Brot und Spiele
Endlich ist wieder Fußballweltmeisterschaft!
2018 ist angebrochen und damit ein weiteres Jahr, in dem sich die sportlichen Gladiatoren der Welt zusammenfinden, um sich im überwiegend friedlichen Wettstreit zu messen.
Redaktionelle Vorbemerkung: Wie fern, wie uneinnehmbar wirken die Festungen der Mainstream-Medienlandschaft aus junger Perspektive, wie durchgetaktet ihr redaktioneller Duktus. Gastbeitrag? Vielleicht nach drei Praktika! Doch in einer Demokratie sollten auch wir Jugendlichen ein Mitspracherecht haben. Der Rubikon setzt hierfür einen Grundstein. Unsere Jugendredaktion veröffentlicht daher in ihrer Kolumne „Junge Federn“ beständig Beiträge junger Autorinnen und Autoren, denen thematisch kaum Grenzen gesetzt sind. Wenn dich das anspricht, schreib uns gerne an: jugend@rubikon.news.
Wenn ich mich an die Fußballweltmeisterschaft des Jahres 2014 erinnere, in welcher Deutschland bekanntlich das begehrte, golden lackierte Blech nach erbittertem Kampf errungen hat, so kommt mir hauptsächlich das durch die Gassen meiner Stadt hallende Gegröle sieges- und alkoholtrunkener Menschen in den Sinn. Doch nun, nach vier quälend langen Jahren des Wartens, deren Leere nur partiell durch Fußballeuropameisterschaft sowie Winter- und Sommerolympiade gelindert wurde, zeichnet sich das ersehnte Ereignis der Superlative bereits am fernen Horizont ab. Endlich findet sie wieder statt, die Weltmeisterschaft.
Lange haben wir darauf gewartet, uns in unserem letzten Erfolg gesuhlt, zu dem zwar – von den Spielern abgesehen – kein Deutscher wirklich etwas beigetragen, an dem jedoch jeder Anteil genommen hat, denn „wir“ sind Weltmeister geworden. So liegt die Spannung schon in der Luft, wenn es nun darum geht, „unseren“ Titel zu verteidigen.
Und so werden sich auch diejenigen wieder vor den flimmernden Mattscheiben ihrer Endgeräte zusammenfinden, denen in den 3 Jahren und 11 Monaten davor dieser Sport gepflegt am Allerwertesten vorbeiging, und sich zu absoluten Experten aufschwingen, nur weil sie immerhin die Namen einiger Spieler kennen.
Denn niemand will Spaßverderber sein, wenn einmal alle vier Jahre auch der verklemmteste Deutsche seine sonst verschämt im Keller gelagerte Deutschlandflagge hervorkramt, sich um die Schultern oder an den SUV hängt und seinen ansonsten eher verpönten Nationalstolz in gesellschaftlich akzeptierter Weise kanalisiert.
Für wenige Wochen sind wir alle Deutschland. Wir, das sind jene prekär Beschäftigten, die kaum auf eine würdige Rente zu hoffen wagen, aber nun bei jedem Spiel spannungsgeladen an der Seite ihrer sie ausbeutenden Vorgesetzten auf den Bildschirm starren und gebannt den Abpfiff erwarten. Einmal zumindest sind alle gesellschaftlichen Spannungen hinter einem Schleier der Gemeinschaft verborgen und damit vorübergehend vergessen.
Das Spiel im Reich des Bösen
So kann uns auch der einzige Wermutstropfen, nämlich dass in diesem Jahr die WM von Sauron persönlich an den Hängen des Schicksalsberges ausgetragen wird, die Stimmung kaum vermiesen. Im Lande Mordor, wo ansonsten die Schatten drohen, verbreiten die Flutlichter der Stadien für einen Moment euphorische Stimmung und tauchen selbst den dunklen Imperator in einen glitzernden Schimmer, der den Hass auf das gesamte Land in einen Rausch der Bewunderung untergehen lässt. Dies dauert exakt so lange an, bis der Abpfiff des Finalspiels die Traumblase jäh zum Platzen bringt und die Menschen mit einem lauten Knall zurück in ihre triste, sinnentleerte Wirklichkeit katapultiert.
Dann auch werden die Vorwürfe des Dopings, die sich wohl alleine gegen Russland richten werden, sowie die anderen, noch unterschwellig schwelenden Konflikte die Stimmung medial wieder auf gewünschte Linie ausrichten und unser altes Feindbild wieder geraderücken. Nicht, dass man sich durch die Ausnahmesituation der festlichen Wochen noch mit dem Feind verbrüdere! Wir alle wissen, dass der Sauron aus Moskau den einen Ring schmiedete, um uns alle ins Dunkle zu treiben. So entlarvt sich die WM im Nachgang als das, was sie ist: Eine medial inszenierte Scheinwelt, die der Unterhaltung und Ablenkung des Pöbels dient.
