Das Bayern-Patt
Nach der Bier- und Ochsen-Party freut sich Bayern auf den nächsten Vollrausch: die GrüKo.
Morgen wählt Bayern. Doch egal, was und wie die Wahl ausgeht — es wird sich im Prinzip nichts ändern, denn das einst Undenkbare wird Normalität. Das „Juste-Milieu“ rund um Bündnis 90/Die Grünen hat sich unter der Rainbow-Warrior-Flagge des globalen Fortschritts aufgemacht, nun auch noch hier im Süden den ewigen Stillstand zu garantieren. Im Visier: die GrüKo.
Wenn im Folgenden die Rede vom Juste-Milieu ist, dann meint der Autor damit ein „irgendwie“ urbanes Klima aus selbstgerechten, überheblichen, kleinbürgerlichen und scheingebildeten Laienpredigern. Im Gegensatz zu einer zur Schau gestellten kosmopolitischen Botanik blüht in diesem Schrebergarten indessen ein sehr deutsches Unkraut — wenn man es auf das Wesentliche umsetzt, symbolisiert es den für uns typischen autoritären Charakter, dessen vornehmste Tugend es laut Marx ist, nach oben zu kuschen und nach unten zu treten.
Der überwiegende Anteil dieser sich als erleuchtet wähnenden Elite stammt aus der Partei der Grünen und ihrer saturiert-hypnotisierten Klientel. Aber auch mildfühlende Elemente aus den Kirchen mischen hier mit wie engagierte junge Leute aus diesen wildwuchernd-herumspukenden NGOs und auch eine Menge „Linke“ innerhalb von SPD und Linkspartei.
Dieser parteiübergreifende Zusammenschluss repräsentiert einen landesweiten Wähleranteil von 20 Prozent plus und bildet den unzerstörbaren Kitt zu einer weltpolitisch und europäisch völlig vereinsamten und innerhalb der GroKo nur noch geduldet-gefürchteten Kanzlerin. Es ist diese grünschwarze Bindungsmasse aus Nitro und Glycerin, welche das Land Tag für Tag weiter Richtung Implosion treibt. Derart demokratisch eingemauert erscheint die dringend nötige Änderung des Status Quo nur noch über die Ausrufung des Notstands oder einen Meteoreinschlag vorstellbar.
Wer Augen im Kopf hat und wache Sinne, wer das Glück hatte, in seinem Leben intensiv zu reisen und dadurch die Geduld aufzubringen lernte, anderen zuzuhören und die Gründe für selbst absurdeste Verhaltensweisen zu erfahren, spürt auf deutschen Straßen mit jedem Tag mehr, dass der „molekulare Bürgerkrieg“ begonnen hat. Damit definierte Enzensberger den unerklärten und schleichenden Krieg im Inneren einer Republik, der von Heimtücke geprägt ist und unlösbaren Paradoxien.
Vor dem Schwabinger Café, in dem ich gerade sitze, steht eine Plakatwand, auf der man die grüne Kandidatin Katharina Schulz lachen sieht und werben für ein sicheres und freies Bayern. Die Gestelle der anderen Parteien werden regelmäßig von nachterprobten Aufständischen übermalt oder zerstört, was andererseits weder dem Stadtbild noch dem Lebensgefühl großen Abbruch tut.
Halt! Wie auf den letzten Drücker bestellt baut jemand eine Botschaft der Sozialdemokraten auf. Ein Mann, der aussieht wie ein Schiffschaukelbremser auf der Wies’n, jedoch unserer Oberbürgermeister ist, steht lachend neben einer auch lachenden jungen Frau, die Ruth mit Vornamen heißt. Nächtelanges Ringen im kreativen Sozi-Think-Tank führte zu dem Knallerslogan: „Gut für München.“ Dieser wird auf der Rückseite veredelt durch einen kaum vorstellbaren Anfall aus Mut und Verführungsgalanterie: „Lieber Ruth — als Schwarz!“
Man spürt, Schwabing ist ein Künstlerviertel und tatsächlich handelt es sich bei uns — wie etwa auch bei Kreuzberg, Freiburg oder Tübingen — um eine traditionelle Hochburg des grünroten Juste-Milieus. Zu Zeiten von Strauß und Stoiber verzeichnete man hier durchaus mal so rund um die 60 Prozent der Stimmen.
