Das Bayern-Debakel

Die Bundestagswahl war ein Fiasko für die Union, insbesondere die CSU.

Das Ergebnis für die CSU kommt nicht von ungefähr. Seit über 20 Jahren befindet sich die Partei in der Krise. Immer wieder „haben die Bürger (ihr) gezeigt, dass sie eben nicht identisch ist mit Bayern“.

Die vergangenen Bundestagswahlen vom 24. September waren ein Fiasko für die Union, insbesondere auch für die CSU. Die CSU verlor 10,5 Prozentpunkte gegenüber der letzten Bundestagswahl und hatte mit 38,8 Prozent Stimmenanteil in Bayern ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949. Die AfD dagegen hatte mit just 12,4 Prozent in Bayern ihr bestes Ergebnis von allen westlichen Bundesländern.

Die strahlende Selbstherrlichkeit, mit der sich Seehofer im Bundestagswahlkampf plakatieren ließ, täuscht. Die Entwicklung der CSU verläuft schon seit Jahren, ja seit Jahrzehnten, krisenhaft. Seehofer selbst war ja eine Art Notlösung oder Rettungsring für die Partei, als Stoiber im Jahr 2007 – ein Jahr vor der Landtagswahl – gestürzt wurde. Die Partei fiel von 60,7 Prozent (Landtagswahl 2003) auf 43,4 Prozent bei der Landtagswahl 2008 und verfehlte damit erstmals seit über vier Jahrzehnten die absolute Mehrheit. Die CSU musste damals mit der FDP in eine Koalition gehen und obendrein den erstmaligen Einzug der Freien Wähler in den Landtag gleich mit über 10 Prozent hinnehmen. Nach kurzem Intermezzo wurden Ministerpräsident Beckstein und Parteivorsitzender Huber gestürzt. Seehofer kam dran und übernahm beide Ämter.

Jetzt ist Seehofer zur Belastung für die Partei geworden – vor allem im Hinblick auf die 2018 anstehenden Landtagswahlen in Bayern – und soll noch im ersten Quartal dieses Jahres als Ministerpräsident abtreten. Trotz oder gerade wegen ihrer Niederlage radikalisiert sich die CSU und legt ein brandgefährliches politisches Programm auf. Die CSU scheint immer noch in der Lage, der CDU ihr rechtes Programm aufzunötigen und am Sturz Merkels zu arbeiten, wobei sie am Ende noch den Beifall des CDU-Wirtschaftsrates hat.

In Bayern konkurriert die CSU zwar mit der AfD, grenzt sich inhaltlich aber keineswegs von ihr ab, so dass der Landesvorsitzende der AfD Seehofer als seinen einzigen hauptamtlichen Mitarbeiter und Pressesprecher bezeichnen kann. Die Frage, wie man diese CSU stoppen kann, ist eine elementare Frage in der aktuellen Politik, nicht nur in Bayern. Wir wollen zunächst die Entwicklung dieser Partei in Bayern in den letzten 25 Jahren beleuchten, um herauszufinden, ob es überhaupt den Hauch einer Chance gibt, die CSU auszuschalten bzw. wenigstens aus der bayerischen Staatskanzlei zu verdrängen.

Die CSU verlor diesmal 10,5 Prozentpunkte gegenüber der letzten Bundestagswahl und hatte mit 38,8 Prozent Stimmenanteil in Bayern ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949. Die AfD dagegen hatte mit just 12,4 Prozent in Bayern ihr bestes Ergebnis von allen westlichen Bundesländern. Die SPD, mit der es eigentlich seit 1972 bergab geht, hatte sich 1998 noch mal erholt und lag damals mit 40,9 Prozent fast 6 Punkte vor der Union und 2002 mit 38,5 Prozentpunkten gleichauf mit der Union. Seitdem scheint aber der Absturz auf die Zwanzig-Prozent-Marke fast unaufhaltsam. Die SPD erzielte jetzt bundesweit 20,5 Prozent, was ein Minus von 5,2 Prozentpunkten darstellt. Nicht vergessen sollte man allerdings, dass die SPD von der Mitgliedschaft her immer noch ein enormes Potenzial hat und mit 440.000 Mitgliedern (Zuwachs im Wahlkampf knapp 2 Prozent) die stärkste aller deutschen Parteien darstellt (1).

In Bayern nähert sich die SPD mit Riesenschritten dem Niveau einer Zehn-Prozent-Partei. Mit 15,3 Prozent der Zweitstimmen in Bayern musste die SPD in den Landkreisen oftmals die Position als zweitstärkste Kraft der AfD überlassen. So war es für die CSU trotz ihrer enormen Verluste an Zweitstimmen eher ein Kinderspiel, in Bayern sämtliche 46 Direktmandate zu holen. Pech für den Spitzenkandidaten der CSU Joachim Herrmann, der zwar auf Platz 1 der Landesliste der CSU platziert war, aber nicht im Wahlkreis antrat. Die Zweitstimmen für die CSU reichten dann nicht, um Herrmann neben den direkt nominierten Abgeordneten in den Bundestag zu bringen.

Die Linke erhielt insgesamt 4,3 Millionen Stimmen, legte damit bundesweit um 0,6 Prozentpunkte zu auf 9,2 Prozent und liegt damit knapp vor den Grünen (8,9 Prozent), aber hinter der FDP (10,7 Prozent) und hinter der AfD (12,6 Prozent). In den östlichen Bundesländern erzielte die Linke nur noch Ergebnisse zwischen 16,1 und 17,8 Prozent, was Verluste zwischen 3,7 und 6,6 Prozentpunkten darstellt. Im Schnitt hat die Linke in Ostdeutschland 17,4 Prozent und ist damit nach der CDU (28,2 Prozent) und der AfD (22,5 Prozent) auf Platz 3 gerutscht.

Innerhalb der Linken haben sich die Gewichte damit noch einmal dramatisch verschoben: Bei den Zweitstimmen liegen bei der Linken die Landesverbände Nordrhein-Westfalen (737.000) und Bayern (451.000) mit Abstand an der Spitze, gefolgt von Sachsen (399.000). Es folgen bei der Anzahl der Zweitstimmen für die Linke Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen und Hessen, bevor ab Platz 8 erst die restlichen östlichen Bundesländer folgen. Vor allem der Stimmenzuwachs in Bayern ist beachtlich und führt dazu, dass Bayern und Nordrhein-Westfalen zusammen grob gerechnet die Hälfte aller Zweitstimmen der westlichen Bundesländer auf sich vereinen, das ist fast ebenso viel wie alle östlichen Bundesländer zusammen.

Die erfreulichen Zuwächse bei der Linken im Westen, die die herben Verluste im Osten ausgleichen, beruhen auf steigendem Zuspruch von jungem, urbanem, gut gebildetem Publikum für die Partei. Die 430.000 Wähler von 2013, die die Linke jetzt an die AfD verloren hat, dürften vor allem aus dem Osten stammen. Der Ausgleich kam durch Wählerwanderungen von 430.000 enttäuschten SPD-Wählern, 170.000 Grüne-Wählern und 90.000 CDU/CSU-Wählern zur Linken. Allerdings wählen von den Arbeitslosen nur noch 11 Prozent die Linke und die Partei hat dort ihren Stimmenanteil halbiert. Die Linke verzeichnete heuer einen Mitgliederzuwachs von 3 bis 4 Prozent. Es ist also eine enorme Umstrukturierung der Wählerschaft der Linken im Gange. Diese wäre ebenso wie auch die neue Rolle des Landesverbandes Bayern innerhalb der Linken zu bewerten, was wir in einem späteren Artikel tun wollen.

Im Folgenden soll es hauptsächlich um die CSU gehen und ihr Wechselspiel mit der AfD – zunächst um die krisenhafte Vorgeschichte.


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Ein strahlender Seehofer im Wahlkampf an jeder Ecke in Bayern. „Klar für unser Land. CSU“. Die Plakate fingen aus lauter Begeisterung gleich noch selbst zu glänzen an. Seehofer verrät uns nicht, was alles „unser Land“ ist oder nach diversen Feldzügen sein wird. Bayern, Deutschland, Europa, Afghanistan, Mali, Russland…?

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Maximilian Funke-Kaiser, ein völlig unbekannter Kandidat der FDP in Augsburg. Unter schwarz verdrecktem und vermostem absolutem Halteverbotsschild, bei dem der Pfeil nach rechts freigeschabt ist. Die Augsburger Allgemeine berichtet von einer Podiumsdiskussion der sechs Bundestags-Direktkandidaten im Wahlkampf: Funke-Kaiser habe dem Kandidaten der AfD bescheinigt, „relativ vernünftig“ zu sein (AZ 21.9.2017).