Brot und Spiele will das Volk. Und wenn das Brot immer knapper wird beziehungsweise immer schwieriger zu erwerben, müssen die Spiele umso bombastischer sein. Parallel kann im Hintergrund die Ablenkung der Spiele genutzt werden, um unliebsame Entscheidungen ohne übergroße mediale Aufmerksamkeit durchzudrücken, so, wie es auch in der Vergangenheit stets geschah.
Kollektive Verblendung
Auch das Gewissen der Bevölkerung darf für einige Wochen ruhen. Umweltverschmutzung? Wir feiern mit Konfetti. Klimawandel? Buntes Feuerwerk rundet den Sieg doch erst ab! Armut? In der inszenierten Gemeinschaft zählt dein materieller Besitz nicht, denn bei der öffentlichen IQ-Diät darf jeder mitmachen.
Auch die Spiele selbst werden großartig inszeniert. Der Einmarsch der Fußballer, begleitet von den lächerlichen Klängen dazugehöriger Nationalhymnen, erinnert eher an Gladiatoren, die unter dem frenetischen Jubel der im Blutrausch applaudierenden Zuschauer ihrem Tod entgegengehen.
Doch werden die Kämpfe von diesen modernen Gladiatoren friedlich und ohne Waffengewalt, eingebettet in ein dünnes Werk aus Regeln, ausgetragen. Die Kämpfe hingegen verlagern sich auf das Publikum, das im Alkoholrausch in den Straßen der Städte den Ruf „seiner“ Mannschaft mit Fäusten und Schlagstöcken verteidigt.
Eine notwendige Begleiterscheinung verdrängter und auf einen Identifikationsersatz fokussierter Aggressionen, die sich nun im Fußball kanalisieren. Von denen jeder weiß, dass sie zutage treten, und die doch hinterher obligatorisch von den entsprechenden Funktionären der FIFA verurteilt werden, ohne dass man sich an die Ursache heranwagt. Denn dazu müsste die kapitalistische Ausbeutungsgesellschaft ihr Ende finden und das kann nicht das Ziel der FIFA sein.
Die Gelddruckmaschine
Im Gegenteil, die FIFA ist eine kapitalistische Geldmaschine, die über Marketing und Fernsehrechte Milliarden verdient, von denen ein nicht genau zu bestimmender, aber doch erheblicher Teil von vermutlich 900.000 Dollar im Jahr an seine Spitzenfunktionäre fließt, die außerdem Überschüsse im dreistelligen Millionenbereich erwirtschaftet – trotz der Rechtsform als nicht gewinnorientierter Verein, Tendenz: steigend.
Aus Nichts Geld machen war schon immer eine Kunst des Kapitalismus und die FIFA hat diese perfektioniert. Sie hat somit an seiner Überwindung keinerlei Interesse, sondern vielmehr an einer Austragung einer Weltmeisterschaft in regelmäßigen Abständen. Dafür unterdrückt man, wie im Kapitalismus üblich, die lokale Bevölkerung, die zwangsgeräumt wird, um von Sklaven und billigsten Arbeitskräften große Stadien errichten zu lassen, denen nach Ablauf des letzten Spiels keinerlei Nutzen mehr zukommt (1).
Doch nicht nur die FIFA verdient an der Weltmeisterschaft ein Vermögen, auch diejenigen Sender, denen generös das Recht eingeräumt wird, die Spiele im Fernsehen zu übertragen. So kostete ein 30-sekündiger Werbespot vor einem Fußballspiel während der WM 2014 255.000 beziehungsweise 294.000 Euro in den öffentlich rechtlichen Medien.
Öffentlich-rechtlich – war da nicht was? Stichwort GEZ. Auch die Stadien werden mit Werbung zugekleistert, die uns den kapitalistischen Überfluss in einem Moment schmackhaft machen soll, in welchem unsere Abwehrschirme ohnehin durch Alkohol, Bockwurst und Feststimmung auf ein Minimum reduziert sind.
Gleichzeitig betreiben auf diese Weise nicht nur große Autofirmen die Reinwaschung ihrer Marken, indem sie sich als Finanziers des öffentlichen Vergnügens und damit der Allgemeinheit gerieren, während gleichzeitig Millionen von Tonnen CO2 ausgestoßen werden, 11 Millionen während der WM 2014 in Brasilien.