Im fragilen Kitschidyll wird geradelt, geplappert, milde gelächelt und unglaublich viel mobil telefoniert. Junge Mütter schieben doppelt besetzte High-Tech-Kinderwägen mit Anarcho-A durch die Straßen und ihre Lebensbegleiter tragen Körbe voller Biomarktprodukte und Vollkornbackzeugs — nein, kein Baguette und auch keine qualmende Gitanes. Wir sind in München 2018 und das Juste-Milieu inszeniert sich, so gut es eben geht, als postmodernes Bildungsbürgertum und ist doch nur die tragikomische Renaissance eines großen Nichts. Von den 2 bis 3 Millionen Flüchtlingen habe ich hier seit Ende 2015 noch keinen einzigen gesehen und auch die Polizei ächzt hier nur über die Vielzahl der auszustellenden Parkstrafen.
Indessen gibt es im Freundes- oder Bekanntenkreis kein noch so heiteres Thema — wie etwa Truffaut-Filme, neue Schrittzähler-Apps oder Pro- und Kontra der Hobbyimkerei —, das nicht umgehend in der Flüchtlingsdebatte feststeckt. Ob man das so nennt oder ersatzweise die Sache mit der Migration oder das (Nicht)-Problem der Einwanderung beziehungsweise des guten oder schlechten Asyls — das definieren die Talibane der Wortpolizei je nach Lust und Laune.
Fakt aber ist: Ein abstrakter und halluzinierter Afro-Orientale ist im dritten Jahr der kollektiven Neurasthenie zum absoluten Gesinnungsbarometer geworden. Langjährige Beziehungen gehen im Schnellverfahren zu Bruch. Gespräche landen auf dem Altarstock des Entweder-Oder oder degenerieren zu hysterischen Verhören und kriecherischen Rechtfertigungen. Auch über Schwabing lauert eine gigantische Guillotine und der Kirchenchor der Tugendrichter singt tapsig und verzagt: „Imagine there's no countries ... Nothing to kill or die for and no religion, too. Imagine all the people living life in peace.“
Die guten Menschen sind für grenzenlose Öffnung und Solidarität mit allen Verfolgten auf dem Erdball. Die Schlechten wollen Abschottung und nationale Inzucht. Sie verweisen auf das Scheitern der Integration, die kulturelle Unvereinbarkeit des Experiments und die „gefühlte“ Zunahme von heftiger Kriminalität auf Seiten der übergangsweise irgendwie Geduldeten. Es geht seit 2015, kurz gesagt, im molekularen Mini-Armageddon um Liebe gegen Hass, Mitleid gegen Hass, Humanität gegen Hass, Wahrheit gegen Hass.
Es gibt so herrliche Kapriolen unter der Zirkuskuppel der Moralakrobaten. Die dort übenden Frauen übermalen ja gerne harmloseste Liebesgedichte, ereifern sich monatelang über Brüderles Dirndl-Posse oder debattieren über die Ästhetik eines postmodern-feministischen Pornos.
Während an der Seite dieser unterkühlten Regentinnen die Liebhaber, Abschnittsbegleiter oder Gatten zu domestizierten Schoßhunden mutieren, setzen sie sich dank des fiebrigen Elans der Nächstenliebe und des Mitgefühls für die einwandernde Manneskultur ein. Beschneidung, genüsslich präsentierte Frauenverachtung, Vielehe, Zwangsheirat, Steinigungen oder sonstige Kulturformen eines religiösen Steinzeit-Irrsinns — das alles sind für die justes femmes lediglich Petitessen einer kollateralen Logik. Gnade dem armen Mann, der darauf hinweist. Dem werden vom Chor der heiligen Priesterinnen zügig die levantischen Leviten gelesen: Fremdenhasser, ewiggestriger Nazi, Rechtspopulist, brauner und verbohrter Einmann-Mob, Hitler im Tweed.