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Plakatwand der CSU in einer finsteren Ecke des Wittelsbacher Parks in Augsburg: Integration: Leitkultur Leben! Die Hasen und Füchse und Auerhähne, die hier Leben reinbringen könnten, gibt es aber nicht mehr im städtischen Park. Wahrscheinlich wurden sie schon vor langer Zeit von Jägern aus der Partei abgeknallt. Und die Besucher des Parks meiden diese Ecke, denn hier rauscht der Mief vorbei (MIV motorisierter Individualverkehr). Der MIV ist zwar mit Sicherheit ein zentraler Bestandteil der Leitkultur der CSU, aber er integriert nicht, sondern bedeutet soundso oft eine Gefährdung und Verdrängung anderer Verkehrsteilnehmer und Verkehrsarten wie Bahn, ÖPNV, Fußgänger und Fahrradfahrer.

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Volker Ullrich, der Direktkandidat der CSU in Augsburg, baute mit 33,9 Prozent der Erststimmen im Stadtgebiet fast 10 Prozent-Punkte gegenüber seiner letzten Wahl ab. An Zweitstimmen holte seine Partei nur 31,2 Prozent in Augsburg, also weit unter dem Landesdurchschnitt von 38,8 Prozent und auch 1,7 Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt der Union. Dennoch strahlt Dr. Volker Ullrich weiter. Irgendwie muss er auch gute Miene zum bösen Spiel machen, auch wenn viele seiner Plakate demoliert wurden und ihm auch die wuchtige Kirche im Hintergrund offensichtlich keine Hilfe war.


Bei den Landtagswahlen 1994 konnte Stoiber die Partei noch einmal retten, 2008 erfolgte dann der Absturz für die CSU.

Die strahlende Selbstherrlichkeit, mit der sich Seehofer plakatieren ließ, täuscht. Die Entwicklung der CSU verläuft schon seit Jahren krisenhaft und Seehofer selbst war ja eine Art Notlösung oder Rettungsring für die Partei, als Stoiber im Jahr 2007 – ein Jahr vor der Landtagswahl – gestürzt wurde. Die Partei fiel von 60,7 % (Landtagswahl 2003) auf 43,4 % bei der Landtagswahl 2008 und verfehlte damit erstmals seit über vier Jahrzehnten die absolute Mehrheit (2). Die CSU musste damals mit der FDP in eine Koalition gehen und obendrein den erstmaligen Einzug der Freien Wähler in den Landtag gleich mit über 10 Prozent hinnehmen. Günther Beckstein als neuer Ministerpräsident und Erwin Huber als neuer Parteivorsitzender konnten sich nicht lange halten. Seehofer kam dran und übernahm beide Ämter.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, dass auch Edmund Stoiber an die Macht kam, weil sein Vorgänger nicht mehr haltbar war – damals Max Streibl, wegen der Amigo-Affäre. Streibl wurde 1993, ein Jahr vor der Landtagswahl, durch Stoiber ersetzt. Der Autor Peter Köpf schreibt in seinem Buch über Stoiber: „Es ging ein Gespenst um in diesen ersten Monaten des Jahres 1994, das Gespenst vom Verlust der Macht, zumindest aber der absoluten Mehrheit in Bayern. 40 Prozent gaben die Demoskopen der CSU.“ (3). Damals aber prallte die Amigo-Affäre an der CSU ab und die prophezeite historische Niederlage für Stoiber bei den Landtagswahlen 1994 trat nicht ein. Im Gegenteil, Köpf schreibt:

„Das bisschen Amigo – da drückten sie [gemeint sind die bayerischen Wähler; Anm. d. Red.] ein Auge zu. Wichtiger war den Bayern offenbar, dass da einer war, der sich um ihre Interessen kümmerte: die harte D-Mark und die vielen Ausländer. ( … ) In den Tagen und Wochen vor dem 25. September 1994 fanden die Bayern wieder die Überzeugung, wer wirklich für sie Politik machte, besser sogar als die Reps. Diese scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde, 52,8 Prozent der Bayern stimmten für die CSU.“ (4, 5)

Schon damals zog die CSU die ausländerfeindliche Karte, vor allem wenn es kritisch wurde. Stoiber hetzte im Wahljahr 1994 gegen das Asylrecht und angeblich eine Million Zuwanderer pro Jahr. In Bayern käme „jedes Jahr eine Stadt in der Größenordnung Würzburgs“ an Flüchtlingen hinzu. Bemerkenswert dabei ist, dass es der CSU damals noch gelang, eine Partei wie die REP niederzuhalten. Die CSU schreckte dabei auch nicht davor zurück, sich mit prominenten Maastricht-Gegnern zusammenzutun und sich auch mit dem FPÖ-Vorsitzenden Haider an einen Tisch zu setzen. Peter Köpf schreibt:

„Ungeniert umwarb er [Stoiber; Anm. d. Red.] das ehemalige FDP-Mitglied Manfred Brunner, der als Maastricht-Gegner eine »Bürgerbewegung für ein Europa der Nationen« gründen wollte. Peter Gauweiler (vor der Demission), Landwirtschaftsminister Reinhold Bocklet, Innenstaatssekretär Alfred Sauter und Finanzminister Georg von Waldenfels unterstützten Stoiber beim Versuch, Brunner einzugemeinden oder wenigstens für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. ( … ) Wes Geistes Kind die Fusionisten waren, zeigte sich kurz vor den Wahlen. Da sprach Brunner im Haus der Studentenverbindung Trifels, deren Mitglied auch Stoiber ist. Mit dabei: Jörg Haider.“(6)

Bei den Bundestagswahlen 2002 verknüpfte Stoiber die „K-Frage“ mit der „Z(uwanderungs)-Frage“.

Auch im Wahlkampf zu den Bundestagswahlen 2002 zog Stoiber, der als Kanzlerkandidat gegen Schröder antrat, die rassistische Karte, als es eng wurde und der Vorsprung der Union vor der SPD zunehmend dahinschmolz. In der von Gerhard Schröder und Innenminister Otto Schily gegründeten Zuwanderungskommission unter Leitung von Rita Süssmuth (CDU) hatte man sich schon auf eine Empfehlung geeinigt, die sogar CSU-Generalsekretär Thomas Goppel unterstützte.

Da scherte Stoiber aus dem Parteienkompromiss aus und vermisste wirksamere Maßnahmen gegen „Asylmissbrauch“ und eine Senkung des Familiennachzugsalters. Stoiber legte die alte Platte auf, angesichts einer hohen Zahl von Arbeitslosen könne denen eine weitere Zuwanderung nicht erklärt werden. Damit verkoppelte Stoiber die „K-Frage“ mit der „Z(uwanderungs)-Frage“. Als Zweites forderte Stoiber im Bundestagswahlkampf vehement Maßnahmen zur Stärkung der inneren Sicherheit: bundesweite Regelanfrage beim Verfassungsschutz bei Einbürgerungen, Wiedereinführung der Kronzeugenregelung, Kooperation zwischen Polizei und Verfassungsschutz und vieles mehr. Vorwand war der 11. September in den USA (7).

Stoiber, beziehungsweise die Union, verlor 2002 gegen Schröder ganz knapp mit 6000 Zweitstimmen. Stoiber war vor den Bundestagswahlen von einem Teil der Partei gewarnt worden, sich als Kanzlerkandidat zur Verfügung zu stellen, da eigentlich allgemein mit einer Niederlage gerechnet wurde und Folgen für Stoiber bei den Landtagswahlen 2003 in Bayern befürchtet wurden. Doch Stoiber ging davon aus, dass sich als Märtyrer von Berlin nach einer ehrenvollen Niederlage immer noch Punkte machen ließen in Bayern.

Bei den Landtagswahlen 2003 gab Stoiber den Triumphator. Unmittelbar nach den Wahlen wurde der Triumphator in Bayern zum Gejagten.

Dies war auch tatsächlich der Fall und die CSU holte bei den Landtagswahlen 2003 noch einmal über 60 Prozent und Stoiber gab den großen Triumphator. Aber dann – unmittelbar nach diesen Landtagswahlen – trat etwas höchst Bemerkenswertes ein.

Siegesgewiss hat der bayerische Ministerrat noch vor den Landtagswahlen 2003 eine Bundesratsinitiative für ein „Wirtschaftsrecht light“ beschlossen, um „arbeitsrechtliche Überregulierungen“ „auf ein vertretbares Maß“ zurückzustutzen und die Arbeitsstättenverordnung zu „entrümpeln“. Mit einer sogenannten Deregulierungskommission wollte die bayerische Staatsregierung, gestützt auf McKinsey, eine Art Sonderwirtschaftszonen in Bayern schaffen und plante auch einen Angriff auf die Tarifautonomie (8). Das Forum solidarisches und friedliches Augsburg schrieb damals:

„Die bayerische Staatsregierung ist im Siegesrausch einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Sie brennt darauf, das Arbeitsrecht zu beseitigen und die Gewerkschaften für immer auszuschalten. Sie ist so dreist und gibt zu erkennen, dass der Bericht der Deregulierungskommission als Regierungsprogramm für die nächsten Jahre zu lesen ist.“

Der Triumphator legte sich aber nicht nur mit der Arbeiterbewegung und ihren Gewerkschaften an, sondern auch mit den Studenten, den Kommunen, mit Schülern und Jugendlichen und dem Bayerischen Jugendring, mit Polizisten und Justizvollzugsbeamten, Forstleuten, Philologen, Bauern, Denkmalschützern, mit der Caritas und den von ihr unterstützten sozial Schwachen, Arbeitslosen, Kranken, ausländischen Arbeitnehmern, Behinderten und Familien mit mehreren Kindern (9).

