalem und das fruchtbare Marj Ibn Amer, die heutige Yizreel Ebene.

Angesichts der offensichtlichen Ohnmacht der Eliten, deren Unfähigkeit eine nationale politische Dachorganisation zu schaffen, entladen sich Enttäuschung, Wut und Zorn 1936 in einem massiven Volksaufstand.

Die britische Regierung antwortet einerseits mit hektischen Versuchen, Kompromisse zu finden, und nach der Ermordung eines britischen Bezirkskommissars in Galiläa andererseits mit brutaler Unterdrückung.

Als Ende 1937 die Peel-Kommission einen ersten Teilungsvorschlag vorlegt, wird der Aufstand zusehends militanter. Die gesamte politische palästinensische Führung, die Mitglieder des 1936 gegründeten und bald wieder verbotenen „Arabischen Hohen Kommitees“ werden auf die Seychellen deportiert, andere werden in einem Konzentrationslager festgehalten. Etwa 10 Prozent der männlichen erwachsenen arabischen Bevölkerung Palästinas — so die Schätzung — wurde entweder getötet, verwundet, inhaftiert oder ins Exil getrieben (37). Das schwächt die Nationalbewegung noch einmal mehr und es sind schlechte Voraussetzungen für die bevorstehende Katastrophe: die gewaltsame Vertreibung von etwa 700.000 Menschen durch zionistische Milizen und eine gut ausgebildete quasi Armee in der Zeit vom Ende der Mandatsregierung 1947 bis zum 14. Mai 1948, der Ausrufung eines Staates Israel auf Teilen des historischen Palästina, dem Territorium des palästinensischen Volkes (38).

Damit beginnt das Trauma des palästinensischen Volkes und weiterer Verrat und Betrug folgen.