Was nun genau im September 2015 und in den Jahren davor tatsächlich hinter dem Vorgang der ganz großen Bühne geschah, soll hier vertagt sein. Bleiben wir bei Sicht- und Hörbarem: Das deutsche wie europäische Drama begann, als auf allen Kanälen im CNN-Einflussbereich tagelang nonstop die Budapester Bahnhofsimpressionen übermittelt wurden.
Und siehe da, irgendwann hatte die eiserne Kanzlerin genug und überraschte das Publikum mit einer anrührenden und irgendwie authentisch-weiblichen Gefühlsregung. Als angesichts der nun einsetzenden Wochen der offenen Türe bei manchen Menschen erste Skepsis aufkam, lieferte das Hochamt einen fast warnenden Klartext:
„Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen, dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“
Ich dachte kurz an Woody Guthrie, „This land is my land“, der ja in der DDR einen hohen Stellenwert hatte. Doch dann dachte ich über das erwähnte „freundliche Gesicht“ nach, das man zeigt. Also nicht hat, sondern macht oder kurz aufsetzt, um beim Käufer der Botschaft so etwas wie Empathie vorzutäuschen. Der Bundesraute sind die Fliehenden so gleichgültig wie die verängstigten Eingeborenen. Sie schert sich wenig um die molekulare Krise. Hier geht es um die pure Macht und noch weiß niemand genau, welcher Macht geopfert wird.
Allemal: Seit jenem Bonmot wird die farbenfröhliche Freiheitsstatue von eben jenem Juste-Milieu hofiert und angebetet und von einer noch nie dagewesenen medialen Querfront aus selbsternannten Haltungsjournalisten von jeder Realität abgeschottet. Gut bestallte Matrix-Moderatoren im Maßanzug widmen sich in seriellen Brennpunkt-Specials seither dem Einordnen und Gewichten des zentralen Narrativs: „Wir schaffen das. Yes we can.“
Und wo ich das eben im Café überdenke, lese ich, dass der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger aus Stern, Spiegel, Focus und sonstigen Magazinnamen Frau Dr. Merkel die „Ehren-Victoria 2018“ verleiht. Und zwar für „ihre bisherige politische Gesamtleistung“, die „eine offene, reformfähige und stabile Gesellschaft“ geschaffen hat. Immerhin haben wenigstens zwei Dutzend europäische Staatenlenker endlich mal einen Grund zur Heiterkeit.
Zurück nach München: Am Grünenplakat beim Elisabethmarkt radeln hübsch ergraute und mild lächelnde Frauen vorbei mit einer Bio-Yogamatte vorne und hinten einem Korb voller Kunstblumen. Was sollen wir sonst wählen — außer grün — in Gottes Namen? sagen die Mienen.
Es ist eigentlich genug gespottet über dieses generationen-übergreifende Milieu der selbstherrlichen Ahnungslosigkeit. Die meisten leben gut und gerne in ihrem potemkinschen Disneyland mit Dritte-Welt-Läden, Öko-Tattoo-Studios, Bartschmuckbarbieren, Radreparateuren, hippen Coffee-To-Go-Hofbäckern, Edelkäseläden und dem üblichen Fairtrade-Ambiente.
Die meisten dienen der Gemeinschaft als pfiffige Start-Upper, Allergie-Experten, Pilateslehrer, Gender-Paar-Psychologen, Heilpraktiker, Medienanwälte, Consulter für echt coole Konzerne, hypersoziale Online-Werber oder Kunst- wie Medienschaffende. Während sie sich am Nachbartisch ihre Smoothies zurechtquirlen lassen, verteilen sie lässig mehrere Gadgets auf dem Tisch. Das sind teure Tools, lieber Himmel, deren Lithiumbatterien eine höhere Lebensdauer haben als die Kinder, welche die seltenen Erden aus dem chilenischen Morast kratzen.