Am 20. November 2003, genau zwei Monate nach der Landtagswahl, marschierten 40.000 Studenten auf die Staatskanzlei. Ein großes mitgeführtes Plakat zeigte Stoiber mit einem grünen Gürtel um den Hals und in Rot die Parole: „Den Gürtel an der richtigen Stelle enger schnallen!“. Ein großes Transparent lautete: „Edmund Stoiber – Hochschulräuber“. Für die Waldarbeiter war Stoiber noch schlimmer als die Räuber: „Im Wald da sind die Räuber – noch schlimmer ist der Stoiber!“ Ein anderes Transparent der Arbeiter lautete „Wiebke, Lothar, Edmund“.

Das war im Dezember 2003, im gleichen Monat gab es auch eine tumultartige Kundgebung des Philologenverbandes im Löwenbräukeller, wo der bildungspolitische Sprecher der CSU-Fraktion, Siegfried Schneider, ausgebuht wurde. Im Januar 2004 lehnte der Vorsitzende des bayerischen Städtetags, Oberbürgermeister Josef Deimer, die Pläne der CSU entschieden ab, die Gewerbesteuer abzuschaffen – eine der Haupteinnahmequellen der Kommunen. Im Januar 2004 wurden die Teilnehmer der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth bereits auf der Hinfahrt von den Bauern gejagt. Das Forum solidarisches und friedliches Augsburg schrieb:

„In Wildbad Kreuth soll es während der Klausurtagung der CSU am 13. Januar rund gehen. „CSU im Belagerungszustand“, schreibt der Münchner Merkur und „Stoiber droht in Kreuth ein Spießrutenlauf“. „Breite Front im engen Tal – Protestwelle gegen Stoibers Turbo-Sparkurs. Für Edmund Stoiber wird das neue Jahr etwas ungemütlich beginnen: Die durch seinen Turbo-Sparkurs mobilisierte Protestfront rückt quasi auf ein Allerheiligstes der CSU vor, das legendäre Tagungszentrum in Wildbad Kreuth.“ Mit Traktoren rückten die Bauern auf die Zufahrtswege von Wildbad Kreuth zu, um die CSU-Politiker abzufangen. Auf Schleichwegen versuchten diese, in den Tagungsort zu kommen. Zuvor schon hatten Waldarbeiter mit großen Spitzhacken und Äxten gegen Stoiber und seine CSU demonstriert. Es wurde fast etwas bedrohlich für die CSU.“ (10)

Im Januar 2004 flammten auch große Unruhen wegen des G8 und der Kürzungen im Bildungsbereich auf (11). Die Kampagne von Schülern, Eltern und Lehrern gegen den Bildungsschlussverkauf in Bayern schwelte danach weiter und führte im Jahr 2009 zu einer regelrechten Explosion im Bildungsstreik an Schulen und Hochschulen in Bayern. (12).

Der breite Widerstand im Bildungsbereich hat heuer, nach 13 Jahren, das G8 zu Fall gebracht und die CSU zur vollständigen Kapitulation in dieser Frage gezwungen. Solche und ähnliche schwere politische Niederlagen kann die CSU eigentlich nicht vergessen machen. Der Autor hofft, dass der CSU dabei auch ihr Säbelrasseln bei der inneren Sicherheit und ihr permanentes rassistisches Getöse gegen Flüchtlinge als Ablenkungsmanöver und Verhetzungsprogramm nicht mehr viel nützt.

Die CSU nähert sich bedenklich der bundesweiten Fünf-Prozent-Hürde. Damit steht ihre Rolle im Bundestag zur Disposition.

Bei der Europawahl 2009 gab es eine Diskussion, ob die CSU die Fünf-Prozent-Hürde nimmt. Die 5 Prozent mussten nämlich bundesweit erreicht werden, wofür in Bayern mindestens 33,4 Prozent der Stimmen erreicht werden mussten. Bei gleichbleibender Wahlbeteiligung wie bei der Europawahl 2004 wären noch rund 36 Prozent der bayerischen Stimmen nötig gewesen, da die Wahlbeteiligung in Bayern 2004 einiges unter dem Bundesdurchschnitt lag.

Die CSU erreichte dieses Quorum zwar, aber in der öffentlichen Diskussion war die Marke gesetzt, bei deren unterschreiten die CSU aus dem Europaparlament fliegt. Für die darauffolgende Europawahl wurde das Quorum in Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen aufgehoben. Für die CSU wäre das Quorum beinahe zum Fallbeil geworden, denn sie erreichte bei der Wahl zum europäischen Parlament 2014 nur noch 5,3 Prozent bundesweit.

Für die Bundestagswahl gilt eine bundesweit zu überschreitende Fünf-Prozent-Hürde nach wie vor. Und ein weiteres Absacken der CSU würde die Partei tatsächlich in Gefahr bringen. Bei der jetzigen Bundestagswahl 2017 lag das Ergebnis für die CSU bundesweit bei 6,2 Prozent – was man schon als eine bedenkliche Annäherung an die Fünf-Prozent-Hürde sehen kann. Zwar könnte die CSU mit mindestens drei Direktmandaten ebenfalls in den Bundestag einziehen. Aber ob sie als eigene Fraktion auftreten könnte, wäre ungewiss. Denn dafür sind mindestens 5 Prozent der Abgeordneten nötig, das wären im jetzigen Bundestag fünfunddreißig. Diese Informationen stammen aus Recherchen der Augsburger Allgemeinen, die sich mit dem weiteren Schicksal von Frauke Petri im Bundestag befasst (13). Sie zeigen aber natürlich auch der CSU ihre Grenzen auf.

Die Zeiten scheinen ihrem Ende entgegenzugehen, wo die CSU durch ihre Stärke in Bayern in erheblichem Maße zum Gesamtergebnis der Union bei den Bundestags- und Europawahlen beitrug. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt in einem Dossier:

„Dass die Wahlerfolge der CSU inzwischen deutlich labiler geworden sind, zeigt ein Vergleich der Landtags- und Bundestagswahlen 2013 mit den Kommunal- und Europawahlen im Frühjahr 2014, bei denen sie mit Werten um die 40 Prozent sogar noch hinter die schlechten Ergebnisse der Landtagswahl 2008 und Bundestagswahl 2009 zurückfiel. Dabei zeigen sich neben ihrer relativen Schwäche in den Städten vor allem die zunehmenden Mobilisierungsprobleme der CSU im ländlichen Raum gegen die aufstrebende Konkurrenz der Freien Wähler.
Die geografischen Hochburgen der CSU liegen in den altbayerischen Bezirken, Schwaben sowie den katholisch geprägten Gebieten Frankens. ( … )
Hinsichtlich ihrer Sozialmerkmale sind die typischen CSU-Wähler älter als der Bevölkerungsdurchschnitt, weisen eine größere Nähe zur Kirche auf und leben häufiger auf dem Land (Sebaldt 2017: 269). Weibliche und männliche Wähler halten sich in etwa die Waage; allerdings ist der Unterschied zwischen den Altersgruppen bei den weiblichen Wählern noch stärker ausgeprägt als bei den Männern. Unter den Berufsgruppen ist das Verhältnis ebenfalls relativ ausgeglichen. Dies gilt neuerdings sogar für die Landwirte, deren Unterstützung bei der Landtagswahl 2013 auf knapp 60 Prozent zurückgegangen ist, nachdem sie 2003 noch zu über 90 Prozent für die CSU gestimmt hatten.“
(14)

Die Verluste der CSU bei der Europawahl 2014 waren dramatisch. Zudem musste die CSU den Einzug der AfD in das Europaparlament hinnehmen mit mehr Stimmen, als die CSU selbst erhielt.

Bei der Europawahl 2014 erlitt die Union Verluste, nicht nur relativ, sondern auch bei der absoluten Anzahl der Stimmen, was vor allem auf einen heftigen Einbruch der CSU zurückzuführen ist. Das Ergebnis von 40,5 Prozent, was bundesweit 5,3 Prozent darstellte, wurde in der CSU als starke Niederlage verstanden und dass es Bernd Posselt als Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft aus dem EU-Parlament gekickt hat, war für die Kritiker der aggressiven „Vertriebenen“politik eine echt gute Nachricht.

Bei den Europawahlen 2014 bereiteten CDU und CSU schwere Angriffe auf die EU-Verfassung und die (Haushalts-)Souveränität der Mitgliedstaaten vor. Die CSU trat mit einem eigenen Wahlprogramm an, einem sogenannten Europaplan. Damit unterlief sie das Aktionsprogramm der EVP und holte aus zu einer gravierenden Einschränkung der Demokratie auf EU-Ebene. Die CSU stellte das Recht kleinerer EU-Mitgliedsländer auf einen eigenen Kommissar infrage.

