Bundesrat am Scheideweg
Die Schweiz hat eine neue Regierung. Wie sich diese zu den aktuellen kriegerischen Konflikten und zu Waffenexporten verhält, darf mit Spannung erwartet werden.
Krieg in der Ukraine. Krieg in Gaza. Die Debatte um den Atomwaffenverbotsvertrag. Die Frage nach Waffenexporten in Krisengebiete und nach der Finanzierung von Rüstungsgütern durch Schweizer Banken ... Außenpolitische Themen, die der neue Bundesrat der Schweiz zu bearbeiten hätte, gibt es zur Genüge. Als — jedenfalls offiziell — neutrales Land könnte sich die Schweiz international wirkungsvoll für Verständigung einsetzen. Leider hatten in der Vergangenheit oft die Geschäfte und der Schulterschluss mit NATO-Staaten Priorität. Werden die Schweizer Bundesrätinnen und Bundesräte 2024 andere Wege beschreiten?
„Wenn mir bewiesen würde, dass mein Ideal durch die Führung eines Krieges eine Chance hätte, Gestalt anzunehmen, würde ich immer noch Nein zum Krieg sagen. Denn man baut eine menschliche Gesellschaft nicht auf einem Haufen von Leichen.“ (Louis Lecoin, 1888 bis 1971)
Foto: UNION PACIFISTE
Am 9. Juni 2022 hatte die UNO-Generalversammlung die Schweiz in den UNO-Sicherheitsrat gewählt. Dabei wurde offiziell festgehalten:
„Der Einsitz als nichtständiges Mitglied in den Jahren 2023/2024 setzt das Schweizer Engagement für Frieden und Sicherheit innerhalb der UNO und in der Welt fort. Laut Bundesverfassung engagiert sich die Schweiz für eine ‚gerechte und friedliche internationale Ordnung’.“
Im Jahr 2024 bilden die Bundesrätinnen und Bundesräte Elisabeth Baume-Schneider, Ignazio Cassis, Karin Keller-Sutter, Bundespräsidentin Viola Amherd, Guy Parmelin, Albert Rösti und Beat Jans die neue Schweizer Regierung (siehe Foto) (2). Da stellt sich die Frage: Werden sich die Bundesrätinnen und Bundesräte 2024 für „Frieden und Sicherheit“ und für eine „gerechte und friedliche internationale Ordnung“ einsetzen?
Werden sie sich engagieren, um den Krieg in der Ukraine und im Gazastreifen zu beenden?
Werden sie den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen?
Werden sie das Verbot der direkten und indirekten Finanzierung von Rüstungskonzernen, die Atomwaffen herstellen, durchsetzen?
Werden sie Investitionen der Schweizerischen Nationalbank, der Banken, Versicherungen und Pensionskassen in Rüstungskonzerne unterbinden?
Werden sie alle Kriegsmaterialexporte einstellen?
Werden sie das Strafrecht auch bei Waffenexporten und der Finanzierung des Terrors des Krieges in Kraft setzen?
Werden sie die schweizerische Rüstungsindustrie auf zivile Produktion umstellen?
Vertreter der US-Regierung gehen davon aus, dass im Ukrainekrieg insgesamt etwa eine halbe Million Soldaten auf beiden Seiten getötet oder verwundet wurden (3). Daher ist es dringend geboten, dass die Schweizer Regierung durch ihr Engagement von Bern aus und im Sicherheitsrat der UNO alles unternimmt, um den Krieg in der Ukraine und im Gazastreifen zu beenden. Bei israelischen Angriffen auf Gaza wurden seit dem 7. Oktober 2023 mindestens 22.185 Menschen getötet und mindestens 57.000 verletzt. Die Zahl der Todesopfer des Anschlags vom 7. Oktober in Israel liegt bei 1.139. In der Westbank fanden nach dem 7. Oktober 324 Menschen den Tod und 3.800 wurden verletzt (4).
Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages
Die internationalen Abkommen des Verbotes von Personenminen, Streumunition, biologischen und chemischen Waffen hat die Schweiz längst unterzeichnet, nicht aber den Atomwaffenverbotsvertrag, der am 22. Januar 2022 in Kraft getreten ist. Der Atomwaffenverbotsvertrag wird zwar vom Schweizer Parlament unterstützt, aber der Bundesrat hat die Unterzeichnung und Ratifizierung auf die lange Bank geschoben, aus Rücksicht auf die NATO. Bisher haben 92 Staaten den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet (5).
