Brückenkopf des Kapitals
Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, ein Wessi, trieb im Osten die Wasserprivatisierung voran. Von den Folgen profitiert die AfD bis heute.
Es wäre ja nicht so schlimm, dass sich ein ostdeutsches Bundesland gleich nach der Wende einen westdeutschen Landespolitiker ausgeliehen und ihn auf den Sessel des Ministerpräsidenten gehievt hat. Kurt Biedenkopf war Sachsens „Erster“ nach der Auflösung der DDR. Die Probleme begannen allerdings, als sich König Kurt gleich nach Amtsantritt wie das Klischee eines westdeutschen Kapitalismus-freundlichen Politikers benahm. Er begann mit umfassenden Privatisierungen, die auch einen empfindlichen Bereich der Daseinsvorsorge betrafen: die öffentliche Wasserversorgung. Für den Profit von Großkonzernen wurden Teile der alteingesessenen Bevölkerung abgehängt oder sogar vertrieben. Wer sich also fragt, warum das Böse — sprich: die AfD — in dem ostdeutschen Freistaat schon wieder sein Haupt erhebt, der sollte einen Blick auf das Wirken der Guten in der jüngeren sächsischen Geschichte werfen.
Nach der Vereinigung von BRD und DDR 1990 wollten bundesdeutsche Berater, Unternehmer und ihre christlich lackierten Politiker ihr westliches Modell noch übersteigert in den Osten übertragen. Sie konnten sich auf die populistische Prophezeiung des CDU-Bundeskanzlers Helmut Kohl berufen, hier „blühende Landschaften“ zu errichten.
Erstmal überdimensioniert in staatlicher Regie
In Sachsen ging das mit dem CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf besonders aggressiv zu. Das galt auch für die kommunale Wasser- und Abwasserwirtschaft. So wurden in der dünn besiedelten Region Ostelbien die 8.100 Einwohner in den weit verstreuten 30 Ortsteilen zusammengefasst, im Zweckverband Beilrode-Arzberg, benannt nach den beiden größten Gemeinden (1).
Der Zweckverband wurde im Auftrag der Landesregierung mit überdimensionierten neuen Anlagen überzogen: Über 200 Kilometer Leitungen wurden neu verlegt, über Höhen und Tiefen, deshalb auch die 240 Pumpen, die wegen der überlangen Abwasser-Transporte sehr störanfällig waren und sind — und auch die Kläranlage für Arzberg wurde oben auf einem Berg errichtet: Was für ein teurer Irrsinn!
Zwangsanschlüsse wurden verordnet: Hauseigentümer sollten bis zu 100.000 DM Anschlussgebühren bezahlen — das war oft mehr als der Wert ihres Hauses. Die Wasser- und Abwassergebühren wurden drastisch erhöht. Das war zu teuer für Bürger, Gemeinden und Unternehmen, um ihre ostelbische Landschaft erblühen zu lassen. Zudem wurde mit dieser Politik auch die Arbeitslosigkeit gefördert. Einwohner wanderten ab. Für die teuren Wasser- und Abwasseranlagen gab es immer weniger Beitragszahler.
Die Bürgerinitiative wird gegründet
1994 begann deshalb die Bürgerinitiative Ostelbien gegen unsoziale Kommunalabgaben (BIKO) den Widerstand. Er war breit und wirkte. Daher versprach die Biedenkopf-Regierung eine neue, gesteigerte Heilung. Sie bestand in dem Dortmunder Investor VIA: Er sollte den Zweckverband übernehmen, kaufen, betreiben — also eine damals vor allem nach Ostdeutschland importierte Form der Privatisierung öffentlicher Aufgaben.
Damit wollte Biedenkopf auch ganz persönlich ein Modellprojekt schaffen. Die Privatisierung in Ostelbien sollte beweisen: Private können es besser, auf jeden Fall viel besser als der Staat, der gerade untergegangen war.
