Corona-Gate im Anflug
Die Analyse eines hochrangigen Mitarbeiters des Bundesinnenministeriums zum Krisengeschehen belegt die falsche Risikoeinschätzung und das vollständige Versagen der Politik.
Für manche mag es überraschend sein, für andere ist es das nicht. Aber im Bundesministerium des Innern wurde bisher noch keine Schadensanalyse über die deutschlandweit eingeleiteten und durchgeführten Corona-Schutzmaßnahmen erstellt. Zwar hatte ein Mitarbeiter im „Referat KM4: Schutz Kritischer Infrastruktur“ mehrmals interne Versuche unternommen, über eine Analyse zu sprechen, stieß dabei jedoch lediglich auf Desinteresse und Ablehnung. Ja, man drohte ihm sogar mit Konsequenzen.
Nachdem der Mitarbeiter, ein Referent der „Organisationseinheit Referat KM4“ und hochqualifizierter Risiko-Analyst, intern also schon mehrere erfolglose Versuche gestartet hatte, holte er sich Unterstützung von einem „fachlichen Netzwerk“ von universitären Instituts- und Klinikleitern, um eine hochkompetente und belastbare Einschätzung der medizinischen Folgeschäden des Lockdown zu erstellen.
Zugeordnete Hauptaufgaben des Mitarbeiters waren bis dahin unter anderem die „Umsetzung der Nationalen Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen“, „Zusammenarbeit mit Betreibern Kritischer Infrastrukturen, mit Verbänden sowie sonstigen betroffenen Institutionen“, die „Koordinierung im Bereich der Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze“, „Sicherheitsforschung“ sowie die „Mitwirkung beim Schutz von Informationsinfrastrukturen“.
Das Ergebnis seines Analyse-Papiers:
Der Schaden der Corona-Restriktionen, und das wohlgemerkt nur medizinisch betrachtet, also ohne die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Schäden, die damit in Zusammenhang stehen, ist jetzt bereits größer als derjenige, den das Coronavirus überhaupt verursachen kann. Durch das Regierungshandeln, nicht das Virus, besteht inzwischen Gefahr für Leib und Leben der Allgemeinbevölkerung und sterben täglich Menschen in unserem Land.
So kam es etwa zu 2,5 Millionen nicht durchgeführten Operationen, Weiterbehandlungen, Früherkennungen oder Pflegeeinschränkungen in der Coronakrise. Zu all diesen Maßnahmen hätte es nie kommen dürfen, da „die Corona-Infektion zu keinem Zeitpunkt das Potenzial hatte, eine nationale Katastrophe mit einer Bedrohung für die Allgemeinheit auszulösen“, wie sogar die Zahlen des Robert Koch-Instituts zeigen würden.
Der Mitarbeiter verschickte seine Analyse am 8. Mai 2020 unter dem Betreff „Ergebnisse der internen Evaluation des Corona Krisenmanagements“ um 14:34 Uhr per E-Mail in den behördlichen Dienstweg — oder anders ausgedrückt: an zahlreiche interne Stellen des BMI.
Die E-Mail beginnt mit den Worten:
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, hiermit übermittle ich Ihnen die Ergebnisse der Analyse des Corona-Krisenmanagements des Referats KM 4. — Kurzfassung und Aufstellung von gesundheitlichen Kollateralschäden siehe unten.“
Und weiter:
„Im Vorgriff auf eine nach der Krise zu unternehmende Evaluation hat KM4 über die letzten Wochen krisenbegleitend eine intensive Analyse und Auswertung des Krisenmanagements aus der Perspektive der hiesigen Zuständigkeit für den Schutz Kritischer Infrastrukturen vorgenommen. Dabei wurden schwerwiegende Defizite im Regelungsrahmen für Pandemien diagnostiziert sowie Fehlleistungen im handwerklichen doing des Krisenmanagements. Die beobachtbaren Wirkungen und Auswirkungen von Covid-19 lassen darüber hinaus keine ausreichende Evidenz dafür erkennen, dass es sich — bezogen auf die gesundheitlichen Auswirkungen von Covid-19 auf die Gesamtgesellschaft — um mehr als um einen Fehlalarm handelt. Sie erhalten die Information vorab mit der Bitte um Kenntnisnahme und Weitergabe.“
Um 15:34 Uhr wurden dann auch noch die Innenministerien der jeweiligen Bundesländer angeschrieben. Reaktionen liegen jedoch noch keine vor.