Da nutzt dann auch die von der FIFA angekündigte Kompensation von 331.000 Tonnen wenig, zumal dieses Greenwashing in der Regel eher ein statistischer Taschenspielertrick ist, aber keine Neutralisierung der Emissionen darstellt.
Dabei hat mir bis heute niemand erklären können, warum wir in so knappen Zeitabständen von vier Jahren immer wieder entscheiden müssen, welches Land die beste Mannschaft hat. Mal ganz davon abgesehen, dass sich die Zusammensetzung der Teams in dieser kurzen Zeit kaum ändert, hat diese Entscheidung auf das Weltgeschehen keinerlei Einfluss – oder wird dem Sieger eine stimmgewaltige Position im UNO-Sicherheitsrat eingeräumt? Betätigte Jogi Löw sich nach seinem Sieg im Jahre 2014 als Lobbyist für den Umweltschutz? Mitnichten.
Die Entscheidung darüber, welche Mannschaft des Planeten man als die Beste ansehen kann, ist ebenso relevant wie die über das beste Team im Curling oder wer einen Kirschkern am weitesten spucken kann. Der einzige Unterschied ist die finanzstarke Lobby, die hinter dem Fußball steht, und das damit verbundene Prestige, mit dem sich Politiker eines teilnehmenden Staates gerne schmücken. Obwohl sie selbst zu den Spielen keinerlei Beitrag leisten, außer, sich neben dem vermeintlich bösen Diktator des jeweiligen Austragungsortes ablichten zu lassen oder – Skandal! – sich dessen zu verweigern.
So werden auch in diesem Jahr gedankenlos Millionen von Fans per Flugzeug nach Mordor reisen, um das medial inszenierte Gladiatorenschlachten hautnah mitzuerleben, während der Rest sich Bier trinkend, Chips oder Wurst essend zuhause vor dem Fernseher oder gemeinschaftlich auf Marktplätzen vor der Leinwand versammelt, um der kollektiven Verstandesauszeit zu frönen.
Auf diese Weise macht kapitalistische Ausbeutung Spaß – wenn wir sie nicht sehen und sie uns als buntes Glitzerereignis präsentiert wird. Zaghaft kritische Anmerkungen zu diesem Thema werden mit einem „Spaßverderber“ quittiert und nicht weiter durchdacht. Doch wenn es anderen den Spaß verdirbt, sich mit Hintergründen und Wirkungen solcher Großereignisse zu befassen, dann bin ich gerne Spaßverderber.
Wenn andere Menschen aus ihren Heimatorten vertrieben werden, um nutzlosen Fußballstadien zu weichen. Wenn diese von Sklaven und billigsten Arbeitern erbaut werden, die oftmals in die entsprechenden Länder migrieren, weil sie in ihrer Heimat überhaupt keine Arbeit mehr finden. Wenn gedankenlos der Klimawandel weiter angekurbelt und die Umwelt zunehmend zerstört wird und das alles, um die Menschen mit bunten Bildern und künstlichen Emotionen zu sedieren und einigen FIFAFunktionären und Medieneigentümern die Taschen zu füllen, dann sehe ich darin keinen Spaß, sondern eine Gefahr.
Denn in der Fußballweltmeisterschaft ist das Endstadium dessen erreicht, was Guy Debord bereits 1967 in seinem Werk „Gesellschaft des Spektakels“ formulierte: „Das ganze Leben der Gesellschaften, in welchen die modernen Produktionsbedingungen herrschen, erscheint als eine ungeheure Ansammlung von Spektakeln.“ Dieses Spektakel, das die zerstörerischen Produktionsbedingungen, dessen sich der Kapitalismus bedient, zu verschleiern sucht, muss entlarvt und als das präsentiert werden, was es ist: eine große Illusion zum Nutzen von Wenigen.
So wird für mich auch in diesem Jahr die WM nicht mehr sein als das durch die Gassen meiner Stadt hallende Grölen der von Glückseligkeit und billigem Bier Betrunkenen, die ihre innere Leere mit einem Surrogat aus simulierter Gemeinschaftlichkeit zu füllen versuchen.
In diesem Sinne:
Fröhliche Hungerspiele.
Quellen und Anmerkungen:
(1) http://www.zeit.de/sport/2014-05/brasilien-rio-wm-olympia-zwangsraeumung und https://www.welt.de/politik/ausland/article141085837/Die-Katarer-wollen-sich-nicht-bessern.html