Deshalb griff Biedenkopf auf seine „Westfalen-Connection“ zurück, auf CDU-Politiker und Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen: Dort war Biedenkopf mit seiner Führungsfunktion im Waschmittel-Konzern Henkel („Persil — nichts wäscht weißer“) in der CDU politisch aufgestiegen.
Privatisierung mithilfe westdeutscher Millionäre
So sammelte VIA bei westdeutschen Bestverdienern 50 Millionen DM ein. Es waren auch ein paar Kleinanleger aus Sachsen dabei, zum Beispiel mit 20.000 DM ein Betriebswirt aus Dresden.
Aber das große Geld kam aus Westdeutschland: Unternehmer, Professoren, Ingenieure, Apotheker, Zahnärzte aus Düsseldorf, Bochum, Duisburg, aber auch aus Hamburg, Bayreuth und Baden-Baden zahlten meist zwischen 200.000 und 300.000 DM ein, einige bis zweieinhalb Millionen.
Der größte VIA-Anleger war Hans-Bernd Wesselmann aus Bochum: Er zahlte 10 Millionen ein. Er hatte ein Werbeunternehmen mit 8.000 Autos, die im vor-digitalen Zeitalter mit transportablen Werbeflächen für Supermärkte warben — aber auch für alle Wahlkämpfe der Kohl-CDU, für Kommunalwahlen im Ruhrgebiet, für Landtags-, Bundestags- und Europawahlen. Ein Großfoto, das Wesselmann im ganzen neuen Blüh-Deutschland herumfahren ließ, zeigte den lachenden CDU-Kanzler Kohl inmitten einer staunenden Menschenmenge.
Diesen Bestverdienern und Millionären versprachen VIA und die Biedenkopf-Regierung eine jährliche Rendite von 4 Prozent, dazu 20 Jahre lang eine jährliche Steuerersparnis — und danach noch eine Leibrente! Hinzu kam für VIA selbst ein Gewinn von jährlich 14,9 Prozent.
Als Anwerber hatte VIA zwei nordrhein-westfälische CDU-Politiker engagiert: Erstens Hans-Werner Schmöle, langjähriger Bundestagsabgeordneter, der dann als Bauunternehmer pleite ging; zweitens den Abgeordneten des NRW-Landtags Manfred Heinemann. Die beiden kassierten für jeden geworbenen Anleger eine Kommission. Und den Vertrag verfasste der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Paziorek, von Beruf Rechtsanwalt, gegen ein Honorar, dessen Höhe der anwaltlichen Schweigepflicht unterlag. Und zur Beförderung des Vertrags kurz vor der Entscheidung spendete VIA der sächsischen CDU 25.000 DM.
Pensionierter westdeutscher Bürgermeister als Zwangsverwalter
So kaufte 1994 VIA mit den 50 Millionen DM alle Anlagen des Zweckverbands Beilrode-Arzberg. 20 Jahre lang, bis 2014, sollte VIA die Geschäfte leiten.
Aber VIA hatte wegen der aufwendigen Reichtumsmehrung zugunsten seiner Anleger keine Zeit für die Geschäftsführung vor Ort in Ostelbien. Deshalb setzte die Biedenkopf-Regierung im Zweckverband einen Zwangsverwalter ein: Dafür holte sie den pensionierten Bürgermeister Bruno Hailer aus Baden-Württemberg — er sollte den Zweckverband für die nun endlich marktwirtschaftliche Neuorganisation straff anleiten.
Aber Hailer, der kurz vorher, im noch jugendlichen Alter von 55 Jahren seine hochverdiente Pension angetreten hatte, hatte auch keine Zeit, jedenfalls nicht für irgendsowas mit schlecht verlegten, überdimensionierten Abwasserleitungen und einer nicht funktionierenden Kläranlage irgendwo dahinten in Sachsen.
Der Zwangsverwalter war dann wohl nur ein- oder zweimal kurz und unwillig vor Ort. Deshalb bekam der Unsichtbare von den Einwohnern Ostelbiens bald den ironischen Spitznamen „der Wunder-Heiler“.
