Brennende Brücken
Statt jede Beziehung zu Russland abzubrechen, sollte Deutschland sich auf seine Rolle als Vermittler besinnen.
Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine eskaliert der Westen einen Konflikt mit Russland, der mutwillig herbeigeführt wurde. Immer absurdere Sanktionen werden verhängt, die Gesprächskanäle geschlossen und jede wirtschaftliche Verbindung gekappt. Gleichzeitig radikalisiert sich die Sprache von Politikern und Medien, womit diese offenbaren, dass sie sich längst als Kriegspartei sehen. Dieser Umstand wird auch deutlich an den Waffenlieferungen in die Ukraine. Ohne jede Notwendigkeit setzt die deutsche Außenpolitik auf totale Eskalation statt auf Diplomatie und Verhandlung.
Krieg ist das größte aller Verbrechen, weil es alle anderen Verbrechen einschließt. Er bringt unendliches Leid über die von ihm betroffenen Menschen, bringt Tod, Hunger, Traumatisierung, Zerstörung, Plünderung, Vertreibung. Gerade deshalb sollte jedem aufrichtig am Wohl der Menschen interessierten Politiker daran gelegen sein, Krieg zu verhindern oder so schnell wie möglich zu beenden. Das Gegenteil scheint in der Ukraine der Fall zu sein. Zwar prangert der Westen das Vorgehen Russlands in der Ukraine als schweres Verbrechen an, setzt aber gleichzeitig alles daran, den Krieg in die Länge zu ziehen und das Leid zu vergrößern. Dabei zerstört er systematisch jede Beziehung zu Russland und macht jeden Dialog unmöglich.
Eigentlich, so könnte man meinen, geht uns der Konflikt nichts an. Es handelt sich um eine Angelegenheit zwischen der Ukraine und Russland. Warum, so könnte man fragen, müssen wir uns einseitig in diesen Konflikt einmischen, Partei ergreifen und diese Partei mit allen Mitteln unterstützen, auch auf die Gefahr des eigenen Niedergangs hin? Garniert wird all das mit moralisierender Rhetorik, welche die eine Seite zum moralisch verrotteten Reich des Bösen und die andere zum heldenhaften Engel verklärt. Aber natürlich handelt es sich nur oberflächlich gesehen um eine Angelegenheit zwischen Russland und der Ukraine. Die Wahrheit ist, dass der US-geführte Westen die Ukraine in diesen Konflikt mit Russland getrieben hat, um das große Land im Osten in einem Stellvertreterkrieg zu schwächen.
Nicht umsonst erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow, dass Russland dem Westen nie wieder vertrauen könne. Denn der Westen hat jedes Vertrauen verspielt. Noch nie hat er sich an seine eigenen Regeln gehalten, wenn sie ihm zum Nachteil gereichten, sondern immer nur Gehorsam von anderen, von potenziellen Feinden eingefordert. Um seine eigenen Interessen durchzusetzen, hat der Westen alle Mittel genutzt, ihm nicht genehme Regierungen ausgetauscht, Kriege angezettelt und ganze Regionen destabilisiert, um an Rohstoffe zu gelangen oder Einflusssphären zu sichern. Genau so ist er spätestens seit 2014 in der Ukraine vorgegangen, die er nun gegen Russland instrumentalisiert.
Es ist also kein Wunder, dass die russische Regierung, auf Deutsch gesagt, die Schnauze voll hat. Sie wendet sich von diesem Westen ab, der sich durch seine Sanktionen selbst isoliert. Denn außer ein paar Staaten der Europäischen Union (EU), den USA und Kanada zieht kaum ein anderes Land bei dem Versuch mit, Russland zu schwächen.
Im Gegenteil, Russland baut seine Beziehungen zu Indien, China und vielen Staaten in Südamerika und Afrika systematisch aus.
Während sich westliche Staaten an Russland die Zähne ausbeißen, ist es gerade dabei, eine „Neue Weltordnung“ zu errichten. Diese kommt weitestgehend ohne den Westen aus und hat das Potenzial, bisher verarmten Ländern aus der Armut zu helfen. Neue Machtzentren entstehen, während sich die USA im Niedergang befinden. Der Westen hat sich selbst ins Abseits geschossen.
