Blutige Mittelmeerufer
Der Offizier der Küstenwache und Schleuserkönig al-Bidscha wurde in Libyen erschossen.
Abdul Rachman Milad, besser bekannt als al-Bidscha (Bidja), wurde am 2. September 2024 erschossen. Sein Wagen wurde vor der Marineakademie im westlich von Tripolis gelegenen Dschanzur mit Kugeln durchsiebt. In Zawiya wurden die Straßen mit schweren Militärfahrzeugen gesperrt, um jeden Protest der Einwohner gegen die Ermordung ihres „Helden“ im Keim zu ersticken. Mord als Mittel der Politik. Auch die sogenannte „Februar-Revolution“ des Jahres 2011 frisst ihre Kinder.
Krimineller Schmuggler und Marineoffizier in Personalunion — Libyen macht’s möglich
Für jeden, der sich schon länger mit Libyen beschäftigt, ist Abdul Rachman Milad ein alter Bekannter. Von az-Zawiya aus hatte Bidscha sein Schmuggelimperium ausgebaut, zuletzt als Offizier der libyschen Küstenwache. In dem Bericht der UN-Expertenkommission vom 29. September 2023 wird al-Bidscha für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. Er habe Migranten auf See, auch unter Gefährdung ihres Lebens, festgenommen und in libysche Haftanstalten gebracht. In diesen Haftanstalten wurden nachweislich Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe und Folterungen begangen. Al-Bidscha und seine Kollegen von der libyschen Küstenwache koordinierten ihre Aktionen mit ortsansässigen Schleusern und Schmugglern in den Küstengebieten von Sabrata, az-Zawija und Zuwara.
Schon im Juni 2018 hatte das US-Finanzministerium Sanktionen gegen Bidscha verhängt, weil „durch seine Beteiligung am Migrantenschmuggel der Frieden, die Sicherheit und die Stabilität in Libyen bedroht“ seien. Im Juli 2018 wurde Milad vom UN-Sicherheitsrat wegen seiner Beteiligung am Untergang von Booten mit Migranten und seiner Zusammenarbeit mit anderen Menschenhändlern gelistet. Im Oktober 2020 wurde Bidscha aufgrund eines Haftbefehls des libyschen Generalstaatsanwalts festgenommen, aber schon am 11. April 2021 wegen angeblicher Verfahrensfehler wieder freigelassen. Er kehrte in seine Heimatstadt Zawiya zurück, wo ihn ein triumphaler Empfang erwartete. Von der Dabaiba-‚Regierung‘ in den Offiziersrang erhoben, beaufsichtigte er fortan die Kadettenausbildung an der Marineakademie in Dschanzur. So konnte sich Bidscha nicht nur seiner Einnahmen durch kriminelle Tätigkeiten erfreuen, sondern bezog fortan auch militärischen Sold.
Die engen Verbindungen zwischen offiziellen Regierungsstellen in Tripolis und kriminellen Netzwerken waren für jeden offensichtlich. Der EU war alles recht, Hauptsache Migranten wurden an der Überfahrt über das Mittelmeer gehindert.
Al-Bidschas Küstenwache — von der EU und Italien finanziert
Bidscha erfreute sich nicht nur in Libyen, sondern auch in Italien bester Reputation. So konnte er mit falschen Reisedokumenten das gegen ihn verhängte Reiseverbot umgehen und problemlos in Libyen aus- und einreisen, inklusive des von ihm gescheffelten Geldes. Der libysche Hip-Hop-Künstler Ibn Thabit schrieb auf SpikedOnline:
„Die kriminell erworbenen Gelder dieser Schmugglerbanden — die sowohl von verzweifelten Migranten als auch aus EU-Programmen zur Migrationsbekämpfung stammen — haben Leuten wie (…) Milad einen Platz bei den höchsten Stellen in Libyen und manchmal auch in Europa gesichert, wo sie sich nun auf Augenhöhe mit Regierungsbeamten aller Ebenen befinden“ (1).
Gleichzeitig musste italienischen Journalisten Polizeischutz gewährt werden, nachdem sie wegen der Aufdeckung von Bidschas kriminellen Machenschaften Morddrohungen erhalten hatten.