Aber so bereicherte der frühpensionierte Ex-Bürgermeister aus dem CDU-geführten Baden-Württemberg das Spektrum der professionellen westlichen Korruption: In drei Jahren Abwesenheit kassierte er eine dreiviertel Million DM an Honorar, aus der Kasse des überschuldeten Zweckverbands.
Widerstand in Sachsen: Dutzende Bürgerinitiativen
Gegen die Biedenkopf-Politik bildete sich zahlreicher Widerstand. Biedenkopf hatte an der katholischen US-Eliteuniversität Georgetown in Washington studiert, war Mitglied der Trilateralen Kommission. Er holte das US-Wirtschaftsmodell nach Sachsen; gegen die Gewerkschaften förderte er die Zulieferindustrie mit Niedriglöhnen zugunsten großer Konzerne wie American Micro Devices und VW.
Allein im Bereich der kommunalen Wasser- und Abwasser-Wirtschaft gründeten sich in Sachsen drei Dutzend Bürgerinitiativen. Einige wie die BIKO gründeten sich ab 1999 auch als Wählervereinigungen. Die BIKO ist seitdem in den Gemeinderäten von Beilrode und Arzberg vertreten, damit auch in der Zweckverbands-Versammlung. 2024 trat die BIKO zum sechsten Mal bei der Kommunalwahl an. Die BIKO kämpfte vor Gericht, in den Gemeinderäten, im Zweckverband, erreichte mühsam die Senkung von Gebühren und höhere Zuschüsse der Landesregierung.
Bürgerinitiativen tagen regelmäßig im Plenarsaal des Landtags
Diese Bürgerinitiativen wurden im sächsischen Landtag von der PDS und dann der Partei Die Linke unterstützt. Die PDS-Umweltsprecherin Andrea Roth organisierte halbjährliche Treffen der Initiativen, die sich in ganz Sachsen gegen die teure Wasser- und Abwasserpolitik wehrten. Die ganztägigen Treffen fanden im Plenarsaal des Landtags statt — eine öffentlich sichtbare und wirksame Opposition.
Die PDS und die Initiativen holten mich Westdeutschen als Berater: 1995 hatte ich das Buch „Staatsgeheimnis Abwasser“ veröffentlicht. Darin hatte ich anhand der Kölner Verhältnisse die Untiefen der bundesdeutschen Wasser- und Abwasserpolitik dokumentiert: Auch wenn sie formal in kommunaler Hand liegt, wird sie von Interessen der Privatindustrie geprägt (2).
Ich reiste kreuz und quer durch Sachsen, setzte mich mit den Initiativen zusammen, in Beilrode und Arzberg, in Landwasser, Niederland, Grimma-Geithain, Oberes Göltzschtal, Putzkau, Hartau, Bennewitz, Meißen und so weiter. Daraus entstanden auch die beiden Dokumentationen „Die zweigeschossige Streuobstwiese: Fünf politische Konkursmärchen aus dem Abwasser-Reich des Königs Kurt von Sachsen“ und „Wenn der Privatisierer kommt“ — sie kamen in Zehntausender-Auflagen unters Volk. Der Widerstand in Sachsen war breit (3).
Die gescheiterte Privatisierung teuer rückabwickeln
Der selbstherrliche neue „König der Sachsen“ handelte bei seinem ostelbischen Modellprojekt in mehrfacher Hinsicht gegen Recht und Gesetz und auch gegen wirtschaftliche Vernunft — gewiss nicht als Einziger in Ostdeutschland. Mit dem von Biedenkopf protegierten, gewinngierigen VIA-Investor wurde aber alles noch schlechter und teurer.