In der Zusammenfassung der Analyse, die auf wissenschaftliche Plausibilität geprüft wurde und den Daten des RKI im Wesentlichen nicht widerspricht, heißt es unter anderem, dass das Krisenmanagement bisher gar „keine adäquaten Instrumente zur Gefahrenanalyse und -bewertung aufgebaut“ habe.
Die Lageberichte, in denen alle wichtigen Informationen gesammelt werden müssten, „behandeln in der laufenden Krise bis heute nur einen kleinen Ausschnitt des drohenden Gefahrenspektrums. Auf der Basis unvollständiger und ungeeigneter Informationen in den Lagebildern ist eine Gefahreneinschätzung grundsätzlich nicht möglich“, weshalb eine angemessene und wirksame Maßnahmenplanung nicht möglich sei.
Dieses methodische Defizit würde sich auf eine höhere Ebene auswirken, weshalb die Politik bisher eine stark reduzierte Chance hatte, „die sachlich richtigen Entscheidungen zu treffen.“ Außerdem bestand „durch den neuen Virus vermutlich zu keinem Zeitpunkt eine über das Normalmaß hinausgehende Gefahr für die Bevölkerung“, wobei das übliche Sterbegeschehen in Deutschland die Vergleichsgröße sei.
Es sterben an Corona im Wesentlichen Menschen, weil sie am Ende ihres Lebens angekommen sind und sich mit geschwächtem Körper der Alltagsbelastungen, bei derzeit 150 im Umlauf befindlichen Viren, nicht mehr erwehren können.
„Die Gefährlichkeit von Covid-19 wurde überschätzt“, wobei man sich auf weltweit rund 250.000 Todesfälle mit Covid-19 in einem Vierteljahr, gegenüber 1,5 Millionen Toten bei der Influenzawelle 2017/2018 beruft. Man habe es „aller Voraussicht nach mit einem über längere Zeit unerkannt gebliebenen globalen Fehlalarm zu tun.“
Wegen mangelnder Instrumente der Krisenbewältigung, die keinen Alarm auslösen und den sofortigen Abbruch vom Maßnahmen einleiten, sobald sich entweder eine Pandemiewarnung als Fehlalarm herausstellt oder abzusehen ist, „dass die Kollateralschäden — und darunter insbesondere die Menschenleben vernichtenden Anteile — größer zu werden drohen“, als das tödliche Potenzial der Erkrankung selbst, sei der mutmaßliche Fehlalarm so lange unentdeckt geblieben.
Die Kollateralschäden sind mittlerweile „gigantisch“, teilweise erst „in der näheren und ferneren Zukunft“ sichtbar und höher als der erkennbare Nutzen. „Dieser Feststellung liegt keine Gegenüberstellung von materiellen Schäden mit Personenschäden (Menschenleben) zugrunde! Alleine ein Vergleich von bisherigen Todesfällen durch den Virus mit Todesfällen durch die staatlich verfügten Schutzmaßnahmen“, würden das belegen.
Die Versorgungssicherheit wäre infolge der Schutzmaßnahmen nicht mehr wie gewohnt gegeben. „Unsere Gesellschaft lebt ab sofort mit einer gestiegenen Verletzlichkeit und höheren Ausfallrisiken von lebenswichtigen Infrastrukturen“, was „fatale Folgen haben“ kann, wenn etwa „eine wirklich gefährliche Pandemie oder eine andere Bedrohung eintreten würde.“
Die staatlichen Schutzmaßnahmen, hätten „inzwischen jeden Sinn verloren, sind größtenteils (jedoch) immer noch in Kraft“, weshalb dringend empfohlen wird, sie kurzfristig vollständig aufzuheben, um Schaden von der Bevölkerung abzuwenden — insbesondere unnötige zusätzliche Todesfälle.“
Die Fehler im Krisenmanagement haben zu einer Weitergabe „von nicht stichhaltigen Informationen geführt und damit eine Desinformation der Bevölkerung ausgelöst“, weshalb ein Vorwurf lauten könnte: „Der Staat hat sich in der Coronakrise als einer der größten Fake-News-Produzenten erwiesen.“
Daraus würde sich ergeben, dass „die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Rechte“ von Bürgern „derzeit nicht gegeben“ ist, „da staatlicherseits keine angemessene Abwägung mit den Folgen durchgeführt wurde.“
Deshalb müssten die Lageberichte des Krisenstabs BMI/BMG und die Lagemitteilungen des Bundes an die Länder ab sofort eine angemessene Gefahrenanalyse und -bewertung vornehmen, eine Abteilung mit aussagekräftigen Daten über Kollateralschäden enthalten, von überflüssigen Informationen befreit sowie Kennzahlen gebildet und vorangestellt werden. Andernfalls „könnte der Staat für entstandene Schäden haftbar sein.“
