Das Bauern-Beben

Die Agrarpolitik treibt die Landwirte nicht nur in den Ruin, sondern häufig auch in den Selbstmord — nun lassen unzählige Traktorenräder Deutschlands Straßen erzittern.

Zwischen den Landwirten und der Politik liegt ein tiefer Graben: nicht erst seit den jüngsten Sparvorhaben der Bundesregierung. Über Polizisten, die Traktoren knacken, und selbstmordgefährdete Bauern. Roberto De Lapuente hat mit dem Landwirt Helmut Meier* über die Situation seines Berufsstandes gesprochen.

Roberto De Lapuente: Herr Meier, die Bundesregierung kommt den Landwirten entgegen und will einige Sparmaßnahmen zurücknehmen. Kann man die Proteste jetzt nicht einstellen?

Helmut Meier: Nein. Seit vielen Jahren erfahren wir permanent Verschärfungen von Auflagen und Verordnungen. Zudem gibt es Kürzungen — und wir bekommen immer weniger Geld für erbrachte Dienstleistungen. Was die Bundesregierung uns jetzt anbietet, ist ja nur eine scheibchenweise Variante davon. Es gibt diese Metapher vom Frosch, den man in einen Topf kalten Wassers setzt, der langsam erhitzt wird: So fühlen wir uns als Landwirte. Nein, die Proteste müssen jetzt erst richtig beginnen.

Sie sagten, es gibt Verordnungen, die die Bauern belasten. Welche meinen Sie damit?

Zunächst mal: Das mit der Streichung der Subventionen ist schon ein ziemlich herber Rückschlag. Französische Landwirte zahlen zum Beispiel um die sieben Cent pro Liter Diesel — dänische Bauern liegen bei knapp sechs Cent. So viel zur Einheit innerhalb Europas. Wir haben aber auch höhere Aufwendungen, was die Düngeverordnung angeht. Und auch bei der Dokumentation. Selbst die Ökokontrolle wird strenger gehandhabt und ist im Grunde genommen nur noch eine Zertifizierungsindustrie. Das alles bindet Arbeitskraft. Ich bin auf unserem Hof für den Pflanzenbau zuständig und verbringe etwa 40 bis 60 Prozent meiner Arbeitszeit mit Dokumentationsarbeit. Der moderne Bauer sitzt lange Stunden am Schreibtisch.

„Landwirte haben nicht aus Jux enge Ställe gebaut“

Mal marktwirtschaftlich argumentiert: Geben Sie die Mehrkosten, die Ihnen entstehen, einfach an die Kunden weiter? So machen es doch alle in diesem Wirtschaftssystem. Verlangen Sie halt etwa für einen Liter Milch fünf Cent mehr …

Mit der Milch ist es ganz besonders böse. Wir Bauern können da nicht selbst den Preis festlegen. Erzeugergemeinschaften handeln mit einer Molkerei Milchmenge und andere Modalitäten aus. Dabei wird der allgemeine Milchpreis verglichen. In unserem Falle in Norddeutschland. Wir bekommen dann rückwirkend gesagt, was die Molkerei gezahlt hat. In der Regel erfahren wir das einen Monat, nachdem wir die Milch geliefert haben.

Wenn ich nun als einzelner Landwirt hingehe und zu der Molkerei sage, 30 Cent pro Liter reichen mir nicht, ich brauche 45 Cent, damit ich überhaupt über die Runden komme, dann antwortet die: Such dir eine Molkerei, die das bezahlt …

Die finden Sie aber natürlich nicht …

Selbstverständlich nicht. In der aktuellen Lage erklärt die Molkerei sogar: Wir haben jetzt die höhere Maut zu stemmen, mehr Steuern zu entrichten und laut Tarifvertrag müssen wir unseren Mitarbeitern mehr Lohn zahlen. Deswegen ziehen wir euch mehr Vorkosten ab. Bei den Schlachthöfen läuft es übrigens identisch. All diese Kosten werden uns als Lieferanten auferlegt.

Man wälzt also Kosten auf Sie ab, während Sie keine Möglichkeit haben, Kosten an andere weiterzugeben?

Genau. Beim Getreide läuft es über den Börsenpreis. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich mit dem aktuellen Preis in irgendeiner Form klarkomme, dann rufe ich den Händler meiner Wahl an und frage, ob ich einen Kontrakt mit ihm machen kann. In dem sind spezifische Qualitätskriterien festgehalten. Beim Raps beispielsweise der Ölgehalt. Aber der Händler bürdet mir Erfassungs-, Analyse- und Lagerkosten auf. Und nebenher auch noch Umschlagskosten, die mir in Form von Gebühren auferlegt werden. Da gibt es keinerlei Spielraum, um darauf zu reagieren.