Die PDS setzte mit der SPD nach einigen Jahren im Landtag eine Parlamentarische Untersuchungskommission durch. Auch die direkte Verantwortung des Ministerpräsidenten war Thema. Aber da stotterte Biedenkopf bei seiner stundenlangen Vernehmung vor sich hin und wollte nichts gewusst und nichts gewollt haben, so wiederholte er immer wieder. Der Spiegel, der einen eigenen Korrespondenten in Sachsens Hauptstadt Dresden hatte, berichtete zwar, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet wurde und Biedenkopf demnächst dort erscheinen sollte, aber erstens war da nur von der Affäre Paunsdorf-Center und dem Biedenkopf-Sponsor Barth die Rede, und vor allem zweitens: Über die Vernehmung Biedenkopfs berichtete der Spiegel gar nicht.
Aber es wurde klar, auch gegen den Widerstand Biedenkopfs: Die VIA-Privatisierung musste rückabgewickelt werden. Der Zweckverband musste die Anlagen teuer zurückkaufen — einschließlich der von VIA seinen Anlegern versprochenen Gewinne.
Unbekannt: Wie viele Millionen kostet die Rückabwicklung?
Der Kaufpreis wurde aufgebracht aus den wenigen Eigenmitteln des Zweckverbands, dann vor allem mithilfe staatlicher Kredite, Zinsübernahmen und Zuschüsse, aus dem sächsischen Landeshaushalt. Und wie viel hat das insgesamt gekostet?
Erstens für die Bürger direkt vor Ort die erhöhten Gebühren und die bis heute erhöhten Beiträge der angeschlossenen Gemeinden an den Zweckverband?
Zweitens für den Zweckverband die Abzahlung von 8 Millionen an Fördermitteln, die mehrjährige Zahlung der 6,5 Prozent Zinsen für den staatlichen Rückkauf-Kredit — und nebenbei auch das Dreiviertel-Million-Honorar für den korrupten „Wunder-Heiler“?
Drittens für den Zweckverband die vielen Gerichts- und Anwaltskosten?
Viertens für den sächsischen Staat die direkten Zuschüsse an den Zweckverband und die zugunsten des Zweckverbands staatlich übernommenen Zinsen für den Kredit zur Rückabwicklung der VIA-Privatisierung, und dieser Kredit läuft ja noch viele Jahre: Das sind dann zusammen vielleicht 40 Millionen, oder wohl mehr?
Fünftens für den deutschen Staat die jahrelangen Steuernachlässe der westdeutschen Bestverdiener und Mehrfach-Millionäre: Das dürften vielleicht 50 Millionen gewesen sein, oder mehr?
Noch Anfang 2024 wurde nach jahrelangem Gerichtsverfahren die Klage der VIA abgewiesen: Sie wollte Umsatzsteuer ersetzt haben, die sie gar nicht gezahlt hatte. Das Urteil war wieder ein Erfolg für den Zweckverband, aber 100.000 Euro Gerichtskosten muss er jetzt zahlen.
Der Zweckverband und damit die Mitgliedsgemeinden und letztlich die Bürger sind immer noch langfristig verschuldet, bis 2034: Der staatliche Millionenkredit muss abbezahlt werden, auch wenn er — nicht zuletzt durch den heftigen Druck der BIKO — zinslos gewährt wurde. Aber diese Zinsen — wie in anderen Fällen — verschulden den Landeshaushalt und fallen unsichtbar, irgendwie indirekt, auch auf die Bürger zurück, und nicht nur auf die in Ostelbien.
Alle Kosten zusammengerecht: Wir werden es nie erfahren. Das bleibt großes, christlich übertünchtes Steuer- und Staatsgeheimnis. Kein kommunales oder staatliches Rechnungsprüfungsamt hat sich darum gekümmert, kein „wissenschaftlicher“ Ökonom, keine der von Bundes- und Landesregierungen ständig beauftragten Beratungsfirmen.
Als Biedenkopf die AfD ins Leben rief
Im Jahre 2000, als in Sachsen die Opposition gegen die CDU-Bereicherungspolitik sehr groß war und mithilfe der PDS dutzende Bürgerinitiativen regelmäßig im Plenarsaal des Landtages tagten, allein im Bereich Wasser und Abwasser — da veröffentlichte Ministerpräsident Biedenkopf „Ein deutsches Tagebuch“ (4).