Das schließt Deutschland mit ein. Von Anfang an haben die verantwortlichen Politiker hierzulande den moralischen Zeigefinger erhoben und die Ukraine einseitig unterstützt, während sie Russland verurteilten und beschimpften. Infolge dieser Politik wurden Russen innerhalb Deutschlands diskriminiert, sie selbst wie auch ihre Geschäfte oder Unternehmen angegriffen. Viele öffentliche Personen, die sich nicht augenblicklich von Wladimir Putin und dem Krieg distanzierten, wurden aus ihrer Anstellung entfernt, russische Kulturgüter allerorten geringgeschätzt oder verbannt. Eine solche Diskriminierung ist angesichts der deutschen Geschichte höchst problematisch. In Moskau wird das alles zur Kenntnis genommen, und für den Kreml rückt Deutschland damit in ein sehr schlechtes Licht.
Denn was ist von einem Deutschland zu halten, das den Neonazismus in der Ukraine nicht nur kleinredet, sondern zudem noch aktiv mit Waffenlieferungen unterstützt? Was von einem Deutschland, das nicht einmal 80 Jahre nach seinem Vernichtungskrieg gegen Russland diesem Land erneut feindselig gegenübertritt?
Das Trauma des deutschen Feldzugs gegen Russland belastet die Menschen dieses Landes noch immer schwer. 27 Millionen Russen mussten damals ihr Leben lassen, eine unvorstellbare Zahl. Fast jede russische Familie hat Opfer zu beklagen, auf denen die Regierungspolitiker Deutschlands herumtrampeln. Denn sie nutzen den Konflikt dazu, jede diplomatische Brücke zu sprengen und die Ukraine in einen ewigen Krieg gegen Russland zu drängen. Dabei reden sie von Frieden und rüsten zum Krieg. Nicht ein baldiger Frieden ist ihr Ziel, sondern die totale Niederlage Russlands. Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sind vielleicht schon irreparabel beschädigt.
Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, das waren die Lehren, die wir aus der Zeit von 1933 bis 1945 gezogen zu haben glaubten. Heute unterstützen die deutschen Regierungspolitiker beides in der Ukraine und zielen damit erneut direkt auf Russland.
Doch anstatt sich für US-Interessen instrumentalisieren zu lassen, sollte Deutschland sich wieder auf seine neutrale Vermittlerrolle besinnen, die es eine Zeit lang recht gut ausgefüllt hat. Nicht die Niederlage Russlands, sondern ein baldiges Ende des Konfliktes sollte das vorrangige Ziel sein. Denn an jedem Tag, den der Krieg andauert, sterben Menschen, werden Existenzen vernichtet, Wohngebiete zerstört. Um dem ein Ende zu bereiten, nützt es nichts, die Ukraine mit Waffen zu überfluten. Denn diese verlängern das Elend nur. Stattdessen sollte Deutschland sich auf jene Worte seines Altkanzlers Helmut Schmitt besinnen, der sagte: „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“
Eigeninteresse
Dies wäre schon allein aus reinem Eigeninteresse das Sinnvollste, was eine deutsche Regierung in diesem Zusammenhang tun sollte. Denn je mehr sich der Westen von Russland entfernt, desto schlechter ist es um ihn selbst bestellt. Der wirtschaftliche Niedergang hat bereits eingesetzt. Schon jetzt ist die Energiesicherheit gefährdet und die Gasvorräte genügen nicht, um den Winter zu überstehen. Hinzu kommt, dass Russland und Weißrussland die größten Lieferanten für Düngemittelbestandteile sind. Und auch für die Herstellung von Dünger ist Gas notwendig.
Aber nicht nur aus wirtschaftlichen, auch aus politischen Erwägungen heraus sollte die deutsche Politik auf Diplomatie statt auf Eskalation setzen. Denn wenn Russland, China und Indien mit einem erweiterten BRICS-Format die neue Weltordnung festschreiben, dann werden jene Staaten, die sich nun einseitig gegen Russland positionieren, darin keine (große) Rolle mehr spielen. Der Niedergang der USA ist unausweichlich, und Deutschland, aber auch die gesamte EU sollte sich überlegen, ob sie mit ihnen in den Abgrund stürzen oder ob die europäischen Staaten ihr Schicksal selbst bestimmen wollen. Gerade im Niedergang der USA liegt die Chance, sich aus Abhängigkeiten zu befreien und zu einer selbstbestimmten Rolle im Weltgeschehen zu finden.
Stattdessen werden die Abhängigkeiten durch Flüssiggaslieferungen erhöht, während gleichzeitig das ohnehin bis 2030 bezahlte Gas aus Russland, das stets ein verlässlicher Lieferant war, abgelehnt wird.
Der Niedergang hat bereits begonnen
Während sich der Westen immer weiter von der Realität entfernt, ist Russland gerade dabei, eine neue Realität zu schaffen. Das sagte Putin am 17. Juni 2022 auf dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum. Der Westen klammere sich an die Schatten der Vergangenheit und hänge noch immer dem Irrglauben an, seine Dominanz sei von Dauer. Doch, so stellte Putin fest, nichts währt ewig.