Frankreich ließ am 13. Februar 1960 seine erste Atombombe in der Sahara explodieren, mit einer Sprengkraft von 60 bis 70 Kilotonnen. Später verlagerte Frankreich seine Atomtests in den Südpazifik. Diese dauerten bis 1996 an (siehe Foto) (6).
Verbot der Finanzierung von Rüstungskonzernen, die Atomwaffen herstellen
Seit der Revision des Kriegsmaterialgesetzes (KMG) vom 1. Januar 2013 gibt es ein gesetzliches Finanzierungsverbot von verbotenen Waffen. Darunter fallen auch Atomwaffen, welche in Art. 7 Abs. 1 lit. a KMG aufgeführt sind (7).
Trotzdem haben Schweizer Institutionen zwischen dem Januar 2019 und dem Juli 2021 4,882 Milliarden US-Dollar in Firmen investiert, die nukleare Sprengköpfe fabrizieren. Solche Investitionen sind in der Schweiz verboten, wie oben zu lesen ist. Daher müssten sie von der Regierung der Schweiz sofort gestoppt werden.
Allerdings haben weltweit etliche Staaten circa 685 Milliarden US-Dollar in diesen atomaren Wahnsinn gesteckt. Laut der Organisation „Don’t Bank on the Bomb“, verbunden mit ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons), wurden zwischen dem Januar 2019 und Juli 2021 insgesamt 685 Milliarden US-Dollar in 25 Unternehmen investiert, die nukleare Sprengkörper produzieren. Die USA investierten 465,321 Milliarden US-Dollar, Großbritannien 30,966 Milliarden US-Dollar, China 3,915 Milliarden US-Dollar und Russland 3,074 Milliarden US-Dollar (8).
Foto: Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, ICAN Verschwendung: 2022 Weltweite Ausgaben für Atomwaffen
„Ich habe Angst um meine Familie“
Investitionen der Schweizerischen Nationalbank, der Banken, Versicherungen und Pensionskassen in Rüstungskonzerne
Öffentlich nicht bekannt ist, wie viele Milliarden Schweizer Banken, Versicherungen und Pensionskassen in Rüstungskonzerne investiert haben, die konventionelle Waffen produzieren und die ihre Ware an Krieg führende Staaten liefern, unter anderem nach Saudi-Arabien, in die Türkei, Israel und die USA. Angesichts der weltweiten Not und der Klimakrise sollte die neutrale, dem Frieden verpflichtete Schweiz kein Geld mehr in Rüstungskonzerne investieren. Eine Tatsache in diesem Zusammenhang: Das Militär ist für 5 Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes verantwortlich (9).
Ohne Waffenlieferungen der USA kein Krieg in Gaza
Kurz nach dem Überfall der Hamas auf Israel, das heißt nach dem 7. Oktober 2023, haben US-Rüstungskonzerne Israel riesige Mengen an Waffen geliefert. Bis zum 25. Dezember 2023 erhielt Israel von den USA mehr als 10.000 Tonnen Waffen, transportiert mit 244 Frachtflugzeugen und 20 Schiffen, unter anderem mehr als 15.000 Bomben und 50.000 Artilleriegranaten, wie die Quäker auf ihrer Website dokumentierten. Ohne die Rüstungslieferungen der USA und anderer Staaten könnte Israel keinen Krieg führen (10). Das Forum „On the Arms Trade“ führt eine Liste bekannter US-Waffenlieferungen (11).
Einstellung aller Kriegsmaterialexporte
Im Jahr 2022 hat die Schweiz für 955 Millionen Franken Kriegsmaterial exportiert. Zum größten Teil wurden diese Waffen an Staaten geliefert, die sich direkt an Kriegen beteiligen oder durch Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und an die Ukraine auch Kriegsparteien sind, wie die USA, Deutschland und weitere NATO-Staaten (12).
Nach der offiziellen Statistik des Schweizer Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) exportierte die Schweiz von 1975 bis 2022 für 21,755 Milliarden Franken Kriegsmaterial. Verkauft wurden diese Rüstungsgüter zu einem großen Teil an Krieg führende Staaten, an NATO-Militärs, in Spannungsgebiete, an menschenrechtsverletzende Regimes und an arme Länder in der sogenannten Dritten Welt, in denen Menschen hungern und verhungern. In den 21,755 Milliarden Franken sind die besonderen militärischen Güter nicht eingerechnet, die ebenfalls exportiert wurden, aber nicht in der offiziellen Statistik erscheinen. Auch die Finanzierung von Waffengeschäften durch Schweizer Banken erscheint nicht in diesen Zahlen.