Außerdem propagierte die CSU eine Änderung des Wahlrechts nach dem sogenannten Prinzip „one man, one vote“, was die Vormacht Deutschlands als mitgliederstärkstes EU-Land drastisch ausgebaut hätte und von der Souveränität der Mitgliedstaaten und ihrer Gleichbehandlung nicht mehr viel übrig gelassen hätte (15). Die CSU trat mit der gewohnten Arroganz auf. Bei ihr gab es im Wahlkampf weder eine EVP – im Rahmen dieser konservativen Fraktion trat die CSU eigentlich an – noch einen Spitzenkandidaten Junker, eigentlich gab es im Wahlkampf und auf den Plakaten nur Bayern und Seehofer (16).

Zudem fuhr die CSU-Spitze im Europawahlkampf eine zweigleisige Strategie. Der Spitzenkandidat Markus Ferber, Bezirksvorsitzender der CSU Schwaben und damals Vorsitzender der CSU-Europagruppe, fuhr natürlich einen pro-europäischen Kurs. Auf Initiative Seehofers wurde allerdings auch der schillernde, rechtslastige Eurokritiker Gauweiler 2013 zum Parteivize gewählt, „um vor der Europawahl auch Europa-kritischen CSU-Anhängern eine Stimme zu geben“ (17). Dieser Schlingerkurs in der Euro- und Europa-Frage führte letztendlich zum Fiasko für die CSU, zum schlechtesten Ergebnis bei einer überregionalen Wahl seit 1954.

Seehofer brachte es fertig, nach der Wahl zunächst den Spitzenkandidaten Markus Ferber verantwortlich zu machen für die Niederlage und als Vorsitzenden der Europa-Gruppe abzusägen. Die Europagruppe der CSU ist inzwischen auf fünf Abgeordnete geschrumpft. Prof. Dr. Angelika Niebler ist seit 2014 Vorsitzende der Europagruppe, Monika Hohlmeier ist parlamentarische Geschäftsführerin und Manfred Weber hat sich 2014 sogar zum Vorsitzenden der EVP-Fraktion aufgeschwungen. Markus Ferber hat neben seiner Mitgliedschaft im Ausschuss für Wirtschaft und Währung und im Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr keine Funktionen mehr.

Dass Manfred Weber 2014 zum Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei EVP, der größten Fraktion im europäischen Parlament (214 von 751 Sitzen), gewählt wurde, ist schon frappierend. Die Europäische Volkspartei (EVP; englisch European People’s Party, EPP) ist eine europäische politische Partei, die sich aus christlich-demokratischen und konservativ-bürgerlichen bis hin zu nationalkonservativ-rechtspopulistischen Mitgliedsparteien in der Europäischen Union zusammensetzt.

Der CSU-Politiker Manfred Weber aus Niederbayern gilt jetzt „als mächtigster Deutscher im EU-Parlament“ (18). Damit haben Parteivorstand und Präsidium der CSU, denen Manfred Weber seit 2003 beziehungsweise 2009 angehört, direkten und führenden Einfluss auf die EVP-Fraktion. Seit 2015 ist Manfred Weber sogar stellvertretender Parteivorsitzender der CSU, beherrscht als solcher auch den Vorsitz der EVP und versucht dieser Fraktion, die bayerische Linie aufzudrücken: Laut Weber gehe es heute um „die Selbstbehauptung unseres Kontinents“ und „die Sicherung der Identität Europas“. Dazu müssten die Grenzen mit aller Härte gegen illegale Migranten und Schlepperbanden geschützt werden. Auch ein „sorgenvoller Blick auf Russland“ sei angebracht – aber:

„Der ‚European Way of Life‘ bedeutet auch: Wir stehen zusammen und lassen uns nicht einschüchtern. Wir brauchen eine Europäische Verteidigungsunion, die uns wehrhafter macht. Und deshalb müssen wir auch Nord Stream 2 beenden. Unsere Sicherheit ist wichtiger, als Geld zu verdienen!“ (19).

Unlängst forderte Manfred Weber in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der EVP-Fraktion mit der gewohnten, CSU-eigenen Anmaßung den Rauswurf des Außenministers Johnson aus der britischen Regierung.

Nicht nur mit Markus Ferber, auch mit Peter Gauweiler legte sich Seehofer nach den Europawahlen 2014 massiv an, was ein Jahr später zu dessen Rückzug vom Parteivorstand und sogar aus dem Bundestag führte. Theo Waigel stellte damals im März 2015 fest, Gauweiler habe in der Europapolitik der CSU immer eine Minderheitenmeinung vertreten. Der Kurs Seehofers liege in der Tradition der CSU.

„Das Ergebnis der Europawahl hat gezeigt, dass die Partei keine Doppelstrategie fahren darf.“ (20)

In Sachen Gauweiler sollte man allerdings nicht übersehen, dass er politisch tatsächlich schillernd war. Die Augsburger Allgemeine berichtete zum Beispiel:

„Gauweiler hatte sich in der CSU zuletzt zusehends isoliert: wegen seiner stetigen und harschen Brüssel-Kritik, aber auch, weil er die Verfassungsmäßigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr infrage gestellt hatte.“ (21)

Jedenfalls ging der Versuch der CSU, den Durchmarsch der AfD in das Europaparlament zu verhindern, schief. Bei der Europawahl 2014 bekam die CSU schlagartig massive Konkurrenz durch die AfD. Die AfD erreichte 7 Prozent und über 2 Millionen Wähler bundesweit, während die CSU nur auf 1,5 Millionen Wähler kam.

Mit 10,4 Prozent der Wählerstimmen hat die Alternative für Deutschland (AfD) übrigens damals in Augsburg eines ihrer besten Ergebnisse erzielt. Die CSU dagegen hat in Augsburg mit 34,7 Prozent rund zwölf Prozent im Vergleich zu 2009 (46,7 Prozent) eingebüßt. Daher schien ein Großteil der AfD-Wähler zu kommen.

Nachdem Gauweiler in der CSU alle seine Ämter niedergelegt hatte, erhielt er postwendend von der AfD ein Angebot. AZ online schrieb 2015:

„Die Alternative für Deutschland (AfD) machte dem Euro-Kritiker dagegen umgehend ein Angebot: ,Wir laden Herrn Gauweiler herzlich ein, der AfD beizutreten, und begrüßen es, dass er konsequent genug ist, das Versagen der Union in Sachen Eurorettungspolitik durch einen Verzicht auf alle seine Ämter in der Öffentlichkeit deutlich zu machen‘, erklärte der AfD-Bundesvorsitzende Bernd Lucke.“ (22)

Eine interessante Notiz aus dem letzten Europawahlkampf und der damaligen Rolle von Martin Schulz wollen wir hier noch zitieren:

„Selbst wenn Juncker scheitert und Schulz das Rennen als Kommissionspräsident machen sollte, wäre der deutsche Einfluss in der Kommission dennoch gestärkt. Und so pflegt der Sozialdemokrat Martin Schulz im Wahlkampf schon das Image, dass er für Deutschland kandidiert. Die SPD wirbt für ihn: ,Martin Schulz. Aus Deutschland. Für Europa.‘
Die CSU ist am Verzweifeln ob der Publicity von Martin Schulz, die in letzter Zeit stark angestiegen sein soll und inzwischen fast das Doppelte der Zustimmungswerte von Jean-Claude Juncker erreichte. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer warf Schulz indirekt vor, in Europa keine deutschen Interessen zu vertreten. ,Die Fassade und die Person stammen aus Deutschland, aber die Stimme und die Inhalte stammen aus den Schuldenländern.‘ Selbstverständlich wies die SPD diese Angriffe empört zurück, ,Schulz als quasi Un-Deutschen zu verunglimpfen‘.“
(23)

Die Kommunalwahlen 2014 wurden zu einem bayernweiten Debakel für die CSU. Die Bürger haben „der CSU gezeigt, dass sie eben nicht identisch ist mit Bayern“.

Die Europawahlen fanden am 25. Mai 2014 statt. Zuvor, am 16. März 2014, hatten bereits Kommunalwahlen in Bayern stattgefunden. Auch die schweren Verluste der CSU bei diesen Kommunalwahlen sind hier zu würdigen. Die bürgerlichen Medien sprachen von einem bayernweiten Debakel für die CSU (24). Die CSU ist bei diesen Kommunalwahlen im Jahr 2014 erstmals seit mehr als fünf Jahrzehnten unter die Vierzig-Prozent-Marke gerutscht. Sie kam nur noch auf 39,7 Prozent. 2008 hatte die CSU bei den Kommunalwahlen exakt 40,0 Prozent erreicht. Der Einbruch bei den Kommunalwahlen 2014 gegenüber den Vorwahlen war also gering, das Problem waren schon die Kommunalwahlen 2008 und – wie der Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, Walter Roller, vermerkte:

„Die CSU hat ihr erklärtes Wahlkampfziel, die Scharte von 2008 auszuwetzen und wieder deutlich über der Marke von 40 Prozent zu landen, glatt verfehlt. ( … ) Vor allem in Oberbayern, wo das Herz der CSU schlägt, bröckelt das lokale Fundament der Partei – mit all den Folgen, die dies langfristig für die landespolitische Position der CSU haben könnte.“ (25).