Das flüchtige Wissen über so ärgerliche Themen wie Syrien, Ukraine, Soros, Brüssel und vor allem diese Asylanten beziehen sie aus taz, SPON, Zeit, SZ, den Tagesthemen, von der seriösen MoMa-Aktivistin Dunja Hayali sowie den personalisierten Kurzshots ihrer Newsfeeds. Dieses unsortierte und halbherzige Infotainment schafft eine von politischer Ratio befreite grünromantische Gefühligkeit. Tragischerweise aber sorgt genau dieser Kitsch dafür, dass die mürbe und müde Republik zum Privateigentum des Kanzleramts und dessen Strippentheater geworden ist.
Von Katharina Schulze auf dem Plakat weiß man, dass sie für Obama schwärmt und Eleanor Roosevelt für die erste Menschenrechtsaktivistin hält. Darüber hinaus ist die seltsam cholerische Rampenfrau „gegen Ausgrenzung und Rassismus“ sowie für präventive Maßnahmen gegen Rechts. „Ein Stuhlkreis gegen die AfD“, so ihre Homepage, „wird aber nichts nutzen. Man muss mit Härte reagieren. Repression volle Kanne!“ Nicht wenige klassische Linke sind der FDP im Nachhinein dankbar dafür, dass das Land bislang vor dem Opportunismus machtbesessener Berufsgrüner und ihres treuen Stimmvolks verschont blieb.
In Ermangelung irgendeines echten Wertes, eines klaren Profils oder eines Markenkerns hat sich das ökoliberale Milieu dazu entschlossen, die Migration zu ihrem Fetisch zu erklären. Umflort wird das scheinheilige Posing von einem Bekenntnisnebel aus Kita-Multikulti, Antifa-Retro, Regenbogenmysthik und Bergpredigterei. Den gemeinsamen Nenner dieser Erlösungssekte bildet mittlerweile nur noch ein gebetsmühlenhaftes „Gegen Rechts!“ Wer was werden will hierzulande, beginnt am besten jeden Satz damit und jazzt ihn hoch zu einem als hochriskant erscheinenden Bekenntnis. Aus der Selbstverständlichkeit, sich weder Hitler noch den Holocaust zurückzuwünschen, machen die Jünger des Juste-Milieus das Spektakel einer blauweißen Oktoberrevolution.
Doch worin wurzelt diese fanatische Berufung auf die höhere Moral und diese befremdliche Monopolisierung von Nächstenliebe, Grenzöffnung und globalisierter Solidarität? Was genau kettet speziell die Borderline-Grünen an den Mythos eines neuen und gereinigten Weltbürgers?
Eine als gültig akzeptierte Geschichtsschreibung gibt Deutschland und den Deutschen die kollektive Schuld am Ersten und am Zweiten Weltkrieg, an über 100 Millionen Opfer sowie an sechs Millionen ermordeter Juden.
Der Schwabinger Freizeitpsychologe Rainer Langhans sprach daher vom Mördergen der deutschen Seele. Um diesen Makel für alle Zeiten auszugleichen, wacht und waltet eine übermächtige Tabu- und Schuldkultur und hält ein sysiphotisches Wiedergutmachungshandwerk am Leben. „Schuld ist zu einem moralischen Desinfektionsmittel geworden“, diagnostiziert der französische Philosoph Pascal Brückner und wundert sich im weiteren Verlauf, wie und warum der Deutsche sich daran berauscht und sich im Licht der Scham geradezu erhöht fühlt. Statt im Jahre 2018 einfach ein Mensch zu sein, der für sich selbst verantwortlich ist und sich um das Handwerk eines vernünftigen Zusammenlebens bemüht, will er Dornenkranzträger einer furchtbaren Geschichte sein und sich der Restwelt als potenzieller Erlöser der Menschheit präsentieren.