Landwirte mit Tierhaltung sind oft in der Kritik. Auch auf Ihrem Hof gibt es 500 Rinder. Aber auch Rinderbauern protestieren nun natürlich. Welchen Grund haben sie?

Man tut ja oft so, als hätten die Landwirte aus Jux enge Ställe gebaut. Diese Tierhaltungsformen sind ja aus der Situation entstanden, dass die Landwirte nicht mehr überleben konnten. Sie haben sozusagen versucht, die Tierhaltung immer effizienter zu gestalten. Und ohne Zweifel geht diese technologische Effizienzsteigerung mit einem Mangel an Tierwohl einher. Ein Mangel an der emotionalen Bindung zur Kreatur steht übrigens nicht zur Frage. Mittlerweile sind diese Haltungssysteme aber so weit, dass das Tierwohl erstaunlich hoch ist, weil irgendwann der Punkt erreicht war, an dem man gemerkt hat, dass fehlendes Tierwohl die Leistung schmälert.

„Wissen Sie, dass die Suizidrate unter Landwirten mit eine der höchsten ist?“

Ich frage mal provokativ: Fühlen Sie sich als Tierquäler?

Nein. Aber man unterstellt es uns oft.

Versuchen Landwirte denn nicht, neue Absatzmöglichkeiten zu erschließen, um die finanziellen Lücken irgendwie aufzufüllen?

Doch, natürlich. Aber es ist schwer und rechnet sich oft nicht. Ein Beispiel: Wir haben bei einem Projekt mitgemacht, bei dem auf Gen- oder Importsoja verzichtet werden soll. Das war ein Programm, das über das Landwirtschaftsministerium lief. Es sollte mit heimischen Leguminosen gefüttert werden. Wenn wir da mitmachen, so hieß es, fiele ein Cent pro Liter Milch extra ab. Wir geben 5 Millionen Liter Milch im Jahr ab. Das hätte sich für uns also gerechnet. Dann haben wir das Ganze umgestellt. Einige Zeitungen berichteten auch darüber. Aber schlussendlich zahlten die Molkereien keinen Cent extra. Sie begründeten das mit dem Kundenwillen. Auf den Umstellungs- und Mehrkosten blieben wir sitzen. Sagen Sie mir, warum soll ich jetzt künftig auf Soja verzichten?

Die Bundesregierung gibt sich durchaus überrascht, dass die Bauern so hartnäckig Widerstand leisten. Nach dem, was Sie sagen, war die Auseinandersetzung doch nicht eigentlich vorprogrammiert?

Ja, es wird aktuell so getan, als ob das ganz neue Proteste sind. Es gab in den letzten Jahren ständig Proteste. Aber die waren oft lokal begrenzt. Und es wurden Landwirte dabei ausgespielt. Das ging so weit, dass sich Bauern freuten, wenn andere Bauern pleite gegangen sind.

Ehrlich gesagt, wir haben uns da auch gefreut, weil wir dann 30 oder 50 Hektar bekamen und dessen Kühe übernommen haben und vermeintlich effizienter wurden. Das hat die Probleme aber nicht gelöst, sondern nur verlängert. Wissen Sie, dass die Suizidrate unter Landwirten mit eine der höchsten ist?

„Im Bauernverband gibt es einen eklatanten Interessenskonflikt“

Dass Depressionen häufig vorkommen, darüber las man gelegentlich …

Dass das nicht ganz unvorbereitet kommt, zeigt vielleicht diese Information. In unserer Nachbarschaft gibt es einen Landmaschinenhändler. Und der hat bereits im Oktober oder November Schulungen mit Polizisten vorgenommen. Die lernten da, wie man die Sperren bei den Traktoren knacken kann — und zwar ohne Schlüssel. Vermutlich, um Barrieren aufzulösen. Im Oktober! Soweit ich weiß, war erst im Dezember die Abstimmung, wonach uns die Kraftstoffsteuer erhöht wird.

Sie sagten, Bauern wurden in der Vergangenheit oft gegeneinander ausgespielt. Wie ist die Rolle des Bauernverbandes zu bewerten? Man hat den Eindruck, dass die Landwirte ihn durchaus skeptisch betrachten.