Walter Roller sagte der CSU damals erhebliche Probleme voraus und sah sogar die landespolitische Position der CSU in Gefahr. Das Forum solidarisches und friedliches Augsburg schrieb damals:

„Insofern könnten diese Kommunalwahlen tatsächlich einen Wendepunkt in der bayerischen Politik markieren, der erst nach und nach sichtbar wird.“ (26)

Fakt ist, dass die CSU schon bei den Kommunalwahlen 2008 in den Gemeinderäten nur noch knapp über 30 Prozent hatte und hier die „Sonstigen“, vor allem die Freien Wähler, andere Wählervereinigungen und Listenverbindungen dominierten. In den kreisfreien Städten hatte die CSU die Mehrheit an die SPD verloren. Nur in den Kreisverwaltungen, Landratsämtern und Kreistagen konnte sich die CSU nach wie vor festkrallen. Seit 2008 hat die CSU also in den Kommunen in ganz Bayern definitiv nicht die Macht (27).

Bei den Kommunalwahlen 2014 sank die Wahlbeteiligung von 59,5 Prozent (2008) auf 55 Prozent. Auffallend schlecht war die Wahlbeteiligung in den Städten Kempten (41,4 Prozent), Augsburg (41,2 Prozent), Rosenheim (40,9 Prozent) und Neu-Ulm (38 Prozent). In strukturschwachen Wahlbezirken sank die Wahlbeteiligung am stärksten. Die Stichwahlen in fünf kreisfreien Städten zwischen SPD und CSU beziehungsweise zwischen CSU und Freier Wählergemeinschaft verlor die CSU bis auf Würzburg in München, Regensburg, Erlangen und Ansbach.

Bei den kreisangehörigen Gemeinden in Bayern verschlechterte sich die CSU noch einmal auf 30,2 Prozent (gegenüber 31,1 Prozent in 2008). Grüne und Freie Wähler legten zu, die SPD baute noch mal ab auf 15,1 Prozent. Und die übrigen Parteien mit gemeinsamen Wahlvorschlägen sowie die Wählergruppen holten insgesamt wie bei der letzten Kommunalwahl über 50 Prozent (28).

In den 25 kreisfreien Städten in Bayern stagniert die CSU 2014 bei 33,6 Prozent (33,2 Prozent 2008), während die SPD auf 30,3 Prozent der Stimmen absank und damit ihren leichten Vorsprung vor der CSU aus dem Jahr 2008 wieder einbüßte. Festzuhalten wäre, dass die CSU bei den kreisfreien Städten im Jahr 2002 noch bei 41,1 Prozent der Stimmen lag und davon bei der Kommunalwahl 2008 fast acht Prozentpunkte verlor und sich von diesem Schlag nicht mehr erholt.

Bei der Wahl der Kreistage in den 71 Landkreisen verlor die CSU im Jahr 2014 um 0,7 Prozentpunkte auf 41,3 Prozent.

Bei den zusammengefassten Daten der Kommunalwahl hatte die CSU schon 2008 mit 40,0 Prozent 5,5 Prozentpunkte eingebüßt. 2014 verschlechterte die CSU ihr Gesamtergebnis bei den Kommunalwahlen noch einmal um 0,5 Prozentpunkte auf 39,6 Prozent.

Auf kommunaler Ebene sieht es also insgesamt nicht gut aus für die CSU. Von den erdrutschartigen Verlusten auf dieser Ebene im Wahljahr 2008 konnte sich die CSU bisher – und wahrscheinlich auf Dauer – nicht mehr erholen. Im urbanen Milieu stagniert die CSU bei einem Drittel der Stimmen.

Wenn die CSU nun auf dem Land auch abbaut und die Wähler in den strukturschwachen Regionen keine Hoffnungen mehr in die CSU setzen und der rechtskonservative Flügel der CSU zur AfD abwandert, dann dürfte es um die CSU als alles beherrschende Staatspartei geschehen sein. Oder, wie sich die Süddeutsche 2014 ausdrückte und das Dilemma der CSU vor allem in vielen großen Kommunen ansprach:

„Seehofers Traum vom Wiederaufstieg der CSU zu alter Größe ist ausgeträumt. Die Wähler haben gezeigt, dass Bayern nicht CSU bedeutet. Damit Normalität einkehrt, waren Überraschungen nötig. Vor allem in Nürnberg, aber auch in München ( … ) haben die Bürger der CSU gezeigt, dass sie eben nicht identisch ist mit Bayern.
Diese Wahrheiten lernt Seehofer nun an Stellen, an denen es weh tut. Die Koalition mit dem Bürger hatte der Ministerpräsident monatelang ausgerufen. Nun verweigern sich die Bürger diesem Bündnis genau dort, wo es sie unmittelbar beträfe – in vielen großen Kommunen eben“
(29)

Die stellvertretende Parteivorsitzende Ilse Aigner schert aus und kritisiert den Rechtskurs der Partei, wofür sie sofort abgestraft wird

Im November 2017 brachte sich die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner als mögliche Ministerpräsidentin in Stellung. Dazu brachte sie eine Urwahl des Spitzenkandidaten für die Landtagswahl ins Spiel. Dafür wurde Aigner von Ministern und Landtagsabgeordneten der CSU übel kritisiert und beleidigt, obwohl sie als Vorsitzende des wichtigsten CSU-Bezirks Oberbayern und stellvertretende Ministerpräsidentin schon einiges politische Gewicht hat. Dies ist aber offensichtlich kein Schutz gegenüber einer ungehemmten, nach rechts tendierenden, frauenfeindlichen Meute in der CSU. Die Zeit, die die bayerische Politik offensichtlich sehr genau beobachtet, schrieb (30):

„Kultusminister Ludwig Spaenle wies die Idee seiner Kabinettskollegin Aigner scharf zurück. Der Vorschlag sei »ein Lehrbeispiel für politisches Leichtmatrosentum«, sagte er. Jeder könne sich für alles bewerben. Aber ein solch »durchsichtiges politisches Manöver« diskreditiere das Instrument der Mitgliederbefragung. Die Idee brüskiere zudem die Landtagsfraktion, kritisierte Spaenle. Er erinnerte auch an schlechte Erfahrungen anderer Parteien mit Urwahlen, etwa der CDU in Baden-Württemberg.
Der oberbayerische Landtagsabgeordnete Florian Herrmann griff Aigner, die auch oberbayerische CSU-Bezirksvorsitzende ist, ebenfalls scharf an. Wer eine Urwahl fordere, tue dies nicht aufrichtig, »sondern getrieben von dem einzigen Ziel: Söder zu verhindern«, sagte Herrmann. »Das ist parteischädigend, weil nicht irgendwelche Möchtegerns Ministerpräsident werden können, sondern nur jemand, der das Zeug dazu hat«, betonte er. Und da sehe er von der Generation, die jetzt Verantwortung übernehmen müsse, nur Markus Söder.“

Der eigentliche Grund für den Hass der Parteiführung auf Ilse Aigner kam in den Medien kaum zur Sprache. Ilse Aigner wollte nicht nur Söder verhindern und sich selbst für das Ministerpräsidentenamt ins Spiel bringen. Im Prinzip ist die Konkurrenz um Ämter, auch schärfste Konkurrenz, in der CSU der Normalfall. Aber wenn eine Frau sich anmaßt, um ein Amt zu konkurrieren, dass Platzhirsche unter sich ausmachen wollen, hört sich in der CSU der Spaß auf. Dies ist das eine.

Noch gravierender war die Kritik von Ilse Aigner am Rechtskurs der Partei. Dies ist für die Parteiführung, die sich auf diesen Rechtskurs bedingungslos verschworen hat, untragbar. Man muss froh sein, dass es überhaupt Medien gab, die diese grundsätzliche Kritik Ilse Aigners an der Parteilinie erwähnten, sonst hätte man nämlich davon nichts erfahren. Deshalb sei hier T-Online zitiert (31):

„Die bayerische Wirtschaftsministerin und Vorsitzende des CSU-Bezirksverbandes Oberbayern, Ilse Aigner, hat heftige Kritik an den Machtkämpfen in der CSU geübt: »Ich bin davon überzeugt, dass von der derzeitigen Diskussion niemand profitiert – und das Bild, das wir abliefern, ist katastrophal.«
»Die Menschen bekommen das Gefühl, uns interessierten nur unsere Politikerkarrieren«, sagte sie der »Welt am Sonntag«.
Aigner warnte einige Parteifreunde davor, als Folge der Wahlschlappe bei der Bundestagswahl die CSU nun auf einen Rechtskurs einzuschwören: »Wir haben mitnichten nur an die AfD Stimmen verloren, sondern auch an Grüne und FDP. Diese Stimmen aus dem bürgerlichen Lager sind endgültig verloren, wenn wir jetzt nur noch auf Lautsprecherei setzen und ausschließlich zum rechten Rand schielen.«“

Man sollte es registrieren und nicht vergessen. Für diese Fundamentalkritik an der rechten Politik der CSU noch während der Jamaika-Verhandlungen wurde diese Frau übel abgestraft und spielt seitdem als mögliche Nachfolgerin von Seehofer keine Rolle mehr. Eigentlich müsste über eine Rücktritt und Nachfolge von Seehofer schon ein Parteitag entscheiden, aber in der CSU wird das anscheinend von der Landtagsfraktion in ihrer ganzen Machtfülle geregelt.

Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Gastkommentar von Ilse Aigner in der Welt, den wir zur Lektüre empfehlen. (32)

Die CSU ist hochgradig nervös wegen der bevorstehenden Landtagswahl 2018 und hat Seehofer jetzt geopfert

Für Seehofer wurde es jetzt jedenfalls in der Partei selbst eng. Zunächst hatte sich die Junge Union in Bayern offen gegen Seehofer positioniert, formal ähnlich wie die Jusos gegen die SPD-Führung. Letztendlich musste Seehofer zähneknirschend das Votum der CSU-Landtagsfraktion akzeptieren, noch im ersten Quartal 2018 als Ministerpräsident abzutreten und dieses Amt seinem schärfsten Konkurrenten, Markus Söder, zu überlassen. Seehofer selbst will allerdings Parteichef bleiben. Die Zeit schrieb dazu im Dezember 2017 (33):

„Seehofer hatte allerdings lange den Eindruck erweckt, er wolle Söder um jeden Preis verhindern. Er hatte ihm ‚Schmutzeleien‘ vorgeworfen und hielt ihn dem Vernehmen nach für charakterlich ungeeignet. Söder war es in den vergangenen Jahren gleichwohl gelungen, die bayerische Landtagsfraktion und große Teile der Parteibasis auf seine Seite zu bringen.“

Die Zeit stellt weiterhin fest (34):

„Die Einstimmigkeit in Fraktion und Parteivorstand ist weniger Ausdruck einer großen Söder-Begeisterung, sondern vermutlich eher dem Wunsch geschuldet, geeint zu wirken und die quälenden Personaldebatten endlich abzuhaken.“

Tatsächlich wusste die Parteiführung, dass die Zustimmung in der Bevölkerung und auch an der Parteibasis rapide abnahm und das Wahlvolk das Postengerangel und die Parteifehden an der Spitze langsam, aber entschieden, satt hatten.

Wie die Medien feststellen, hat Söder mit seiner brachialen Verdrängung Seehofers vom Ministerpräsidentenamt zwar eine bärenstarke Landtagsfraktion mit 100 Prozent hinter sich, aber gleichzeitig die Partei gespalten (35):

„Darüber hat er die Partei personell und institutionell gespalten, wie sie es lange nicht mehr war. Jetzt steht fest: Im ersten Quartal 2018 wird Horst Seehofer, CSU-Vorsitzender und Noch-Regierungschef, die Staatskanzlei räumen. Söder wird nachrücken und im kommenden Herbst auch als Spitzenkandidat in die Landtagswahl ziehen.“

Innenminister Joachim Herrmann, der noch Spitzenkandidat der CSU bei den Bundestagswahlen war, spielte bei diesen Personalentscheidungen keine Rolle mehr.

Das Kalkül der Landtagsfraktion der CSU mag natürlich sein, Söder als ungeliebten Franken in diesem Landtagswahlkampf zu verheizen. Die Niederlage steht an die Wand geschrieben und man wird sie Söder in die Schuhe schieben, wenn sie eintritt. So könnte man den Spitzenkandidaten auch wieder loswerden. Es wäre nicht der erste Franke, den die von Oberbayern dominierte CSU hätte über die Klinge springen lassen.

Die Kreisverbände und Bezirksverbände der CSU fürchten bei den Landtagswahlen 2018 einen Crash. Großspurig heißt es aber schon wieder, es gehe 2018 darum, „die absolute Mehrheit“ zu verteidigen. Tatsächlich hatte die CSU im Jahr 2013 schon nicht mehr die absolute Mehrheit, denn sie erreichte nur 47,7 Prozent und erholte sich damit nur um 4,3 Prozentpunkte von dem Crash im Jahre 2008, wo sie bei der Landtagswahl auf 43,4 Prozent (minus 17,3-Prozentpunkte) abgestürzt war.

2013 gelang es der CSU, die FDP, die 2008 erstmals wieder mit 8,0 Prozent in den Landtag eingezogen war, wieder abzudrängen aus dem Landtag (3,3 Prozent), ebenso wie die Linke, die Bayernpartei, die ÖDP, die Piraten und die Sonstigen. Da alle diese Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, konnte überwiegend die CSU ihre Sitze einsammeln – nur so erreichte die CSU die absolute Mehrheit. Durch diese Sitze, die sie den gescheiterten Parteien abgenommen hat, kam die CSU bei einem realen Wahlergebnis von 47,7 Prozent auf 55,5 Prozent der Sitze im Landtag.

Wenn die CSU jetzt tönt, sie wolle 2018 „die absolute Mehrheit“ verteidigen, so heißt das im Grunde auch, dass sie möglichst viele konkurrierende Parteien unter die 5 Prozent drücken will, um ihre Sitze einzusammeln. Weil – eine echte absolute Mehrheit bringt die CSU voraussichtlich schon nicht mehr zustande. Seit zwei Landtagsperioden muss die CSU die Freien Wähler im Landtag hinnehmen, die sich bei der letzten Landtagswahl 2013 bei 9 Prozent stabilisiert haben. Ein Wiedereinzug der FDP in den Landtag scheint möglich. Die Grünen, die in Bayern als Oppositionspartei angesehen werden, lagen bisher relativ stabil zwischen 8 und 9 Prozent, ihre Vernichtung gelang der CSU nicht. Die Linke hatte keine Chance, in den Landtag zu kommen. So stellte sich die Lage lange dar.

Inzwischen hat sich die Lage verändert. Die Linke Bayern hat bei den Bundestagswahlen mit 6,1 Prozent für ihre Verhältnisse überdurchschnittlich gut abgeschnitten. Dass die Linke in ihrer Euphorie nun glaubt, auch bei den Landtagswahlen Chancen zu haben, ist eher lächerlich. Der Zulauf, den die Linke gerade hat, dürfte sich aber auch bei den Landtagswahlen in Bayern auswirken, sodass die Partei eher auf 4 statt auf 2 Prozent kommen wird. Damit rückt auch die Linke in Bayern in einen Bereich vor, der einen Einzug in den Landtag nicht so aussichtslos erscheinen lässt wie bisher.

Auch die Linke in Bayern kann damit für die CSU mittelfristig gefährlich werden, wenn auch noch nicht unbedingt bei der kommenden Landtagswahl. Und dann tritt da auch noch die Partei mut. an, eine Abspaltung von den Grünen, die mit der jetzigen Landtagsabgeordneten Claudia Stamm ebenfalls den Einzug in den Landtag anpeilt. Zu guter Letzt droht auch ein Einzug der AfD in den Landtag, wobei hier eigentlich nur noch die Größenordnung unklar ist, mit der die AfD in den Landtag reinrauscht.

Laut der letzten öffentlich zugänglichen Umfrage zur Landtagswahl von Infratest dimap im Auftrag des Bayerischen Rundfunks vom 10. Januar 2018 (36) käme die CSU nur noch auf 40 Prozent! Ein Jahr zuvor kam die CSU bei Infratest dimap noch auf 45 Prozent. In drei Umfragen im November lag die CSU sogar nur bei 37-38 Prozent (37). Die CSU baut also ziemlich rasant ab und wird kurzfristig wahrscheinlich den Status als Staatspartei verlieren und mittelfristig den Status als Volkspartei.

Die bayerische SPD würde bei der neuen Umfrage von Infratest dimap bei 16 Prozent liegen, was in etwa ihrem Ergebnis bei den Bundestagswahlen (15,3 Prozent) entspricht. Die Grünen würden sich auf erstaunliche 14 Prozent steigern und die AfD käme mit 10 Prozent daher. Die Freien Wähler würden auf 7 Prozent absinken, die FDP käme mit 5 Prozent knapp in den Landtag und die Linke würde mit 3 Prozent scheitern.