Schon längst baut Russland seine Beziehungen zu China aus, ist mit ihm ein ökonomisches und militärisches Bündnis eingegangen. Auch Indien, Südafrika, Brasilien und viele afrikanische Staaten intensivieren ihre Zusammenarbeit mit Russland und zeigen dem Westen, von dem sie über Jahrzehnte oder Jahrhunderte nur ausgebeutet wurden, zunehmend die kalte Schulter. Es entsteht eine polyzentrische Weltordnung, in der Russland, China, aber auch Indien einen erheblichen Einfluss haben.
In einer Welt, die zunehmend von diesen drei Staaten dominiert wird und in welcher der Westen keine große Rolle mehr spielt, besteht auch die Gefahr, dass dieser schließlich seine eigene Medizin zu schmecken bekommen wird. Dann wird es der ressourcenarme Westen sein, der in wirtschaftlicher und politischer Abhängigkeit anderer steht, anstatt afrikanische oder asiatische Staaten in Abhängigkeit von sich zu halten. Die EU wird dann zum internationalen Niedriglohnsektor, in dem Armut und Hunger grassieren. Möglicherweise könnten auch die Hemmungen Russlands oder Chinas fallen, unliebsame Regierungen in EU oder Amerika zu putschen oder ganze Regionen mit Krieg zu überziehen, um Einflusssphären zu sichern. Das wäre zumindest die westliche Herangehensweise. Wir können nur hoffen, dass diese Länder nicht den radikalen Egoismus des Westens kopieren, sondern an einem friedlichen Miteinander interessiert sind. Garantien gibt es dafür jedoch nicht.
Durch den Abbruch aller diplomatischen Beziehungen und die Feindseligkeiten gegenüber Russland werden Armut, Hunger, Isolation und Krieg auch mitten in Europa wieder wahrscheinlicher.
Zudem birgt Letzteres immer auch das Risiko einer nuklearen Eskalation, die gerade im dicht besiedelten Europa unvorstellbar viele Tote mit sich bringen und den Kontinent bis auf Weiteres unbewohnbar machen würde. Schon jetzt ist dieses Risiko so groß wie nie zuvor, und Analysten wie Scott Ritter schätzen die Gefahr als durchaus realistisch ein. Dies kann unmöglich im Interesse westlicher Politik sein.
Dabei wäre diese Situation nicht notwendig gewesen. Denn den Konflikt in der Ukraine hätte mit recht einfachen Mitteln deeskaliert werden können, sodass er gar nicht erst hätte entstehen müssen. Schon im Dezember 2021 hatte Russland Sicherheitsgarantien eingefordert, die problemlos zu erfüllen gewesen wären. Auch einer Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO hätten deutsche Regierungspolitiker von Anfang an eine Absage erteilen müssen. Sie hätten militärische sowie geheimdienstliche Tätigkeit in der Ukraine einstellen lassen können. Auch nach Beginn der Sonderoperation wäre eine rasche Beendigung des Konfliktes noch möglich gewesen. Schon relativ früh gab es Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland, die gerade Deutschland hätte unterstützen sollen. Stattdessen wurden sie sabotiert.
Nun scheint der Zug allmählich abgefahren. Russland hat jedes Vertrauen in den Westen verloren und das Zeitfenster für Diplomatie schließt sich, wenn es nicht schon ganz geschlossen ist. Ob die Beziehungen zu Russland noch zu retten sind, ist schwer zu sagen. Das heißt aber nicht, dass man es nicht mit allen Mitteln versuchen sollte. Denn Krieg, wirtschaftlicher Niedergang und politische Isolation können nicht das Ziel sein. Den Menschen in Europa würde es nur vollkommen unnötig schaden. Und dies könnte, wie Putin auf dem Petersburger Wirtschaftsforum zu bedenken gab, auch zu Machtwechseln innerhalb der Eliten dieser Länder führen. Diese sollten daher schon in ihrem eigenen Interesse schnellstens den Weg zurück in die Realität finden und retten, was noch zu retten ist. Dann können Deutschland und die EU auch in den kommenden Umwälzungen eine Rolle spielen. Vielleicht entsteht sogar das Potenzial einer friedlicheren und gerechteren Welt.
Hält die Regierung jedoch an ihrem Kurs fest, führt dieser direkt in die Bedeutungslosigkeit und wahrscheinlich auch in den ökonomischen Untergang. Daher sollten wir alles daran setzen, Diplomatie statt Eskalation zu unserer Priorität zu machen, den Konflikt zu entschärfen und vor allem die vollkommen sinnlosen Sanktionen endlich aufzuheben.