Die Landwirte sind im Bauernverband zwar der größte Anteil der Mitglieder. Wer den Bauernverband aber weitgehend finanziert, sind die sogenannten assoziierenden Mitglieder, also Schlachthöfe, Molkereien, Agrarchemie, Landtechnik und so weiter. Also alle, die an uns Landwirten verdienen. Hier gibt es aus meiner Sicht einen eklatanten Interessenskonflikt.

Und wie weit das führt, hat man neulich gesehen: Nämlich als der letzte Parteitag der Grünen unter anderem vom Bauernverband gesponsort wurde. Wie glaubwürdig ist dann eine Aussage des Verbandspräsidenten Rukwied, wenn er neben Bundesminister Özdemir steht und ihm Konsequenzen androht?

Wie war denn die Stimmung bei den Landwirten, als die erfuhren, dass die grüne Regierungsbeteiligung dazu führen wird, dass ein Grüner das Landwirtschaftsministerium übernimmt?

Ich kann nur für Ostdeutschland sprechen. Hier war es so, dass man ahnte, dass es jetzt noch schlimmer würde. Und so ist es ja auch eingetreten. Wobei man der Fairness halber sagen muss, dass die Agrarsubventionspraxis schon vor Herrn Özdemir da war. Was direkt schlimmer geworden ist, das ist die Verordnung über die Düngepraxis, die ignoriert fachliche Kompetenz restlos.

Im Grunde genommen passiert unter Herrn Özdemir aber nichts. Nicht mal eine Förderung des Ökolandbaus. Dem wird es sogar aktuell schwerer gemacht. Dieses Einstellen der Subventionierung des Kraftstoffes, das trifft in erster Linie Ökobetriebe. Ein Ökobetrieb hat locker bis zu 20 Prozent mehr Kraftstoffbedarf je Hektar — im Vergleich zum konventionellen Betrieb. Dort fährt man einmal mit der Spritze über den Acker. Wenn ich aber zwei- oder dreimal mit einer Hacke drüber muss, brauche ich mehr Kraftstoff. Das heißt also, der Ökobetrieb dürfte allein in seiner Produktion von Getreide mit 10 bis 15 Euro je Hektar höher belastet sein.

„Die ökonomische Angst der Landwirte ist größer“

Nochmal zur Eingangsfrage zurück: Die Regierung stellt also in Aussicht, Sparmaßnahmen zurückzunehmen. Sagen wir mal, sie nimmt sie komplett zurück: Ist die hochgeschaukelte Stimmung überhaupt noch zu bändigen?

Es wäre ein Desaster, wenn nun wieder alles einschliefe. Es ist so ein hoher Grad an Mobilisierung erfolgt, das jetzt wieder abzuwürgen, wäre fatal. Es geht ja, wie gesagt, um viel mehr. Und die Frustration war auch schon komplett vorher da. Im Moment wird sehr vielen Landwirten bewusst, dass sie eine Berufsbranche sind, die mindestens genauso gegängelt wird — wenn nicht sogar mehr — wie die Pflegekräfte.

Zum Abschluss wollte ich Sie fragen, ob Ihre Kollegen nicht fürchten, demnächst als rechte Protestierer abgestempelt zu werden. Die Realität holt uns aber eben ein, der Verfassungsschutz warnt bereits, dass unter den Landwirten auch Rechte seien, und versucht die Bewegung damit zu spalten. Hat man das unter den Landwirten eingepreist? Oder trifft es viele Ihrer Kollegen jetzt hart, dass man ihnen nun so begegnet?

Wir haben Berufskollegen, die jetzt sagen: „Oh je, da kommt die Polizei!“ Und die sind wirklich völlig platt. Und dass die Presse sich auf sie stürzt, das macht ihnen Angst. Verständlich. Damit hatten sie bis gestern noch nichts zu tun. Aber die ökonomische Angst ist wohl größer.

Denn die Novellierung der EU-Agrarreform kostet richtig Geld. Da werden 100 Euro je Hektar Land weniger bezahlt. Für unseren Hof heißt das: Pro Mitarbeiter 10.000 Euro weniger jährliches Einkommen. Nochmal 5.000 Euro Verlust kommen mit den Sparmaßnahmen der Bundesregierung obendrauf. Die Daumenschrauben werden angezogen. Landwirte gelten als konservativ — und sie sind es in der Mehrzahl auch, gehen normal nicht demonstrieren. Aber jetzt haben sie wirklich Angst.


*Name geändert

Helmut Meier ist angestellter Landwirt in Mecklenburg-Vorpommern.