Aus dieser Konstellation ergäbe sich für die CSU in jedem Fall ein für ihre Verhältnisse katastrophales Ergebnis. Wenn die FDP mit 5 Prozent in den Landtag käme, hätte die die CSU danach nur 43,5 Prozent der Sitze im Landtag. Für eine schwarz-gelbe Staatsregierung würde es nicht reichen, CSU und FDP hätten zusammen nur 48,9 Prozent der Sitze. Nur wenn die FDP 7 Prozent macht und der CSU keine weiteren Stimmen dadurch abnimmt, ergäben sich für Schwarz-Gelb 50,0 Prozent. Der FDP-Vorsitzende Lindner propagiert jetzt schon eine Regierungsbeteiligung in Bayern. Dazu müsste die CSU allerdings eine Wahlstrategie fahren, die der FDP Stimmen bringt. Dazu wird die CSU wohl nicht bereit sein.

Auch schwarz-orange, also ein zusammengehen von CSU und Freien Wählern, wäre rein rechnerisch denkbar, ergebe aber nur knapp über 50 Prozent der Sitze.

Um eine stabile Mehrheit zu erlangen, käme also eher ein Bündnis der CSU mit den Grünen oder mit der SPD infrage. Beide Koalitionen kämen – je nachdem ob die FDP in den Landtag einzieht oder nicht – auf 59-64 Prozent der Sitze. Auf jeden Fall bahnt sich ein historischer Bruch für die CSU an: Sie muss eine Koalition mit der SPD oder den Grünen ins Auge fassen, um überhaupt noch eine sichere Regierungsmehrheit in Bayern zustande zu bringen. Dies wäre ein echter Paradigmenwechsel, denn es ist fraglich, ob der katastrophale Rechtskurs der CSU in einer solchen Koalition von den Grünen oder der SPD noch geduldet würde.

Denn die bayerischen Grünen sind ja gerade deswegen so stark, weil sie für bayerische Verhältnisse einen ziemlichen Linkskurs fahren – und zwar als einzige Partei im Landtag von allen. Und die SPD kann sich einen Rechtskurs zusammen mit der CSU auch kaum erlauben, weil sie erstens vom linken, jungen Parteiflügel unter Druck steht, und zweitens ganz speziell in Bayern sich ziemlich unauffällig der ganze Landesverband nach links entwickelt hat. So haben von den bayerischen Delegierten auf dem vergangenen Bundesparteitag der SPD dreiviertel (!) gegen eine große Koalition gestimmt.

So gesehen wären, wenn es mit der FDP nicht klappt, eigentlich doch die Freien Wähler der rettende Anker für die CSU.

Der Münchner Merkur schrieb damals zur Umfrage von Infratest dimap im Januar 2017: „«Die CSU startet stabil und löwenstark ins Wahljahr«, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer über die Umfrage. Seine Partei verstehe das Ergebnis als Bestätigung und Ansporn für den eigenen Kurs. Einen Seitenhieb gegen die SPD konnte sich Scheuer nicht sparen: Die einstige Volkspartei werde in Bayern zur Floppartei.“ (38). Dieses Getöse beruhte schon damals auf tönernen Füßen, nämlich auf 50,6 Prozent der Landtagssitze, aber nur für den Fall dass die FDP scheitert. Im Falle eines Einzugs der FDP wäre nach den Umfrageergebnissen vor einem Jahr die CSU zwar auf 47,9 Prozent der Sitze im Landtag abgesunken, hätte aber mit einem Koalitionspartner FDP mehr als 53 Prozent der Sitze erreicht. Nach der aktuellen Umfrage von Infratest dimap könnte die CSU voraussichtlich weder ohne noch mit der FDP eine Regierung bilden.

Spannend wird auch, was sich die SPD in Bayern einfallen lässt, wie sie in diese Landtagswahlen gehen will. Bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2013 blies der charismatische Oberbürgermeister von München, Christian Ude, zum Generalangriff auf die CSU (39), konnte das Ergebnis für die SPD aber gerade mal um zwei Prozentpunkte steigern, von 18,6 auf 20,6 Prozent. Inzwischen hat die SPD davon aber wieder fast 5 Prozent verspielt. Und trotzdem steht die CSU heuer wesentlich schlechter da als im Jahr 2013, wo sie noch 47,7 Prozent erreichte.

Wenn die SPD wieder auf 20 Prozent käme, würde sich an den möglichen Konstellationen deswegen wahrscheinlich nicht viel ändern. Die sichersten Optionen für die CSU wären nach wie vor eine Koalition mit der SPD oder den Grünen. Das heißt, entscheidend wird gar nicht sein, wie viel Prozente die SPD dazu gewinnt, sondern wozu sie politisch bereit ist. Es gibt viele Punkte in Bayern, wo man der CSU politisch klare Kante zeigen könnte und müsste, und wenn die SPD dazu bereit ist und zum Angriff bläst, kann sie in der jetzigen Lage einiges in Bewegung bringen und mittelfristig in Bayern wieder eine stärkere Rolle spielen und die CSU in ihre Schranken weisen. Momentan ist keine andere Partei in Sicht, die diese Rolle spielen könnte, insofern wird sehr viel von der SPD abhängen. Sie ist in Bayern sozusagen unverzichtbar.

Bei einem Einzug der Linken in den Landtag würden sich die Vorzeichen natürlich noch einmal ändern. Allerdings wäre dann damit zu rechnen dass die Freien Wähler mit der CSU koalieren, um Rot-Rot-Grün zu verhindern. Die SPD müsse dann schon deutlich über 20 Prozent kommen, um das zu verhindern. Die politischen Vorzeichen in Bayern würden sich aber trotzdem ändern. Mittelfristig scheint – wie gesagt – fast alles an der SPD zu hängen, ob sich in Bayern etwas ändert. Ganz entscheidend wird dabei auch sein, ob sich die SPD deutlich von der CSU abhebt in der Frage der AfD, also diese Partei und ihre Richtung bekämpft und nicht – wie die CSU – weitgehend mit ihren Zielen übereinstimmt und nur um ihr Wählerpotenzial konkurriert.

Und es ist dringend notwendig, der CSU entgegenzutreten. Diese Partei ist brandgefährlich. Hier nur ein paar beunruhigende Punkte, ganz kurz und wahllos skizziert: Das merkwürdige Phänomen, dass die Merkel-CDU der CSU momentan aus der Hand frisst; diverse neue Eskapaden, die die CSU jetzt auftischt, wie zum Beispiel Burka-Verbot, Erbschaftssteuer-Oase Bayern, der Einsatz von Tasern durch die Polizei als weltweites Alleinstellungsmerkmal Bayerns, bayerische „Konzentrationslager“ für Flüchtlinge jetzt im gesamten Bundesgebiet, die merkwürdig gewichtige Rolle, die die Autobahnen jetzt bei der CSU spielen – war da im Dritten Reich nicht schon mal was? –, die Kombination von Maut und Ausländerfeindlichkeit, ÖPP als Mittel zur Ausplünderung des Staates durch Konzerne und vieles mehr.