Ohne den berühmten Farbbeutel, der beim Parteitag der Grünen dem großen Vorsitzenden Fischer an den Kopf knallte, hätten die Delegierten im Mai 1999 womöglich gegen die NATO-Beteiligung im Jugoslawienkrieg gestimmt und die Koalition mit der SPD aufgekündigt. Schlagfertig nutzte Joschka das Stigma des vermeintlichen Kriegstreibers und überzeugte die als pazifistisch geltende Partei davon, das Belgrad von Milosevic zu bombardieren, ausgerechnet Belgrad.
Dieser Stachel sitzt tief noch, vor allem in dem gemarterten Seelenfleisch der vom Parkinson verschonten Fundis. Zur Beruhigung der grünen Gewissensnot kam der Herbst 2015 wie gerufen. Jetzt konnte man wieder in die Hände spucken. Die Weltgemeinschaft sollte staunen über die wahre Herzlichkeit der einstigen Bestien. Und die staunt bis heute; allerdings über den im Nachhinein seltsam geordnet wirkenden Grenzübertritt von Hunderttausenden Menschen aus dem Nahen und Ferneren Osten und vielen Teilen Afrikas.
Kein vernünftiger Mensch bestreitet, dass die allermeisten Flüchtlinge in großer Not sind und waren. Diese Realität ist Fakt, ohne jede Frage, und auch weil „wir“ letztlich in alle NATO-Kriege gegen Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien und den Jemen knietief verstrickt sind, gibt es konkrete Verantwortung. Aber das darf nicht vergessen machen, dass seit drei Jahren unkontrolliert kleine Armeen von IS-Mördern die Grenzen überschreiten, jede Menge Schwerstkriminelle und mitunter ganze Knastbesatzungen. Heute ist es so, dass 65 Prozent der traumatisierten Notfälle alleinreisende Männer unter 30 Jahren sind. Die Konsequenzen dessen erleben wir Tag für Tag, auch wenn sich die Fake-Hofmedien alle Mühe geben, die paar Einzelfälle unter gefühlter Panik der „German Angst“ einzuordnen.
Anstatt die Problematik dieses historisch beispiellosen Irrsinns endlich offen anzusprechen und so tiefgreifend wie tabulos die Motive, den Sinn und dringend erforderliche Lösungen zu analysieren, würgen die Populisten der guten Sache jedwede Debatte ab. Ungefragt und enervierend rühmen sie die eigene weltoffene, liberale und wertedemokratische Lebenskunst und erklären die große — und wie üblich schweigende — Mehrheit im Land zu verbohrten, gehässigen und rassistischen alten Frauen und Männern.
So funktioniert Tabusetzung und wie ein böser Krebs wuchert eine allesdurchflutende Angst durch dieses Land. Mehr als die Xenophobie betrifft diese Angst aber die denunziatorische Gewalt des Juste-Milieus, deren Protagonisten mittlerweile an Robespierre und Cromwell erinnern. Universitäten, Firmen, Kultur und Medien sind Brutplätze von Paranoia und Überwachung geworden und selbst im Freundeskreis muss jedes Wort sorgfältig abgewogen werden — ein Zustand, den die diesbezüglich sensibilisierten Ossis von den Jahren 1933 – 1989 her kennen.
Tja, schön klingt das durchaus: Mitleid, Demut, Nächstenliebe, Solidarität, Hilfsbereitschaft, Willkommenskultur. Doch handelt es sich meistens nur um plakativen Moralnarzissmus.
Immer wieder begegne ich meinen engagierten Stadtteil-Aposteln in der 27-er Tram. Dort starren sie — wie die meisten anderen auch — auf ihre kleinen Infohighways, die Augen müde, die Ohren verstopft, überall hängen Kabel und ab und zu fährt ein Dopaminshot in die verkapselten Monaden.