Trauern um Bidscha
Nun ist al-Bidscha tot und es wird in Tripolis heftig um ihn getrauert. Der neu im Amt befindliche Staatsratsvorsitzende al-Mischri bedauerte Bidschas Tod und rief zur Aufklärung des Mordes auf. Dem wollte sein Gegenspieler im Staatsrat, Muhammad Takala, nicht nachstehen und bezeichnete die Ermordung al-Bidschas als eine feige Tat. Aufklärung forderte auch der Kommandeur des 55. Infanteriebataillons, Muammar ad-Dhawi. Fathi Baschagha, ehemaliger Innenminister einer vorherigen Tripolis-‚Regierung‘, bekundete seine Trauer um al-Bidscha, denn hinsichtlich der politischen Überzeugungen habe man übereingestimmt. Auch al-Lafi, stellvertretender Vorsitzender des Präsidialrats, bedauert den Tod von al-Bidscha, der durch die Hände eines Verräters gestorben sei, der seiner Bestrafung nicht entgehen werde. Moslembrüder unter sich.
Neben al-Mischri und al-Lafi nahm der Premier der Tripolis-‚Regierung‘, Abdul Hamid Dabaiba, an der Beisetzung von al-Bidscha teil. Dabaiba erklärte, al-Bidscha habe lobenswerte Anstrengungen unternommen, um die Marineakademie zu Ausbildungszwecken neu aufzustellen, zusätzlich zu seinen Bemühungen um Frieden und Versöhnung in az-Zawiya. Er wies das Innenministerium und die zuständigen Behörden an, schnell eine Untersuchung des Mordes einzuleiten. Ob es ihm damit wirklich ernst ist?
Warum wurde al-Bidscha ermordet?
Nachdem das Fahrzeug, aus dem die tödlichen Schüsse abgegeben worden waren, identifiziert werden konnte und sich einer der Täter freiwillig gestellt hatte, konnten drei Täter festgenommen werden, die alle der First Support Force az-Zawiya unter dem Kommando von Mohamed Bahrun (alias al-Far) angehören. Al-Bahrun ist auch stellvertretender Leiter der Anti Security Threats Agency (Agentur zur Bekämpfung von Sicherheitsbedrohungen). Daher erließ die Staatsanwaltschaft noch am 4. September 2024 einen Haftbefehl gegen Mohamed al-Bahrun, der an das Innenministerium der Dabaiba-‚Regierung‘ adressiert war. Die Anklage lautet: Beteiligung an der Ermordung von Abdul Rahman Milad alias al-Bidscha.
Die Gerüchteküche brodelt. Es heißt, al-Bidscha habe sich geweigert, der neuen US-amerikanisch-europäischen Afrikalegion beizutreten, stattdessen habe er den Versuch gestartet, mit Russland anzubandeln. Der frühere Chef des italienischen Spionageabwehrdienstes, Marco Mancini, verkündete kürzlich, dass al-Bidscha Verbindungen zum russischen Militärgeheimdienst aufgenommen habe. Andererseits soll Bidscha laut Dschalel Harchaui, Libyen-Experte des Royal United Services Institute, seit 2020 ein „wertvoller Aktivposten für die Türkei“ gewesen sein, der zur Sicherheit des türkischen Marinestützpunkts in Dschanzur beigetragen habe, wo Hunderte syrische Söldner stationiert waren.
Auch dieser Widerspruch könnte sich auflösen, geht man nach neuesten Berichten, denen zufolge diese syrischen Söldner von Libyen in den Niger verlegt wurden, um dort türkische Interessen zu sichern, wie es in der Jungen Welt am 3. September 2024 zu lesen steht. Kann dies ohne Absprache mit Russland erfolgt sein? Daneben hat sich die Türkei erst am 2. September offiziell um einen Beitritt zu BRICS beworben.
Wie sagte doch der EU-Außenbeauftrage Josep Borrell vor Kurzem: In Libyen gebe es keine europäischen Mächte mehr, sondern nur noch Türken und Russen. Die US-amerikanischen Möchtegern-Strippenzieher ließ er dabei unter den Tisch fallen.
In Italien herrscht Aufregung, da dem italienischen Geheimdienst von russischen Nachrichtenseiten unterstellt wird, möglicherweise an der Ermordung von al-Bidscha beteiligt gewesen zu sein. Nach dem Motto: Er hatte ausgedient und wurde lästig.
Die emiratische Zeitung al-Ain sieht als Vergeltung für den Tod von Bidscha einen Krieg in Tripolis heraufziehen, der die Möglichkeit bieten könnte, gefährliche oder unliebsame Milizenführer zu liquidieren. Mit dem Einsatz gegen Schleppernetzwerke wurde bereits am 1. September 2024 begonnen, als mehrere ihrer Mitglieder festgenommen wurden.
In az-Zawiya ist die Lage angespannt. Tripolis könnten unruhige Zeiten bevorstehen.