Offensichtlich wurde die Analyse des Mitarbeiters des Innenministeriums nicht weitergereicht. Stattdessen wurde er freigestellt und ein Gespräch mit ihm vereinbart. Und die „beteiligten Wissenschaftler“ des beratenden Netzwerks erhielten wenige Stunden später folgende Mitteilung einer Mitarbeiterin aus dem Krisenstab des BMI/BMG:
„Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass es sich vorliegend um ein von einem einzelnen Mitarbeiter verfasstes Papier handelt. Der Mitarbeiter war weder am Krisenstab beteiligt, noch beauftragt oder autorisiert eine solche Analyse zu erstellen oder zu veröffentlichen.“
Daraufhin antworteten die Fachleute. So schrieb etwa Professor Harald Walach, dass „es sich bei uns zwar nicht um vom Krisenstab eingeladene, aber dennoch ausgewiesene Fachleute handelt, so wäre es, glaube ich nicht nur klug, sondern auch politisch und sachlich vernünftig, in außergewöhnlichen Zeiten auch außergewöhnliche Wege zuzulassen. Ihre Position nehme ich zur Kenntnis. Verständnis dafür habe ich allerdings nicht.“
Der emeritierte Professor Sucharit Bhakdi antwortete, „dass viele sehr kundige Wissenschaftler auf Sie und Ihr Ministerium schauen, und dass alle Reaktionen sorgfältig dokumentiert werden. Die Wahrheit wird mit Sicherheit in nicht allzu ferner Zukunft ans Tageslicht kommen. Und dann werden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen. Wenn Sie die Wahrheit nicht erkannt haben, mögen Sie sich aus ureigenem Interesse mit dem Thema ernsthaft beschäftigen.“
Professor Stefan Hockertz, meinte, dass es „doch angeraten wäre, sich inhaltlich mit diesen Unterlagen zu beschäftigen. Formal mag es ein ungewöhnlicher Schritt dieses Mitarbeiters gewesen sein“, aber es wären auch „äußerst ungewöhnliche Zeiten. Und diese historischen Zeiten berechtigen eben auch zu Eigeninitiative, die wir als Bürger von unseren Ministerien erwarten dürfen. Somit erwarte ich von Ihnen nach dieser formalen Feststellung, die ich zur Kenntnis genommen habe, nun eine inhaltliche Auseinandersetzung — gern mit uns als Sachverständige.“
Am 10. Mai 2020 gab das BMI dann die Pressemitteilung „Mitarbeiter des BMI verbreitet Privatmeinung zum Corona-Krisenmanagement“ heraus. Dabei verwies das BMI nochmals darauf, dass die Ausarbeitung „außerhalb der Zuständigkeit sowie ohne Auftrag und Autorisierung“ des Mitarbeiters des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat erfolgte. Der Mitarbeiter hätte auch den BMI-Briefkopf (was nach Kenntnisstand der Rubikon-Redaktion eine falsche Tatsachenbehauptung darstellt) und die „dienstlichen Kommunikationskanäle“ benutzt. „Die Ausarbeitung erfolgte nach bisheriger Kenntnis auch unter Beteiligung Dritter, außerhalb des BMI.“
Dazu erkläre man unter anderem, dass die Bundesregierung zum Schutz der Bevölkerung Maßnahmen ergriffen hätte, um die Infektionskette zu unterbrechen, was „innerhalb der Bundesregierung fortlaufend abgewogen“ und abgestimmt worden wäre. Das Vorgehen des Mitarbeiters sei „nicht akzeptabel und mit den allgemeinen Pflichten im öffentlichen Dienst nicht vereinbar“, weshalb durch „innerdienstliche Maßnahmen“ schon sichergestellt ist, dass der Mitarbeiter „nicht weiter den unzutreffenden Eindruck erwecken kann, er handle insoweit für oder im Namen des BMI.“
Der Mitarbeiter sorgt sich um unser aller Zukunft, trotzdem ist er das Risiko eingegangen. Die Entlassung dürfte nicht unwahrscheinlich sein, womöglich sind sogar seine Pensionsansprüche in Gefahr.
Es wird sich also rasch zeigen, ob das bereits terminierte Gespräch mit dem Mitarbeiter das Aus seiner Karriere bedeutet und er juristischen Beistand benötigt, oder — doch wer glaubt schon daran? — man womöglich noch auf die Analyse eingeht und zu einem raschen Aus des Lockdowns kommt.
So oder so aber: Ein Corona-Gate scheint im Anmarsch zu sein.