Ihnen gegenüber sitzen alte und einsame Leute, Greise mit Leergutbeutel, vom Trost ausgeschlossene Omas, sichtlich kranke und leidende Leute und immer öfter Monologisierende, die mit Dämonen ringen. Aber sie existieren nicht. Denn das Mitgefühl der guten Bürger hat sich gänzlich verbraucht in Integrationsmythen und anderen Projektionen des seelischen Ablasshandels. Der Nächste, präsent in seiner Schieflage, ist unerwünscht. Das Reale ist lästig und so wird das Abstrakte kurzerhand zum gültigen Maß erklärt.
Da geht man lieber zu Rock gegen Rechts, um echt geile Party zu machen, mit Grönemeyer, Campino, Pussy-Kekabus und Berliner Wutrappern. Das fällt umso leichter, wenn der Bundespräsident Frank Werner Fischfilet als Schirmherr gegen Fremdenhass auftritt und den antifaschistischen Rainbow-Partisanen staatsfinanzierte Shuttlebusse zur Verfügung stellt. Solche subkulturellen Highlights wie neulich in Chemnitz nach der legendären Hetzjagd haben die volle Rückendeckung nahezu aller nicht-alternativen Medien.
Diese sind seit mehr als einer Dekade vorwiegend grünrot formatiert und besetzt und werden von einem alten Junge-Union-Netzwerk an kurzer Chefetagenleine geführt, welches sich seinerseits den Bilderbergern und der Atlantikbrücke unterordnet. Der Rest des trostlosen Staats-Fakes ergibt sich von alleine und so hat sich seit einigen Jahren ein totalitärer Konformitätsdruck aufgebaut, der das vitale Diskursland der Siebziger bis Neunziger in eine kontaminierte Omerta-Wüste verwandelt hat.
Abschließend stellt sich die Frage, wieso das irrlichternde Juste-Milieu eigentlich als links bezeichnet wird und zwar von seinen Gegnern wie von sich selbst; und zwar so penetrant, dass man sich dort tatsächlich für links hält, gewissermaßen Marx-light und der Aufklärung verpflichtet und dem Dienst an Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Doch da ist nichts links, außer der Fassade einer Hippie-WG, Teilen einer ausgebleichten Second-Hand-Garderobe und dem Herunterleiern abgedroschener Sponti-Slogans.
Die echte Streetfighter-Antifa würde sich vor Lachen schütteln angesichts dieser Tinnef-Bänkelgruppen aus dem Portfolio der krakenhaften Soros-Netzwerke.
De Facto stehen unsere Moralmonopolisten für humorlose Lobbykonzepte der Großkonzerne, Banken und Heuschrecken-Fonds. Grünrot hat — von den Gruppen rund um Ströbele und Lafontaine abgesehen — das desaströse Finanzmarktlibera-lisierungsgesetz durchgesetzt und dank Hartz-IV-Agenda Millionen Menschen in die Dauerverarmung geschoben. Man hat unter Standing Ovations von Union und FDP den ersten Angriffskrieg seit 1945 initiiert und ist seither bei jedem Kriegswirken von NATO und CIA mit vollem Herzen dabei. Niemand quatscht unverblümter über die Nach-Assad-Ära als die grüne Fraktion und in Sachen Kriegstreiberei und Sanktionswut gegen Russland müssen sogar Unionspolitiker schützend eingreifen.
Doch all das schert deren Klientel nicht. Die ätzend dauerlächelnden „FDPler mit Fahrrad“ haben letztlich auch nicht viel im Sinn mit links oder pazifistisch, pluralistisch oder einer halbwegs authentischen Liberalität. Als Rudi Dutschke 1968 den Marsch durch die Institutionen erwog, meinte er Zivilcourage, Risiko, Gegenöffentlichkeit, demokratische Kontrolle von Macht und Korruption, Chancengleichheit, Wohnrechte, Pressefreiheit. Er konnte nicht ahnen, dass Turnschuhkarrieristen wie Fischer und Cohn-Bendit schon damals eine transatlantische Pressuregroup rechts von der CDU im Sinne hatten.