Strafrecht in Kraft setzen
Der Verkauf von Waffen an Terroristen und auch die Finanzierung dieser Verbrecher wird streng geahndet. Aber der Export von Kriegsmaterial, die Finanzierung von Waffengeschäften und die Geldanlage von Banken, Versicherungen und Pensionskassen in Rüstungskonzerne werden von der Schweizer Regierung toleriert. Doch das Strafrecht gilt auch für Waffenexporte, für die Beihilfe zum Mord und die Finanzierung des Terrors des Krieges. Es gibt keinen strafrechtlichen Freipass für Fabrikanten und Politiker, die Rüstungsgüter liefern lassen, und Banken, die sich mit der Finanzierung von Rüstungskonzernen bereichern. Unter Artikel 25 des Schweizerischen Strafgesetzbuches fallen nämlich Delikte wie Beihilfe zum Mord, zu vorsätzlicher Tötung, zu schwerer Körperverletzung und zu schwerer Sachbeschädigung.
Gehilfe bei solchen Straftaten ist derjenige, der „zu einem Verbrechen oder zu einem Vergehen vorsätzliche Hilfe leistet“. Also auch derjenige, der „vorsätzlich in untergeordneter Stellung die Vorsatztat eines andern fördert“. Diese Verbrechen sind laut Artikel 75bis des Strafgesetzbuches sogar unverjährbar und Offizialdelikte, die von der Justiz geahndet werden müssten. Ein Offizialdelikt ist in der Schweiz eine Straftat, die die Strafverfolgungsbehörde von Amts wegen verfolgen muss, wenn es ihr zur Kenntnis gelangt. Auf diese strafrechtliche Verantwortung hat der Berner Jurist Christoph Bürki (1929 bis 2016) immer wieder hingewiesen.
Waffenexport ist Beihilfe zum Mord
Kriegsmaterialexporte in die USA, nach Deutschland und weitere Staaten, auch Schweizer Waffenexporte in die Ukraine müssten als solche gelten. Die USA sind immer wieder an Kriegen beteiligt, von Deutschland aus werden Drohnenangriffe der USA gesteuert und Deutschland wie die USA sind in der Ukraine aufgrund ihrer Waffenlieferungen Kriegsparteien.
Die ausländischen Rüstungskonzerne, in die Institutionen aus der Schweiz investieren, fabrizieren auch Kampfjets, Bomben, Kanonen, Granaten, Gewehre, Panzer, die in Kriegen zum Einsatz kommen. Diese Geräte töten im Krieg, im Jemen, jetzt in Gaza oder in einem der vielen anderen Kriege weltweit.
Krieg ist keine Lösung, weder im Kongo, in der Ukraine, in Somalia noch im Gazastreifen. Heute wären überall gewaltfreie Alternativen zur militärischen Verteidigung gefragt.
Sogar unter der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg waren in Norwegen und Dänemark gewaltlose Aktionen oft erfolgreicher als Operationen der bewaffneten Résistance in Frankreich oder Jugoslawien. Dazu gibt es eine umfangreiche Literatur, zum Beispiel das Buch „Die gewaltfreie Aktion“ von Gernot Jochheim aus dem Jahr 1984. Diese Erfahrungen wären gerade heute in unserer so gewaltgläubigen Zeit des Krieges in der Ukraine und in Gaza von besonderer Bedeutung.
Sicherheit lässt sich mit gewaltlosen Aktionen besser herstellen als mit Militär. Nach militärisch geführten Befreiungskriegen ist die Gefahr zudem groß, dass keine demokratischen Verhältnisse erreicht werden können. Pazifisten sind in dem Sinn die besseren Realisten. Erica Chenoweth zeigte dies 2011 in ihrer Studie „Why Civil Resistance works“ (Warum ziviler Widerstand funktioniert).
Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Produktion
Die Umstellung von Rüstungs- auf zivile Produktion wird als Rüstungskonversion bezeichnet. Es gibt viele Beispiele für Rüstungskonversionen, bei denen Rüstungsunternehmen ihre Produktion auf zivile, nützliche Produkte umgestellt haben (13).