Darin schrieb er einen Traum auf. Den Traum hatte er nicht in Sachsen, sondern in seiner standesgemäßen, von einem großen Garten umgebenen Villa im Prominentenviertel am Chiemsee, vor den Alpen, im schönen Bayern.
Also Biedenkopfs Traum ging so:
„Am hinteren Gartentor standen einige Menschen brauner Hautfarbe. Sie hatten das Tor geöffnet... Sie warfen Abfall in den Garten, zum Teil in zerbeulten Behältnissen. Eines dieser Behältnisse flog in die Nähe unseres Hauses und fing an zu brennen. Die Menschen fingen an, in den Garten einzudringen. Ihnen voran kam ein kräftig gewachsener großer Mann mit weißem Turban und weißem Gewand auf mich zu. Er hielt einen schweren Gegenstand in der Hand, mit dem er mich angreifen wollte.“
Biedenkopf schrieb weiter:
„Dann endete der Traum. Ich habe in der Vergangenheit viel über die Gefahr eines Einwanderungsdrucks aus dem Süden auf Europa gesprochen. Dies war wohl die Umsetzung dieser Gedanken in Bilder.“
Eine Stunde nach dem Traum, so Biedenkopf weiter, ließ er sich mit dem Firmen-Learjet eines seiner Finanziers, des Kölner Bauunternehmers Heinz Barth, vom schönen Chiemsee ins arme Sachsen zum Wahlkampf einfliegen. In einem überbelegten Altersheim zum Beispiel habe er dem klagenden Leiter dann versprochen: „Ich werde Investoren zu finden, die das Problem lösen.“
Biedenkopf-Sponsor Barth jedenfalls bekam viele Bauaufträge in Dresden, so etwa für das Paunsdorf-Center, in dem die Landesregierung Räume zu überhöhten Mieten bezog. Der Münchener Baulöwe Max Schlereth durfte Biedenkopf mit Anhang zu mittelmeerischen Ferienzielen bringen, bevor das nächste Bauprojekt Gestalt annahm.
Das Buch mit Biedenkopfs Selbstberäucherungs-Quatsch wollte kaum jemand lesen. Den Ladenhüter rettete deshalb die sächsische Staatskanzlei mit Staatsgeld und kaufte den größten Teil der Auflage: Darüber freute sich der Siedler-Verlag aus dem Hause Random/Bertelsmann. Biedenkopf ließ das Buch dann bei Preisverleihungen und an ausländische Besucher verschenken.
Bei dieser korrupten Begünstigung von Bestverdienern und Millionären und nebenbei auch von sich selbst — da konnte schon in tiefen Träumen in der schönen Villa am Chiemsee die Angst aufkommen, dass da jemand in den reichen Garten eindringt.
Am besten wären diese „Eindringlinge“ natürlich als dunkelhäutige, gefährliche Flüchtlinge verkleidet, so das CDU-Biedenkopf-Investoren-Narrativ.
Friedrich Merz: Vom Tegernsee zum Wahlkampf nach Sachsen
Doch soll niemand sagen, nur Biedenkopf habe so etwas gekonnt. Und es muss ja auch nicht immer der schöne Chiemsee sein. Es gibt im bayerischen Voralpenparadies ja noch den anderen Promi-See, den schönen Tegernsee.
Der gegenwärtige CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Friedrich Merz inszeniert sich populistisch immer wieder als bodenständiger Bürger seiner Heimatregion, dem biederen Sauerland. Doch wenn es wichtig wird, dann verlegt er sich in seine milieugerechtere Ferienresidenz — und die ist nicht im Sauerland, sondern am Tegernsee.