Waren Dosenpfand oder Veggie-Day noch harmlose Scherze, wird die Rolle der Grünen in der Jahrhundertfrage der Migration zu einer tragischen Größe. Sie sorgen als schwebende Schattenregierung lautlos und verlogen für die Kontinuität des aktuellen Chaos und für ein wohl kalkuliertes Unterlaufen des demokratischen Willens. Man hält der Wurstel-GroKo in Berlin die Treue und wird das absurde Machtgefüge in dieser paralysierten Republik konservieren.
Beim vergangenen CSU-Parteitag wurde zur Überraschung vieler Mitglieder eine mögliche Koalition mit den Grünen sehr freundlich besprochen. Anstelle eines hirschröhrenden Aufschreis bei der Basis hörte man nur das Runzeln mancher Stirnfalten.
Und die Grünen? Mein Gott, wieso nicht, wenn es der Wahrheitsfindung dient. Und dem Konto. Und der Macht. Dem Sitz. Und den Backen. In dem Sinne meldete sich der grüne Miesbacher Landrat Wolfgang Rzehak schon vor Wochen zu Wort. Er forderte das Ende der Beißreflexe bei den Schwarzen und in bester grüner Oberlehrerpose stellte der Kumpel von Ilse Aigner gleich mal die Bedingung für die neue Traumregierung: „Das Personal bei der CSU muss stimmen.“
Hauptsache man kümmert sich gemeinsam um Alles rund um Nachhaltigkeit, das Bewahren der Schöpfung, den Tierschutz und um guten Strom. Am Ende seines Schwindelanfalls riet er den Restgrünen dazu, ab Mitte Oktober die bemitleidenswerten CSU-Kollegen im Landtag bitte nicht wie rohe Eier zu behandeln sondern sie in ihrer Not zu verstehen. Denn, so der Tierfreund: „Ein geschlagener Hund beißt halt gerne.“
Im Klartext heißt das: Wer morgen grün wählt, hievt Söder in den Thron. Das einst Unvorstellbare ist längst Realität und selbst vom Fassbomben-Experten Hofreiter hört man kein Dementi zu der bajuwarischen GrüKo.
Apropos Bluthochdruck: Anfang der Achtziger sagte mir der im Zweitberuf als Visionär tätige Uli Hoeneß so beiläufig am Ende eines Interviews: „Wissen Sie, lieber Herr Reiser, der Strauß und dieser Joschka – das wäre eine Bombenregierung.“
Kurz angemerkt: Ich selbst wurde links sozialisiert, verteilte als Schüler marxistische Flugblätter vor Firmenportalen, demonstrierte mit Griechen, Spaniern und Iranern gegen deren Juntas, kämpfte mich durch Hegel, Bloch und die Frankfurter Schulhefte, bereiste vor dem Mauerfall die DDR, Polen, Auschwitz und fuhr quer durch die Sowjetunion, sang mit den drei Tornados „Kein AKW in St. Tropez“, studierte das Übliche an der Berliner FU, mochte Ströbeles Tunix-Bewegung, spielte mit Fritz Teufel Doppelkopf und fand die frühen Grünen durchaus nett, etwa bei der Mutlanger Mega-Friedenskette.
Für eine Welt mit Freiheit, Frechheit, Poesie und Phantasie im Dienst der Revolte, nahm ich, wie so viele andere, manche Karrierebrüche in Kauf. Für das Kreuz bei Schröder&Fischer gab es also gute Gründe. Dafür schämen müssen sich höchstens die Gewählten, die im Verlauf der sieben Jahre den linken Humanismus zu einem Verfügungsmaterial von Großkapital und aggressivem Militarismus umdekorierten.