Nicht zuletzt geht es auch um die Entwicklung der AfD, vor allem auch in Bayern und das Zusammenspiel mit der CSU, das unbedingt gestört werden muss. Dabei geht es auch um die Frage, ob es eine Art Haider-Falle in Bayern geben kann, also ein ungeniertes Zusammenwirken der etablierten bürgerlichen Parteien mit der AfD nach einer Schamfrist von 10 bis 15 Jahren, wie es jetzt in Österreich der Fall ist. Wenn die CSU in Bayern dauerhaft bei 40 Prozent und darunter landet und bei den etablierten Parteien keinen adäquaten Koalitionspartner findet, wird sie diese Schamfrist verkürzen wollen. Bayern würde dann zum politischen Modellfall für eine Kooperation von Union und AfD. Dies ist eine sehr beunruhigende und leider reale Gefahr, der nur mit einer politischen Front der anderen Parteien entgegengetreten werden kann. Ohne eine gestärkte SPD wird dies in Bayern nicht gehen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Die SPD hat damit die CDU wieder überrundet. Rechnet man allerdings die CSU mit ein, so ist die Union mit 575.000 Mitgliedern stärker.
Die Welt bezifferte den Zuwachs der SPD seit Jahresbeginn gar auf 3 Prozent: Nach den Angaben aller Landesverbände sind seit Jahresbeginn 14.203 Menschen in die SPD eingetreten. Das ist ein Plus von gut drei Prozent. In absoluten Zahlen gab es die meisten Zugänge im SPD-Stammland Nordrhein-Westfalen. Es folgen Niedersachsen und Bayern mit je rund 1500 Eintritten. Allein in München sind den Angaben zufolge rund 640 Menschen Mitglied geworden. Mumme, Thorsten. „SPD-Mitgliederzahlen: Wo der Schulz-Effekt am stärksten wirkt“. DIE WELT, 30. März 2017. https://www.welt.de/politik/deutschland/article163259786/Wo-der-Schulz-Effekt-am-staerksten-wirkt.html.
(2) Zur Frage, warum die CSU 2008 so stark verloren hat, siehe den Artikel: In der Stunde der Not sammelt sich die CSU hinter Horst Seehofer, 3.9.2013 http://www.forumaugsburg.de/s_5region/Landespolitik/130903_Landtagswahl-3/artikel.pdf
Aber schon der Triumph Stoibers im Jahr 2003 hatte einen Schatten. Siehe dazu unseren Artikel Gestörte Landesentwicklung – verhinderte Landesplanung. Der Triumphator von 2003 konnte sich nicht mal bis zur nächsten Landtagswahl halten. Was war 2003 los? Warum hat die CSU 2008 so stark verloren? Das Landesentwicklungsprogramm könnte der CSU noch auf die Füße fallen, 2.9.2013 http://www.forumaugsburg.de/s_5region/Landespolitik/130902_Landtagswahl-2/artikel.pdf
(3) Peter Köpf: Sto!ber. Die Biografie, Wilhelm Heyne Verlag, München 2002, Taschenbuchausgabe, S. 241
(4) Ebd. S. 251
(5) Ebd. S. 254
(6) Ebd. S. 242f.
(7) Nach Köpf, ebd. S. 319f.
(8) Siehe den Artikel Die Zampanos: siegesgewiss und zu allen Schandtaten bereit, 18.9.2003 http://www.forumaugsburg.de/s_5region/Landespolitik/030918_Deregulierung/artikel.htm Siehe auch unsere Anmerkungen zur Landtagswahl in Bayern Teil I und II auf unserer Themenseite region/Landespolitik http://www.forumaugsburg.de/s_5region/Landespolitik/index.htm
(9) Siehe dazu den Bericht So haben sie es sich nicht vorgestellt nach ihrem Wahlsieg. Heftiger Widerstand gegen die bayerische Staatsregierung an allen Fronten, 11.1.2004 http://www.forumaugsburg.de/s_5region/Landespolitik/040111_Proteste/index.html
(10) Ebd.
(11) s. dazu die Reports Unruhe wegen G8 und Kürzungen im Bildungsbereich, Teil 1. Kampagne von Schülern, Eltern und Lehrern gegen den Bildungsschlussverkauf in Bayern. Große Demonstration Augsburg, 22.1.2004 http://www.forumaugsburg.de/s_6kultur/Unterricht/040122_protest-g8/index3.htm
Unruhe wegen bayerischer Bildungspolitik, Teil 2: CSU-„Bildungsexperten“ und Vollstrecker, 30.01.2004 http://www.forumaugsburg.de/s_6kultur/Unterricht/040122_protest-g8/index4.htm
(12) Siehe die Dokumentation im Archiv der Themenseite kultur & wissen/Unterricht http://www.forumaugsburg.de/s_6kultur/Unterricht/index.htm ganz unten
(13) Wie viele Rechte bekommt Petri? Jakob Stadler, Augsburger Allgemeine 30.9.2017
(14) Frank Decker. „Wahlergebnisse und Wählerschaft der CSU | Parteien in Deutschland | bpb“. Bundeszentrale für politische Bildung bpb, 28. Juni 2017. http://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/csu/42181/wahlergebnisse-und-waehlerschaft.
(15) s. EU-Wahlen, Teil 3: Der Einfluss der europäischen Wähler und des EU-Parlaments auf die Auswahl des Kommissionspräsidenten ist gefährdet. CDU und CSU bereiten schwere Angriffe auf die EU-Verfassung und die (Haushalts-)Souveränität der Mitgliedstaaten vor, 25.5.2014 http://www.forumaugsburg.de/s_3themen/Europa/140525_eu-wahlen3/index.html
(16) s. EU-Wahlen, Teil 1: Permanent sinkende Wahlbeteiligung, beschränkte Rolle des EU-Parlaments. Bei der CSU gibt es im Wahlkampf weder eine EVP noch einen Spitzenkandidaten Juncker, eigentlich gibt es nur Bayern und Seehofer, 23.5.2014 http://www.forumaugsburg.de/s_3themen/Europa/140523_eu-wahlen1/index.html
(17) Bernd Lucke. „Gauweiler-Rücktritt: Für Peter Gauweiler rückt eine Politikerin aus der Region nach“. Augsburger Allgemeine, 31. März 2015. http://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Fuer-Peter-Gauweiler-rueckt-eine-Politikerin-aus-der-Region-nach-id33571242.html
(18) „Video: Manfred Weber ist neuer EVP-Fraktionsvorsitzender | Aktuelles | European Parliament“. Europäisches Parlament, 16. Juni 2014. http://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/eu-affairs/20140610STO49202/video-manfred-weber-ist-neuer-evp-fraktionsvorsitzender
(19) „Pressemitteilung: Wir müssen unseren ‚European Way of Life‘ behaupten und verteidigen“. Manfred Weber, für Niederbayern. Für Europa, 13. September 2017. http://www.manfredweber.eu/socialmedia/10086/Pressemitteilung:%20Wir%20m%C3%BCssen%20unseren%20%E2%80%9EEuropean%20Way%20of%20Life%E2%80%9C%20behaupten%20und%20verteidigen
(20) Jörg Siegmund, Euro-Rebel Gauweiler geht im Streit, Augsburger Allgemeine 1.4.2015
(21) Bernd Lucke. „Gauweiler-Rücktritt: Für Peter Gauweiler rückt eine Politikerin aus der Region nach“. Augsburger Allgemeine, 31. März 2015. http://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Fuer-Peter-Gauweiler-rueckt-eine-Politikerin-aus-der-Region-nach-id33571242.html
(22) Ebd.
(23) EU-Wahlen, Teil 3, a. a. O.
(24) s. den Artikel Kommunalwahlen, Teil 1: Bayernweites Debakel für die CSU. Gribl triumphiert in Augsburg. Seine Partei gewinnt und verliert zugleich, 20.3.2014 http://www.forumaugsburg.de/s_2kommunal/Kommunalpolitik/140320_ergebnis-kommunalwahl-1/index.html
(25) Ebd.
(26) Ebd.
(27) Siehe hierzu die Analyse für das Jahr 2008 in unserem Artikel, ebd.
(28) s. Bayerisches Landesamt für Statistik https://www.wahlen.bayern.de/kommunalwahlen/index.php Allein in Schwaben traten bei den kreisangehörigen und kreisfreien Gemeinden und Kreistagen 31 Listenverbindungen an.
(29) Müller, Frank. „Kommunalwahl in Bayern - Seehofer stößt an Grenzen“. sueddeutsche.de, März 2014, Abschn. bayern. http://www.sueddeutsche.de/bayern/kommunalwahl-in-bayern-seehofer-stoesst-an-grenzen-1.1914097
(30) „Aigner drängt an die Spitze. Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner bringt sich als mögliche Ministerpräsidentin in Stellung. Eigentlich sollten alle Personaldebatten auf Eis gelegt sein.“ Zeit online, 18. November 2017.
(31) „Ilse Aigner beschwert sich über ‚katastrophales Bild‘ der CSU“. T-online, 13. November 2017. http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/bundestagswahl/id_82681904/ilse-aigner-besdchwert-sich-ueber-katastrophales-bild-der-csu.html.
(32) Aigner, Ilse. „Ilse Aigner: Die CSU ist anders als alle anderen Parteien“. DIE WELT, 8. Dezember 2017. https://www.welt.de/debatte/kommentare/article171405553/Die-CSU-ist-anders-als-alle-anderen-Parteien.html.
(33) „CSU: Söder soll Seehofer als Ministerpräsident nachfolgen. CSU-Chef Seehofer will sein Amt als Ministerpräsident Anfang 2018 abgeben. Als Nachfolger wünscht sich die Landtagsfraktion Seehofers Intimfeind, Finanzminister Söder.“ Die Zeit. 4. Dezember 2017, Abschn. Politik. http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-12/csu-chef-horst-seehofer-tritt-nicht-mehr-als-spitzenkandidat-an.
(34) Otto, Ferdinand. „Markus Söder: Der Spalter bekommt 100 Prozent“. Die Zeit. 4. Dezember 2017, Abschn. Politik. http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-12/markus-soeder-csu-nachfolge-horst-seehofer-ministerpraesident.
(35) Ebenda
(36) „Kontrovers BayernTrend 2018: CSU laut Umfrage auf Tiefstand, Söder mit Vertrauensvorschuss“. Bayerischer Rundfunk, 10. Januar 2018. http://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/kontrovers/bayerntrend-landtagswahl-2018-kontrovers-januar-100.html.
(37) „Wahlumfragen zur Landtagswahl in Bayern (#ltwby) – Sonntagsfrage“. Wahlrecht.de. Zugegriffen 14. März 2017. http://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/bayern.htm
(38) „Umfrage vor Landtagswahl 2018: SPD und AfD fast gleichauf“. https://www.merkur.de, 11. Januar 2017. https://www.merkur.de/politik/umfrage-vor-landtagswahl-2018-spd-und-afd-fast-gleichauf-7208741.html
(39) Siehe den Artikel Landtagswahl in Bayern 2013, Teil 8: Ude merkwürdig moderat beim TV-Duell, 6.9.2013 http://www.forumaugsburg.de/s_5region/Landespolitik/130906_Landtagswahl-8/artikel.pdf