In Merz’ Nachbarschaft residieren Multimilliardäre wie der Verleger Hubert Burda. Ebenfalls residieren hier die noch reicheren Multimilliardäre, die Gebrüder Andreas und Thomas Strüngmann, denen mit jeweils 12,2 Milliarden 50 Prozent des Impfstoff-Konzerns BioNtech gehören. Der deutsche Nationaltorwart Manuel Neuer aus München hat dort auch seine etwas kleinere Residenz, zu der man immerhin erfährt, wie viel sie gekostet hat: 10 Millionen Euro.
Und während Biedenkopf sich noch im Firmenjet seines Finanziers Heinz Barth herumfliegen lassen musste, etwa zum Wahlkampf nach Sachsen —kann Merz dagegen mit einem seiner eigenen Privatjets ein- und weiterfliegen: Fortschritt muss sein, vom fremden zum eigenen Jet, von Multi-Millionären zu Multi-Milliardären.
Für die Privatjets der Tegernsee-Promis wie Merz steht dafür der naturnah-idyllische kleine Flugplatz Warngau bereit, gleich um die Ecke.
Hier erholt sich Merz, so das Handelsblatt, zwischen seinen Privatjet-organisierten Politauftritten, „abgeschirmt vom Rest der Welt, mit Panoramablick über den langen See zu den Alpen.“ (5)
Das Handelsblatt als Vorkämpfer der Merz-Parole „Mehr Kapitalismus wagen“ (6) berichtet seiner vermögenden Leserschaft über das Privatleben ihres Vorzugs-Politikers, der nebenbei auch Honorare für seine Kolumnen im Handelsblatt verdient:
„Am Tegernsee erholt sich der CDU-Chef seit vielen Jahren regelmäßig im Familiendomizil. Hier klopft das ‚Paradies’ an. Der Sauerländer Merz hat in dieser Kulisse schon runden Geburtstag gefeiert, seine Freunde ins Haus am Tegernsee geladen.“
So macht sich der langjährige BlackRock-Lobbyist Merz hier am schönen Tegernsee jetzt auch fit für seine Kanzlerkandidatur. Die Unternehmer-Postille Handelsblatt ist wieder ganz nah dabei und berichtet: Da musste jetzt erstmal der CDU-Wahlkampf im Oktober 2024 in Sachsen absolviert werden. Ausgeruht und gut vorbereitet eilte dort Merz, ebenerdig, volksnah, von Löbau aus, in der Sächsischen Oberlausitz zu Fuß mit dem sächsischen CDU-Spitzenkandidaten vom Marktplatz aus die vier Kilometer den Berg hinauf, in Wanderschuhen; und oben auf dem Berg beim gusseisernen Turm, dem Wahrzeichen der Stadt, gab Merz an die braven Sachsen dann Freigetränke und Bratwurst aus, hetzte gegen die AfD und versprach den noch konsequenteren Kampf gegen Flüchtlinge — Reichtumspolitiker Biedenkopf hatte die Gefahr schon geahnt, dreißig Jahre früher.
Bereicherung West — verdrängt bis heute, politisch und medial
Es ging also unter Biedenkopf auch in Ostelbien nicht um den „Aufbau Ost“, sondern um die „Bereicherung West“.
Es ging nicht um die gute Wasser-Versorgung und Abwasser-Entsorgung in Sachsen, sondern um Gewinn-Versorgung und Steuer-Entsorgung von Millionären und Bestverdienern in Bochum, Düsseldorf, Duisburg, Hamburg, Bayreuth und Baden-Baden.
Die Biedenkopf-Regierung und ihre immer CDU-geführten Nachfolgeregierungen zermürbten in der Folgezeit sehr gezielt, auch mithilfe einer parteipolitisch besetzten Justiz, die vielen Bürger, die auch mit vielen Klagen vor Gericht im Bereich Wasser und Abwasser sehr aktiv waren, wie die BIKO. Nach 10 oder 20 Jahren hatten viele Initiativen aufgegeben.
Bei der Zermürbung spielten auch die sächsischen Leitmedien eine Rolle. Sie waren aufgekauft von Springer, Madsack, Bertelsmann — und noch mit jeweils einer Beteiligung der SPD-Medienholding. Das galt und gilt für die beiden größten Zeitungen in Sachsen, die Leipziger Volkszeitung und die Sächsische Zeitung: Sie brachten nix zum Konflikt in Ostelbien. Zwar durfte die Torgauer Zeitung, die kleine Regionalzeitung der Leipziger Zeitung, einige Zeit immer wieder mal objektiv berichten. Aber davon erfuhr man sonst in Sachsen nichts. Und als die Torgauer Zeitung zuviel über die BIKO berichtete, wurde der zuständige Redakteur Uwe Gutzeit abberufen.
Folgen für Haushalte und Umwelt bis heute
In Ostelbien zwischen Beilrode und Arzberg reichen die teuren Folgen bis heute und noch weit in die Zukunft.
Das marode Leitungssystem zeigte sich beim Rohrbruch im Herbst 2023: Dabei wurden Felder überschwemmt und Ernten vernichtet. Die Leitungen sind vor 30 Jahren eilig verlegt worden, vielfach ohne sachgemäße Verdichtung des umgebenden Erdreichs. Sowieso wäre in diesem Gebiet mit den weit auseinander liegenden 30 kleinen Orten ein dezentrales System ungleich besser gewesen — wegen der Kosten, wegen der Umwelt und auch des Energieaufwands.
Weil der Zweckverband auch deshalb keine eigenen Wasserquellen hat, muss das Wasser bisher von weither importiert werden, mithilfe eines Dükers, der aufwendig und reparaturanfällig unter der Elbe durchgeführt wird. Deshalb wäre ein Ersatzdüker notwendig: Für den hat aber die CDU-Landesregierung mit dem grünen Umweltminister Wolfram Günther die Unterstützung abgelehnt. Man schwafelt dort lieber vom „weltweiten Klimawandel“.
Lebendige Demokratie gegen egoistische Privatinteressen
Es gibt also für BIKO & Co. auch weiterhin genug zu tun. Aus der Verarmung in Ostelbien, in Sachsen, in Ostdeutschland und im ungleich vereinten Gesamtdeutschland ist ein neuer Aufbruch notwendig, auch ganz konkret vor Ort.
Auch Umweltfreundlichkeit sieht anders aus. Das bewiesen einige Bürger, die für Wasser und Abwasser inzwischen vor Ort dezentrale Lösungen selbst organisiert haben. Auch der inzwischen organisierte Bürgerbus ist eine solche notwendige Selbstorganisation. Die BIKO hat als Wählervereinigung ihren Aufgabenbereich sowieso erweitert und kümmert sich zudem um Bildung, medizinische Versorgung, Radwege, Straßenbau, Feuerwehr, zum Beispiel.
Das hat offensichtlich ebenfalls dazu geführt, dass bei den letzten Gemeinderatswahlen im Juni 2024 in Beilrode wie in Arzberg die BIKO weit vor CDU die meisten Stimmen erhielt und die von der Biedenkopf-Politik und den CDU-geführten Nachfolgeregierungen beförderte AfD gar nicht auftauchte.
Und durch die jetzigen Wahldämpfer für CDU & Co. in Ostdeutschland sollte die bessere, bisher verhinderte Zusammenarbeit von Sachsen mit dem benachbarten Brandenburg möglich werden, auch für die bessere Trinkwasserversorgung für Ostelbien.
Die BIKO hat jetzt am 27. September 2024 im ostelbischen Zwethau ihr 30-jähriges Jubiläum gefeiert. Die Bürgermeister waren ebenfalls dabei. Großartig, dass die Initiative die drei Jahrzehnte durchgehalten hat und weitermacht. BIKO — damals bei der Gründung vor 30 Jahren lebensnotwendig für die Demokratie, gegen die Politiker der Bestverdiener und Millionäre. Und das ist heute und in Zukunft mindestens genauso notwendig, und nicht nur in Ostelbien, nicht nur in Sachsen und nicht nur in Ostdeutschland!